Dass unendliches Wirtschaftswachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen unmöglich ist, dürfte mittlerweile jeder verstanden haben. Nur: Wir verhalten uns immer noch so, als wenn die Erde der ständigen Steigerung der Produktion keine Grenzen setzen würde. Doch eine zunehmende Zahl an Initiativen feilt schon an Konzepten, wie wir neue Wege jenseits des Wachstums und selbstzerstörerischer Konsumsteigerung beschreiten können.

 

Was fällt Jugendlichen heute ein, wenn sie über die Zukunft nachdenken? Die Antwort: Killer-Roboter, die die Weltherrschaft anstreben, eine zerstörte Umwelt und Leben unterm Sauerstoffzelt. So erzählte es mir eine Bekannte, die als Theaterpädagogin mit 12- bis 15-Jährigen ein Stück zum Thema „Zukunft“ entwickelt. So also stellen sich Teenager heute die Zukunft vor! Ich musste fast weinen, als ich das hörte. Vielleicht zeigen sich da einfach die Rückstände diverser Hollywood-Katastrophenfilme. Aber auch diese entstehen ja in einem bestimmten gesellschaftlichen Klima – und dieses Klima erzählt von den Schrecken des Zukünftigen, von der selbst geschaffenen Hölle auf Erden. Jenseits berufsoptimistischer Wachstumsprognosen, die Manager,  Wirtschaftsprofessoren oder Politiker in ihrer selbst gesponnenen Blase aus Wohlstand von sich geben, spüren gerade die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ganz genau, wie bedrohlich die Zukunft geworden ist.

Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn während Politik und Wirtschaft manisch-euphorisch so tun, als wäre nichts, und die Popkultur sich in Untergangsszenarien verliert, formiert sich im Stillen eine Bewegung, die der Apathie ein trotziges “Es geht auch anders“ entgegenschleudert: die Décroissance-Bewegung, oder auf Deutsch: die Bewegung für eine Schrumpfung der Wirtschaft und für ein Wachstum des guten Lebens. „Postwachstum“ nennt sich diese Strömung in Deutschland meistens, die Vorsilbe „Post“ steht dabei für das Danach, also für die Gesellschaft und Wirtschaftsform, die nach dem auf Wachstum ausgerichteten und angewiesenen Modell folgt.

 

Jenseits des Wachstums: Wir können nicht so weiterleben wie bisher

Postwachstum ist kein fester Entwurf für ein anderes System, den sich ein kluger Denker am Echtholz-Schreibtisch mit Löwenfüßen ausgedacht hat, sondern ein Dachbegriff für eine Sammlung von unzähligen kleinen und kleinsten Initiativen von Menschen, die im Alltag etwas verändern wollen – von politisch Aktiven, die sich gegen das Fortschreiten der Zerstörung von Umwelt und Gesellschaften stellen, oder von Wissenschaftlern, die darüber nachdenken, wie einzelne Bereiche der Wirtschaft und Infrastruktur, zum Beispiel das Transportwesen oder die Krankenversorgung, ökologisch und sozial verträglich gestaltet werden könnten. Im Gegensatz zum Modell des grünen Wachstums, wie es zum Beispiel große Teile der grünen Partei oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) propagieren, sagt Postwachstum eben nicht, dass wir – vor allem auf der Nordhalbkugel –, wenn wir den Planeten bewohnbar erhalten wollen, genau so weiterleben können wie bisher. Vertreter des Postwachstums halten es für einen unwahrscheinlichen Mythos, dass sich innerhalb der nächsten Jahrzehnte das Wirtschaftswachstum weltweit vom Energie- und Ressourcenverbrauch abkoppeln lässt, dass also durch technische Innovationen beispielsweise Handys restlos aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt werden könnten. Stattdessen betont Postwachstum die Potenziale, die in anderen gesellschaftlichen Organisationsformen stecken. 

 

Die Freude der Kooperation erfahren

Solche Formen werden gerade schon in allen Bereichen der materiellen Organisation des Alltagslebens von kleinen Gruppen ausprobiert. Wert-Grundlagen dieser alternativen Formen sind dabei Suffizienz und Konvivialität. Suffizienz bedeutet, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Und Konvivialität heißt, gemeinschaftlich zu leben, die Freude des lebendigen Gemeinsam-Seins zu nutzen.

Im Bereich Ernährung existieren beispielsweise zahlreiche Initiativen, die unabhängig von Lebensmittelkonzernen und Supermärkten werden wollen. Seit Jahrzehnten gibt es Lebensmittel-Kooperativen (meist auch hierzulande englisch als „Food Coop“ bezeichnet), das sind Vereine, die als Einkaufsgenossenschaft gemeinsam direkt bei Bauern oder bei einem Bio-Großhändler Lebensmittel bestellen. Alle Arbeiten, die dabei anfallen, werden von den Mitgliedern selbst erledigt. So wird es auch Menschen mit wenig Geld ermöglicht, hochwertige biologische Nahrungsmittel einkaufen zu können. Eine Weiterentwicklung dieses Prinzips ist die Garten-Coop, in der Menschen selbst Gemüse und Obst anbauen, oder die solidarische Landwirtschaft („community supported agriculture“), in der sich Konsumenten direkt am finanziellen Risiko des Bauern beteiligen und für einen bestimmten Betrag monatlich ein „Abo“ abschließen, für das sie dann so viele saisonale Produkte geliefert bekommen, wie die Ernte hergegeben hat
Im Sektor des Wohnens geht es vor allem darum, Wohnraum dauerhaft für Menschen, die dort leben, erschwinglich zu erhalten, und nicht als Objekt von Finanzspekulationen zu begreifen. Daher konzentrieren sich die meisten Projekte des anderen Wohnens auf den Erwerb einer Immobilie, die dann im gemeinschaftlichen Besitz der Bewohnenden ist. Große Organisationen wie das Mietshäusersyndikat unterstützen neue Gruppen dabei organisatorisch und finanziell. Im Sinne eines Postwachstumskonzepts versuchen Hausbesitzer ihre Wohnungen relativ energieautark zu gestalten, beispielsweise mit Solarkraft. Initiativen wie die Transition-Town-Initiative geben dafür Rückhalt. 

 

Eine politische Perspektive

Auch im Bereich der Technologien braucht eine Postwachstumsgesellschaft angepasste und achtsame Lösungen. Gerade das – eigentlich ressourcenfressende – Internet bietet durch seine neuen Möglichkeiten der Kooperation hier die Möglichkeit der dezentralen, verteilten Produktion, die in kleinen lokalen Werkstätten wie der Open Design City in Berlin stattfinden kann. Baupläne und Designs für Gegenstände vom Traktor bis zu Möbelstücken sind bereits kostenlos im Netz zu finden und dank offener Lizenzen von jedem, der die Fähigkeiten dazu hat, nachbaubar. Initiativen wie die Permakultur denken über lokale und kleinteilige Lösungen nach, zum Beispiel für Bewässerung und Beheizung in der Landwirtschaft.

Aber Postwachstum meint mehr, als den eigenen Garten zu bearbeiten und sich im Alltag bewusster zu werden, welche ökologischen und sozialen Auswirkungen die eigenen Handlungen haben. Postwachstum ist eine politische Perspektive. Und politisch heißt immer auch, auf der gesellschaftlichen Ebene zu denken: Welche Gesetze bräuchten wir, um eine Postwachstumswirtschaft zu ermöglichen? Was bedeutet ein „Recht auf Suffizienz“? Welche politischen Rahmenbedingungen bräuchte eine Postwachstumswirtschaft in Form von – zum Beispiel – Subventionen? Und welche Art von staatlichen Institutionen wären denkbar in einer Postwachstumsgesellschaft? Was ist mit der Kranken- und Rentenversicherung, mit der parlamentarischen Demokratie?

All das sind große Fragen, die nicht am grünen Tisch beantwortet werden können – das Wissen darum und die offene Suche nach angepassten Lösungen, die lokal auch sehr verschieden sein können, ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner vieler Postwachstumsvorstellungen. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der technokratischen Experten, die ausrechnen, wie eine andere Welt aussehen könnte. Vielmehr will die Décroissance-Bewegung Mut machen zu sagen: Wir leben im Zeitalter der Freiheit von Versuch und Irrtum, im Zeitalter der Kooperation und des achtsamen Aushandelns von Wegen, die es wert sind, ein Stück gegangen zu werden. Und an der nächsten Kreuzung sehen wir weiter. Doch für diese Art von Freiheit ist es zwingend notwendig, ­zunächst Freiräume jenseits des Bestehenden gemeinsam zu erkämpfen.


Abb: © Syda Productions – Fotolia.com

Buchempfehlungen:
Matthias Schmelzer/ Alexis Passadakis: Postwachstum. Krise, ökologische Grenzen und soziale Rechte. Attac Basis Texte 36. VSA Verlag 2011

Friederike Habermann: Halbinseln gegen den Strom. Anders leben und wirtschaften im Alltag.
Helmer Verlag 2009

Harald Welzer: Selbst Denken.
Eine Anleitung zum Widerstand.
S. Fischer 2013

Sendung zum Thema Wachstumskritik bei Kontext TV:  www.kontext-tv.de/wachstum

 

Weblinks zu Initiativen (vor allem in Berlin):

4. Internationale Degrowth Konferenz 2.-6-September in Leipzig: www.degrowth.de
Postwachstums-Blog: www.postwachstum.net

Ernährung: Lebensmittel-Kooperativen Gründungsleitfaden: http://food-coop-einstieg.de/
Höfeliste Solidarische Landwirtschaft: www.solidarische-landwirtschaft.org/angebot

Wohnen: Mietshäusersyndikat: www.syndikat.org
Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit: www.gegenseitig.de
Wohnprojekte in Berlin und Brandenburg: www.wohnportal-berlin.de
Transition Town: http://transitionberlinbrandenburg.wordpress.com

Technik: Open Source Ecology: http://oseeurope.org
Permakultur in Berlin: www.permakultur-institut.de/800.10.2
Open Design City: http://opendesigncity.de
Reparaturcafé: http://repaircafe.de/repair-cafes-in-deutschland

Eine Antwort

  1. Fab

    Ich empfehle dazu noch folgendes Interview zum Thema Postwachstumsökonomie mit Ökonom Prof. Niko Peach: www.youtube.com/watch?v=C6i_D9xRKvk&list=UUr6VVXep3Fs5EOtjMK3i2AQ

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