Sein:  Nicht nur den Deutschen droht die Arbeit auszugehen. In China werden demnächst 30 Mio. Menschen entlassen. Was ist denn Arbeit überhaupt? Muß man Arbeit neu definieren, ja sogar neu erfinden?

Bommi Baumann:  Eigentlich müßten die Eigentumsverhältnisse anders strukturiert werden. Du kannst jetzt nicht sagen, wir versuchen noch mal den richtigen Sozialismus, wie auch immer der aussehen würde. Dem brauchen wir nicht nachzutrauern. Aber auch der Kapitalismus stößt mittlerweile an seine Grenzen, weil er unbegrenztes Wachstum nicht garantieren kann, denn wenn er das würde, wären über kurz oder lang alle arbeitslos. Z.B. die Autoproduktion, reiner Quatsch, daß da noch irgend ein Mensch hingeht. Diese Form von Arbeit hat sich überholt. Der Kapitalismus könnte längst komplett auf vollautomatische Produktion umschalten. Nur Autos kaufen keine Autos, das hat Henry Ford ja schon lange klar erkannt. Jetzt will die IG-Metall wieder den Bau einer neuen Autofabrik. Vollkommener Unsinn. Die haben ja nichts mehr erkannt. Das ist ja Neandertal was sich da äußert.
„Richtige“ Arbeit gibt es im ökologischen Bereich doch genug. Die Natur ist schon so weit vernichtet, da müßten Millionen Menschen ran, um den ganzen Schaden zu beheben, den die Industrialisierung in den letzten 200 Jahren angerichtet hat. Ehemalige Regenwälder und Wüsten aufforsten, Flüsse renaturieren u.s.w.. Dieser gigantische Aufgabenberg, der sich hier angetürmt hat, der muß doch mal angegangen werden. Die können doch nicht weiter unsere natürlichen Lebensgrundlagen verkommen lassen.

Sein: Wie soll diese Umweltarbeit finanziert werden? Die Industrie- und Arbeitgeberverbände sagen klar, eine Energie- steuer wird es mit uns nicht geben.

Bommi Baumann:  Nein, nicht auf die Industrie warten. Jetzt sind die gefragt, die ihr Geld in umweltfreundliche und humane Unternehmen investieren wollen.

Sein:  Also auf die Menschen setzen, die das Kapital halten oder in Zukunft halten werden. Die Aktionäre?

Bommi Baumann:  Ja! Es soll z.B. einen Erben eines größeren RWE Aktienpaketes geben, der laut bei Aktionärsversammlungen darüber nachdenkt. Es gibt also Leute auch innerhalb dieser Besitzstände, die anfangen anders darüber zu denken. Auch muß darüber nachgedacht werden, wie Firmenbeteiligungen breiter gestreut werden können. Bisher ist es doch so, daß die Neuausgabe von Aktien gesteuert wird. Es fließt wieder in dieselben Hände. Hier muß ein Hebel her. Das ist keine Kapitalismuskritik. Nur, der Zugang zu Aktien muß allen möglich sein.

Sein: Es sieht so aus, daß es im September einen Regierungswechsel geben wird. Was ist für dich, nach 30 Jahren, politische Arbeit?

Bommi Baumann:  Parteienpolitik ist für mich nicht mehr interessant. Ich mache zur Zeit ein Buch über Drogen und Drogenpolitik. Die wirtschaftlichen Aspekte im Drogengeschäft sind wesentlich interessanter, z.B. die gigantische Anhäufung von Schwarzgeldern. Bill Gates hat 20 Jahre gebraucht um ein Vermögen von 30 Milliarden Dollar anzuhäufen. Diese Summe verdient der Chef des Kali Kartells in einem Jahr. Und das ist nur der Kokainhandel. Und jetzt stell dir mal den Heroinhandel vor, wo auch nur zwei drei Leute sitzen. Diese riesigen Summen, die da pro Jahr umgesetzt werden und irgendwo schwarz durch die Welt geistern, langsam gewaschen werden, dann in wirtschaftliche Prozesse einfließen und damit zu Macht werden. Da muß was geschehen.

Sein: Politische Arbeit ist also in erster Linie Drogenarbeit, Drogenpolitik für Dich?

Bommi Baumann:  Richtig, im Augenblick ja. Deshalb mache ich auch dieses Buch. Gerade weil ich selber jahrelang Drogen genommen habe und mir einbilde noch eine gewisse Fachkompetenz mitzubringen.

Sein: Zunehmender Rechtsradikalismus. Wohin driftet Deutschland deiner Meinung nach?

Bommi Baumann:  Das ist mit einer der wichtigsten Gründe, warum Kohl spätestens im September gehen muß. Die Debatte der CDU zum Problem des Rechtsradikalismus in Deutschland ist von den Nachkriegsjahren bis heute nichts anderes als eine Verharmlosung des Faschismus gewesen. Hier handelt es sich um knallharten Rassismus. Das ist eine Denkweise, die ist nicht mit Arbeitsplätzen oder mit Sozialarbeitern zu beseitigen. Das ist doch alles Mumpitz. Gegen Hooligans oder Skinheads helfen im Endeffekt nur Gesetze und die Polizei. Da mußt du erst mal die Straße wieder freikriegen von solchen Spinnern. Jetzt wollen wir uns doch nichts vormachen. Wenn es so etwas wie ausländerfreie oder zeckenfreie Zonen gibt in diesem Land, na sag mal, wo leben wir denn? Wozu gibt es Gesetze und die Polizei, die noch nicht einmal durchdrückt, daß ein freier Mensch gewisse Straßen betreten kann? Da bricht ja eine Rechtsordnung zusammen. Hat der Staat das Macht- und Gewaltmonopol oder hat er es nicht? Gegen Leute wie mich damals, haben sie ununterbrochen die Gesetze geändert. Da gibt es doch noch den § 129. Der wurde gegen uns angewandt und gegen Skinheads und Neonazis wird er nicht angewandt? Die können doch klar sehen, ihr rottete euch zusammen, ihr bewaffnet euch, ihr wollt einen anderen Staat. Die erfüllen alle Tatbestände des § 129, also ist er anwendbar. Doch den Irrsinn lassen sie zu und leisten damit Beihilfe.

Sein:  Hast Du noch einen Traum?

Bommi Baumann:  Ob ich noch einen Traum habe? Mein Gott, daß ich, solange ich noch lebe, die Welt heil und in Frieden sehe. Das ist zwar nicht viel, aber letztlich der einzige minimale Nenner auf den sich hoffentlich alle einigen können. Es sind keine blühenden Landschaften, aber wenn der Traum nicht mehr da ist, sind wir alle nicht mehr da.

Sein:  Wer ist Bommi Baumann?

Bommi Baumann:  Wenn du zehn Jahre illegal warst, dann hast du sowieso Identitätsprobleme größerer Art. Wenn du illegal bist mußt du dich immer zurücknehmen. Du darfst um Gottes willen nicht auffallen, nicht mal schwarz fahren. Du bist damit der Angepaßteste der Angepaßten geworden und natürlich hast du dieses Verhalten auf Dauer verinnerlicht. Da kannst du dich nicht dagegen wehren. Dieser Job in den letzen beiden Jahren als Bauleiter, war für mich sehr hilfreich, weil ich mich zeitweise gegen 150 Bauarbeiter durchsetzen und auch mal laut werden und auf den Tisch hauen mußte. Als der Job zu Ende war habe ich erst begriffen, daß der mich langsam wieder normal gemacht hat.

Sein:  Hast du was, was du den Jungen mit auf den Weg geben kannst?

Bommi Baumann:  Das ist schwierig, weil ja eh keiner hinhört. Uns ham se ja auch alles mögliche erzählt. Davon ist ja manches auch vernünftig gewesen. Ein bißchen mehr Anteil nehmen an der ganzen Scheiße, ein bißchen mehr drum kümmern was so um einen herum passiert, solltet ihr schon. Wenn du Angst hast du kriegst keine Lehrstelle, keinen Studienplatz, oder keine Arbeit, dann reicht es nicht aus, daß du dir nur Gedanken um dich selber machst. Da mußt du dich gesamtgesellschaftlich umsehen. Das Minimum muß dann einfach stattfinden.

Sein: Also Tu Was!

Bommi Baumann:  Nicht nur Techno, sondern mal die Brille abnehmen.

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