Hellblau – hört sich gut an 1. Oktober 2005 Genießen & Erleben Synästhesie Farben hören, Töne schmecken, verschiedene Geschmacksrichtungen sehen – die Welt der Synästhetiker ist vielschichtig und bunt. Durch eine Laune der Natur sind bei diesen Menschen verschiedene Sinne zu einer kombinierten Wahrnehmung verschmolzen – die Welt erscheint dadurch als ein Kunstwerk der besonderen Art. Wenn Rudolf Peters Musik hört, eröffnet sich vor seinen Augen eine andere Welt: Jeden Klang, jeden Ton begleitet eine andere Farbe – das Hörerlebnis wird zum multimedialen Event. Und alles ohne Lichtorgel, Computeranimation oder andere technische Hilfsmittel. Die ungewöhnliche Vernetzung von Sehen und Hören findet bei ihm im Gehirn statt, die Fähigkeit ist angeboren. Synästhesie (aus dem Griechischen syn = zusammen und aisthésis = empfinden) nennt man die neurologische Besonderheit, wenn unterschiedliche Sinne miteinander verknüpft sind. Das „coloured hearing“, die Verbindung von Klang und Farbe, ist dabei die häufigste, aber nicht die einzige Form. Andere Synästhetiker sehen bei einem Musikstück beispielsweise eine bizarre Welt von geometrischen Formen, die sich wie in einem Tanz miteinander bewegen. Kein Wunder, dass manche beim Hören die Augen schließen, um diese Wunderwelt noch intensiver genießen zu können. Für wieder andere haben Ziffern oder Wochentage eine bestimmte farbliche oder räumliche Struktur – was durchaus helfen kann, sich Termine besser zu merken oder komplizierte Berechnungen durchzuführen. Auch der Geschmackssinn ist oft mit anderen Sinnen verdrahtet – eine Currywurst schmeckt zum Beispiel eckig und das blumige Bouquet eines Weines kann man dann wörtlich nehmen – wer weiß, woher solche Bezeichnungen ursprünglich stammen? Musikgeschmack bekommt bei Synästhetikern sowieso eine wortgetreue Bedeutung: Einzelne Töne schmecken süß, sauer und bitter, Terzen nach Marzipan, Septimen wie ein Frühlingsmorgen oder Sexten nach Himbeeren. Keine Phantasiegebilde Mit Hilfe von Magnetresonanztomographen bewiesen Wissenschaftler, dass die beschriebenen Phänomene keine überbordenden Phantasiegebilde sind: Die Untersuchungen zeigten, dass tatsächlich im Gehirn dieser Menschen gleichzeitig Hör- und Sehzentrum aktiviert wurden. Immer wieder gab es Versuche, das synästhetische Erleben auch „Normalmenschen“ zugänglich zu machen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts komponierte der Russe Alexander Skrjabin zu seinem Werk „Prometheus“ zusätzlich eine Farbpartitur, um dann die Melodie mit Hilfe eines von ihm entwickelten Lichtklaviers in den Konzertsaal zu projizieren. Sein Ziel war, das Publikum durch die kombinierte Sinneswahrnehmung in einen erhöhten Bewusstseinszustand zu versetzen. Die Uraufführung in der New Yorker Carnegie Hall wäre allerdings wohl nicht nach dem Geschmack des bereits verstorbenen Komponisten gewesen – die Beziehung zwischen Musik und Farbanimation war für viele Besucher nicht wirklich ersichtlich, das Ziel, veränderte Bewusstseinszustände hervorzurufen, verfehlt. Synästhetiker würde ein solches Werk sowieso eher verwirren: Die Zuordnung von Tönen und Farben ist bei ihnen so individuell wie ein Fingerabdruck. In der Kunst findet man immer wieder versteckte Hinweise auf Synästhetiker: Der Maler Wassily Kandinsky beispielsweise nannte Teile seines Werkes „Klänge“, eine Oper dieses Multitalents heißt „Der gelbe Klang.“ Die Fähigkeit zum multidimensionalen Erleben gibt es nicht nur bei Künstlern und auch öfter als man denkt: Einer unter 1000 Menschen verfügt über die spezielle Verbindung im Gehirn. Rund 80 Prozent aller Synästhetiker sind weiblich. Viele Menschen sind sich ihrer speziellen Fähigkeit gar nicht bewusst. Sie ist für sie völlig normal, erst durch andere werden sie darauf aufmerksam. Intensivierung des Lebens Wenn uns „Normalmenschen“ der Eintritt in die Welt der Synästhetiker auch verschlossen ist, nutzen wir die Verbindung von Klang, Farbe und Gefühlen doch immerhin in Farb-, Klang- und Musiktherapien. Schließlich sind Töne und Farben einfach unterschiedliche Manifestationen von Schwingung, ebenso wie verschiedene Gefühlsbereiche hoch oder tief schwingen. Ein Eintritt in synästhetische Wahrnehmungsbereiche ist manchmal mit Substanzen wie LSD oder Haschisch möglich. Leider ist das Erlebnis vorübergehend, es gibt bisher auch keine Hinweise, dass Synästhesie erlernbar wäre. Sie tritt aber familiär gehäuft auf, ist also wahrscheinlich vererbbar. Manchen wird das kombinierte Klang-Farb-Erlebnis irgendwann doch zu bunt. Die Zahl der Reize ist oft einfach zuviel – und lässt sich leider nicht abschalten. Da hilft dann nur der Rückzug in reizärmere Regionen. Doch insgesamt fand man an der Fachhochschule Hannover heraus, dass Synästhetiker überdurchschnittlich oft über Eigenschaften wie Angstfreiheit verfügen oder auch die Fähigkeit zu präkognitiven Träumen haben. Sie empfinden die ungewöhnliche Kopplung ihrer Sinne meist als eine Bereicherung und Intensivierung ihres Lebens. Einige nutzen diese Fähigkeit auch, um ihre Erfahrungen künstlerisch in Bildern, Gedichten oder Prosa umzusetzen. Dem Publikum bleibt bei derartigen Kunstobjekten nur die Vorstellungskraft eines gewöhnlichen Gehirns – außer man ist der eine unter 1000… Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. 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