Aggressionen gehören zu unseren grundlegenden, arterhaltenden Emotionen. Aggressionen drücken pure Vitalität, Lebensfreude und Kraft aus, wenn sie im Dienste unserer Leidenschaft und unseres Herzens stehen.

Leidenschaftliche Sexualität blüht im Verhältnis von Aggression und Hingabe. „Ich will dich“ ist die aggressive Einladung zum Spiel der Kräfte und der Lust. Oft ist Aggression der Funke, an dem sich Erotik entflammt. Wir benötigen Aggression, um uns selbst zu behaupten, unsere Grenzen anderen gegenüber abzustecken und auch für unsere Bedürfnisse nach Kontakt und Verwirklichung einzustehen.
Aggression ist nicht nur ein psycho-sozialer Aspekt, der zu den Basis-emotionen gehört, sondern gründet sich in der pränatalen Entwicklungsbiologie. Schon das Wachsen der Arme des jungen Fötus im Mutterleib, circa im zweiten Schwangerschaftsmonat, ist die erste biologische, aggressive Ausgreifbewegung. Diese ursprüngliche Ausgreifbewegung bereitet den noch sehr jungen Menschen darauf vor, später nach der Mutterbrust zu greifen, sich an der Mutter festzuhalten und noch viel später nach den begehrten Objekten des Lebens, Job, Partner, Verwirklichung, zu greifen, sie für sich einzufordern. Ohne dieses Wachstumsgreifen sind Entwicklung und Fortpflanzung unmöglich. Wörtlich übersetzt heißt Aggression „aggredi“ ausgreifen.

Biologie, Erziehung, Psyche

Beobachtet man ein wütendes Kleinkind, fällt auf, wie harmonisch und fließend es mit den Füßen und Beinen auf dem Boden strampelt, um seinen Willen zu bekommen. Der ganze Körper, einschließlich der Atmung, der Stimme und der Augen sind an diesem Prozess der Wut, der Aggression beteiligt.
Es ist wichtig, dass das Kind diese Abläufe möglichst ungestört beenden kann, bis es sich beruhigt. Häufig fühlen sich Eltern von dieser Wut bedroht und gehen unangemessen hart, meist über einen längeren Zeitraum, dagegen vor. Mit dem Ergebnis, dass das Kind diese Ausdrucksbewegungen einfriert und die Wut auf einer tiefen Ebene speichert. Wut wird dann in Trotz verwandelt.
Eine weitere Variante, mit dieser Aggression ungünstig umzugehen, ist, dem Kind immer und ständig nachzugeben, ihm die notwendigen Grenzen, die es braucht, um sich daran zu reiben, zu verwehren. Mit dem Ergebnis, dass die jungen Heranwachsenden ihre Grenzen in der Gewalt gegen andere suchen. Siehe die zunehmende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen. Es ist ein Aufschrei nach konsequenter Grenzsetzung. Auf einer tieferen Ebene der Wunsch nach dem Vater.
In Zeiten fehlender oder abwesender Väter, welche in Familien mit traditioneller Rollenaufteilung im Umgang mit Grenzen die wichtigste Bedeutung haben, nicht verwunderlich. Eine dritte ungünstige subtile Variante ist die des Kontaktabbruchs. „Wenn ich meine Wut zeige, muss ich ins Zimmer oder werde verlassen.“ Es entsteht Angst, Wut im Kontakt zum Gegenüber zu leben.

Die deformierten Seiten von Gewalt und Aggression

Wenn in der Familie mit aggressiven Emotionen nicht konstruktiv umgegangen wurde, durch fehlende, zu harte Grenzziehung oder durch Kontaktabbruch, deformiert sich das ursprüngliche, gesunde Gefühl in destrukive Verhaltensweisen. Zu den häufigsten Deformationen gehört das Verleugnen der eigenen Wut. Anstelle dessen werden die späteren Partner, Freunde oder Teamkollegen wütend, weil man sie durch das eigene Verhalten gegen sich aufbringt.
Mögliche Mittel sind ständiges Unpünktlich sein, sein Gegenüber auflaufen lassen, Trödeln, Bummeln, den Schreibtisch aufräumen, wenn der Theaterbesuch ansteht usw. und sich dann entspannt zurücklehnen, wenn der andere mit seinen Emotionen „rot-kochend“ die Wände hochgeht. Oft fällt dann der Satz „Du bist ja hysterisch“ oder ähnliche Gemeinheiten. Die schädlichste Form der Aggressionsbewältigung ist die Autoaggression. Die Aggression, die wir gegen uns selbst richten mit dem Ergebnis, psychosomatisch zu erkranken oder schwerste Depressionen zu bekommen. Diese Mechanismen sind überwiegend unbewusst und benötigen therapeutische Hilfe.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Depressionen zur Volkserkrankung der ersten Kategorie werden und teilweise schon sind, müssen wir als erstes schauen, wie Aggressionen im Körper verarbeitet werden, wie sie im Umgang mit Kindern und Partnern gemeistert werden und wie Wut in Abhängigkeitsverhältnissen, z.B. am Arbeitsplatz verhandelt wird. Zurückgehaltener, deformierter Zorn ist Krankheitsverursacher und Kriegsverursacher (der andere ist der Aggressor) schlechthin. Ganz zu schweigen von Partnerkonflikten.

Lösungsansätze

Der Umgang mit Zorn gehört somit zu den Schlüsselfragen der Menschheitsgeschichte, nämlich ob es uns gelingt, friedvoll miteinander zu leben oder ob wir uns in Konflikten zerfleischen. Es wird sich zeigen, ob die gesunde, glühende, rote Zornesenergie, die wir beim sexuellen Akt ebenso benötigen wie in der Selbstbehauptung eine Chance hat, sich in das Leben zu integrieren oder ob die derzeit zu beobachtende deformierte Seite an Dynamik gewinnt. Das Problem Gewalt und Aggression ist sowohl ein kollektives als auch ein persönliches. Lösungen kann es nur im persönlichen Bereich geben.

Ein erster Schritt ist die Selbsterkenntnis:

„Ich bin aggressiv und unter ungünstigen Bedingungen auch gewaltbereit.“ Paradoxerweise können wir lernen, unsere aggressive Seite in uns zu lieben und ihr, so gut es geht, angemessenen Ausdruck zu verleihen. Nicht gegen andere, sondern für uns. Ich erlebe immer wieder in meiner Arbeit mit Menschen eine tief sitzende Angst. „Wenn ich wütend bin, werde ich verlassen“. In diesem Kontext benötigt Zorn Kontakt, damit er sich wandeln kann.

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