Von den Ursprüngen und Grenzen­ ­eines monströsen Wirtschaftssystems

Kontext-TV-Redakteur Fabian Scheid­­­ler hat zur Leipziger Buchmesse sein neues Buch vorgestellt: „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“. Das Buch legt die Wurzeln der Zerstörungskräfte frei, die heute die menschliche Zukunft infrage stellen. In einer historischen Spurensuche erzählt der Autor die Vorgeschichte und Entwicklung des ­kapitalistischen Weltsystems, das Mensch und Natur einer radikalen Ausbeutung unterwirft.

Kontext TV: Du spannst in deinem Buch einen großen historischen ­Bogen über die letzten 500 Jahre und gehst sogar noch weiter zurück, zum Ursprung der ersten „Zivilisationen“ vor 5000 Jahren. Warum dieser große Bogen?

Scheidler: Wir haben es mit globalen Krisen zu tun, die sehr tief gehen: Zum einen stehen wir vor einem ­planetaren ökologischen Desaster, und es ist fraglich, ob wir mit einem Zivilisationsmodell, wie es sich in den letzten 500 Jahren entwickelt hat, noch viel weiter kommen.

Gleichzeitig haben wir es mit einer globalen sozialen Krise zu tun, einer Spaltung zwischen Arm und Reich, die immer tiefer wird. Und wir ­haben natürlich eine Finanzkrise, die dauernd da ist, mit immer größeren Finanzcrashs.

Gleichzeitig sehen wir, dass die globalen Eliten offensichtlich nicht in der Lage sind, diese ­Krisen in den Griff zu bekommen. Die Antworten, die Politik und Wirtschaft auf die globalen Verwerfungen geben, sind systematisch dem Ausmaß und der Tiefe dieser Krisen nicht angemessen.

Ich habe mich gefragt: Woran liegt das? Wo liegen die Blockaden für ­einen Wandel? Was sind die Wurzeln dieser Krisen? Und ich denke, sie reichen mindestens 500 Jahre zurück, als das „moderne Weltsystem“, der globale Kapitalismus, entstanden ist. Damals, in der Frühen Neuzeit, sind die Grundlagen unseres heutigen Wirtschaftssystems – und es ist nicht nur ein Wirtschaftssystem, sondern auch ein politisches System, ein militärisches System und ein ideologisches System – gelegt worden.

Um aber zu verstehen, ­warum dieses System überhaupt entstanden ist, aus welchen Komponenten es sich zusammensetzt, aus welchen Machtstrukturen, und welche Widerstandbewegungen es dagegen von Anfang an gab, gehe ich noch einen Schritt weiter zurück: Ich frage, wie überhaupt Macht entstanden ist: die Macht von Menschen über Menschen und von Menschen über die Natur. Denn Macht und Herrschaft hat es nicht immer in der Menschheitsgeschichte gegeben, sondern erst seit etwa 5000 Jahren, seit die ersten Herrschaftsapparate in Mesopotamien und Ägypten entstanden sind.

 

Kontext TV: Eine zentrale Rolle spielt in deinem Buch der Begriff „Endlose Geldvermehrung“. Was genau verstehst du darunter?

Scheidler: Die endlose Geldvermehrung ist eine historische Kuriosität. Was ich die Megamaschine nenne oder das kapitalistische Weltsystem hat eigentlich keine Parallele in der Weltgeschichte. Es gab viele Gesellschaften, in denen Leute Reichtum akkumuliert haben: Die antike römische Gesellschaft etwa hat unvorstellbaren Reichtum für manche hervorgebracht (und Elend für andere), auch in den chinesischen Großreichen gab es das.

Aber die Logik der endlosen Kapitalakkumulation bedeutet, dass das übergeordnete Ziel einer ganzen Gesellschaft Akkumulation um jeden Preis ist. Das hat sich über viele Jahrhunderte entwickelt und ist über viele Jahrhunderte durchgesetzt worden. Händler alten Typs haben sich irgendwann zur ­Ruhe gesetzt und ihren Reichtum genossen oder zur Schau gestellt, sie haben nicht alles reinvestiert, um wiederum mehr Geld zu erwirtschaften, und das immer so fort. Doch mit der Zeit hat sich die Vermehrung von Geld von den Personen entkoppelt und ist zur Institution geworden.

Eine wichtige Rolle spielten ­dabei die ersten Aktiengesellschaften im 17. Jahrhundert. Die Aktionäre eines solchen Unternehmens stellen Kapital zur Verfügung und wollen, dass dafür eine bestimmte Rendite, sagen wir zehn Prozent, herauskommt, jedes Jahr, egal mit welchen Mitteln. Und dann sind diese ersten Aktiengesellschaften – die englische Ostindien-Kompanie und die holländische Ostindien-Kompanie – um den Globus gezogen und haben sehr viel Gewalt angewendet, um den Reichtum zu erbeuten – Hauptsache, es kommen am Ende diese zehn Prozent raus, die dann wiederum in neue Unternehmungen investiert werden.

Bis heute ist es so, dass Vorstände von Aktiengesellschaften – im deutschen Recht und auch im amerikanischen Recht – verpflichtet sind, als Hauptzweck ihrer Tätigkeit den Unternehmensreichtum und den Reichtum der Aktionäre zu vermehren, unabhängig davon, was ­eigentlich der gesellschaftliche Nutzen davon ist und was die ökologischen und sozialen Schäden sind.

Die größten 500 Unternehmen der Welt, die meisten davon Aktiengesellschaften, machen inzwischen ­etwa die Hälfte des Weltsozialproduktes aus. Ich nenne sie Monster. Denn es sind Maschinen, deren genetischer Code darauf ausgelegt ist, mit allen Mitteln aus Geld mehr Geld zu machen. Auch um den Preis eines verwüsteten Planeten. Daher stehen wir heute vor der Frage, ob und wie wir diesen genetischen Code aus der Ökonomie wieder herausbekommen. Denn er ist zerstörerisch, er war von Anfang an zerstörerisch. Und heute stehen wir an planetaren Grenzen dieser endlosen Akkumulation.

Kontext TV: Du schreibt in deinem Buch sehr eindringlich über die Grenzen des Systems und dass es darum geht, aus seiner Logik auszusteigen. Was bedeutet das genau?

Scheidler: Ich glaube nicht, dass die Antwort auf die globalen Krisen sein kann: Wir warten auf den Weltuntergang und sehen dann weiter. Ich denke, es kommt jetzt alles darauf an, dass sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Kräfte, die eine sozial-ökologische Transformation suchen, organisieren, um dort, wo sich Risse auftun – wie beispielsweise in der Finanzkrise 2008 –, vorbereitet zu sein und Alternativen auf den Weg zu bringen. Es wird immer mehr zu solchen Punkten von Instabilität kommen, und an solchen Punkten haben soziale Bewegungen außergewöhnliche Chancen, etwas zu verändern – Chancen, die sie, wenn das System stabiler läuft, möglicherweise nicht haben.

Gleichzeitig sind solche Kipp-Punkte natürlich auch sehr gefährliche Momente, weil auch politische Kräfte Überhand gewinnen können, die sehr rückwärtsgewandt sind: faschistische Kräfte, wie wir das in Teilen Europas gerade sehen, oder ­fundamentalistische Kräfte, die ebenfalls in vielen Teilen der Welt erstarken. An den ökonomischen und politischen Bruchstellen tun sich in verschiedene Richtungen teilweise erschreckende, teilweise aber auch positive Möglichkeiten auf. Die Zukunft ist offen, und es hängt von uns allen ab, wie sie aussehen wird.

Das Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“
ist im Buchhandel erhältlich:

ISBN: 978-3-85371-384-6 www.megamaschine.org

Die vollständige Sendung ist unter : www.kontext-tv.de zu finden.

Eine Antwort

  1. jörg
    nicht Teile der Welt sondern die ganze Welt ist HEUTE schon nahezu faschistisch

    unter Faschismus verstehe ich die Verschmelzung von Konzernen mit den Regierungen. Das ist weder demokratisch noch kapitalistisch, zumal die Medien den Konzernen gehören und andererseits durch eine „Demokratiezwangsabgabe“ finanziert werden. Die Staaten (Regierungen) gehören eh schon den Privateignern der Zentralbanken. Die Folge daraus ist 99% Propaganda gegen die Freiheit und für den Kollektivismus. Ein Ausbrechen aus der Schafsherde (eigene Meinungen formulieren und vertreten) wird mit Verleumdung und Ausgrenzung bestraft. Da die Elite Geld drucken darf (wovon unter anderem Regierungen und auch das Volk gekauft werden), Bargeld bald verboten sein wird (wer Bargeld benutzt hat was zu verbergen) und somit die große Masse erst gehirngewaschen und dann bald per Knopfdruck total enteignet sein wird, leben wir heute im Sozialismus, der übrigens immer im Faschismus endet. Wie man so etwas Kapitalismus nennen kann, bleibt mir ewig ein Rätsel. Wer das denkt ist ein Propagandaopfer. Ist es nicht genau das Problem, dass wir das Leben mit dem Verstand zentralistisch organisieren=kollektivieren wollen und das wir uns dadurch der Möglichkeiten und somit der Freiheit berauben? Individuen leben eigenverantwortlich. Würde das ein jeder tun, dann gäbe es auch nur kleine vereinzelte Probleme und nicht dieses eine ganz große Problem, das alles mit sich reisst. Die Lösung ist für mich also nicht die Bildung von Kollektiven, sondern die Idividualisierung. Die Masse ist blind und damit leicht von einer Macht zu lenken.

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