Rohkost – dass diese Ernährungsform mehr kann als ein paar langweilige Karottensticks, an denen man lustlos knabbert, ist eigentlich klar. Aber rohköstliche Gourmetgerichte? Da schnellt zumindest etwas die fragende Augenbraue hoch. Für Boris Lauser, der sich „Gourmet Raw Chef“ und „Culinary Artist“ nennt und in Dr. Gabriel Cousens‘ „Tree of Life Rejuvenation Center“ in Arizona eine Ausbildung  zum „Spiritual Life Food Instructor“ gemacht hat, kein Problem. Mit heißer Flamme gekocht wird zwar nicht, aber mit Küchenmaschinen, Mixern und Dörr­apparaten fertigt er aufwändige kulinarische Köstlichkeiten. Mit SEIN sprach er über Gourmet-Rohkost, seine Philosophie und seine Art zu kochen.

 

Was ist eigentlich Vitalkost?

Vitalkost ist alles Frische, hauptsächlich Gemüse, Obst, Sprossen, gesprosste Samen, Nüsse und Meeresalgen, welche nur so weit verarbeitet werden, dass noch alle Nährstoffe und Enzyme erhalten bleiben. Nichts sollte über 42 Grad erhitzt werden, weil ab dieser Temperatur die Enzyme anfangen verloren zu gehen und damit die Vitalität der Nahrung sinkt.

 

Spiritual Life Food Instructor – was bedeutet das?

Life Food heißt frische Kost oder lebendige Nahrung. Lebendiges Essen ist voller Lebenskraft, Chlorophyll und Enzyme: frisches Gemüse und Grünzeug, Sprossen und Früchte. Als Spiritual Life Food Instructor verstehe ich mich als Lehrer, wie man mit frischer Kost kulinarische Leckerbissen zaubert, welche gesund sind, toll schmecken und einen spirituellen Lebensstil fördern. Für mich bedeutet das auch: in Harmonie mit der Natur, mit der Jahreszeit, mit wenig negativem Einfluss auf die Umwelt, mit guten Arbeitsbedingungen in der Lieferkette et cetera. Ich lehre also das Bewusstsein für eine gute, ehrliche Ernährung. 

 

Wie muss man sich das „Kochen“ von Rohkost vorstellen? 

Anstelle von Herd und Backofen verwendet man viele andere Geräte. Es wird mit Hochgeschwindigkeitsmixern gemixt und geschäumt, mit Küchenmaschinen gehäckselt, in Dörrgeräten bei Niedrigtemparatur getrocknet, in Sous-Vide-Garern bei Niedrigtemperatur mariniert, es wird spiralisiert (Gemüsenudeln), eingelegt, fermentiert und gefroren. Es wird also sehr viel verarbeitet und man kann alle möglichen Konsistenzen wie Mousse, Brote, Kräcker, Schäume und Gelées erzeugen.

 

Wie hast du zur Rohkost gefunden? 

Das war eine Entwicklung, die sich nach und nach ergeben hat. Bis zu meinem 16. Lebensjahr war ich übergewichtig. Dann habe ich ein Jahr zuckerfrei gelebt, zehn Kilo abgenommen und meide seither weißen Zucker. Später habe ich immer mehr meine Ernährung umgestellt, hin zu mehr Gemüse und Obst als Basis, gefolgt von Vollkorngetreide, Samen und Nüssen. Während eines Arbeitsaufenthalts in San Francisco vor circa acht Jahren entdeckte ich dann das Rohkost-Café „Gratitude“ für mich. Ein absoluter Traum: Es gab Kuchen und Torten ohne Gluten und ohne industriellen Zucker und sogar vegane Eiscreme, für mich als Gelato-Fan natürlich ein Muss zum Probieren. Einen Raw Cheesecake und einen Mint-Chocolate-Chip-Ice-Cream-Shake später war ich überzeugt, dass ich unbedingt lernen musste, wie man solche genialen Sachen zubereitet. 

 

Wie sieht deine Ernährung aus? Zu 100% Rohkost? Rohvegan? 

Ich bezeichne mich als komplett dogmafreien Flexitarier, gebe mir also keines der gängigen Label. Ich bin Qualitätsfanatiker: Minderwertiges Essen rühre ich nicht an, ob vegan, roh oder nicht. Ich esse tagsüber am liebsten komplett roh, abends darf es gerne auch mal was Gekochtes sein. Ich gehe auch wahnsinnig gerne zum Essen aus, da ich mir hier viele Inspirationen für meine Dinner und meine Küche hole. Meist ernähre ich mich vegetarisch bis vegan, aber ab und zu esse ich sehr gerne Fisch und ganz selten auch mal hochqualitative Fleischprodukte.

 

Ist die Entscheidung zur Rohkost für dich ethisch oder gesundheitlich begründet?

Für mich ist es eine rein gesundheitliche als auch kulinarische Entscheidung. Ich liebe einfach gutes Essen, aber es muss aus guten Zutaten bestehen und sollte gut für die Gesundheit sein. Als ich die neue Art der Gourmet-Rohkost entdeckte, war es für mich einfach kulinarisch unglaublich spannend, was man alles aus gesunden Zutaten machen kann – und vor allem an sich selbst zu erfahren, wie man konventionelles Essen weniger und weniger mag und der Körper beispielsweise gegenüber Brot, Pasta und Co. immer ablehnender wird. 

Bei mir selbst hat sich auch viel getan: Meine Allergien, die ich als Kind sehr stark hatte, sind fast komplett verschwunden. Meine starken Hautprobleme sind auch nicht mehr da und ich fühle mich generell in besserer Verfassung. Ich habe kaum noch chronische Verspannungen im Gesicht, welche zeitweise als Migräne gedeutet wurden, gegen die ich sogar Antidepressiva bekam. Ich spüre also definitiv sehr positive Effekte.

 

Hat diese Form der Ernährung auch einen spirituellen Zusammenhang für dich? 

Nicht wirklich für mich, obwohl ich die spirituelle Verbindung enorm erkenne. Wenn ich zu viel Rohkost esse, dann werde ich sehr leicht im Kopf, sehr luftig und auch extrem sensibel, was es mir dann schwer macht, mich in einer Stadt oder im normalen Alltag zu bewegen. Das ist auch ein Grund, warum ich doch noch fast täglich gekochte Nahrung esse, um mich entsprechend zu erden. Wer aber einen spirituellen Pfad gehen möchte, den wird die Rohkost auf jeden Fall extrem dabei unterstützen, da die Schwingung der Nahrung doch sehr viel hochfrequenter ist.

 

Siehst du eine Verbindung zwischen Yoga und Rohkost?

Yoga und Rohkost besitzen eine fantastische Verbindung. Durch Rohkost werden Schlacken im Körper abgebaut, die Gelenke werden geschmeidiger und man wird sehr schnell sehr viel flexibler. Das habe ich selbst festgestellt, da ich sehr viel Yoga praktiziere und sehe, wie gut diese Ernährung mit einer Yoga-Praxis zusammenkommt. 

 

Wie sehen deine Raw Food Retreats in Verbindung mit Yoga auf Bali aus?

In so einem Retreat bringe ich meinen Teilnehmern in einem mehrtägigen Kurs alles Wissen, die Techniken und viele Rezepte bei, um sich mit Rohkost ausgewogen, gesund und kulinarisch spannend zu ernähren. Jeden Tag gibt es circa vier Stunden Kurs und das Mittagessen wird gemeinsam zubereitet. Täglich gibt es drei herrlich dekadente Rohkostmahlzeiten. Natürlich geht es auch ein wenig um die Kultur Balis, so nehmen wir zum Beispiel auch an traditionellen Tempelzeremonien mit einem balinesischen Priester teil, sehen traditionelle Tänze und besuchen eine Biofarm – und natürlich lokale Rohkostrestaurants und -cafés.

 

Warum eigentlich Gourmet-Essen?

Ich liebe gutes Essen und bin selbst ein Gourmet. An mich und an meine Gerichte stelle ich immer höchste Ansprüche, und ich habe schon bei den Zutaten (nichts Verarbeitetes, am liebsten lokal und bio) sehr hohe Qualitätskriterien. Das allein definiert für mich schon ein Gourmet-Essen, das dann durchaus auch mal gute, handgemachte Hausmannskost sein kann. Da ich ja selbst gerne essen gehe und auch sehr kritisch bin, habe ich natürlich dieselben Ansprüche an meine eigenen Kreationen. Sie müssen visuelle Kunstwerke sein, welche bereits die Augen verwöhnen und Appetit machen. Und am Ende müssen sie natürlich perfekt schmecken und bei jedem Bissen ein Hochgenuss sein, denn das möchte ich selbst auch, wenn ich ausgehe und Geld für Essen ausgebe. 

 

Möchtest du Rohkostneulingen noch etwas mit auf den Weg geben?

Ja! Ein wichtiger Punkt ist die Art des Einstiegs in die Rohkost und dass man von Anfang an die richtige Ernährung wählt. Viele Menschen machen den Fehler, sofort zu 100 % roh essen zu wollen, und können es aber nicht, weil sie die Gelüste nach den gewohnten Kohlenhydraten nicht loslassen können. Dann greift man schnell zu vielen Nüssen und Trockenfrüchten, welche im Körper auch viel Schaden anrichten können. Generell gilt: Gekochter Brokkoli ist besser als eine rohe Nuss. Es gibt Leute, die steigen von heute auf morgen zu 100 % um und fühlen sich damit gut, andere brauchen einen ganz langsamen, schrittweise angepassten Prozess. Hier ist es gut, Schritt für Schritt den Anteil an frischer Kost und Gemüse zu steigern und langsam, aber stetig immer weniger von den gängigen Kohlenhydraten zu essen. Generell sind langsame Anpassungen sehr viel besser als radikale Umstellungen, da diese für den Körper immer erstmal ein Schock sind. Gebt eurem Körper Zeit, mit dem erhöhten Anteil an Faserstoffen fertig zu werden, und vor allem wieder zu lernen, wie er die Moleküle aufspalten muss, um aus den rohen Gemüsen die Nährstoffe zu ziehen. Das kann einige Zeit dauern. Eine Grundregel kann aber jeder sofort umsetzen: Finger weg von allen fabrikverarbeiteten, industriellen Nahrungsmitteln und zurück zu vollwertigen Produkten. Dies kombiniert mit einem Rohkostanteil von 50% oder mehr sollte bei den meisten zu deutlichen Gesundheitsverbesserungen führen. Generell sollte man aber entspannt bleiben. Essen soll nach wie vor Spaß machen und nicht zum alleinigen Lebenssinn werden. Es soll uns unterstützen, nähren und die Energie schenken, die wir benötigen. Es ist wichtig seine eigene Balance zu finden und auch dem Körper und der Seele das zuzugestehen, was man im Moment braucht oder was einem gut tut. Und wenn das mal ein Glas Wein ist oder ein Kaffee oder doch auch mal eine Pizza, dann ist das so und dann sollte man sich erlauben, diese Ausnahme voll und ganz zu genießen.

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