Was wäre, wenn die Gesellschaft Jugendlichen mit mehr Respekt begegnen würde? Wenn sie deren Zukunftsängste und deren Hoffnungen wirklich ernst nähme und ihnen eine wirkungsvolle Stimme gäbe…? Der Spaltung der Gesellschaft muss ein neues Gemeinschaftsgefühl entgegengesetzt werden…

von Aman

Wie sind junge Menschen im Jahr 2020 gestrickt? Welche Werte sind ihnen wichtig und was sind ihre Hoffnungen und Sorgen für sich selbst und die Gesellschaft? Das auf psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung spezialisierte Heidelberger Sinus-Institut befragt dazu alle vier Jahre 14- bis 17-Jährige in Deutschland und kommt zu dem Schluss, dass Jugendliche in Deutschland sich um sich selbst weniger Sorgen machen. Dagegen zeigen sie sich eher pessimistisch, was die Zukunft und die Spaltung der Gesellschaft angeht. Was sich durch die „Fridays for Future“-Proteste schon offenbart, wird durch die Studie bestätigt.

Jugendliche beschäftigen sich mit den großen Zukunftsthemen, wie Klimawandel und soziale Gerechtigkeit. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der Erde wird von ihnen als Katastrophe gesehen, die von den Erwachsenen nicht wirklich ernst genommen wird. Vor allem fühlen sie sich durch die Politik und von der älteren Generation zu wenig gehört und gesehen. Es herrscht das Gefühl vor, keine Macht und keinen Einfluss zu haben. Die Jugendlichen suchen „Zugehörigkeit, Halt und Orientierung“ in einer zunehmend unsicheren, globalisierten Welt. Viele befürchten die Ausbreitung von Hass und Aggression und das Fehlen von Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Eine andere Untersuchung, die Shell-Jugendstudie, gelangt zu der Erkenntnis, dass im Schatten der engagierten, weltgewandten Jugendlichen, die sich an den Fridays-for-Future-Protesten beteiligen und sich mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt austauschen, eine andere Gruppe heranwächst, die sich missverstanden und manipuliert fühlt und Verschwörungstheorien und die Denk- und Verhaltensweisen von Populisten übernimmt.

Der Individualpsychologe Alfred Adler äußerte schon vor 150 Jahren, dass die Welt am meisten ein Gemeinschaftsgefühl braucht und keine Spaltung der Gesellschaft. Der Sinn des Lebens sei ein Gemeinschaftsgefühl zur Lösung der Lebensfragen. Für Adler ist dieses Gefühl der Gradmesser für die seelische Gesundheit des Individuums und der Gesellschaft. Er provozierte gerne mit Sätzen wie: „Wir können uns in vierzehn Tagen von unseren Depressionen befreien, wenn wir uns nur jeden Tag überlegen, wie wir anderen helfen können.“ Er war der Überzeugung, dass jeder Mensch lernen könne, ein erfülltes Leben zu führen. Charakter entstünde nicht durch Vererbung, sondern durch die schöpferische Kraft des Einzelnen. Für Adler ist die Geschichte der Menschheit auch die Geschichte darüber, wie der Mensch mit einem in der Kindheit entwickelten Minderwertigkeitsgefühl umgeht und wie seine Versuche aussehen, diesen Minderwertigkeitskomplex aufzulösen. Der Weg aus der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit kann mit dem Streben nach Macht, wie die Erfahrung zeigt, auch überkompensiert werden. Adler plädierte dafür, Kindern Mut zu geben. Denn ein Kind, das die Hoffnung verliert, sei das Gefährlichste, weil es anfällig ist für rechtsradikales Gedankengut, Terrorismus u. a.. Er beobachte auch, dass ein ichbezogener Mensch, der lernt, sich in Richtung des Gemeinschaftsgefühls zu entwickeln, wesentliche Lebensirrtümer korrigieren kann.

Die Massenunruhen Jugendlicher in Stuttgart und Frankfurt, deren Ursachen offensichtlich in den auferlegten Einschränkungen sozialer Kontakte und der generellen Beschneidung der Lebensqualität in den Zeiten der Coronakrise zu finden sind, sollten als Schrillen der Alarmglocken gedeutet werden. Es braut sich nicht nur in Deutschland und Europa etwas zusammen, das mit einem positiv besetzten Begriff von Anarchie wenig gemein hat und in den Zeiten der 68er noch das Gefühl vermittelte, dem damaligen, ungeliebten System, das von Altnazis und Ewiggestrigen dominiert war, eine relativ friedfertige Alternative vor die Nase setzen zu können.

Die Anarchie der Jetztzeit

Die Anarchie der Jetztzeit ist zwar noch nicht geprägt von der Abwesenheit des Staates und institutioneller Gewalt wie Justiz und Polizei. Die Gefahr, dass es in diese Richtung geht, besteht hierzulande aber zusehends. Da sind die USA schon weiter. Dort zeigt ein in seine Rolle des Tyrannen hineinwachsender Präsident, wie leicht es ihm gemacht wird, durch Missbrauch sozialer Netzwerke die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben und Teile dieser Gesellschaft für den eigenen Machterhalt zu instrumentalisieren. Es mehren sich die Stimmen, die offen über die Möglichkeit eines Bürgerkrieges in den Vereinigten Staaten spekulieren, sollte der derzeitige Amtsinhaber Trump die Präsidentschaftswahl am 3. November nicht anerkennen, falls er verliert. Martialisch bewaffnete Bundespolizei darf derweil im Auftrag Trumps und entgegen dem Willen demokratischer Gouverneure das Einsammeln und Wegsperren von Demonstranten trainieren.

Die Dokumentation von Michael Moore „11/9 Fahrenheit, wie konnte Donald Trump US-Präsident werden?“, oder der Buch-Klassiker von Alan Bullock „Hitler, eine Studie über Tyrannei“, dürften nochmals deutlich machen, wie schleichend die Machtergreifung eines Willkürherrschers abläuft und wie man die Spaltung der Gesellschaft heute verhindern kann.

Die Spaltung der Gesellschaft muss verhindert werden

Wie sich aus der Erfahrung der Weimarer Republik und der Machtergreifung der Nazis zeigt, wissen wir – falls wir im Geschichtsunterricht aufgepasst haben –, was passiert, wenn der Spaltpilz die Gesellschaft infiziert. Am Anfang des Staatszerfalls steht die Zersetzung der Ordnungsorgane, zum Beispiel der Polizei. Warum sollten ein Polizist oder eine Polizistin – sowieso schlecht bezahlt, von Clankriminellen aufgrund einer durchsetzungsschwachen Justiz verlacht und zudem zur Durchsetzung fragwürdiger Geschäftsmodelle (Atomkraft, Kohle, Gentechnologie) bei Demonstrationen missbraucht – weiter die Grundrechte der Bürger dieses Landes schützen? Diese Frage gewinnt noch an Brisanz, wenn ein Großteil der Gesellschaft die Herabwürdigung der Polizei durch ihre Passivität duldet oder, wie unlängst geschehen, wenn diese Nichtachtung durch ein linkes Presseorgan sogar aktiv gefördert wird.

Beispiel: Im Juni 2020 stellte Hengameh Yaghoobifarah in ihrer Kolumne in der Tageszeitung TAZ das Thema der internationalen Bewegung „Black Lives Matter“ in einen Zusammenhang mit Rassismus bei der Polizei „auch in Deutschland“. In dem Text wird mit dem Gedanken gespielt, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber bliebe. Zum Schluss der Kolumne heißt es: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ Die TAZ sprach im Nachhinein von einer Satire und dass der Beitrag vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit abgedeckt sei. Schon im Oktober 2017 veröffentlichte die TAZ eine Kolumne von Yaghoobifarah mit dem Titel „Deutsche, schafft euch ab!“ Dort heißt es: „Der deutsche Hass auf Muslim_innen und die Paranoia vor einer – was auch immer das sein soll – Islamisierung der deutschen (wortwörtlich) Dreckskultur hält Kartoffeln davon ab, ein schöneres Leben zu führen.“ Oder, „Sarrazin hat auf 464 Seiten Verantwortliche für die Abschaffung Deutschlands gesucht, aber die größte Problemkindergruppe vergessen: die Deutschen selbst. Sie schaffen sich selber ab. Ich hoffe, sie beeilen sich.“

Was für eine Außenwirkung haben solche Worte, die mit Satire und Polemik nichts mehr zu tun haben. Das ist Rassismus pur, verletzend und Hass provozierend. So gesehen kann die Haltung der TAZ die Spaltung der Gesellschaft – durch Duldung von Beiträgen wie der von Hengameh Yaghoobifarah – der Anfang vom Ende der freien Presse und des eigenen Mediums bedeuten. Wenn rechtsradikale Teile der Gesellschaft weiter Aufwind erfahren und irgendwann einmal Regierungsverantwortung übernehmen sollten, ist die Demokratie in Gefahr und sind Ermächtigungsgesetze nicht mehr weit. Dann war´s das mit der Meinungsfreiheit. Man fragt sich, ob wir hier gerade ein Experiment erleben, in dem festgestellt werden soll, ob Menschen intelligent genug sind, aus Erfahrung zu lernen. Der Autorin Hengameh Yaghoobifarah sollte trotz allem, im Sinne einer Persönlichkeitsanalyse Alfred Adlers, Verständnis statt Ablehnung entgegengebracht werden. Manchmal schießt man/frau einfach über das Ziel hinaus. Vielleicht sollten wir sie einfach fragen, was sie sich wünschen würde, um ein respektierter Teil dieser Gesellschaft zu werden.

Statt Spaltung der Gesellschaft Gemeinschaftsbildung

Welche Herausforderung die Jugend zu einer weltweit handelnden Gemeinschaft zusammenschweißen könnte, hat unlängst der 101 Jahre alte Universalgelehrte James Lovelock in einem Interview mit der Zeitung The Guardian benannt. Der Mitbegründer der Gaia-Theorie (Die Gaia-Hypothese besagt, dass die Erde und ihre Biosphäre wie ein Lebewesen betrachtet werden können, da die Biosphäre (die Gesamtheit aller Organismen) Bedingungen schafft und erhält, die nicht nur Leben, sondern auch eine Evolution komplexerer Organismen ermöglichen – aus: wikipedia) geht davon aus, dass das Covid-19-Virus ein Teil der Selbstregulierung von Gaia ist. Lovelock hält die Wahrscheinlichkeit für sehr groß, dass sich ein Virus entwickelt, das die stark wachsende menschliche Population auf ein für Gaia verträgliches Maß verringert.

Lovelock beklagt auch, dass es noch immer große Einwände gegen die Gaia-Theorie gibt – auch von Seiten der Wissenschaft, die nicht akzeptieren will, dass wir in einem geschlossenen, sehr prekären, sich selbst regulierenden System leben, das wir insgesamt stabilisieren müssen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen hier erhalten wollen.

Die große grüne Mauer

Ein Beispiel von Gemeinschaftsbildung statt Spaltung der Gesellschaft, das die Jugend weltweit inspirieren könnte, kommt aus der Sahel-Region. Existenzangst, religiöser Extremismus, Terrorismus und die Migration nach Europa prägen den afrikanischen Kontinent. Jetzt soll eine Mauer aus Bäumen diesen Problemen entgegenwirken. Elf afrikanische Länder wollen gemeinsam eine „Große Grüne Mauer“ anpflanzen – einen Waldgürtel mit einer Länge von 7.000 Kilometern, der von den ostafrikanischen Küstengebieten bis an die westafrikanische Küste reichen soll. Ziel des Projekts ist es, die Ausbreitung der Sahara aufzuhalten und 50 Millionen Hektar Land nutzbar zu machen und den CO2-Ausstoß zu verringern. An der Grünen Mauer beteiligen sich Dschibuti, Eritrea, Äthiopien, der Sudan, der Tschad, der Niger, Nigeria, Mali, Burkina Faso, Mauretanien und der Senegal. Jedes dieser Länder hat seinen eigenen nationalen Plan entwickelt, wie man das Projekt umsetzen und gleichzeitig die Lokalbevölkerung mit einbeziehen kann. Das ist wichtig, denn viele junge Menschen in der Region haben das Gefühl, nichts zu besitzen und suchen daher nach einer Möglichkeit, sich zu ermächtigen. Das erklärt den steigenden Einfluss des gewaltsamen Extremismus und Terrorismus in der Region, aber auch das Problem der massiven Auswanderung von Menschen, die ein besseres Leben in Europa suchen. Im Jahr 2030 soll die neue Waldfläche schon 250 Millionen Tonnen Kohlenstoff binden. Es ist ein Projekt, das schon jetzt die Herzen der Menschen erobert hat und die unterschiedlichsten Akteure, darunter die Afrikanische Union, internationale Organisationen, die Europäische Union und die Weltbank für sich gewinnen konnte. Junge Menschen kommen durch das „Projekt Grüne Mauer“ zu einer neuen Einnahmequelle, die sie davon abhält, Extremistengruppen beizutreten. https://www.greatgreenwall.org/aboutgreat-green-wall

Eine andere Gemeinschaft, die Vorbild für uns sein könnte, ist einer der wohl ungewöhnlichsten Volksstämme mit geschätzten zwei Millionen Mitgliedern, der am Rande der Wüste Thar in Rajasthan lebt. Die Bishnoi folgen seit 1484 der Lehre ihres Begründers Jambeshwar, die im Einklang mit der Natur und in Harmonie mit den Nachbarn als Hüter der Schöpfung leben. Sie folgen 29 Geboten wie etwa: Habe Mitgefühl mit allem, was lebt. Töte niemals ein Tier, egal wie klein es ist. Fälle niemals Bäume. Sei bereit zu vergeben. Entsage Habgier, Egoismus, Zorn und Wut. Die Bishnoi verbindet die tiefe Liebe zu allem, was ist. Sie verehren Bäume als ebenbürtige Geschöpfe, die Schatten spenden und den Boden vor Austrocknung bewahren. Das Geheimnis ihres Erfolgs seit mehr als 500 Jahren ist: Liebe, Verbundenheit und Achtsamkeit. Und, „was auch immer du tust, tue es aus deinem tiefsten inneren Herzen heraus.“

Eine Antwort

  1. Andreas Wurmann
    Korrekte Info über USA bitte

    Leider haben Sie keine Ahnung, was im Hintergrund gerade abgeht in den USA. Da würde ich dringend mal das Forum Global change auf Telegram oder youtube lesen! Bitte aber keinen Bullshit über die vermeintliche Tyrannei von Trump berichten, danke. P.s. Trump hat wie jeder Mensch auch Fehler, aber daneben viel Gutes!

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