Verglichen mit den 24 Stunden, die eine Eintagsfliege lebt, erscheint ein Menschenleben lang. Doch angesichts des Alters von mehr als tausend Jahre alten Bäumen, der Bauwerke aus der Vergangenheit: der Burgen, Schlösser, Kirchen, des Alters der Pyramiden in Ägypten oder unserer Erde und der unvorstellbar großen Entfernungen im Weltall, ist es nicht mehr als ein Augenzwinkern.
Es gibt zahlreiche Sinnbilder für das Leben und seine Phasen. Jeder Tag ist eines. Morgen, Mittag, Abend, Nacht. Der Mond mit seinem monatlichen Rhythmus ist wie das Jahr Symbol für die Zyklen des Lebens. Unsere Sprache verfügt über viele Metaphern, die wir gebrauchen, ohne sie uns bildlich vorzustellen, wie:

  • Der Lebensweg mit seinen Kreuzungspunkten, an denen sich die Menschen entscheiden können, welche Richtung sie einschlagen und so selbst bestimmen, welche Variante ihres Lebensplans verwirklicht wird.
  • Die Lebensreise, eine Pilgerfahrt mit verschiedenen Stationen. Erich Kästner schrieb: Wir sitzen alle im selben Zug, doch viele im falschen Coupè.
  • Das Buch des Lebens, in das wir unsere Lebensgeschichte ins reine schreiben. Radieren ist nicht erlaubt. Die Worte werden uns als Linien und Falten quasi ins Gesicht geschrieben.
  • Der Lebensbaum. Er ist als Stammbaum gleichzeitig Sinnbild für unser Verwurzelung  in unserer Familientradition.

Alle wollen alt werden, aber niemand will alt sein. Ein Paradox. Wir fürchten uns vor den Beschwerden des Alters, davor, auf Pflege angewiesen zu sein. Eingebunden in den Kreislauf von Werden und Vergehen, werden wir jeden Tag älter. Ausbildung, Beruf, Heirat, Kinder und Enkel bekommen; älter werden, alt werden, alt sein, die übliche Lebensgeschichtemit ihren – Wendepunkte und Abschnitten. Wir klammern uns ans Jungsein, wollen jung bleiben, um nicht der Tatsache ins Auge sehen zu müssen, dass es in Europa bald mehr Alte als Junge geben wird. Kinder können es kaum erwarten: Wenn ich einmal groß bin. Schulkinder möchten die Schule hinter sich bringen, die Ferien sind immer zu kurz. Jugendliche sehen ihrem 18. Geburtstag voller Spannung entgegen. Selbst bestimmen, erwachsen sein.

Auch die Sexualität verändert sich in den verschiedenen Lebensabschnitten. Ist sie in der Kindheit von Geheimnis umwittert, so verunsichert und verlockt sie in der Pubertät die Heranwachsenden, früher (immer früher)  oder später ihre ersten sexuellen Kontakte zu knüpfen, die trotz aller Aufklärung immer noch zu häufig zu Schwangerschaften führen und so die Lebensplanung der jungen Eltern, meist der jungen Mütter, durcheinander bringen. In der Familienphase ist sie eher einem Auf und Ab unterworfen, und gewinnt in der Zeit, in der die Kinder größer oder flügge werden, wieder einen größeren Freiraum und kann sich, entgegen den allgemeinen Vorstellungen, mit den Jahren bis ins Alter immer mehr vertiefen und schöner werden.

Die Lebensphasen werden vom Rhythmus der Jahreszeiten und der regelmäßig wiederkehrenden Tierkreiszeichen und Planeten bestimmt, nach dem sich bereits die Babylonier richteten. Die Astrologie ordnet die Wendepunkte in den verschiedenen Lebensphasen den Planeten Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto zu. Das Universum gibt uns so immer wieder Impulse und Gelegenheiten, uns neu zu orientieren und eine Richtung einzuschlagen, die uns auf unserem Weg Nachhause führt. So sind oft gerade traumatische Ereignisse Anstöße zu persönlichem Wachstum.
Uranus braucht für eine Reise durch den Tierkreis 84 Jahre, ein durchschnittliches Menschenleben, und ist die Lebensuhr am Him-mel. Er steht für den Bruch mit der Tradition, die Entwicklung des Neuen und sorgt für Überraschungen und plötzliche Veränderungen. Wenn Uranus in herausfordernden Winkeln zu seiner Geburtsstellung steht, erleben die meisten Menschen einen Übergang von einer Lebensphase in die nächste. Die 21jährigen nabeln sich endgültig von den Eltern ab, 40-42jährige erleben manchmal die Midlifekrisie als Wendepunkt. Deshalb beginnen sie oft etwas ganz Neues. Manche Frauen werden (noch einmal) schwanger. Männer, die sich über den Beruf definieren, halten Rückschau, ob sie das Ziel erreicht haben, das sie angesteuert hatten. Oft tauschen sie die Frau, die ihnen während des Aufbaus ihrer Karriere den Rücken gestärkt haben, gegen eine jüngere „Lebensabschnitts“partnerin ein. Die verlassenen Frauen fühlen sich eher vom „Leben abgeschnitten“. Aber die meisten nehmen, anstatt zu verzweifeln die Herausforderung an und stellen sich auf die eigenen Füße, nehmen den wegen der Eheschließung unterbrochenen Beruf oder die Berufsausbildung wieder auf, oder verwirklichen ihre bis dahin hintan gestellten künstlerischen Neigungen.

Das letzte Quadrat zur Geburtsstellung bildet Uranus bei den 60-65jährigen, er leitet damit einen neuen Lebensabschnitt, das Seniorendasein, den Ruhe- oder Unruhestand, ein. Nicht mehr dem Berufsleben verpflichtet, können vor allem die Frauen, die nicht in traditionellen Rollen verharren, ein eigenständiges Leben beginnen. Heute ist ja eine Großmutter keine alte Oma (ein Wort, das ich hasse) mehr. Viele der 60-65jährigen Männer wollen dagegen die Uhr anhalten, bevor sie sich zur Ruhe zu setzen. Sie gründen mit Partnerinnen im Alter ihrer Töchter oder Enkelinnen noch einmal eine Familie und machen sich so ihre Enkel ‚selbst‘.
Bewusst lebende Menschen können im Alter auf einen unendlichen Reichtum an Erfahrungen, schöne, schmerzliche, aber lehrreiche Erfahrungen zurückblicken.

Im Rückblick sehe ich, wie auch mein Leben von Saturn und Uranus bestimmt war und ist. Einen Tag vor meinem 40. Geburtstag ließ ich meine Angst vor dem Altwerden hinter mir und entschied mich dafür, von nun an bewusst zu leben und die Jahre zu genießen. Es kam unendlich viel Neues auf mich zu. Es war, als ob sich alle Türen öffneten: Die erste Reise nach Griechenland. Und, und, und … Zweieinhalb Jahre später lernte ich meinen gut dreizehn Jahre jüngeren Partner kennen. Mit 42 begann ich zu malen.
Seit Juli 1999 bin ich im Unruhestand. Ein neuer Lebensabschnitt. 2001 werde ich 65. Jetzt schreibe ich. Ich nehme mir die ganz Alten zum Vorbild. Norbert Elias etwa, der grundlegende Erkenntnisse der menschlichen Sozialisationsgeschichte erforscht hat. Er zögerte nicht, anstatt, wie vorgesehen, für 20 bis 30 TUStudenten ein Kolloquium zu halten, vor 700 Hörern zu sprechen, die gekommen waren, weil es die letzte Gelegenheit war, den über Neunzigjährigen zu erleben.

Zu den Frauen, die meine Vorbilder sind, gehören neben vielen anderen Blandine Ebinger, die Sängerin, die schrille Lotti Huber oder Inge Morath, die in Amerika lebende Fotografin aus Wien, und die in Tel Aviv und Berlin lebende Inge Deutschkron, Autorin von „Ab morgen heißt du Sarah“ und anderen Büchern, die als Jüdin in Berlin im Versteck die Nazizeit überstand.

Obwohl immer mehr Mittel gegen Krankheiten und Altern entwickelt werden, endet noch immer jedes Leben in der letzten Phase mit dem Tod, das ist das einzig Sichere. Für einige viel zu früh, für die meisten nach einem mehr oder weniger erfüllten Leben, für viele ist der Tod eine Erlösung aus langem Siechtum. Wenn ein Kind oder ein junger Mensch stirbt, oder gestern noch quicklebendige Menschen von unserer Seite gerissen werden, finden wir das sinnlos oder grausam und fragen: „Warum?“ Darauf gibt es keine Antwort. Rainer Maria Rilke schreibt: Erde … dein heiliger Einfall ist der vertrauliche Tod.

So schlimm die Krankheit Aids auch ist, trug sie doch dazu bei, dass Mitte der achtziger Jahre Tod und Sterben ihren Tabucharakter verloren und in den Medien offen darüber gesprochen werden konnte. Manche der an Aids erkrankten jungen Männer redeten im TV mit einer Gelassenheit über ihr nahes Ende, die zeigte, dass sie nicht mit ihrem Schicksal haderten, sondern Frieden geschlossen hatten. Ich lernte von diesen Menschen, dem Sterben mit weniger Angst entgegen zu sehen. Auch wir können uns mit demTod anfreunden. Es gibt Seminare, in denen das Sterben, die universelle Erfahrung, die keinem erspart bleibt wird, lebens- bzw. todesnah geprobt wird. Da gilt es, den ganzen Lebensfilm noch einmal ablaufen zu lassen, Unerledigtes in Ordnung zu bringen, Wichtiges und Unwichtiges, Schönes und Hässliches loszulassen, Abschied zu nehmen, zu erleben, wie sich der Kreis schließt und sich vorzustellen, wie das Lebenslicht verlischt. Ich spürte in der Stunde zwischen völligem Loslassen und neuem Beginn universellen Frieden. Die Begegnung mit dem Sterben, dem Tod lehrt, bewusster zu leben und jeden Tag in jeder Lebensphase neu zu genießen.

Über den Autor

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Jg. 36, Autorin, verh., zwei Söhne, zwei Enkel, dem Sein mit Beiträgen seit 1999 verbunden, seit den siebziger Jahren auf dem spirituellen Weg. (Seminare u. a. bei Frank Natale, Life skills Training bei Markus Klepper, Frank Fiess, Tantraseminare, Energie-, Eros- und Essencia®-Training bei Michael Plesse/Gabrielle St. Clair.) Kenntnisse in Graphologie, Astrologie, Farbpsychologie.

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