Kontext TV dokumentiert Auszüge aus der Eröffnungsrede der kanadischen Journalistin und Buchautorin Naomi Klein („No Logo“, „Die Schock-Strategie“) bei der 4. Internationalen Degrowth-Konferenz in Leipzig. Naomi Klein sprach per Live-Schaltung über die Klimakrise, die Abkehr vom Wachstum und ihr neues Buch „This Changes Everything: Capitalism vs. the Climate“, das im Frühjahr unter dem Titel „Die Entscheidung“ auf Deutsch erscheinen wird.

 

Klimaverhandlungen scheitern, weil die Regierungen des Nordens sich ihrer geschichtlichen Verantwortung nicht stellen

Naomi Klein:  Die ersten Klimaverhandlungen fanden 1990 statt. Seitdem ist der globale Kohlendioxidausstoß um 61 Prozent gestiegen. Das ist ein Ergebnis, auf das man nicht stolz sein kann. Es ist ein Ergebnis, das – wie uns selbst konservative Prognosen sagen – bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer Temperaturerhöhung von vier bis sechs Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau führen wird, wenn wir nichts dagegen unter – nehmen. Das sind Voraussagen der Weltbank, der Internationalen Energieagentur und von Price Waterhouse Cooper – es handelt sich also nicht um irgendeine linke Verschwörungstheorie. Diese konservativen Quellen sagen voraus, was passieren wird, so zu handeln, wenn wir weiterhin so handeln wie jetzt.

Jeder, der die Klimaverhandlungen verfolgt, weiß, dass die Verhandlungen jedes Mal daran scheitern, dass die Regierungen des Nordens sich ihrer geschichtlichen Verantwortung nicht stellen, eine Verantwortung, die in der UN-Klimakonvention festgehalten ist. Und es wird jedes Jahr schlimmer, nicht besser, weil immer wieder die Belange des Umweltschutzes wegen der angeblich schlechten wirtschaftlichen Lage zurückgedrängt werden.

 

Es gibt kein „sauberes Wachstum“

Wer in dieser Lage behauptet, dass es so etwas wie »sauberes Wachstum« geben könne und dass eine Entkoppelung von Wachstum und Umweltzerstörung möglich sei, hat sich die Zahlen nicht genau angeschaut. Wenn wir fünfzig Jahre zur Verfügung hätten, wäre so etwas vielleicht möglich, aber nicht in einem Zeitraum von zehn Jahren. Und wir haben bloß zehn Jahre. Unter der Voraussetzung, dass wir keinen Zusammenbruch wie in der Depression der 1930er Jahre wollen, brauchen wir eine Wirtschaft, die in Bereichen wächst, die die Erde nicht belasten, also zum Beispiel im sozialen Sektor, bei Bildung und Kunst, aber schrumpft, wo wir die begrenzten Ressourcen gedankenlos verbrauchen. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. Ich bin davon überzeugt, dass der Klimawandel für uns eine historische Gelegenheit darstellt, unsere Träume umzusetzen, weil es Träume sind, die die Menschen und Bewegungen, auf deren Schultern wir stehen, seit Jahrhunderten geträumt haben. Denn das Projekt, die Umweltbelastungen auf ein Niveau zu reduzieren, das Umweltwissenschaftler vorschlagen, birgt auch die Chance, eine neue Politik zu erfinden, die unser Leben dramatisch verbessert, den Abstand zwischen Arm und Reich überwindet, zahlreiche neue gute Arbeitsplätze schafft und eine grundlegende Demokratisierung bringt.

 

Die Schock-Doktrin: Klimakatastrophe kann zu einer radikalen Wende von unten führen

Anstatt als das ultimative Beispiel für das, was ich die Schock-Doktrin nenne, zu dienen – mit einem irrsinnigen Ressourcenverbrauch und neuen Formen der Unterdrückung –, kann die Klimakatastrophe zu einer ganz anderen Art von Schock führen, zu einer radikalen Wende von unten. Dieser Schock kann die Macht in die Hände der vielen legen, anstatt sie bei wenigen zu konzentrieren. Er kann die Commons, die Gemeingüter, radikal ausweiten, anstatt sie als Waren auf den Märkten zu verschleudern. Und wo rechte Schockexperten Katastrophen – wirkliche und vorgebliche – dazu nutzen, eine Politik durchzudrücken, die uns nur immer noch anfälliger für Krisen macht, wird die Form des gesellschaftlichen Umbaus, für die wir kämpfen, genau das Gegenteil bewirken: Sie führt uns vor allem an die Wurzel all dieser wirtschaftlichen und ökologischen Krisen und schafft ein lebenswerteres Weltklima als das, auf das wir zusteuern, sowie eine viel bessere Wirtschaft als die, die wir jetzt haben. In Wahrheit, und wir alle wissen das, ist die Klimakatastrophe nicht einfach ein weiteres Problem, das wir getrost auf die Liste der beunruhigenden Dinge wie Krankenversicherung oder Steuern setzen könnten. Sie ist vielmehr ein zivilisatorischer Alarmruf, eine aufrüttelnde Botschaft, die in der Sprache von Waldbränden, Überschwemmungen, Dürre und Artensterben zu uns spricht.

Naomi Klein sagt uns, dass wir ein komplett neues Wirtschaftsmodell brauchen, eine neue Art des Zusammenlebens auf unserem Planeten. Sie sagt uns, dass wir uns entwickeln müssen.

„Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell“:

 

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