Lebensatem
Vom Körper zur wesentlichen Körperenergie und zum Körperwesen

Tilmann Cramer

Wie kommen wir im Körper an?

Wenn wir uns fragen, wie wir im Körper ankommen, klingt es paradox. Die Alltagserfahrung sagt uns ja: Da sind wir doch ein Leben lang schon drin. Mit allem, was dazugehört. Doch da ist eine andere Stimme und eine vielleicht subtile Wahrnehmung, dass ich mich da oder dort gar nicht spüre.

Mein Körper tut dies und das: Er ist in Besorgung, ist erschöpft und irgendwie auch ohne starke Energie. Und damit ohne wirkliche Freude. Dann lohnt es sich zu schauen, dieser Frage nachzuspüren: Wie komme ich in meinem Körper an? Oder umfassender ausgedrückt: Wie komme ich in die Energie und Präsenz, die ich bin? In diesem Moment erscheint mir der Körper als Körperwesen, das alle Antworten auf die Frage kennt. Und dann ist der nächste Schritt, in Verbindung mit dem Atem und der Atmung zu gehen. Denn damit fängt es an, das Leben in der Körperwelt.

Wie kommen wir ins Leben rein?

Nach Zeugung und Empfängnis und nach vielfacher Zellteilung aus der Urzelle ist es dann soweit. Neun Monate wurden wir im Mutterbauch voll versorgt, jetzt heißt es: Wir kommen „auf die Welt“. Derzeit kommen zwei Drittel von uns durch die Enge des Geburtskanals, ein Drittel durch einen Schnitt in der Bauchdecke. In beiden Fällen – die sich durch diese Grundprägung unterscheiden – folgt die Ab-Nabelung und wir sind nun voll auf die Atmung eingestellt. In diesem Zusammenhang geschieht ein folgenreicher Initiationsmoment. Die bisher inaktive Lunge „klapp tauf“und dieser ersteAtemzug geschieht. Es ist ein Wechsel aus dem Element Wasser in die Luftigkeit und Erdigkeit des Lebens. So sorgt fortan die Lungenatmung für die Sauerstoffzufuhr und die Ausatmung vom Stoff- wechselprodukt CO2.

Und hier beginnt auch das vorerst nonverbale Bewusstsein, hier ist Körper und da ist ein Außen. Lebensge- schichten beginnen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Das Leben zu sich nehmen, das Leben von sich geben. Ein steter Wechsel, ein Leben lang. Atmende Materie und Leiblichkeit.

Der flache Atem

Es war vor rund 20 Jahren, als ich in einem familiären Konflikt, dem ich mich nicht gewachsen fühlte, plötzlich nicht mehr das Bett verlassen konnte. Ich erlebte ein Gefühl großer Schwäche und Energielosigkeit und befand mich in einem für mich selt- samen Zustand. Es war nicht wie eine Depression, wie ich sie aus früheren Zeiten kannte. Etwas war anders, das ich nicht begreifen und auch nicht erklären konnte. Ich befand mich in einem Dämmerzustand und meine Lebensgeister hatten mich weitgehend verlassen. Ich wusste auch nicht, wer mir in diesem Moment helfen könnte. Mein Umfeld spiegelte mir große Sorge; auch hier verstand man nicht, was denn mit mir los sei. Glücklicherweise versorgte man mich. Drei Wochen lag ich dort so, halb abwesend und doch fragend, was mit mir geschah.

In einem lichten Moment meiner Selbsterkundung lenkte sich mein un- scharfer Fokus auf meine Brust und meine Atmung. Und ich machte hier die Entdeckung, mit der ich mich selbst aus der Energie- und Hilfosigkeit holen konnte: Ich atmete kaum wahrnehmbar, ach, nur wenig in die Brust herein. Ich vermied tiefe Atemzüge und meinte auch, nicht dazu in der Lage zu sein. Ich spürte mich in der Hauptsache irgendwo oberhalb der Schlüsselbeine. Oder auch: Ich hatte überwiegend mein Körperbewusstsein verlassen.

Immerhin war mit der Erkenntnis des Kaum-Atmens ein Energieschub und eine Veränderung möglich. Ich verließ meine missliche Lage, suchte heilpraktische und medizinische Hilfe, erhielt eine Diagnose aus dem asthma- tischen Formenkreis und machte mehr schlecht als recht im Leben weiter.

Wie kommen wir im Körper an? Nochmal
Auf die Frage, wie wir im Körper ankommen, gibt es noch einiges zu nennen, was sehr zuträglich für körperliche Präsenz ist. Die Ernährung, die uns Nährstoffe, Energie und Genuss schenkt, stärkt im günstigen Fall die Lebensenergie und ist darauf individuell abgestimmt. Die körperlichen Aktivitäten, die über meist eingeschränkte Bewegungsmuster im Alltag hinausgehen, lassen Leiblichkeit und Energie spüren. Hier gibt es vieles, vom Sport, Wandern bis hin zum Tanzen, was die Lebensfreude zu wecken vermag. Auch Sexualität gehört hier dazu. In natürlicher Umgebung, zwischen Bäumen, Gewässern und Bergrücken, lässt sich Weite und Leichtigkeit erfahren. Sonnenstrahl weckt Lebenskraft.

 

Ich schaute in den blauen Himmel
und sah weit oben einen Vogel kreisen. Und in diesem staunenden Schauen kam ich dem Vogel-Sein nah.

 

Alles, was dem Eigenausdruck zugerechnet werden kann und im besten Sinne Kommunikation ist, ruft nach körperlicher Präsenz. Wirkliches Sprechen. Offenes Schauen und Anschauen-Lassen. Wenn es sein muss, Schreien. Weinen und Lachen. Nicht zuletzt: Berühren und Berührt-Werden. Berührt-Sein im umfassendsten Sinne. Und natürlich – das ist hier das Thema: Ein voller und freier Atem ist das Zeichen, lebendig im Körper angekommen zu sein.

Der Atem steht still

Drei Jahre nach den drei Wochen, in denen ich kaum atmend im Bett gelegen hatte, ging ich wieder in die Knie. Gezwungen von einer dauernden Beschwerlichkeit, die in meinem Leben Einzug gehalten hatte, suchte ich den geschützten Rahmen einer psychosomatischen Klinik auf.

Ich wollte mich nun grundsätzlich besser aufstellen und tieferliegende Hemmnisse angehen.
Aus einer umfangreichen Palette von Therapien sprach ich sehr gut auf eine rhythmusbasierte Großgruppentherapie an, die wöchentlich angeboten wurde. Eine Basstrommel schuf einen an den Herzschlag erinnernden Grundrhythmus. Es gab ständig wechselnde Anweisungen an die in einem großen Kreis

Stehenden, sich mit Schritten, Klatschen und Sprechakten dem Rhythmus hinzugeben. Was jedoch schnell zu einer Überforderung samt den dazugehörigen Gefühlszuständen führen konnte. Dann durfte man sich in den Kreis legen und in meditativer Ruhe spüren, was genau ausgelöst war.

In der vierten Woche ging ich innerhalb kürzester Zeit in den Kreis und zu Boden. Eine große Schwäche und Energielosigkeit überkam mich. Mit geschlossenen Augen lauschte ich fasziniert auf die rhythmischen Geräusche um mich herum und über mir.

Ich el in einen tranceähnlichen Zustand und verlor vollkommen mein Zeitgefühl. Dann war es mir, ich läge im Rahmen einer archaischen Zeremonie und war selbst der Rhythmus. Nach einer Weile näherte sich dann ein unbestimmter Zweifel in mir. Irgendetwas schien nicht zu stimmen, das ich zuerst nicht fassen konnte.

Durch die Jahre davor körper- und selbst- wahrnehmungsgeschult, leuchtete ich den gegenwärtigen Zustand nach dem auftauchenden Unwohlsein aus. Ich schien nichts zu spüren oder zu fühlen. Noch im tranceartigen Zustand liegend wurde plötzlich klar – und so riss es mich förmlich in die Körperlichkeit zurück – dass ich bereits eine ganze Weile nicht mehr geatmet hatte.

Der Atem stand still.
Diese Erkenntnis fuhr mir wie ein Schreck in alle Fasern. Ich fühlte pure Erstickungs- und Todesangst und begann hastig und panisch zu atmen. Ich litt zudem unter der Enge, als die ich meinen Körper wahrnahm.
Derart geschockt und unfähig, das gerade Erlebte zu kommunizieren, suchte ich das Weite und ging in den Außenbereich der Klinik, wo mich ein strahlend blauer Himmel empfng.

Wenn das Körperwesen atmet

Was dann geschah, verwunderte mich. Eben noch in panischer Angst, wandelte sich mein Zustand in ungewohn- ter Weise. Ich spazierte allein im Außenbereich, verweilte schlussendlich an einem ruhigen Platz, als meine gesamte Wahrnehmung sich intensivierte. Die fünf Sinne waren von hoher Sensitivität. Ich konnte die warme Sommerluft schmecken, und die Farben der Umgebung überwältigten mich.

Ich schaute in den blauen Himmel und sah weit oben einen Vogel kreisen. Und in diesem staunenden Schauen kam ich dem Vogel-Sein nah. Meine obere Schädelhälfte war wie offen, sie war auch der Himmel, in dem der Vogel erhaben seine Bahn zog. Das, was vorhin noch körperlicher Schrecken war, war nun gelöste und pulsierende Leiblichkeit. Ein fester Stand, aufgerichtet, eine als weit gefühlte Brust und dabei in Anbindung an Ebenen, die ich außerkörperlich wahrnehmen konnte. Von einer Einschränkung meines Atem usses gab es keine Spur mehr. Ich stand einfach, genoss den tiefen Atem, mit dem ich spielen konnte.

Und ich nahm die tiefe Gewissheit wahr, in diesem Moment angebunden und wesentlich zu sein.
Ich war angekommen in diesem Moment.
Ich war angekommen im Körper, den ich nun als ein Körperwesen wahrnahm, das anders und viel umfassender war, als ich es mir bisher vorstellen konnte.

Was ist das Körperwesen?

Ausgehend von diesem initialen Moment begann ich zu forschen, was das Körperwesen ist und wie es sich mir zeigt. Einige Beobachtungen: Das jeweilige Körperwesen ist einzigartig und sowohl seelische als auch bioenergetische Präsenz.

 

So gibt es z. B. Figuren der Verspannung und Figuren der Schmerzen.
Werden sie wahr- und angenommen („das bin ich auch“), können die dahinter liegenden Themen heilen.

 

Es schwingt gerne hoch und freut sich daran, erspürt und wahrgenommen zu werden. Das Körperwesen ist Intelligenz und lässt sich auf geistiger Ebene wahrnehmen und ansprechen. Es ist Zellgedächtnis und DNA-informiert. Das Körperwesen ist auch Knochenbewusstsein, Organbewusstsein, Muskel- und Bindegewebsbewusstsein. Die Kommunikation mit dem Körperwesen ist auch Kommunikation mit dem (körperlichen) Unbewussten. Das Körperwesen vermittelt sich über Körperempfindungen und die damit zusammenhängenden Emotionen und Gefühlen.

Es zeigt sich in Form verschiedener bioenergetischer Figuren. Diese rühren oft aus vergangenen unverarbeiteten Lebensereignissen. So gibt es z. B. Figuren der Verspannung und Figuren der Schmerzen. Werden sie wahr- und angenommen („das bin ich auch“), können die dahinter liegenden Themen heilen. Das Körperwesen probiert aber auch gerne neue bioenergetische Figuren aus (wie fliegender Adler, weißer Samurai, Königin), die zu neuen Seins-Erkenntnissen führen. Das Körperwesen liebt es, ganz es selbst zu sein. Das ist es, wenn es spürbar angebunden ist. Dann bist du unverstellte Wesensenergie und spürst den Lebensatem, der fließt, und du spielst mit ihm.

 

Ankommen: Bewusstseinsübung mit dem Körperwesen
1. Ich sitze, liege oder stehe.

Ich schaue hinter meinen geschlossenen Augen und atme. Was ist das genau, wie ich sitze, liege oder stehe?
Welche Figur ist das?
Wie spüre ich sie?
Was ist ihre Energie?

2. Was taucht auf?

Eine Spannung, ein Schmerz
oder ein Druck?
Was ist das genau, diese Spannung, dieser Schmerz, dieser Druck? Woran erinnert das, was ich spüre? Was darf sich zeigen und zeigt sich?

3. Wie geht oder steht der Atem?

Wie ach oder tief ist er? Stockt er und wenn ja, wo? Wird er frei und tief, hat das Thema sich gelöst.

Die Auflösung

Die oben geschilderte „Figur des stillstehenden Atems“, zeigte mir nach vielen Jahren und Erkundungen den Hintergrund und die Lösung: In den ersten Lebenstagen setzte die Atmung eine Zeitlang aus, und diese trauma- tische Situation speicherte sich ab. Mit dem Atemstillstand stand die Lebensenergie still. Ich war hier familiensystemisch verbunden mit einem Kind, das direkt nach der Geburt starb, da die Lungen nicht atemfähig ausgebildet waren. Beides deckte sich auf, und in der Folge verschwand die Enge in der Brust, unter der ich so lange gelitten hatte. Das Thema Brusterweiterung nahm ab da auch beruflich einen Platz in meinem Leben ein.

Tilmann Cramer

Dipl. Sozialarbeiter und Heilpraktiker für Psychotherapie.

Bioenergetisches Coaching und Kommunikation mit dem Körperwesen (seit 2019)

Info und Kontakt unter Tel.: 01573-20 70 754

www.brusterweiterung.jetzt

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