Der Heinrich-von-Kleist-Park in Schöneberg ist ein Ort mit einer für Berlin wie für ganz Deutschland bedeutsamen Historie – immer wieder nahmen von diesem Ort aus kraftvolle gestalterische Impulse ihren Anfang. Kleists vergessener Park: Ideal für ein Universal-Gardening-Erdheilungsprojekt.

 

Kleists Erbe – der vergessene Park

„Welch ein unsägliches Glück mag in dem Bewusstsein liegen, seine Bestimmung ganz nach dem Willen der Natur zu erfüllen“, äußerte sich Heinrich von Kleist, der große Dichter und Grenzgänger des Geistes, bevor er sich gemeinsam und in Absprache mit seiner Vertrauten Henriette Vogel am Großen Wannsee das Leben nahm. Henriette bat um eine gemeinsame Bestattung in der „sicheren Burg der Erde“. Das gemeinsame Grab ist heute in einem Gebüsch im Kleistpark zu besichtigen, damals weit vor den Toren Berlins, denn für Selbstmörder gab es keinen Platz auf dem Friedhof. Zum hundersten Todestag Kleists am 21. November 1911 wurde der Heinrich-von-Kleist-Park vor dem neu erbauten preußischen Kammergericht feierlich eröffnet. Fast hat es den Anschein, als ob sich die Stadt vor dem berühmt gewordenen verlorenen Sohn verbeugen und ihn heimholen wollte.

 

Der Kleistpark – Fragmente einer Sprache der Stadt

Heute begegnet uns Kleists Friedenshof in einem seltsamen Dämmerzustand. Trotz seines imposanten architektonischen Inventars mit den Königskolonnaden am Eingang und der großzügigen kreisrunden Innenfläche vor der historischen Fassade des Kammergerichts wirkt das Ensemble leblos und und sein Zustand lieblos. Ein großer Schatten liegt auf dem Gelände. Viele Berliner kennen diesen Park am U-Bahnhof Kleistpark überhaupt nicht. Ein Blick zurück in die Geschichte kann uns einen gestalterischen Weg in die Zukunft weisen.

 

Der Hellweg

Es gibt einen uralten, 3000 Kilometer langen Handelsweg quer durch Europa, der von Nowgorod bis nach Brügge führte. Der Hellweg hatte mit drei Metern etwa die Breite einer Lanze und wurde von der ansässigen Bevölkerung im Frondienst funktionsfähig gehalten. An diesem Handelsweg wurden im 13. Jahrhundert das Straßendorf Schöneberg und die Stadt Berlin gegründet – entlang der heutigen Hauptstraße und Potsdamer Straße. Der Hellweg führte am heutigen Kleistpark vorbei.

 

Die Ahnen Berlins: Semnonen, Slawen und deutsche Ostsiedler

An den sacht ansteigenden Hängen des Urstromtales mit seinen Moorböden boten sich gute Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Besiedlung. Im Zuge der indoeuropäischen Völkerwanderung ließen sich zunächst Semnonen mit ihren heiligen Hainen im Berliner Raum nieder. Die Semnonen zogen nach Süden weiter, und im 7. Jahrhundert wanderten aus dem Osten slawische Stämme ein. Im 10. Jahrhundert wurden auf dem ehemals slawischen Territorium christliche Kolonisatoren angesiedelt und die Mark Brandenburg gegründet. Unter den Markgrafen wurde Berlin zur Residenzstadt und rückte immer näher an Schöneberg heran. Am heutigen Kleistpark war die Stadtgrenze.

 

Der Botanische Garten

Als das stark zerstörte Berlin nach dem Dreißigjährigen Krieg zu einer modernen Festung ausgebaut wurde, musste der oktogonal gestaltete kurfürstliche Küchengarten auf der heutigen Museumsinsel verlegt werden. Kurfürst Friedrich Wilhelm beauftragte 1679 seinen berühmten Botanicus und Astrologen Johann Sigismund Elßholtz, im Schöneberger Hopfengarten südwestlich der Stadt an der Straße nach Potsdam einen neuen und größeren Küchengarten anzulegen, aus dem sich dann der Botanische Garten entwickelte.

Im Zuge des rasanten Wachstums der Hauptstadt Berlin entschloss man sich 1902, den Botanischen Garten nach Dahlem zu verlegen und das frei werdende Areal mit dem preußischen Kammergericht sowie weiteren öffentlichen Gebäuden zu umbauen.

Der seit 1911 nach Kleist benannte Stadtpark erlebte daraufhin eine wechselvolle politische Geschichte. Während der Nazizeit tagte hier der Volksgerichtshof und verurteilte die Widerstandskämpfer um Stauffenberg. Als Architekt und NS-Opfer Georg Pniower 1945 von den Alliierten mit der Neu gestaltung des Parks beauftragt wurde, musste er zunächst fünfzig Leichen bergen lassen. Kleists Park diente der Bevölkerung als Friedhof für Gefallene. In der Nachkriegszeit wurde von hier durch den Alliierten Kontrollrat Deutschland regiert und der Park blieb 45 Jahre bis zur Wiedervereinigung der Bevölkerung verschlossen.

 

Friedenshof

Die kleine Engelskulptur „Genius des Geistes“ im Zentrum der Parkanlage schließt den Kreis der bewegten Geschichte des Parks, erinnert an Heinrichs und Henriettes Erbe und fordert uns mit seiner erhobenen Fackel auf, den humanen Geist des geschundenen Geländes am uralten Hellweg neu zu beleben. Als Akupunkturpunkt zur Heilung der Erde könnte ein oktogonaler Kräutergarten im kreisrunden Zentrum des Kleistparks als Friedenshof einen bedeutsamen Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtkultur leisten.

Die benachbarte Kita am Kleistpark, die Sophie-Scholl-Schule und die Universität der Künste bieten sich neben weiteren lokalen Akteuren als mögliche Kooperationspartner für ein generationenübergreifendes Projekt im ehemaligen Botanischen Garten an.

 

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