Wolf-Dieter Storl ist eine besondere Art Ethnobotaniker: Analytisches Wissen über seine ­Studienobjekte interessiert ihn nur am Rande. Wichtig ist ihm vor allem, eine lebendige, ­erlebte, gefühlte Beziehung zur Natur herzustellen, die für ihn aus beseelten, feinstofflichen Wesen besteht. Jörg Röttger über den Mann, der mit den Pflanzen spricht und von sich sagt:“Ich bin ein Teil des Waldes“.

 

„Medizinmann“, „Kräuter-Guru“ oder „Schamane aus dem Allgäu“ – das sind nur einige der Bezeichnungen, mit denen Wolf-Dieter Storl ­tituliert wird. Wahrscheinlich ist er von allem etwas, er selbst will jedoch nicht als Wunderdoktor oder „Schamane“ bezeichnet werden. Wo er auftritt, erregt er schon mit seinem Aussehen Aufsehen: Die langen Haare mit „dreadlocks“ und der wallende Bart wollen so gar nicht zu einem akademischen Ethnobotaniker und Kulturanthropologen passen. Und in der Tat hat sich der heute 70-Jährige längst von seiner akademischen Karriere entfremdet. Mehr als analytisches Wissen über die Pflanzenwelt interessiert ihn eine lebendige, erlebte, gefühlte Beziehung zur Natur. Die wilde ursprüngliche Natur, Wildpflanzen und Tiere waren immer schon eine Quelle der Inspiration für ihn und formten seine Lebensphilosophie. Von den Cheyenne-Indianern und anderen traditionellen Völkern in Asien und Afrika sowie von den Überlieferungen und ­Erzählungen europäischer Bauern und Kräuterkundiger erfuhr er viel über das Wesen der Pflanzen, über ihre „spirituellen“ Dimensionen. Pflanzen sind für ihn keine botanischen Gegenstände, sondern haben in ihrer Wechselbeziehung mit den Menschen auch eine kulturelle, sprachliche, heilkundliche und mythologische Identität.

Wenn Storl mit Leidenschaft und ­Begeisterung über Pflanzen und Tiere, über alte Sagen und Mythen spricht, wenn er fundiertes Wissen mit persönlichen Anekdoten mischt, dann spürt man seine Liebe zu diesen Themen – und immer springt ein Funken auf seine Zuhörer über. So hat Wolf-Dieter Storl heute eine große Fangemeinde. Rund zwanzig Bücher von ihm sind auf dem Markt und eine Reihe von DVDs, die ihn in seinem Element zeigen – bei Heilkräuter-Wanderungen, Vorträgen und Workshops oder „auf Manitus Spuren“.

 

Entscheidung für die Wildnis: „Ich bin ein Teil des Waldes“

Storl, Jahrgang 42, wanderte mit seinen Eltern als Elfjähriger nach Ohio in die USA aus. Wenn andere Kids ihre Zeit auf dem Baseballfeld verbrachten, zog es ihn in die Waldwildnis. „Ich begriff”, schrieb er später, “dass die Menschen die Welt in zwei Hälften teilten: Da gab es auf der einen Seite die Natur, die Wildnis, das Böse – und auf der anderen Seite die Zivilisation, die geordnete Welt, das Gute. Indem ich den Baseballschläger weggeworfen hatte, hatte ich mich – ohne dass es mir bewusst war – für das Wilde, für die ungezähmte Natur entschieden. Von nun an verbrachte ich jede freie Minute im Wald, in der freien ­Natur. Es gab ein Universum zu entdecken.” ­Folgerichtig schrieb sich der Pflanzenliebhaber später an der Ohio State University als Botanikstudent ein, wechselte aber, vom Labor­betrieb angeödet, bald zur Völkerkunde (Anthropologie). 1974 promovierte er zum Doktor der Ethnologie in Bern und lehrte abwechselnd an europäischen und amerikanischen Universitäten sowie an der Benares Hindu University. Doch das akademische Leben füllte ihn nur ­begrenzt aus. Storl war immer fasziniert vom überlieferten Wissen der Bauern, der indigenen Völker, der Heilkundigen in den unterschiedlichen Kulturen und Traditionen. Seine Reisen sowie völkerkundliche und ethnobotanische Feldforschungen – ob in einer traditionellen Spiritistensiedlung in Ohio, in einer Camphill-Commune südlich von Genf, bei alteingesessenen Bauern im Schweizer Emmental, bei Medizinmännern der Northern Cheyenne oder bei Shiva Sadhus in Indien und Nepal – formten sein Denken und seine Lebensphilosophie. „Schamanen, Kräuterkundler und Heiler aller Kulturen wissen: Pflanzen sind Persönlichkeiten von magischer Kraft und mit ganz eigenem Wesen“, betont Storl immer wieder. „Sie wandern durch unsere Seele, sprechen zu uns und schenken uns Heilung, Inspiration und Träume.“

 

Mit den Pflanzen reden, nicht über sie

Mit einem Medizinmann der Cheyenne ist Storl über Jahre durch die Wälder gestreift, über die Prärie gewandert und hat viel über die Beziehung der Indianer zur Natur erfahren. “Ich habe gedacht, er würde mir alles Mögliche über Heilpflanzen erzählen”, erinnert er sich. “Doch wirklich gelernt habe ich durch die Art, wie er mit den Pflanzen umging. Die Cheyenne reden nicht über die Pflanzen, sondern mit ihnen.” In Indien, wo er nach Aufenthalten in Japan, Thailand und Burma zwei Jahre lang mit seiner amerikanischen Frau Christine lebt, erfährt er eine Sichtweise der Welt, die „sich seelisch verbindet und meditativ in sie eindringt. So können dem schauenden Auge auch die Pflanzen als Götter erscheinen; oder die Götter und Göttinnen nehmen pflanzliche Gestalt an.“

Für Wolf-Dieter Storl ist die Natur belebt von feinstofflichen, ätherischen Wesen. Es ist möglich, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, von ihnen zu lernen und sie um Unterstützung zu bitten. Wie kaum ein anderer vermag der Ethnobotaniker reiches Wissen über die geistig-seelischen Dimensionen der Pflanzen, über Krafttiere und Rituale von Schamanen, über die mystische Seele der Natur weiterzugeben. Doch zu viel religiöses oder esoterisches Vorwissen ist hinderlich, wenn man mit dem Wesen der Pflanzen Kontakt aufnehmen will, betont Storl. Bei Meditationen in seinen Seminaren hat er festgestellt, dass sich gerade jene Menschen schwer tun, die Unmengen von esoterischen Büchern verschlungen haben. “Der Geist muss leer werden, um sich dem Pflanzenwesen zu öffnen”, erklärt er. “Angelesene Vorstellungen über das, was bei einer Meditation geschehen sollte, erschweren eine wirkliche Verbindung zu den Wesenheiten. Solche Leute fantasieren alles Mögliche hinzu und erfahren in Wirklichkeit nichts.”

 

Bachblüten als Initiationsweg

Nach seinen Indien-Jahren kehrt Storl 1988 ohne konkrete Berufszukunft nach Deutschland zurück. Nach einem Zwischenaufenthalt in Ostfriesland wird er schließlich auf einem Hof in Allgäu ansässig, kilometerweit von der nächsten Straße und vom nächsten Dorf entfernt, wo er auch heute noch lebt und gärtnert. Der Zufall will, dass er mit Mechthild Scheffer zusammenkommt, damals bereits eine bekannte Autorität für die Arbeit mit Bachblüten – was Storl allerdings nicht weiß. Sie bittet ihn, über die Ethnobotanik der Bachblüten zu schreiben, was nach anderthalb Jahren zu Storls erster Veröffentlichung in Deutschland führt. In einem Newsletter erzählt er über die Entstehungsgeschichte dieses Werks und gibt zugleich Einblick in seine Arbeitsweise:

„Ich nahm es als einen Fingerzeig der geistigen Führung, denn mir war noch nicht klar, was meine Aufgabe in Europa sein sollte. Auf den Schreibtisch hatte ich mir ein Foto von Edward Bach gestellt, und ich hatte das Gefühl, als ob er mir irgendwie Inspirationen zukommen ließ, als ob er sagte: ‚Beschreibe die Pflanzen in der Reihenfolge, in der ich sie gefunden habe, und du wirst den tieferen Sinn erfahren.‘ So war es auch. Es war, als ob Edward Bach seinen Lebens- und Initiationsweg in Form von Blüten beschrieb. In den Sommermonaten suchte und fand ich die meisten der Blumen, die dieser ungewöhnliche Arzt für seine Elixiere verwendete. Ich vertiefte mich in die schönen Pflanzen, betrachtete sie sorgfältig und meditierte mit ihnen.
Nach anderthalb Jahren war das Manuskript ‚Die Seelenpflanzen des Edward Bach’ fertig.“
Und wurde ein großer Erfolg.

 

Erforschung der Naturgötter

Später widmet sich Storl vor allem der Erforschung der traditionellen Pflanzenheilkunde der indigenen europäischen Waldvölker, der Kelten, Germanen und Slawen sowie des frühchristlichen Mittelalters. In allen Kulturen wurde eine Naturgöttin verehrt – meist in dreifacher Gestalt: als die unschuldig Reine, als Mutter und als Zerstörerin. In Indien werden diese Prinzipien in den Göttinnen Saraswati, Lakshmi und Parwati verkörpert und sie finden sich gleichermaßen in germanischen, keltischen und skandinavischen Mythologien. Umgekehrt zeigt sich im Märchen von Frau Holle (dessen Wurzeln weit in vorgermanische Zeit zurückreichen) mit Pechmarie und Goldmarie ein Verständnis von Karma. Storl schafft es, Parallelen zwischen Kulturen und Traditionen aufzuzeigen, wie man sie noch nie zuvor gehört hat. Und fasziniert seine Zuhörer dazu mit Anekdoten und persönlichen Geschichten – etwa wie er der Göttin Kali in Kalkutta begegnete und bei einer Pilgertour am heiligen Berg Kailash ­einen Engel sah …

Wen wundert’s, dass Storl in seiner Zunft als Spinner gilt. Was ihn allerdings nicht anficht. Denn je mehr er über die Beziehung der Indianer zu den Pflanzen erfuhr, desto schmerzlicher wurde ihm bewusst, wie weit er sich als Wissenschaftler von der Natur entfernt hatte. „Wie in Zellophan gepackt” habe er sich gefühlt. „Ich sah sie noch, aber ich konnte sie nicht mehr so spüren wie zuvor. Das war sehr frustrierend für mich.

Dann begann ich, barfuß zu laufen, und ich spürte, wie meine Füße mit der Erde kommunizierten. Es ist wirklich etwas anderes, ob man über eine grüne Wiese läuft oder über einen Schotterweg, Zement oder Asphalt. Ich ließ meine Haare wachsen und ich spürte, dass sie empfindsam sind, obwohl keine Nerven drin sind. Sie waren wie eine Art Antenne. Auf einmal hatte ich diese Verbundenheit wieder, die ich als Kind spürte. Ich fühlte mich glücklich. Das war einer der wichtigsten Schritte, die mich dann dazu brachten, aus dem akademischen Betrieb auszusteigen.” Mit jedem tieferen Eintauchen in eine lebendige Beziehung zur Natur, „mit offenen Seelenaugen” rückte die rationale Wissenschaft ferner. “Jetzt bin ich ein freier Mensch”, sagt er. “Das ist es mir wert.”

 

Einladung zum Barfußlaufen

Den Menschen heute zu zeigen, wie auch sie wieder in Beziehung mit der Natur kommen können, ist ihm ein großes Anliegen: „Die Luft, die wir atmen, kommt von den Pflanzen. Sie produzieren den Sauerstoff. Sie nähren uns. Sie verzaubern für uns die Landschaften im Jahresrhythmus. Die Natur nährt uns und lädt uns auf. Deshalb versuche ich in meinen Kursen, die Leute zu motivieren, wieder mal barfuß zu laufen, sich mal eine Weile unter einen Baum zu setzen und zu meditieren. Nach einer Woche stelle ich fest, wie sich ihre Stimmung aufhellt, wie sie wieder atmen können und glücklich sind… Man versteht nur, wenn man in das Phänomen hineinschlüpft, wenn man es von innen her, mit Herz und Seele durchlebt hat. Unsere Zivilisation häuft Berge von Wissen an, aber das tiefere Verstehen geht dabei verloren.”

Mehr Infos über Wolf-Dieter Storl auf www.storl.de

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