Sind wir eingebunden in individuelle Strukturen, die über ­unser gegenwärtiges Leben hinausreichen? Oder sind wir ­unbeschriebene Blätter und frei in unseren Entscheidungen? Kann man Fragen über Karma oder Freiheit überhaupt beantworten? Felix Gronau über einen Blickwinkel jenseits von Schicksal und Selbst-Bestimmung.

 

Es heißt, dass wir in unserem aktuellen Leben die süßen oder bitteren Früchte ernten, die wir in vorherigen ­Inkarnationen gesät haben. Manche spirituelle Sucher glauben daran, ­andere nicht. Folglich scheint es sich um ein gedankliches Konzept zu handeln und uns öffnet sich eine wichtige Frage: Wie können wir sicher sein, dass unsere Meinung zu diesem Thema der Wahrheit entspricht?

Denn Argumente für und wider das Karma-Konzept gibt es genügend: ­Einige von uns haben Reinkarnations-­Erfahrungen gemacht und sind absolut davon überzeugt – was aber garantiert ihnen, dass sie nicht nur intensive Traumbilder ihrer Psyche erlebten? ­Andere behaupten, es gäbe keine Zeit und deshalb sei eine fortschreitende Wiedergeburt ausgeschlossen – was aber garantiert ihnen, dass wir nicht gleichzeitig in mehreren Parallel-­Universen existieren? Vielleicht finden unsere unterschiedlichen Leben also nicht hintereinander, sondern quasi übereinander statt…
Überzeugungen erschaffen

 

Erfahrungen

In letzter Konsequenz können wir nicht sicher sein, ob unser Glaube an Karma und Reinkarnation der Realität entspricht oder nicht. Aber wir können ­sicher sein, dass es sich bei dem, was wir diesbezüglich glauben, um einen Glauben handelt – nicht mehr und nicht weniger. Diese Erkenntnis bringt uns schon ein gutes Stück weiter, denn nun erinnern wir uns, dass ein Zimmermann aus Palästina uns darauf hingewiesen hat, dass uns nach unserem Glauben geschehen wird. Und natürlich kennen wir alle die esoterische Regel: Unsere Überzeugungen erschaffen unsere ­Erfahrungen und diese Erfahrungen ­bestätigen dann jene Überzeugungen.

Wenn wir glauben, unsere bösen Taten ­von früher bewirkten heute leidvolle ­Erfahrungen oder auf unsere bösen ­Taten von heute würden im nächsten Leben leidvolle Erfahrungen folgen, ­erschaffen wir damit garantiert kein ­gutes Karma! Falls wir andererseits glauben, jener Gottessohn hätte durch seinen Tod all unsere Sünden ein für alle Mal getilgt, die vergangenen und die zukünftigen, können wir uns eines ­gesegneten ­Lebens sicher sein.

In beiden Fällen wissen wir immer noch nicht, ob unsere Überzeugung den tatsächlichen Gegebenheiten des Menschseins entspricht – aber auf jeden Fall werden wir die Früchte unserer inneren Einstellung ernten; das ist unser Schicksal. Und falls uns die Ernte nicht gefällt, haben wir die Möglichkeit, unseren Glauben zu korrigieren; das ist unsere Selbstbestimmung. Denn nur wir selbst entscheiden, ob wir leidvolle Glaubensmuster beibehalten oder freudvolle Überzeugungen entwickeln. Wenn Gott tatsächlich reine Liebe ist, dann sind ihm ohnehin positive Gedanken näher als negative.

 

Wer macht die Erfahrungen?

Ein derartiger Umgang mit dem Thema zeugt von Einsicht und Lebensbejahung, aber leider ist die Sache damit noch nicht vom Tisch, denn nun tut sich ein echtes Problem auf: Wenn es in unserem Körper kein persönliches Ich gibt, wie die Weisen behaupten, dann kann dieses nichtvorhandene Ich weder ­negative Überzeugungen durch positive ersetzen, noch kann es durch böse ­Taten leidvolle Erfahrungen erzeugen. Außerdem wird es weder geboren, noch stirbt es; es existiert überhaupt nicht. Genauso wenig wie Reinkarnationen und Karma.

 

Nun sind wir mit unserem Latein am ­Ende – Gott sei Dank!
Denn bevor wir weiter gedanklich über frühere Inkarnationen oder spätere ­Geburten spekulieren, können wir uns jetzt fragen, ob wir wenigstens unser aktuelles Leben kennen. In Bezug auf die großen Fragen der menschlichen Existenz können wir niemals sicher sein; sind wir in Bezug auf unser kleines ­Dasein sicher?

 

In der Stille: Was bleibt?

 

Wenden wir doch einmal unsere Aufmerksamkeit von all den ungelösten Fragen ab und richten sie auf uns selbst, auf die simple Tatsache unseres Vorhandenseins. Dann merken wir, dass es uns gibt, und mit dieser Daseins-Empfindung können wir eine kleine Weile im Kontakt bleiben, ohne darin etwas zu suchen oder davon etwas zu erwarten: Wir sind uns lediglich unseres Seins bewusst.

Allerdings enthält eine solche Selbsterfahrung kaum noch unser gewohntes Ich-Gefühl. Stattdessen nehmen wir uns als hellwaches, aber eher unpersönliches Bewusstsein wahr, das mit einer großen Klarheit und einer friedvollen Stille einhergeht.

Dem problemgewohnten Verstand mag das profan oder langweilig erscheinen und er kann uns mit allerlei mentalen Phänomen ablenken. Falls wir seinen Störmanövern kein Interesse schenken, werden wir die Aufmerksamkeit mit einem tiefen Atemzug erneut auf unser Vorhandensein richten.
Ist das so einfach?

Ja, so einfach ist das. Denn das Bewusstsein, das wir sind, enthält eine große Selbstverständlichkeit, eine sehr einfache Vollkommenheit und eine stille Schönheit, die leicht übersehen werden, solange Gedanken über Karma und Reinkarnation dem Verstand interessanter erscheinen. Die Abkehr vom Denken befreit uns sofort aus der Ebene mentaler Illusionen und versetzt uns in ein nonduales Bewusst-Sein zurück, das wir tatsächlich niemals verlassen haben. In diesen Augenblicken kennen wir uns als ichlose Präsenz, als unpersönliche Gegenwärtigkeit, als zeitloses Wahrnehmen jenseits von Schicksal und Selbstbestimmung.


Abb: © byheaven – Fotolia.com

Buch: Felix Gronau: ­Grenzenlose Erleichterung – bewusst und glücklich sein, ­Kamphausen 2007

3 Responses

  1. Kristina

    @Karin Sorrer
    gäbe es kein Ich/Ego (wie du schreibst), gäbe es keine Artikel, keine Kommentare und kein Internet, da jegliche Meinung im erfüllten stillen Sein vermutlich völlig überflüssig wäre.
    Wäre das Ich tatsächlich gestorben (wie du behauptest), gäbe es keine Meinungen, keinen Glauben, keinen Streit, kein Gefängnis, keine Zwangsarbeit, keine Käfige,
    keine Tiertransporte, keine Gier, kein Hunger, kein Leiden etc.

    Solange wir irgendwelche Missstände, Missbrauch und Leid zulassen, dulden oder nur übersehen, produzieren wir wohl Karma im Sinne von Konsequenz, welche beglichen werden muss.
    Warum auch nicht ? Warum sollte jemand ein Problem damit haben, seine tatsächliche Schuld bzw. Fehler zu korrigieren oder gerechte Entschädigung zu bekommen ? Damit wäre auch das Karma ausgeglichen und vorbei.

    Solange wir kindisch und unverantwortlich handeln (ob selbst oder kollektiv), ist es denkbar und auch richtig, dass es vorläufig ein höheres Gesetz bzw. Karma gibt, ähnlich wie verantwortliche Eltern/Erwachsene über die Kinder wachen.
    Es liegt also ganz in unseren Händen, ob wir selbst erwachsen im Sinne von selbstverantwortlich und mündig werden und kein Karma mehr verursachen.

    Antworten
  2. karin sorrer

    Ich finde diesen Artikel, trotz dieser Ueberschrift, wunderschoen und wertvoll!
    Das Erwachen in der Stille und der Unendlichkeit laesst alle Fragen sekundaer werden und keine Antwort offen.Das Ich,welches sich von Karma ernaehrt, ist gestorben und alles fuegt sich zu einem grossen und klarem Ganzen zusammen.

    Antworten
  3. Kristina

    Dieser Artikel war für mich langweilig und nicht lesenswert. Schon aus dem Titel „Karma oder Freiheit“ geht hervor, dass der Autor diese Begriffe missverstanden hat, wenn er sie in Trennung und als Gegensatz betrachtet. Solche Wertung „Karma oder Freiheit“ ist absurd und sinnlos, da Karma kein Gegenteil von Freiheit ist, sondern nur logische Konsequenz und Ausgleich von Handlungen.

    Die wahre Kunst des Lebens ist die eigene Freiheit in vollen Zügen zu geniessen, ohne dabei die Freiheit und Energie von Anderen zu rauben.
    Wenn jedoch die eigene Freiheit und Reichtum (und was auch immer) auf Kosten von anderen Lebewesen erbeutet wird, dann muss es die Konsequenz in Form von Karma geben, um Ausgleich, Lehre bzw. höhere Gerechtigkeit für alle zu schaffen.

    Dabei ist es völlig irrelevant, ob wir an daraus entstehende Konsequenz glauben oder nicht, oder diese Konsequenz als Karma, Lehre, Folge, Sühne, Schicksal, Ergebnis benennen, so lange es Leid verursacht.
    Das Karma wäre nur dann überflüssig und erlösbar, wenn es keine Möglichkeit mehr gäbe, andere Lebewesen auszubeuten und auszutricksen.

    Ich bin überzeugt, dass unsere Aufgabe im Leben ist, die Balance zu erlernen
    wie wir immer aus freiem Willen handeln können, ohne dabei anderen Lebewesen Freiheit zu nehmen.
    Falls ein Mensch nicht gelernt hat aus freiem Willen zu leben, sondern sich bevormunden lässt bzw. andere bevormundet, muss das die logische Konsequenz haben, dass sein Geist nach dem Tod und vielleicht in den nächsten Reinkarnationen wieder Bevormundung und Unfreiheit anzieht und erleidet. Vielleicht lässt sich so erklären, warum so viele Menschen in Unfreiheit, Sklaverei und Angst geboren werden und Angst vor dem Tod haben.
    Menschen die stets aus freiem Willen handeln, keine Bevormundung zulassen, jedes Leben und sich selbst respektieren, haben keine Angst – weder vor dem Tod noch vor eventuellen Reinkarnationen – da sie bereits im Leben den Weg in Richtung Freiheit gewählt und aktiv gelebt haben, egal wie schwierig, einsam und unbequem es war.
    Alle Menschen müssen endlich begreifen, dass sie wie Marionetten benutzt werden, wenn sie ihre freie Wahl im Leben nicht nutzen.
    Das wichtigste ist einen Anfang zu machen, indem wir nur diese Produkte wählen die ohne Mord, ohne Leid und ohne jeglichen Zwang entstehen.
    Wer Produkte aus der Versklavung von Mensch und Tier wählt und wer gequälte getötete Tiere zum Essen wählt, hat damit seine leidvolle Zukunft selbst gewählt.
    Der nächste Schritt ist nur diese Arbeit zu wählen, die selbstbestimmt ist d.h.
    ohne jegliche Nötigung oder Zwang sich selbst oder anderen gegenüber.
    Wer sich nicht gegen Arbeit unter Zwang und Nötigung wehrt, wählt damit seine leidvolle Zukunft und verursacht selbst Bevormundung und Versklavung.

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