An der Universität Stuttgart forscht ein Team seit einiger Zeit an der Möglichkeit lebende Tragstrukturen aus Holzpflanzen zu bilden: „Baubotanik“ haben sie diese neuartige Architektur genannt. Ihr Ziel ist es, lebende, pflanzliche Strukturen als frei formbare architektonische Tragwerke in der Größe ausgewachsener Bäume zu konstruieren: Ohne weitere künstliche Stabilisierung sollen die Bäume derart wachsen, dass sie schließlich das gesamte Bauwerk und seine Elemente allein durch ihre gewachsene Form tragen. Stege, Ausichtsplatformen und Pavillons haben die Forscher bereits realisiert – jetzt steht der erste Turm.

 

Veränderung erwünscht

Der Reiz an dieser Art zu bauen ist offensichtlich: Der Einsatz von Pflanzen führt in der Architektur zu ständigen Veränderungen der Gebäudeform, die durch das Pflanzenwachstum und den jahrszeitlichen Wechsel provoziert werden. In der Baubotanik gibt der Architekt mit seinen Entwürfen kein Endergebnis mehr vor, sondern nur mehr eine Richtung. Das gestalterische Ergebnis ist dann eine Folge des Wachstums und das Resultat einer permanenten Metamorphose.

Das hat auch Vorteile: Lebende Strukturen können über die Jahre an Stabilität, Vitalität und ästhetischer Komplexität gewinnen, während tote Baustoffe unmittelbar nach ihrer Produktion dem Verschleiß anheim fallen. Durch die relativ langsamen Wachstumsprozesse können Bäume ihre inneren Strukturen optimieren und mit einfachen Ausgangsmaterialien hochleistungsfähige Tragwerke bilden. Dabei passen sie sich ständig an die gegebenen Belastungen an, indem sie insbesondere an den Stellen Material anlagern, an denen die Belastungen am größten sind. Diese „konstruktive Intelligenz“ geht notwendigerweise verloren, wenn Bäume gefällt und zu Brettern und Holzwerkstoffen verarbeitet werden. Durch die Verwendung des lebenden Baums macht sich die Baubotanik die Selbstoptimierungsprozesse zu Nutze und setzt lebendes Holz als eine Art „Smart Material“ ein, um Tragwerke auszubilden, die sich selbst überwachen und optimieren.

 

Spezielle Pflanzmethoden

Die Baubotanik versucht, langsames Wachsen und schnelles Konstruieren miteinander zu verbinden. Während es normalerweise Jahrzehnte bis Jahrhunderte dauert, bis konventionell gepflanzte Bäume ihre biologischen und ästhetischen Qualitäten voll entfalten, entstehen durch spezielle Pflanztechniken verhältnismäßig schnell herstellbare und sogleich erlebbare Grünbäume, die sinnliche Qualitäten von Bäumen mit baulichen Nutzungsfunktionen verbinden.

 

Der erste lebende Turm

Als erstes wirklich großes Projekt hat die Forschergruppe aus Stuttgart nun mit einem acht Meter hohen Turm realisiert. Die Basis des Turms ist eine fachwerkartige Struktur aus mehreren hundert jungen, nur zwei Meter großen Silberweiden. Nur die untersten Pflanzen wurden in den Erdboden gesetzt, alle anderen wurzeln in von einem temporären Stahlgerüst getragenen Pflanzcontainern.

Die Architekten haben dabei eine alte Erfahrung genutzt und durch eine mit dem „Pfropfen“ verwandte Methode einen einzigen Organismus gebildet. „Wenn die untersten Pflanzen des baubotanischen Turms in wenigen Vegetationsperioden ein leistungsfähiges Wurzelsystem im Erdboden entwickelt haben, werden die Pflanzcontainer entfernt.“ Wenn dann die lebende Struktur stabil genug ist, um die drei einwachsenden Ebenen aus verzinktem Stahl tragen und die Nutzlasten des Bauwerks übernehmen zu können, wird das Gerüst entfernt.

„Wir können nicht genau sagen, wie lange dieser Prozess dauern wird, denn dies hängt von vielen Faktoren ab“, erklärt Ludwig Ferdinand Ludwig von der Forschungsgruppe Baubotanik-Lebendarchitektur, aber gerade dass soll ja auch an diesem Turmbauwerk untersucht werden. Ludwig rechnet mit einer Zeitspanne zwischen fünf und zehn Jahren. Am 19. September 2009 wird der Turm der Öffentlichkeit vorgestellt.

 

Galerie

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Quellen

Text: pressetext.de, forschung.baubotanik.de, baubotanik.de
Bilder: baubotanik.de

 

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