Abb.: © JrCasas-stock.adobe.comLebensfördernde Wirtschaft – Ökonomie der Angstfreiheit 29. August 2022 Neue Wirtschaft 1 Kommentar Die Vision einer neuen Erde, einer lebensfördernden Wirtschaft und einer friedvollen Kooperation mit der Natur, die keine Utopie bleiben muss… von Christa Leila Dregger Ich nenne die Erde – wie sie sich uns jetzt darstellt mit all unseren menschlich-brutalen Veränderungen – Planet A. Und die neue Erde Planet B. Sie ist eine Welt, in der Menschen voreinander keine Angst haben. Das führt zu völlig unerwarteten Konsequenzen. Unter anderem wird es den Walen besser gehen. Wie bitte? Sie denken, das seien zwei völlig unterschiedliche, voneinander unabhängige Tatsachen? Irrtum, beides hängt zusammen. Die Wale, unsere fernen Verwandten in den Weltmeeren, produzieren seit dem Corona-Lockdown viel weniger Stresshormone. Sie können sich wieder durch ihr Echolot orientieren, denn unter Wasser ist es stiller geworden. Der Motorlärm von Containerschiffen oder Kreuzfahrten ist auf ein erträgliches Maß gesunken, da der globale Handel auf ein Minimum geschrumpft ist. Warum aber behaupte ich, Angstfreiheit werde denselben Effekt haben? Strapazieren wir einmal unsere utopische Fantasie! Stellen wir uns vor: ein Leben ohne Angst vor anderen Menschen… Also: Wir gehen morgens aus dem Haus zur Arbeit – nicht aus Leistungsdruck oder weil wir Angst haben, unsere Familie sonst nicht ernähren zu können. Sondern weil wir die Arbeit gern tun und sie sinnvoll finden. Wir setzen uns in der Straßenbahn neben einen fremden Menschen und beginnen ein Gespräch. Natürlich interessiert uns der Sitznachbar, warum sollten wir schweigen, wenn wir keine Angst mehr vor Peinlichkeit haben? Vielleicht mischen sich andere ein, weil wir ein interessantes Thema gefunden haben. Wenn wir jemanden attraktiv finden, dann zeigen wir das – warum nicht? Wir haben ja schließlich keine Angst: nicht davor, dass der Lebensgefährte erschrickt, denn der hat ja auch keine Verlustangst mehr. Auch nicht vor Ablehnung: Wenn der andere mich nicht so attraktiv findet oder gerade anderes im Kopf hat, sagt er es freundlich, aber ohne unnötige Aggression, denn er hat ja auch keine Angst. Den echten Bedürfnissen folgen Ohne Angst werden wir uns weder bei der Arbeit noch im Verkehr noch in der Familie gegen andere behaupten, recht haben, miteinander konkurrieren, uns übertrumpfen, Anerkennung suchen. Denn wir kennen unsere Liebenswürdigkeit. So werden die Gespräche interessanter, Kontakte erfüllender, man hört sich tatsächlich zu. Wir essen, wenn wir Hunger haben – nicht aus Langeweile oder um Aggressionen oder Ängste abzubauen. Wir kaufen etwas, weil wir es brauchen, es uns das Leben erleichtert oder wir es schön finden – nicht aus Statusgründen, Langeweile oder Gier. Wenn wir etwas verkaufen, versuchen wir, gemeinsam mit dem Käufer einen fairen Preis zu ermitteln – und nicht so viel wie möglich für uns selbst herauszuschlagen. Wir müssen überhaupt kein Geld mehr anhäufen, um uns sicher zu fühlen. Wir haben auch keine Angst mehr vor uns selbst und vor dem Allein-Sein. Wir müssen uns nicht mehr ablenken durch riesige Unterhaltungsprogramme. Wir fahren nicht mehr um die halbe Welt, um Abenteuer oder Entspannung zu finden – wir sind dort, wo wir sind, mit ganzem Herzen und ohne Angst. Wenn eine Freundin etwas braucht, was wir haben, schenken wir es ihr gerne. Auch Geld, denn sie liegt uns am Herzen, und wir haben ja keine Angst, dass wir dann selbst zu wenig haben könnten. Durch den intensiveren Kontakt in unserem Umfeld merken wir, wenn Nachbarn Hilfe benötigen – und helfen. Umgekehrt sind wir uns nicht zu schade, um Hilfe zu bitten, wo wir sie selbst einmal brauchen. So entstehen lebendige Schenkökonomien. Regional und dezentral Schön? Ja. Und eine reale Erfahrung in vielen Gemeinschaften und Ökodörfern, die ich kenne. Aber für die Industrie und den Welthandel ist Angstfreiheit der reinste Alptraum. Denn jede einzelne Situation auf Planet B besagt: Wir müssen nicht mehr so viel konsumieren. Wir kümmern uns umeinander. Banken, Pflegedienste, Versicherungen verlieren an Boden, denn wir haben ja keine Angst, dass wir irgendwann selbst zu wenig haben könnten. Wir brauchen für unser Glück nicht mehr diesen ganzen Mist, den man da ständig um den Globus schippert. Was an Gütern noch benötigt wird, kann auch regional erzeugt werden, fast überall auf dem Planeten. Ergo: Die Containerschiffe bleiben liegen, die Wale dürfen sich entspannen. In der Zeit meiner Großeltern kamen noch fast alle Gebrauchsgüter aus der Region. Heute wäre das angesichts moderner Methoden der Permakultur, des regionalen Wassermanagements, der dezentralen Energievesorgung, der gemeinde-gestützten Landwirtschaft sogar noch leichter als damals – immer in Kooperation mit der Natur. Was dann noch bleibt an Produkten anderer Regionen, an Spezial- Technologien, an gelegentlichen Überseegütern für einen besonderen Luxus: Das ist der exotische Rest, mit dem wir dann auf Planet B Tauschhandel betreiben können. Organ inmitten anderer Organe Auf Planet A waren Angst, Misstrauen und Mangeldenken die wichtigsten Steuermechanismen der Wirtschaft. Das hat ihn ruiniert. Auf Planet B spürt mensch wieder, dass er Teil eines Ganzen ist, Organ inmitten anderer Organe in einem gemeinsamen Organismus. Schmerz und Freude eines anderen Organs sind der eigene Schmerz, die eigene Freude. Würde die Leber den Magen übervorteilen wollen? Würde das Herz sich auf Kosten der Lunge an Sauerstoff bereichern? Kein Organismus würde das überleben. Nein, alle sind auf gegenseitige Unterstützung bedacht: Wenn es den anderen gut geht, geht es mir auch gut. Wir können alle Ungleichheit unter Menschen darauf zurückführen, dass wir diese Tatsache verdrängt haben. Auch Mangeldenken ist der Natur fremd. Ein Baum erzeugt im Laufe eines Lebens viele tausend Samen, verschenkt seine Früchte unglaublich großzügig, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Großzügiges Schenken aus vollem Herzen sowie anmutiges Annehmen von Geschenken – das ist „heilige Ökonomie“: die ursprünglichste Form des Wirtschaftens. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen ein Wirtschaftskollaps droht, ist sie die nachhaltigste, sozialste, sicherste Wirtschaftsweise. Bei einigen Stämmen nordamerikanischer Ureinwohner galt der als reich, der am meisten verschenken konnte. Es waren hochgeachtete Respektspersonen. Als arm galten hingegen die, die alles für sich behalten oder an sich raffen wollten. Sie hatten wenig Anteil am gesellschaftlichen Leben und wurden allgemein bemitleidet trotz all ihrer Güter. Genauso mitleidig werden eines Tages die Bewohner von Planet B an uns Planet-A-Bewohner zurückdenken. Glücklicherweise haben wir uns rechtzeitig daran erinnert, dass wir nicht allein sind auf der Welt. Leben mit der Erde Auf Planet B werden wir Partner der Erde sein. Partner sind Wesen, die sich gegenseitig achten und liebend unterstützen. Mit der Erde zu leben bedeutet, sie als Wesen wahrzunehmen, auf sie zu hören und so umsichtig, fürsorglich und klug zu agieren, dass wir sie nicht nur nicht zerstören, sondern gemeinsam ihr und unser höchstes Potential entfalten. Unsere Vorfahren konnten das. Sie brauchten keine Supermärkte. Die Erde gab ihnen alles, was sie brauchten. Als Sammler fanden sie Nahrung in Fülle und Vielfalt, lebten vitaminreicher, bewegungsreicher und wesentlich gesünder – bei kürzeren „Arbeits“- zeiten – als ihre Nachfolger, die ersten Ackerbauern. Geborgen wie ein Kind im Mutterschoß, empfanden sie sich als Teil von allem, was sie umgab, von einem großen umsorgenden Ich: Die Erde war gewaltig, sinnlich, großzügig wie eine Mutter. Sie sorgte für sie, ernährte und schützte sie, und sie dankten ihr durch Gebete, Rituale, orgastische Feiern. Es war ein Geben und Nehmen: Je mehr sie das Leben und die Lebendigkeit bejahten, um so besser verstanden sie sie. Je mehr sie die Geschenke der Erde wertschätzten und genossen, um so mehr erhielten sie. Die Ökofeministin Starhawk weist darauf hin, dass das voreuropäische Amerika in seiner großen Fruchtbarkeit keine Wildnis war, sondern Kulturland – entstanden durch tiefe Kooperation der amerikanischen Ureinwohner mit Mutter Erde. Unsere Vorfahren waren denkende Menschen wie wir; aber ihr Denken kam nicht aus Kampf, Trennung und Kontrolle, sondern aus der sinnlichen, lebendigen Einheit mit allem Sein. Dadurch kamen sie auf ganz andere Lösungsansätze. Ihre Leistungen sind bis heute unerklärlich: Der Transport großer Basaltfelsen über hunderte Kilometer ohne Maschinen. Deren astronomisch exakte Ausrichtung nach den Sternen. Die Kenntnis, wo in über tausend Kilometern Entfernung die farbigen Gesteinsarten zu finden waren, die sie für Höhlenmalerei brauchten. Ihre Navigationskünste auf dem Meer. All das war lebendiges Kooperationswissen. Nach 7000 Jahren Fortschritt rennen wir heutigen Menschen unwissend auf der Erde herum – abhängig von Supermärkten, Banken und Handelsketten – ohne Zeit zum Nachdenken, ohne Ohr für die Erde. Als wir uns die Erde untertan machten, als wir sie und gleichzeitig das Weibliche und die Sinnlichkeit zu etwas Schmutzigem erklärten, verloren wir unsere Mutter. Doch sie ist noch da. Mit ihr zu leben – wie könnte das heute aussehen? Hier und dort gelingt es. Im berühmten Findhorn-Garten in Schottland schuf die Natur riesige Kohlköpfe und andere ungeheure Ernten auf kargen Sandböden, weil die Gärtner angefangen hatten, auf ihre Stimme zu hören. Der deutsche Grundschullehrer Eike Braunroth fand eine Methode, mit so genannten Schädlingen so zu kommunizieren, dass er sie nicht bekämpft, sondern sogar einlädt in seinen Garten – und dieser um so mehr Früchte hervorbringt. In Tamera beobachten wir das Wunder der Naturkooperation zum Beispiel bei den Wildschweinen: Statt unsere Gärten zu zerstören, wühlen sie Brachland auf, wo wir neue Gärten anlegen können. Lebensfördernde Wirtschaft – Die Natur als Vorbild Wie wird das erst, wenn wir unsere technische Intelligenz, unsere Abstraktionsfähigkeit, unsere utopische Kreativität mit einbeziehen in die Kooperation mit unserer Mutter Erde? Was wird geschehen, wenn wir aufhören, die Naturwesen als Schädlinge zu bekämpfen, uns vor ihnen zu schützen und gegen die Natur zu handeln – und statt dessen mit ihr? Wenn wir Widerstände nicht mehr brechen, sondern intelligent lenken? Wenn wir den Bewegungsdrang von Tieren, vom Wasser oder uns selbst nicht mehr stören und abblocken, sondern fördern und einsetzen? Wenn wir von innen verstehen, warum Bäume viel effektiver kommunizieren als jede Digitaltechnik – und dies für unsere eigene Kommunikation nutzen? Wenn wir begreifen, was Spinnenfäden 50 mal stabiler macht als ein Stahlseil? Wenn wir verstehen, auf welche Weise Vogelgesang das Pflanzenwachstum fördert und mit welchen Musikfrequenzen wir die Lebensmittelqualität erhöhen können? Es gibt tausend Dinge zu lernen, wenn wir in der Erde ein geistiges Gegenüber gefunden haben. Wie anders werden die Städte von Planet B aussehen: Siedlungen aus semipermeablen Wänden, eingebettet in essbare Landschaften, mit Lebensmittelbiotopen an Hauswänden und auf Dächern, mit Bachläufen, Klärkaskaden und Nischen, in denen sich frei lebende Tiere auch in Menschennähe wohlfühlen. Industrieparks in Kooperation mit dem Leben. Synergetische Technologien. Harmonikale Bauformen. Und große, große Mischwälder. Nähe, Kontakt, Lebendigkeit sind die echten Maßstäbe für den Systemwechsel. Auf Planet B wird unser Erfindergeist immer neue Formen von Miteinander, von Berührungsflächen, von Kooperation mit allen Lebewesen entwickeln. Die Erde wird sich mit ungeahnter Fruchtbarkeit und Vielfalt bedanken. Damit erwacht auch unsere eigene Lebendigkeit und Sinnenfreude, denn auch die gehört zur Natur, zum Dank an Mutter Erde. Eine Antwort Mechtild Lutze 6. September 2022 Mechtild Litze Ein berührender Artikel zur Gemeinwohl-Ökonomie-ökologisches Wirtschaften von Christa Leila Dregger. Nur gemeinsam können wir das Ziel – Planet B erreichen. Lasst uns dafür leben und all die Menschen im uns herum anstecken, es auch zu wollen. Mechtild Lutze Antworten Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.
Mechtild Lutze 6. September 2022 Mechtild Litze Ein berührender Artikel zur Gemeinwohl-Ökonomie-ökologisches Wirtschaften von Christa Leila Dregger. Nur gemeinsam können wir das Ziel – Planet B erreichen. Lasst uns dafür leben und all die Menschen im uns herum anstecken, es auch zu wollen. Mechtild Lutze Antworten