Eine moderne Traditionsbäckerin in Berlin

Brot ist Lebensgrundlage für uns Europäer. Es ist ein Nahrungsmittel, für das Franziska Haninger eigentlich am liebsten eine Art Reinheitsgebot sehen würde, so wie es früher auch beim Bier üblich war. Die 39jährige Bäckermeisterin arbeitet im Bio-Bäckereikollektiv „Die Backstube“ in Berlin Kreuzberg und fand selbst erst recht spät – mit knapp 30 – zu ihrer „Berufung“. Scherzhaft bezeichnete sie sich so­gar als „älteste Auszubildende Berlins“. Im Gespräch mit SEIN gibt sie Einblick in das uralte Handwerk des Brotbackens, persönliche Erfahrungen und Beweggründe.

 

Was hat dich bewogen, plötzlich Bäckerin zu werden? War es schwierig, eine Ausbildungsstelle zu bekommen?
Hm… das war eher ein längerer Prozess. Ich überlegte, mein Studium abzubrechen, und hatte einen Putzjob in einer Bäckerei. Durch den Kontakt in der Backstube wuchs immer mehr die Lust, da selbst aktiv zu werden. Und dann dachte ich mir halt: Vielleicht geht das ja doch mit der Bäckerei, obwohl ich schon so alt bin? Eine Ausbildungsstelle zu bekommen fand ich erstaunlich leicht, ich habe aber auch viel Glück gehabt und empfand es damals so, als ob mir das Schicksal regelrecht unter die Arme greift.

Ist das Bäckerhandwerk eine typische Männerdomäne? Hattest du da als Frau mehr Schwierigkeiten?
Das ist von Land zu Kultur tatsächlich oft unterschiedlich. Aber ja, in Deutschland ist der Beruf eher von Männern dominiert. Mein erster Lehrmeister hatte beispielsweise ein massives Problem mit Frauen. Ich habe mir viele auf mein Geschlecht bezogene Beschimpfungen angehört, bis ich den Mut und die Kraft fand, dort letztendlich zu kündigen.

Mein zweiter Lehrbetrieb – ein große lokale Firma – wollte erst gar keine Frauen ausbilden. Sie haben mich dann aber trotz großer Skepsis (und dank meiner Beharrlichkeit) doch genommen. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, und inzwischen sind diese Vorurteile im Betrieb auch ausgeräumt und weitere Frauen ausgebildet worden

Man merkt, du übst dein Handwerk mit Leidenschaft aus. Was begeistert dich so an deinem Beruf?
Das traditionelle Bäckereihandwerk ist das absolute Gegenteil von moderner, entfremdeter Arbeit: Das Produzieren von Nahrung ist einfach eine grundlegende Notwendigkeit, die alle Menschen kennen. Dazu kommt die handwerkliche Komponente. Handwerk ist eben nicht einfach Kopfwissen, man braucht dazu Fertigkeiten, die nur durch direkte Weitergabe von Mensch zu Mensch erhalten bleiben können. Wenn diese Fertigkeiten aussterben würden, dann wären sie schlicht verloren. Man kann sie sich nicht einfach anlesen.

Dazu kommt noch das Arbeiten mit Naturprodukten, mit natürlichen Rohstoffen. Der Umgang damit braucht Gefühl und Erfahrung, und auch das ist ein Wissen, das in einer oralen Tradition weitergegeben wird, also von Mensch zu Mensch. Es gibt Regionen, wo dieses Wissen inzwischen durch die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion komplett verloren gegangen ist, und das finde ich sehr schade und bedenklich. Deshalb ist dieses Bewahren und Weitergeben von Wissen für mich gleichermaßen faszinierend und sinnvoll.

Was macht eure Bäckerei anders?  Was hebt euch von anderen ab?
Ich bin der Meinung, Bäckereien sollten nichts Besonderes sein und „Alleinstellungsmerkmale“ haben. Sie produzieren ein Grundnahrungsmittel: Brot. Und eigentlich sollte das überall in guter Qualität, ohne Schnickschnack und Zusatzstoffe erhältlich sein. Gutes Brot besteht aus Mehl, Wasser, Salz und Sauerteig. Vielleicht noch mit Saaten drin, wie Sesam oder Sonnenblumenkernen, und sonst nichts. Jedes Brot, das so gemacht wird, ist etwas Besonderes. Jede Bäckerei, die so natürlich arbeitet, hat einen eigenen Sauerteig und die Brote damit einen eigenen Charakter.

Was ist in eurem Brot? Und was denkst du über Enzyme im Teig?
Ich nehme an, damit sind High-Tech-Emulgatoren gemeint? Ich habe von der Diskussion gehört und halte persönlich nicht viel davon, ein Brot mit Backmitteln so zu verändern, dass es sich absolut unnatürlich verhält und beispielsweise wochenlang wie frisch gebacken bleibt. Klar liegt sowas an der Industrie, aber auch an Verbraucherinnen und Verbrauchern, die nicht mehr wissen, wie Brot und Brötchen eigentlich von Natur aus beschaffen sind, und sich sowas verkaufen lassen.

In unserem Brot sind auch Enzyme, aber nur die, die von Natur aus schon im Getreide sind. Die Enzyme sind zum Beispiel im Keimling des vollständigen Getreidekorns. Dann sind natürlich die Milchsäuren aus dem Sauerteig im Brot, und bei Brötchen und Croissants hilft Vitamin C dabei, dass der Teig elastischer und das Gebäck dadurch luftiger wird. Das kommt bei uns aber nicht aus industrieller Produktion, sondern wir benutzen  dann einen Schuss Bio-Orangensaft.

Was ist für dich gutes Brot?
Es sollte einfach, minimalistisch und nicht überladen sein. Bei einem Besuch auf Sizilien wurde mir mal erzählt, dass es für Brot eine Art „Reinheitsgebot“ gibt, wie in Deutschland früher für das Bier: Es darf nur Mehl, Wasser, Salz und Hefe in den Grundteig. Die Weißbrote und Brötchen sind dadurch nicht unnatürlich aufgeblasen, weich oder seltsam lange haltbar, und das Brot ist trotzdem – oder gerade deswegen – sehr gut. So etwas würde ich mir hier eigentlich auch wünschen. Gute Zutaten, Zeit und Handwerk sorgen eben für wirklich gutes Brot.


Abb: © Franziska Haninger

Über den Autor

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ist studierte Germanistin, Sozial- & Geschichts­wissenschaftlerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin als freie Journalistin, Redakteurin, Autorin, Texterin, Foodbloggerin, magische Kesselguckerin, kulinarische Diva und Kunsthandwerkerin.

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