Viele von uns suchen nach ihrer Berufung im Leben. Wir möchten an einem Ort tätig sein, wo unsere Talente und Gaben nützlich und willkommen sind. Der eigene Arbeitsplatz kann im besten Fall ein solcher Ort sein. Doch es geschieht auch, dass Menschen dort, wo sie ihren Beruf ausüben, ausgegrenzt werden und erhebliche Traumatisierungen erleiden. Geschieht dies, sprechen wir von Mobbing.

Gedanken zum prozessorientierten Umgang mit Konflikten und Diskriminierung am Arbeitsplatz

„Mit Hindernissen zu arbeiten, gehört zur Reise des Lebens. Der Krieger trifft immer wieder auf seine Drachen. Natürlich bekommt es der Krieger mit der Angst zu tun, insbesondere vor der Schlacht. Es macht einfach Angst. Doch mit zartem, bebendem Herzen erkennt der Krieger, dass er – oder sie – dabei ist, ins Unbekannte vorzustoßen, und dann zieht er aus, um dem Drachen zu begegnen.“ (Pema Chödrön)

Der deutsche Arbeitspsychologe Heinz Leymann erforschte das Phänomen Mobbing eingehend und prägte die nachfolgende Definition:

„Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter KollegInnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel u./o. Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet.“  (Leymann 1995)

Verschiedenheit schätzen – Konflikt als Wachstumsimpuls

Wenn Menschen zusammen arbeiten, können sie ihre Verschiedenheit als große Bereicherung erleben. Eine breite Palette von Erfahrungen, Sichtweisen und Arbeitsstilen von MitarbeiterInnen bietet immer die Chance einer florierenden Organisation. Dieselben Voraussetzungen können aber auch Konflikte produzieren. Ob das Pendel mehr in die eine oder andere Richtung ausschlägt und wie mit entstehenden Konflikten letztlich umgegangen wird, entscheidet die soziale Kompetenz eineR jeden MitarbeiterIn, deren Umgang mit persönlicher Macht und die daraus resultierende Organisations- und Streitkultur. Auch die Haltung der Leitung hat maßgeblichen Einfluss darauf, ob das Potenzial von Konflikten produktiv genutzt oder destruktiv unter den Teppich gekehrt wird.

Wie entsteht Mobbing?

Jedem Mobbing geht ein ungelöster Konflikt voraus.

Ein entstehender Konflikt wirkt auf uns Menschen wie ein Magnet: Hält man einen Magneten unter ein Blatt Papier und streut Eisenspäne auf dessen Oberfläche, organisiert das magnetische Feld die Späne in einer gewissen Ordnung. Ähnlich polarisiert ein Konflikt eine Gruppe und konstelliert damit auch die Rollen.

Wird er hier nicht gelöst, nimmt er destruktive Wege und sucht nach Ventilen. Die Gruppe spürt die entstandene Spannung und sucht ihrerseits nach Ent-Spannung. Nicht selten erhofft sie sich diese durch die Ausgrenzung derer, die im bestehenden Konflikt divergente Auffassungen vertreten haben oder in anderer Form vom Konsens der Gruppe abweichen.

In der so wachsenden „giftigen“ Atmosphäre wird nun das möglich, was bisher undenkbar erschien: die absichtliche und eklatante Verletzung persönlicher Grenzen. In diesem Klima wird „Angriff“ gelegentlich zur „besten Verteidigung“ und ist oftmals auch ein verzweifelter Versuch, nicht selbst „dran“ zu sein. Im schlimmsten Fall sieht sich das Opfer in der Position „Allein gegen Alle“. Es wird mehr oder weniger systematisch schikaniert und so immer mehr in die Enge getrieben – mit dem Ziel, dass es diesen Arbeitsplatz verlässt.

Im Gegensatz zu weitverbreiteten „Mobbing-Mythen“ trifft ein solches Geschehen keineswegs nur „Schwache“ oder Leute, die sowieso schon immer „irgendwie komisch“ waren. Wie beschrieben, kann letztlich jedeR Opfer (und TäterIn) werden, denn: Mobbing ist kein persönliches Problem, sondern Ausdruck eines ausgegrenzten Konfliktes in einem Arbeitssystem.

Wie verläuft Mobbing?

Ein Mobbingprozess verläuft in Phasen und kann sich über weite Zeiträume erstrecken. Gelegentlich gibt es Auszeiten, in denen der/die Betroffene Hoffnung schöpft, dass nun das Ganze doch noch ein gutes Ende finden wird. Ohne Lösung des Grundkonfliktes oder geeignete Kriseninterventionen ist dies jedoch nicht möglich. Mitunter besteht die „Rettung“ in einer Versetzung oder – was durch die hohe Arbeitslosigkeit höchst selten der Fall ist – im glücklichen Auffinden eines neuen Jobs. Findet sich kein solcher Ausweg, entwickelt sich ungebremst eine Dynamik, die als Vorlage für einen Thriller durchaus tauglich wäre.

Da Zugehörigkeit für uns Menschen eine wichtige Quelle von Selbstwert- und Identitätsgefühl ist, reagieren Gemobbte über kurz oder lang vehement auf die Ausgrenzung. Sie entwickeln Stress-Symptome, versuchen ihre Arbeit besonders gut zu erledigen und fangen gerade deshalb oft an, nun tatsächlich Fehler zu produzieren. Den MobberInnen dienen diese Fehler und die „Auffälligkeiten“ im Verhalten der Person(en) wiederum dazu, diese bei der Leitung anzuschwärzen.

Von Mobbing Betroffene können einen solchen Prozess schließlich als Trauma erfahren und dadurch das schwerwiegende Krankheitsbild der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ entwickeln. Dieses geht mit zwanghaftem Gedankenkreisen, Panikgefühlen und Flashbacks einher – die betroffene Person erlebt damit die traumatisierende Situation immer wieder neu – ein „Hamsterrad“, aus dem es ohne professionelle Hilfe kein Entkommen gibt. Das „Endresultat“ von Mobbing kann somit – meist neben der Einbuße des Jobs – im Verlust körperlicher und psychischer Gesundheit bestehen. Scheitern Kompensations- und Lösungsversuche immer wieder, setzen manche Menschen ihrem Leben schließlich sogar selbst ein Ende. Der Prävention und frühen Konfliktintervention sollte daher allererste Priorität eingeräumt werden.

Ein Initiationsweg

In circa 10 Jahren Arbeit als Beraterin und Seminarleiterin bin ich sehr verschiedenen Menschen begegnet, die auch sehr verschieden auf ihre persönliche Konfrontation mit Mobbing reagiert haben. Die mir geschilderten Erfahrungen waren ausgesprochen eindrücklich, zum Teil auch erschütternd. Die Betroffenen wurden oft über lange Zeiträume hinweg systematisch gedemütigt und schikaniert. Diese Abläufe wiesen Parallelen zu psychischen Foltermethoden auf, wie sie beispielsweise in (Militär-) Diktaturen angewendet werden, um politische Gegner mürbe zu machen und auszuschalten. In ihrer Dynamik erinnerten sie mich aber auch stark an sogenannte Zerstückelungserfahrungen, wie sie SchamanInnen auf ihrem Weg der Initiation in ihre neue Berufung durchleben und durchleiden.

In einem solchen Prozess bleibt kein „Stein“ auf dem anderen. Die Person erlebt eine beinahe „tödliche Verletzung“ ihrer selbst und wird nie wieder dieselbe sein wie vor diesem Prozess. In dessen Ergebnis kann sie jedoch in (mindestens) zwei verschiedenen Erfahrungswelten landen und wird dementsprechend ihre Erfahrung bewerten.

Erlebt die Person, dass ihr durch den Mobbingprozess ausnahmslos Nachteile erwachsen sind und fühlt sie sich durch das Geschehene ausschließlich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, wird sie ihr Leben nach dieser Krisenerfahrung möglicherweise als dauerhaftes Leiden mit einer „Behinderung“ begreifen.

Nimmt sie hingegen wahr, dass die ihr zugefügten Wunden sie zu einer eingeweihten, kampferprobten ExpertIn in Bezug auf das Leben und seine Krisen haben werden lassen, wird sie sich unter Umständen trotz ihres Schmerzes bereichert und gestärkt fühlen. Oft nutzen solche Menschen den gewonnenen psychologischen und gelegentlich auch spirituellen Rang – beispielsweise um als BeraterIn für Betroffene zu arbeiten. Manche dieser Menschen beschreiben, dass sie durch den Mobbingprozess in Kontakt mit ihren bis dahin unvertrauten Seiten kamen. Sie entdeckten und entwickelten Fähigkeiten und Ressourcen, die ihnen zuvor nicht zur Verfügung gestanden hatten. Einige fanden sogar in der Folge eines solchen Prozesses zu ihrer Berufung. Ganz offensichtlich erlebten sie das Geschehen als eine Art Initiation in eine neue Ebene ihres Seins.

Diese Beobachtungen laden zu einer neuen Sicht auf das Phänomen Mobbing ein. Selbst ein so schmerzlicher und augenscheinlich zerstörerischer Prozess wie Mobbing kann eine Erfahrung in sich bergen, die von den Betroffenen selbst als sinnvoll und potenziell entwicklungsfördernd erlebt werden kann. Haben wir einmal in unserem Leben eine Krise als Chance erfahren und war es uns vergönnt, gestärkt aus dieser hervorzugehen, ist in unserem Herzen der Keim zur liebenden und mutigen KriegerIn gelegt. Diese weiß, dass die hässliche Fratze eines schwelenden Konfliktes oder gar Mobbings nur das Gesicht des Drachens ist, der die darunter liegenden Schätze bewacht.

Das können Sie als Betroffene/r tun:

Klare Ansagen

„Verwahren Sie sich ausdrücklich gegen diffamierendes Verhalten, behalten Sie aber im Blick, dass es hinter diesem Verhalten einen Konflikt gibt, an dessen Lösung Sie bereit sind mitzuwirken. Sprechen Sie MobberInnen direkt an und schalten Sie ggf. ihre Vorgesetzten ein.“ (Haben/Harms „Das Hamsterrad“)

Dokumentation

Dokumentieren Sie die Vorfälle im Sinne eines Mobbing-Tagebuches. Hinweise zu dessen Form finden Sie im Internet. Das Schreiben hilft Ihnen, Abstand zu gewinnen. Neuerdings werden Notizen dieser Art vor Gericht als Beweismittel akzeptiert.

Blickwechsel

Führen Ihre Bemühungen um eine Lösung der Situation nicht zum gewünschten Erfolg, zögern Sie nicht und nehmen Sie professionelle Hilfe von MobbingberaterInnen, ÄrztInnen sowie rechtlichen Beistand in Anspruch. Der Blick von „Profis“ verschafft Ihnen eine unvoreingenommene Sicht von außen auf die Gesamtsituation. Aus dieser Perspektive können Sie leichter geeignete Strategien für ein erfolgreiches Handeln im Mobbingprozess entwickeln. Unterstützung dieser Art finden Sie auch in meiner Praxis.

 


 

„Unsere größten Ängste sind Drachen, die unsere größten Schätze bewachen.“
nach Rainer Maria Rilke

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