Einer der größten Kriegsschauplätze ist die Partnerschaft. Die Liebe weicht meist schnell der Verunsicherung, Angst, Aggression und Hilflosigkeit. Hilflosigkeit auch, weil keiner von uns gelernt hat, mit Konflikten in Beziehung umzugehen. Michael Kubitscheck geht auf Ursachensuche für ein weit verbreitetes Dilemma.

 

Seit 1985 schwankt die Scheidungsrate in Deutschland kontinuierlich zwischen 49 und 57 Prozent. Das heißt, seit 26 Jahren (!) geht beständig jede zweite Ehe in die Brüche. Die Zahl der gelösten Partnerschaften liegt ein Vielfaches höher. Diese nüchternen Zahlen spiegeln schlichtweg nur, dass sich im Lernverhalten von Paaren nichts grundlegend zu ändern scheint: Sie geben sich mit oder ohne Trauschein das „Ja-Wort“ in der Hoffnung, dass „es“ bei ihnen nicht passiert, oder im vollen Bewusstsein, dass es irgendwann sowieso auseinandergeht.

Zahlreiche Paare leben in Verbindungen, ohne sich wirklich für den anderen/die andere entschieden zu haben; andere hingegen lehnen das Eingehen einer Zweierverbindung kategorisch ab – Unverbindlichkeit bewahrt die Illusion von Freiheit. Andere wiederum haben resigniert und so viel Schmerz erfahren, dass es ihnen unmöglich scheint, eine neue Partnerschaft einzugehen.

 

Die schleichende Unzufriedenheit

Schauen wir uns im Zeitraffer das übliche Beziehungs-Hamsterrad an: Mann/Frau verliebt sich, geht eine Partnerschaft ein, löst sie gegebenenfalls auf, versucht es ein paar Mal, bindet sich irgendwann oder vereinsamt. Was zu Beginn noch Spiel und Neugier war, wird spätestens im Laufe der Partnerschaft ernst: Probleme tauchen auf, Unstimmigkeiten treten zu Tage – ultimativ, wenn es ein erstes Kind gibt oder der so genannte Alltag das gemeinsame Zusammensein zu bestimmen beginnt. Mann/Frau fühlt sich nicht verstanden, man redet nicht mehr, wird unehrlich(er), verzweifelter und/oder hechelt einer Illusion von glücklicher Partnerschaft hinterher – durch Verdrängung, Illusionierungen, Kompensation und fortschreitende destruktive Handlungen sich selbst oder dem anderen gegenüber. Unzufriedenheit auf allen Seiten.

Wieso haben wir nicht von unseren Vorfahren gelernt? Sie haben uns wunderbare Negativbeispiele geliefert, um es besser machen zu können. Wieso ahmen wir das Vorgelebte unserer Vorgenerationen trotzdem – nur in einer anderen Schattierung – nach, obwohl wir es selber erlebt haben: diese Streitereien, Verletzungen, Schmerzen und diese Resignation; diese zu viel erlebten Situationen des Nicht-mehr-miteinander-Sprechens, des Recht-haben-Wollens, des Dominierens und Kontrollierens, des Bestrafens, Verurteilens, des Psycho-Drucks oder gar der körperlichen Gewalt. In der eigenen Familie oder im Umfeld: willkommen auf dem Schlachtfeld Partnerschaft! Männer gegen Frauen, Frauen gegen Männer; Männer gegen Männer und Frauen gegen Frauen. Wir tun es bewusst oder unbewusst; es zeigt sich in den zahlreichen – teils versteckten – Gemeinheiten und Bösartigkeiten, die wir uns gegenseitig zufügen und über die oftmals geschwiegen wird („wir haben uns halt auseinandergelebt“ ist ein dann ein gängiges Zitat, wenn die Beziehung zu Ende ist) oder über die man sich – auch sehr gesellschaftsfähig – bei Dritten beschwert („der/die hat mir schon wieder ….. angetan!“). Alles keine Lösungen.

 

Partnerschaft: wie geht das?

Das Paradoxe ist: im Grunde und von Herzen möchte das niemand! Trotzdem verhalten wir uns so. Verunsicherung, Angst, Aggression und Hilflosigkeit sind an die Stelle der Liebe getreten. Wieso klappt es denn noch immer nicht zwischen Frau und Mann? (Die Frau-Mann-Beziehung steht an dieser Stelle exemplarisch für alle gelebten Paarbeziehungen.)

Sind nicht genügend Bücher zu diesem Thema erschienen? Gibt es nicht genügend psychologische Hilfen oder Seminare zu diesem Phänomen? Und: Ist das Thema Liebe nicht häufig genug durchgekaut worden? Viele Menschen haben – sofern sie selbst ehrlich genug sind – eine tiefe Sehnsucht nach funktionierenden Partnerschaften. Doch haben wir, Hand aufs Herz, wirklich eine Idee, wie das funktionieren könnte?

Festzustellen ist: In unserer westlichen Welt haben wir Partnerschaft nicht gelernt, weder von unseren Großeltern und Eltern noch in den Schulen, Universitäten, Bildungsträgern – nirgendwo. Der Staat hat versucht, eine funktionierende Partnerschaft mit Gesetzen zu installieren, die Kirche mit ihrer Moral, die Religionen mit ihren Lehren – keiner hat es geschafft und alle sind mehr oder minder gescheitert. Mit das Wichtigste im Leben überhaupt, eine gelebte funktionierende Liebe in einer Zweierbeziehung, kann man in unserer gebildeten und hochentwickelten Kultur nirgendwo lernen. Wieso ist das so?

 

Bruch mit der Natur

Humberto R. Maturana, einer der bekanntesten Sozialforscher, schildert in seinen Untersuchungen Folgendes: Bis vor zirka 5000 Jahren habe ein matristisches (kein matriachales, also den Mann unterdrückendes!) Lebenssystem existiert, welches von den ältesten Frauen der Stammesgemeinschaft mit Hilfe ihrer natürlichen Intelligenz oder Weisheit geführt worden sei. Aus Funden uralter Gegenstände und Abbildungen zeigte sich, dass es weder Schutzwälle, Verteidigungsanlagen noch kriegerische Auseinandersetzungen gab; es habe ein Einklang mit der Natur und der Schöpfung stattgefunden. Die Herausforderungen des Lebens haben in der Nahrungsfindung, der Versorgung, der Vermehrung und dem Leben in Harmonie mit der Natur und ihren Gewalten, den sichtbaren und – für das menschliche Auge – nicht sichtbaren wie Geistern, Göttern usw. bestanden. Dies wurde durch jahreskreiszyklische Zeremonien (Monde) gepflegt. Frau und Mann haben in Respekt und Achtung in ihren jeweils archetypischen Funktionen zusammengelebt.

Wie kam es zum Bruch dieser Harmonie? Komprimiert dargestellt erklärt es Maturana in seiner Theorie so:
Als der Mann, der die Schafherde hütete, dem Wolf seinen natürlichen Futteranteil an der Herde nicht mehr gönnte und ihn bestrafte, indem er ihn tötete, zerbrach das in sich funktionierende System. Der Mensch erhob den Wolf zum Feindbild, und der Wolf musste feststellen, dass der Mensch nun sein Feind wurde, der ihn bis dahin über seine Herden mitversorgt hatte. Die entscheidende Loslösung aus dem Naturkreislauf hatte stattgefunden: Der Mensch tötete das Tier nicht zu seiner natürlichen Versorgung, sondern aus Habgier und Nicht-teilen-Wollen. Dieser Moment, so vermutet Maturana, war das Ende des funktionierenden harmonischen Systems, das von der Weisheit der Frauen geführt wurde. Nun bekam die körperliche Kraft und Freund-Feind-Intelligenz des Mannes die Überhand, sei es in der Fertigkeit zu töten oder darin, Schutzwälle und -mauern zu errichten, um das Hab und Gut zu beschützen und zu vermehren. Der Mann begann zu dominieren, hörte nicht mehr auf die Frau, die ja „zu schwach“ war, den Wölfen zu widerstehen. Damit hatte er sich aus dem natürlichen Leben im Einklang entfernt. Willkürliches Töten und Sterben (in der Familie, dem Stamm usw.) waren die Folge….

 

Dominanzverlust des Mannes

Über die nächsten Jahrtausende von Krieg und Zerstörung lernen wir im ­Geschichtsunterricht. Wirklich Neues brachte erst die Emanzipation der Frau (am Beispiel Deutschland). Ende der 60er Jahre waren es die Frauen, die aufbegehrten – sie hatten soeben mit bloßen Händen mit den wenigen übrig gebliebenen Männer Deutschland wieder aufgebaut und wehrten sich dagegen, wieder und weiter unterjocht zu werden. Die Emanzipation begann, drückte sich unaufhaltsam durch und sorgte seitdem für tiefgreifende Umwälzungen: 5000 Jahre dominierende Systeme, Denkstrukturen, Lebensformen, Wirtschafts- und Bildungssysteme sind in Bewegung und ins Schwanken gekommen. Ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch mit unaufhaltsamen kreativen, kreierenden, vernichtenden und auslöschenden Auswirkungen.

Frauen beginnen mittels ihrer natürlichen sozialen Kompetenz neue Wirtschaftssysteme (auf der Grundlage von Spaß und konträr der des „hart arbeitenden“ Mannes) zu etablieren (Beispiel: Tupperware mit ihren Verkaufs-Parties – in den USA werden mittlerweile annähernd 40 Prozent des Bruttosozialproduktes durch solche weiblichen Wirtschaftssysteme erzeugt). Frauen versuchen nicht nur die Männer auf der Karriereleiter nachzuahmen, sondern machen es auf ihre Art (siehe „Bodyshop“). Frau wird immer stärker, mächtiger.

Kurz und knapp gesagt: Frau braucht Mann nicht mehr! Dies tut sie immer deutlicher und unmissverständlich kund: Frau kann selber Geld verdienen, sich ihr eigenes Auto, ihr eigenes Haus kaufen. Nachdem des Mannes geliebtes Dominanzwerkzeug „Geld“ also nicht mehr funktioniert (neue Gesetze dämmten zusätzlich auch noch die vom Mann ausgehende tolerierte körperliche Gewalt ein), nimmt Frau Mann sein Letztes: seinen Samen. Es braucht keinen männlichen Koitus mehr, um die Existenz der Menschheit voranzubringen! Frau kann Samen mittels selbst verdienten Geldes in einer „Bank“ kaufen, um ihre Kinder zu bekommen. In den Samenbanken lagert genügend zeugungsfähiges Sperma, um alle Männer als Erzeuger überflüssig zu machen.

 

Die Natur als Lehrerin

Ab jetzt bestimmt die Frau. „Juchhu, geschafft! Jetzt sind wir dran!“ denkt manche Frau (zum Beispiel daran zu erkennen, dass Frauen häufiger fremd gehen als Männer)… und behandelt den Mann als Feind (zum Beispiel in den Scheidungsgesetzen legitimiert).

War da nicht was vor 5000 Jahren? ­Genau! Und wir wiederholen die Geschichte – nur mit einer anderen Rollenverteilung. Heißt: Der Wolf von damals ist nun der Mann, die Frau der Hirte…. und weiter gehen das unselige Kettenrasseln und der Geschlechterkrieg!
Doch auch Frau hat Partnerschaft nirgendwo gelernt – und nur wenige können mit den uralten Geschichten umgehen, die Frau im Nacken sitzen und sie im Kriegsspiel gegen den Mann antreiben: diese unzählbaren getöteten Frauen, die nach Vergebung und Wiedergutmachung schreien; die vielen unterjochten, ausgebeuteten, sexuell missbrauchten Frauen, die sich heute durch weibliche Gemeinheiten am Manne rächen, es ihm zurückgeben. 5000 Jahre Unterjochung können nicht in 50 oder 100 Jahren kompensiert werden… es wird noch etwas dauern, doch die überschwappende Welle des Rächens wird auslaufen, wird vergehen wie die Welle im Sand.

Es bleibt zu sehen: Die derzeit größte globale Bewegung ist eine weibliche. Wollen wir diese als Frau und Mann in Respekt und Würde gemeinsam gestalten, können wir miteinander üben und lernen von matristischen Systemen, von den wenigen noch lebenden Großmüttern, von indigenen Völkern, echten Schamanen und von unseren Vorfahren. Sogar und besonders von den Tieren. Eine Elefantenherde  beispielsweise wird von der ältesten Mutterkuh in beispielloser Umsicht geführt. Die wichtigste Lehrerin ist und bleibt damit: Mutter Natur.

 

Fortsetzung folgt.


Abb: © Jason Stitt – Fotolia.com

Über den Autor

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ist Betreiber des ­Gotischen Saals auf dem Kreuzberg und Geschäftsführer der WiSpH GmbH. Er ist Coach mit Schwerpunkt Persönlichkeitsentfaltung und Paarbeziehungen
Seine Vision: Friede zwischen den ­Geschlechtern.

Mehr Infos

Literatur:
Umberto R. Maturana/ Gerda Verden-Zöller: „Liebe und Spiel – die vergessenen Grundlagen des Menschseins“
Carl-Auer Verlag, 2005

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