Eine eigene Erfahrung von Anne Tusche

All das Welthafte in der Welt umhüllt den Herrn als Kleid.
Freue dich, es Ihm zu überlassen!
Sehne dich nicht nach Besitz!
Weißt du nicht, wem er gehört? – Ishavasya-Upanishad

Atheistisch erzogen, war ich stets vom Religionsunterricht befreit und durfte dann zu meiner Freude und zum Neid der Klassenkameraden immer schon früher nach Hause gehen. Manchmal lagen die Religionsstunden allerdings mittendrin, dann saß ich dabei und hörte den mir nichts sagenden Bibelgeschichten zu. So wurde ich weder von einem Gottesbild geprägt noch glaubte ich an einen Gott. Meine Mutter überraschte ich neunjährig mit der Äußerung einer Wahrnehmung, die mich sehr oft überkam, dass wir nämlich alle in einem großen Kopf seien, der uns träume.

Etwas später las ich die gechannelten Bücher von Seth und übernahm den Begriff „Alles-das-wasist“. Dieser deckte sich gut mit Bewusstseinserfahrungen, bei denen ich mich weit ins Universum ausdehnte bei gleichzeitiger Verdichtung als Punkt. Ich erlebte mich als formloses Bewusstsein, das sowohl meinen Körper als auch Teile des Raums enthielt. Nicht viel später wurde mir die Begrifflichkeit von „Alles-das-was-ist“ allerdings zu umständlich und ich begann es Gott oder Herr zu nennen, aber der Begriff war verbunden mit meinem formlosen Erleben und einem Glauben, sich so weit ausdehnen zu können, um Alles-das-was-ist werden zu können. 16-jährig kam ich in Kontakt mit den Schriften von Sathya Sai Baba, von dem gesagt wurde, er sei eine unmittelbare Inkarnation göttlichen Bewusstseins und auch ausgestattet mit göttlichen Attributen wie Allmacht, Allwissenheit und bedingungsloser Liebe. Mit 19 Jahren fuhr ich mit meiner Mutter und ihrem Mann nach Indien. Ob alles Gehörte und Gelesene über Sai Baba wohl stimmte? Ein Blick seiner Augen in meine ließ in mir die Überzeugung entstehen: Ja, es stimmt. Ich hätte seinen Blick nicht länger ertragen können als genau die Zeitspanne, in der unser Augenkontakt tatsächlich bestand. Er schien auf den Grund meiner Seele zu schauen, den ich noch nicht einmal selbst kannte – und vor dem ich Angst hatte, weil ich es für möglich hielt, dass dieser Grund meiner Seele irgendwie schlecht sein könnte und er es sehen würde. Daran kann man gut erkennen, dass solche Gedankengebäude ihre eigene, sehr begrenzte – und widersprüchliche – Logik besitzen. Ich kam nämlich nicht auf die Idee, dass darum, weil Sathya Sai Baba als göttliche Inkarnation alles ist, auch alles von ihm geliebt würde, egal, was er vorfindet. Statt dessen zeigten sich ungelöste Themen in mir, wie die Angst, nicht gut genug zu sein.

Der Guru als Projektionsfläche

Das Thema, sich nicht gut genug zu fühlen, bekommt in der einen oder anderen Form fast jeder Mensch aufgeladen, weil nahezu jeder durch eine Erziehungsschule der Eltern geht, die uns so konditioniert, dass wir uns dann geliebt fühlen, wenn wir so sind, wie sie es haben wollen, und wir uns ungeliebt fühlen, wenn wir ihren Vorstellungen nicht entsprechen. Diese Thematik zeigt sich später im Beruf, mit den jeweiligen Liebespartnern und auch auf einem spirituellen Weg im Kontakt mit Lehrern und Gurus sowie in Bezug auf die eigene Vorstellung des Göttlichen.

Dieses Göttliche, für mich erschienen in der Form Sathya Sai Babas, äußerte nun unter anderem in seinen Büchern – für mein Empfinden ziemlich streng –, wie denn ein spirituell Suchender zu sein habe bzw. was nötig sei, um Gotteserkenntnis zu erlangen. Darunter fielen zum Beispiel spirituelle Übungen wie Dienst am Nächsten (Seva) – ich probierte es, es war mir eine lästige Pflichtübung, die mir keine Freude machte – oder auch regelmäßige Meditation – meinem Empfinden nach für mich völlig vertane Zeit. Da eines davon Voraussetzung sein sollte für die Selbst- oder Gotteserkenntnis und ich weder das eine noch das andere wollte oder konnte, legte ich das Ziel Gotteserkenntnis ad acta.

Trotzdem versuchte ich mein Möglichstes, den Ansprüchen Sathya Sai Babas zu entsprechen, zum Beispiel der Wahrheit zu folgen, ein guter Mensch zu sein, in Beziehungen treu zu sein. Manchen Ansprüchen konnte ich gerecht werden, anderen – nämlich denen, von denen ich gelesen hatte, sie würden zur Gotteserkenntnis führen – nicht. Es erscheint auf den ersten Blick nicht als Weg in die Freiheit, es irgendwem recht machen zu wollen. Heute sage ich: Der Weg ist gar nicht anders möglich, als an irgendetwas außerhalb von mir zu glauben, beispielsweise an die Worte einer anderen Person, deren spiritueller Kompetenz ich vertraue. Im glücklichsten Fall wirkt sich diese Haltung befreiend aus.*

Was nicht heißt, den gesunden Menschenverstand, Zweifel, Analyse, aber auch die eigene Intuition aufzugeben, denn das wiederum kann gefährlich in die Irre führen. Bei mir wirkte sich die Hingabe an Sathya Sai Baba sehr positiv aus. Ein paar Jahre später schaute ich zurück und sah, wie sehr sich mein Charakter geändert hatte: von einem ziemlich egoistisch agierenden Menschen zu einem, der unbedingt wahrhaftig sein wollte – und dafür auch schon mal in Kauf nahm, seinen Job deswegen zu verlieren, weil er nicht bereit war zu lügen, als er lügen sollte. Irgendwann erkannte ich, dass das, was ich als Sathya Sai Babas Ansprüche gesehen hatte, ausschließlich meine eigenen Ansprüche an mich selbst waren. Der Guru war nur meine Projektionsfläche. Doch im Befolgen seiner „Regeln“ änderte ich mich. Besonders in dem Streben nach Wahrheit und Aufrichtigkeit – zunächst im weltlichen Leben – konnte ich erkennen, dass sich dieses Bestreben nach innen fortsetzte und dort auch nach Wahrheit strebte, DER Wahrheit.

Spontane Melodien

Die empfundene Strenge Sathya Sai Babas ließ ich hinter mir, als ich 27-jährig die Entscheidung traf, zu einem anderen Guru nach Indien zu fahren, einem Devotee Sathya Sai Babas, der durch einen Kundaliniweg Selbsterkenntnis erlangt hatte und durch den die Kundalini „übersprang“ auf die meisten, die ihn aufsuchten. Am Morgen, nachdem ich die Entscheidung für die Reise getroffen hatte, wurde ich innerlich von Melodien überschwemmt. Die Melodien entstanden spontan. Worte dazu allerdings nicht. Die musste ich erlauschen. Als ich nach zehn Jahren zurückschaute, erkannte ich, dass dieses Erlauschen des Inhaltes der Melodien meine Meditationsmethode war, die mich über die Jahre immer tiefer nach innen führte.

Genauso wie mir diese Melodien gegeben wurden – ich selbst kann sie nicht erfinden – wurde mir die Sehnsucht nach dem Göttlichen geschenkt. Auch Sehnsucht lässt sich nicht herstellen. Es bestand zwar schon das ganze Leben lang eine spirituelle Sehnsucht – bedingt dadurch, dass ich für erhebliche Ängste eine absolute Lösung suchte –, aber durch das Überfluten mit den Melodien wurde diese Sehnsucht sehr intensiviert. Ich empfand sie als bittersüß, ein starkes liebendes, drängendes Gefühl, das kaum auszuhalten war und Linderung erfuhr im Lesen von Büchern mit spirituellen Inhalten, im Beten und im Liedermachen. Da ich immer noch jegliche Selbst- oder Gotteserkenntnis ad acta gelegt hatte, interessierte mich kein Ziel, sondern ich folgte nur der Sehnsucht.

Nach zehn Jahren verschwand die Sehnsucht nicht mehr. Zuvor war sie mal da, mal weg. Ich zog mich von meiner Familie zurück und sang in jeder freien Minute das Mantra OM purnam verbunden mit der inneren Auseinandersetzung damit, dass alles vollkommen ist, alles göttlich, auch alles Schlechte auf dieser Welt – und all das war in mir selbst zu finden.

Nach drei Monaten war ich zu diesem Mantra geworden. Es hatte meine Gedanken besetzt, meine Gefühle, mein Wesen, meinen Charakter, alles, für das ich mich hielt. Und aus meinem tiefsten Inneren stieg die Frage empor, von der ich schon oft gelesen hatte, die mich aber bis dato nicht die Bohne interessiert hatte, die Frage der Fragen: Wer bin ich? Wer ist dieses Ich, wenn mein Wesen so vollständig von einem Mantra verändert werden kann? Wer oder was bleibt noch übrig? Diese Frage entstand nicht aus dem Intellekt, sondern sie entstand aus Erfahrung und ihre Antwort konnte auch nur eine Erfahrung sein. Es entstanden Nebenfragen wie „Was ist an und in mir vergänglich und was ist ewig?“.

Gibt es Gott? – Ein Sprung ins Nichts

Mein Geist schoss los, eine Antwort zu finden. Er lieferte mir eine Antwort nach der anderen. Aber nichts davon war ewig. Alles, was mein Geist finden konnte, war vergänglich. Immer öfter schraubte sich dieser Ablauf hinauf bis an eine Schwelle, an der mein Geist kurz davor war aufzugeben. Die Antworten erschienen immer schneller, Frage und Antwort verdichteten sich, konzentrierten sich auf einen Punkt hin. Ich musste nur noch drei Töne singen, schon war ich in tiefster Meditation und stand an der Schwelle – ich musste nur noch springen. Ich fühlte Angst und Sehnsucht zugleich. Die Angst, was danach mit mir sein würde. Die Angst, zu sterben, auch physisch. Die Angst, verrückt zu werden.

An dieser Stelle half mir mein Glaube an Sathya Sai Baba, der gesagt hatte, alles ist Gott. Wenn alles Gott ist, finde ich dahinter auch nur Gott, egal, was dann mit mir sein würde. Meine Sehnsucht war stärker. Ich sprang. Die Konfrontation mit dem „Nichts“ dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, war aber zutiefst erschreckend. Dort war niemand mehr. Nur Leere. Keine Anne mehr. Keine Frau. Kein Wesen. Kein Charakter. Aufgrund aller gelesenen Biographien wusste ich, um welche Erfahrung es sich dabei handelte, und wollte dem nächsten Mal dem „Nichts“ nicht ausweichen. Diese nächsten Male kamen in der Meditation oder auch in der Beschäftigung mit Mantratexten wie der Übersetzung der Prajna Paramitra Sutra oder beim Singen des Gayatri-Mantras. Obwohl ich ja wusste, um welche Erfahrung es sich handelte, war die Begegnung mit dem „Niemand“, mit dem „Nichts“ immer noch dermaßen erschreckend, dass vor Entsetzen sogar Ohnmacht drohte. Der Ohnmacht gab ich mich nicht hin. Zu viel Angst. Aber auch diese Erlebnisse waren letztlich einfach nur Erfahrungen, in die ich mich glücklicherweise nicht hineinsteigerte.

Zur gleichen Zeit eröffnete ich meine erste Mantragruppe und hatte mir vorgenommen, jeweils zehn Minuten einen Vortrag über das Mantra zu halten. Vor einer Gruppe zu sprechen war in meinem Leben eine der größten Ängste. Ein halbes Jahr lang überwand ich mich alle zwei Wochen dazu. Die Angst ließ aber nicht nach. Schließlich gab mir meine Mutter, die ausgebildete Nada-Brahma-Sonologin ist (ein jahrtausendealtes indisches Wissen um die erlösende Wirkung von Tönen) eine Raga zu singen, die mein Selbstbewusstsein verbessern sollte. Diese Raga besteht aus einer bestimmten Tonfolge, gesungen auf bestimmten Silben und Körperpunkten. Sie betont besonders den Selbstbewusstseinspunkt, der dort liegt, wo sich Tarzan auf die Brust schlägt. Ich sang sie einen Monat lang. Nach einem Monat war „ich“ verschwunden. Natürlicherweise. Still. Undramatisch. Selbst-Bewusstsein.

Neue Fallen

Anschließend ging ich durch viele Tore immer wieder in DAS. Ich sah, wie es dieses DAS war, was sich an alle vergänglichen Vorgänge anhaftete, was Identifikation und somit mein „Ich“ installierte. Entschied ich, der Vergänglichkeit nicht hinterherzugehen, mich nicht anzuhaften, blieb DAS alleine, blieb nichts.

Das, was sich mir offenbarte, war etwas, was schon immer vorhanden war, was ich übersehen hatte, weil Anhaftung und Ich-Erstehung von Moment zu Moment geschehen in rasender Geschwindigkeit. Kaum ein Moment, in dem keine Anhaftung vorhanden wäre.

Ein weiteres Tor war das Lernen der Ishavasya- Upanishad. Wie ich zuvor zum OM purnam geworden war, wurde ich zu der gesamten Upanishad und gelangte durch sie und jedes ihrer Mantren zu mir – als DAS.

Dieses DAS erkannte ich als das kleinste Bauteil, aus dem ALLES besteht. Dahinter kommt nichts mehr. DAS ist alles. Und derjenige weiß es, der DAS ist. Nur der Verstand mit seiner Zweifelfunktion kommt mit seiner Frage: Und wenn es doch nicht das Letzte ist?

Im Laufe der Zeit gab es viele mystische Erfahrungen. Und auch das Hereinfallen auf neue Irrtümer, zum Beispiel auf spirituelle Arroganz. Solche Irrtümer beruhen darauf, dass man von bestimmten Manifestationen des Egos glaubt, dass sie aus der Quelle kommen – in Wahrheit sind es aber noch unerkannte Anhaftungen. Es ist eben nicht so, dass durch die eine grundlegende Erkenntnis alles durchschaut ist und sich Glück einstellt, obwohl viele Anhaftungen und Identifikationen wie Ängste dadurch tatsächlich verschwunden sind. Und viele Prozesse können überhaupt erst anschließend erscheinen, weil sie ein „Ich“ vorher gar nicht ertragen hätte.

Lieben heißt fühlen

Es dauerte noch einmal drei Jahre, bis eine weitere tiefe Erkenntnis mein Herz aufzuweichen begann: Zu lieben heißt fühlen. Alles fühlen. Der Mensch begrenzt sein Fühlen und damit seine Liebe, weil vor allem die eine Seite des Fühlens, die negative, schlicht weh tut. So weh tut, dass sie einen Menschen umbringen kann.

Leider lässt sich größtes Glück nicht fühlen, wenn man nicht auch die Fühlgrenzen in die andere Richtung sprengt. Die Erkenntnis, dass es dieses „Ich“ nicht gibt, weil es einfach nur ein vergänglicher Vorgang ist, die Erkenntnis, dass da Niemand ist, dass alles voller Leere ist, war für mich die Grundlage, meine Fühlgrenzen sprengen zu können, weil ich bei diesem sehr schmerzlichen Prozess immer wieder Bezug nehmen konnte auf Leere, Niemand, Nichts. Aber für mich ist heute sicher, dass die grundlegende Erkenntnis der Leere nur im Zusammenhang mit der Liebe vollständig wird.

Die Leere lässt uns den Himmel erreichen, sie erkennt das unpersönlich Göttliche. Durch die Liebe kommen wir vollständig auf der Erde an und können die Menschheit, ja, alle Wesen, in uns fühlen. Durch die Liebe wird das Göttliche persönlich. Während die Erkenntnis alleine sich selbst genug ist, schreitet sie durch die Liebe zur Tat. Die Liebe – das Fühlen aller Facetten des menschlichen Egos, seiner bösartigen und zerstörerischen Handlungen wie auch des Glücks, geliebt, getragen und umsorgt zu werden – führt unsere Erde in einen Zustand der Freude und des Friedens. Denn daraus entsteht ein tiefes, umfassendes Ja zu uns selbst und zu allen anderen Wesen.

Alles ist das Selbst, ist Gott.
Aber um Dies zu erfahren, muss unterschieden werden zwischen Vergänglichem und Ewigem, Unwahrheit und Wahrheit.
Wenn du das Ewige noch nicht kennst, kannst du nur das Vergängliche als nicht ewig, das Unwahre als nicht die Wahrheit bezeugen.

* Es ist dabei nicht grundsätzlich wichtig, dass der Lehrer „perfekt“ ist. Er könnte auch ein falscher Guru sein oder einer, der nur so tut als ob. Einzig die „richtige“ Verarbeitung von allem Gehörten in unserem Mind ist wichtig. Ob der Verstand etwas richtig oder falsch versteht, hängt davon ab, wo die jeweilige Person gerade steht.

 

 

(Abb: Sprung ins Nichts: © dipego – Fotolia.com)

2 Responses

  1. Joe R.

    >>>Es ist eben nicht so, dass durch die eine grundlegende Erkenntnis alles durchschaut ist…

    Sehr richtig; denn das absolute Wissen („die eine grundlegende Erkenntnis“) ist gleichzeitig absolutes Nichtwissen (nicht zu verwechseln mit Unwissen).
    Andererseits gibt es im Grunde (sic!) nichts, was durchschaut werden könnte. Denn DAS zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es nix dahinter gibt (keine höhere Ebene oder so was). Alles ist immer da und gleichzeitig auch nicht – weshalb es undurchschaubar ist 😉

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  2. ALI BABA ohne 40 RAUEBER
    IN LUST UND GAR OHNE LEIDENSCHAFT

    Oo o
    ich schaue nur DEIN photo an und bin verzueckt
    nehme DICH gleich einmal,oder auch mehrmals in die arme
    und kuesse dich,nicht nur aufs HERZ

    in liebe und noch viel mehr ALI BABA BABALI

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