Interview mit der Partei DIE VIOLETTEN, der Direktkandidatin für Berlin-Steglitz/Zehlendorf, Ingrid Cölsch, sowie Bernhard Rath und Armin Grassert.

 

(Langfassung dieses Interviews finden Sie hier)

 

SEIN: Die Violetten treten zur Bundestagswahl an. Zieht man Parallelen zur Europawahl vor 30 Jahren, als die Grünen erstmals antraten, gab es damals eine breite Bewegung, die die Teilnahme dieser neuen Partei an der Wahl stark unterstützte, und ihr zu einem Ergebnis von 3,2 % verhalf. Die Violetten erhielten bei der Europawahl 0,2 %. Was macht euch so hoffnungsvoll, bei der Bundestagswahl erfolgreich zu sein?

Armin Grassert: Ich kenne Umfragen, wonach 30 % der Bevölkerung spirituell interessiert sind. Das sind Menschen, die ganzheitlich über das Materielle hinaus denken und die in einer speziellen Politikform einen Rahmen finden könnten. Ich sehe den Trend, genau wie damals bei den Grünen, die ihre Chance genutzt haben, als die ökologische Frage virulent wurde. Dieses „Nein danke“ hat eine ganze Generation geprägt. Heute ist es nicht mehr up to date, „nein danke“ zu sagen, sondern FÜR etwas zu stehen.

Ingrid Cölsch:
Schon Einstein sagte, dass Probleme nicht in demselben System gelöst werden können, in dem sie entstanden sind, deswegen auch die von den Violetten angestrebte Veränderung von Strukturen. Und das bedeutet eben ein völliges Umdenken.

SEIN: Bei den Grünen standen am Anfang radikale Ideen, gar ein neuer Gesellschaftsentwurf. Nach und nach haben sich bei den Grünen jedoch die bürgerlichen Karrieristen an die Schalthebel der Parteimacht vorgedrängt. Das könnte den Violetten auch passieren, wenn sie nur annähernd 5 % erreichen, dann könnten sich Kräfte an die Parteispitze vorarbeiten, die statt spiritueller Politik Realpolitik machen werden. Was bewegt euch, jetzt den richtigen Zeitpunkt für das Wirken dieser Partei auf Bundesebene erkannt zu haben? Ist das Zeichen am Horizont die Finanzkrise?

Bernhard Rath:
Wir werden mehr! Das ist der ausschlaggebende Punkt. Wenn wir nicht so viele wären, hätten wir auch die Zulassung gar nicht erreicht. Das ist eine Bewegung, die stärker wird und jetzt auch in Richtung Bundestag strebt.

Ingrid Cölsch: Die Partei ist nur eine von sehr vielen Bewegungen, die weltweit stattfinden und die im Grunde genommen alle das Gleiche wollen. Eine Partei ist nur eine Möglichkeit, diese Essenz zu bündeln und in politisches Handeln zu transformieren.

Armin Grassert: Ich sehe, dass immer mehr Menschen spirituelle Bedürfnisse haben und das nicht nur im Privaten ausleben, indem sie in die Stille oder in Meditation gehen, sondern dass sie diesen Theorie-Praxis-Konflikt lösen und etwas tun wollen. Gerade der jüngeren Generation kann man nicht mehr mit Theorien und Vorträgen kommen, die wollen etwas bewegen, und das bedeutet, ganzheitlich denken, fühlen UND handeln. Und zum Handeln gehört auch das Politisch-Werden. Nur: Wo gehe ich dann hin? Da versagen die alten Parteien, weil die noch das alte System vertreten, und wenn man da mit Idealen kommt, wird man als Sozialromantiker ausgegrenzt. Es müssen sich hier neue Werte mit einem neuen Bewusstsein in einer neuen Partei formen.

SEIN:
Wenn ich mich so erinnere an die ersten Reden der Grünen im Bundestag und die Reaktion der übrigen Parlamentarier – die haben sich ja die Bäuche gehalten vor Lachen und haben die Neuen nicht ernst genommen – wie wollt ihr bestehen, wie wollt ihr euch treu bleiben, was sind eure Werkzeuge, um nicht abzustumpfen in diesem Apparat?

Bernhard Rath: Den anderen vorleben, wie wir leben. Ganzheitliches Denken in die Politik bringen in der kurzen Redezeit, die man als kleine Partei bekommt. Da werden die dann anfangs sagen, hei, die Spinner schon wieder – aber mit der Zeit werden sie merken, hoppla! Da ist vielleicht doch etwas dran.

SEIN:
Sind die Menschen, die sich bei den Violetten neu sammeln, diejenigen, die damals bei den Grünen andere Werte vertreten haben und sich heute bei den Grünen nicht mehr wiederfinden?


Armin Grassert:
Ich bin einer davon. Ich habe Anfang der Achtziger die Grünen in Baden-Württemberg mit aufgebaut, habe am Anfang gemeint, ich bin ein hoffnungsloser Realo, und ohne dass ich meine Position geändert habe, war ich nach 15 Jahren plötzlich Fundi. Wir haben die Müllverbrennungsanlage verhindert, die Verkehrsberuhigung eingeführt und solche Dinge. Heute, nach 20 Jahren, ist das sowas von normal, die neue Generation kennt es gar nicht anders, und für uns ist das etwas, was einfach nachhaltig wirkt; auch wenn sich die Partei verbraucht hat. Wenn ich denke, die Grünen haben Hartz IV mit verbrochen, dann ist das für mich völlig indiskutabel. Es ist nur natürlich, dass sich solche Menschen, die ihre Ideale nicht aufgegeben haben, wieder neu formieren.

SEIN: Durch die zunehmende Automatisierung geht uns die Arbeit aus. Uns wird die Illusion verkauft, wir bräuchten nur entsprechende Maßnahmen einzuleiten und die Vollbeschäftigung wäre kein Problem. Es wird die These vertreten, dass Parteipolitik, so wie wir sie kennen und wie sie die Violetten wahrscheinlich auch angehen müssten, eigentlich nur ablenkt von dem, was wirklich zu tun wäre, d.h. vor Ort im Kleinen neue regionalwirtschaftliche Zusammenhänge entwickeln, die Umstellung der Wirtschaft auf ein ganzheitliches, nachhaltiges Konzept, regenerative Energieversorgung, den Bio-Lebensmittelanbau in der Region entwickeln. Das wäre im Grunde genommen genau das, was es jetzt dringend bräuchte. Auf der anderen Seite würde man die Menschen durch den Antritt einer neuen überregionalen Partei der Hoffnung ausliefern, dass es jemanden gibt, der ihnen diese Arbeit abnimmt.

Armin Grassert: Da muss ich widersprechen. Direkte Demokratie ist einer unserer zentralen Programmpunkte. Der Wähler kann nicht erwarten, dass man ihm weiterhin alles abnimmt. Wir schreiben ihm ins Stammbuch, dass jeder für seine Entwicklung selbst verantwortlich ist. Seit der Aufklärung, seit der Französischen Revolution und der Verbreitung der Demokratie geht die Menschheitsentwicklung in diese Richtung. Die Menschen heute sind reif und intelligent genug – jetzt geht es nur noch darum, es vom Verstand in das Herz zu bekommen und vom Herzen in die Hände. Ich glaube, viele Menschen sind dazu bereit und wollen, dass der Staat das unterstützt.
Ingrid Cölsch: Es geht um die Selbstverantwortung.

SEIN: Ich darf einen schönen Passus aus eurem Programm zitieren: „als Ideal, als Fernziel stellen wir uns alle Menschen als so verantwortungsbewusst vor, dass es keiner Gesetze und Regeln mehr bedarf, von deren Überwachung und Durchsetzung ganz zu schweigen.“ – Das ist ein wunderbares Ziel, und wenn man Überlieferungen Glauben schenken darf, gab es schon früher solche Kulturen. Was bräuchte es eurer Meinung nach, um dort wieder hinzukommen?

Ingrid Cölsch:
Es braucht Vertrauen, denn mit dem Vertrauen, das ich einem anderen gebe, wächst auch seine Mitverantwortung.

SEIN: Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein sind also Eure großen Themen.

Ingrid Cölsch: Richtig, und die Macht, die von innen kommt. Macht an sich ist nichts Schlechtes. Es kommt nur darauf an, ob ich sie zum Wohle des Einzelnen oder der Gemeinschaft einsetze.

SEIN: Stichwort Macht. Die Finanzkrise und die Macht der Banken über die Politik. Es sieht wohl so aus, dass wir, der Souverän, der Macht der Banken ausgeliefert sind. Sie diktieren uns den Weg ihrer Rettung und verpflichten uns, die Kosten dafür auf unsere Schultern zu laden. Eine immer größer werdende Noch-Minderheit in diesem Lande stellt dieses Geldsystem und das Zinssystem jetzt in Frage. Wie stehen die Violetten zur Zinswirtschaft?

Armin Grassert: Für mich ist das im Moment kein Machtthema der Banken, sondern ein Ohnmachtthema. Die haben alle Angst um ihre Existenz und tun alles um gerettet zu werden. Das zeigt, dass unser Geldsystem einen Geburtsfehler hat, und Teil des Geburtsfehlers ist der Zins, vor allem wenn über den Zinseszinsen immer Wachstum notwendig wird, um die Zinsen zu bedienen. Dieser Teufelskreis ist genügend beschrieben. Allerdings hat der Zins auch eine gewisse natürliche Berechtigung. Packt man das Übel an der Wurzel und organisiert die Versorgung der Menschheit mit Geldmitteln richtig, dann gibt es auch keine Exzesse mehr wie heute, wo die Deutschen mehr Geld für Versicherungen und ihre Zukunft ausgeben als für Nahrungsmittel. Wenn man das durch Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstellt und den Menschen das Geld, das sie zum Leben brauchen, „just in time“ zur Verfügung stellt, wird sich die gesamte Finanzwirtschaft ändern. Das Geld wird nicht mehr zu Spekulationszwecken zur Verfügung stehen, und die Zinsfrage wird sich von alleine regeln, da nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage niemand mehr groß Kredite aufnehmen wird, weil jeder liquide ist und sich der Zins auf einem recht niedrigen Niveau einpendeln wird.

SEIN:
Ist das Konsens innerhalb der Violetten, dass grundsätzlich an der Zinswirtschaft nicht gerüttelt wird?

Armin Grassert: Nein, bei den Violetten ist alles ‘work in progress’, da gibt es keine festgestanzten Meinungen. Wir sind im offenen Dialog.

SEIN: Die Finanzkrise ist ein Thema, das zur Zeit die Menschen landauf, landab extrem beschäftigt.

Armin Grassert: Das Gute an der ganzen Finanzkrise ist, dass jetzt Bewusstsein entsteht: Was passiert mit meinem Geld? Und was kann ich als Einzelner tun? Wir hatten hier vor ein paar Monaten einen schönen Vortrag mit dem Vorsitzenden der GLS-Bank, Herrn Jorberg, der deutlich gemacht hat, wie eine Bank auch anders mit Geld umgehen kann, sodass jeder Mensch, der verantwortungsvoll handeln möchte, Alternativen aufgezeigt bekommt.

SEIN: Auch Herr Jorberg und die GLS stellen die Zinswirtschaft nicht in Frage.

Bernhard Rath:
Das ist richtig. Nur, bei der GLS-Bank kann man den Zinssatz selbst festlegen oder sogar Geld zinslos verleihen. Ein Zins kann auch als Gebühr gesehen werden für Geld, mit dem man etwas unternehmen kann. Und alles, was als Ergebnis der Investition herauskommt, sollte, wenn es eine gute Unternehmung war, auch einen Mehrwert geschaffen haben. Von daher ist in diesem System ein Zins etwas ganz Legitimes.

SEIN: Habt Ihr ein Anliegen an unsere Leserschaft?

Bernhard Rath: Es wäre schön, wenn wir diesen Geist weitertragen können, mehr und stärker werden – um in Zukunft tatsächlich etwas zu ändern.

Armin Grassert: Ich möchte alle Menschen ermutigen, ihre spirituelle Entwicklung nicht nur innerlich für sich selbst zu leben, sondern auch nach außen mit ganzheitlichem Handeln zu verbinden. Götz Werner hat es auf den Punkt gebracht. Jeder ist sein eigener Lebensunternehmer. Jeder hat heute so viele Möglichkeiten, wenn man es mit den Jahrhunderten vorher vergleicht, und es gibt keinen Grund mehr, nicht einfach loszulegen. Vielleicht ein bisschen bescheidener, demütiger.

Ingrid Cölsch: Mein Wunsch ist es, dass möglichst viele Menschen erkennen, welche Selbstmacht sie haben, ihr Leben so zu gestalten, dass wir alle mehr Lebensfreude und Lebensqualität haben können.

Bernhard Rath:
Liebe Leser, kommt zu unseren Infoabenden (lacht), da können wir uns austauschen.

SEIN: Ingrid Cölsch, du kandidierst für den Bezirk Steglitz-Zehlendorf als Direktkandidatin. Wie siehst du selbst deine Chancen in diesem Bezirk?

Ingrid Cölsch:
Ich denke positiv! Als ich in der Öffentlichkeit unterwegs war und mit den Menschen gesprochen habe, da habe ich gespürt, dass sie Vertrauen haben, weil sie spüren, dass unsere Begeisterung von einer echten Überzeugung ausgeht. Ich habe gestaunt, wie viele ältere Menschen, die zunächst sehr vorsichtig und abweisend waren, mir oder dem, was ich gesagt habe, vertraut haben. Es geht nicht um mich, das möchte ich deutlich herausstellen, es geht um die Essenz.

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