Enzyme sind Stoffe, die biochemische Reaktionen katalysieren können. Sie steuern auch beim Menschen einen Großteil der Biochemie – von der Verdauung bis hin zur Verdoppelung der DNA einer Zelle. Die Lebensmittelindustrie entdeckt sie immer mehr als Bastelmaterial zur ­Optimierung und Veränderung der Eigenschaften ihrer Produkte – und greift dabei auch gern zu gentechnisch veränderten Zusatzstoffen. Der Verbraucher nimmt sie ohne Wissen zu sich, da sie nicht im Zutatenverzeichnis der Produkte erscheinen, die sie enthalten. Keiner weiß, welche Gefahren das birgt. Über den Modellbaukasten der Lebensmittel­industrie.

 

Enzyme sind zu einem scheinbar unverzichtbaren Zusatzstoff in Lebensmitteln geworden. Was früher der Natur überlassen wurde, wird heute durch biotechnologische Prozesse zu einem perfekten Endprodukt zusammengebastelt. Die Bastelmaterialien bilden industriell hergestellte Enzyme, deren Fähigkeiten weit über das Vorstellungsvermögen von Otto Normalverbraucher hinausgehen: Sie modifizieren Stärke, optimieren Fette und Eiweiße, machen Brötchen knusprig, stabilisieren Schäume oder „verkleben“ Fleischteile. Enzyme steuern Reifeprozesse, machen die Milch für die Käseherstellung dick und klären Apfelsäfte. Sie helfen, Aromen und Fruchtauszüge zu gewinnen, und sorgen für die Bissfestigkeit von Cornflakes.

Wir entfernen uns schleichend und von den meisten Menschen kaum bemerkt von der natürlichen Nahrungsaufnahme – hin zu einer Ernährung auf der ­Basis eines chemischen Baukastens. Beginnt man, seine Augen für das enorme Verwendungsspektrum von Enzymen als Zusatzstoffen unserer alltäglichen Nahrung zu öffnen, wird man schnell bemerken, dass kein Bereich in der Nahrungsmittelproduktion von Zusatzstoffen unbehelligt bleibt. Hier nur ­einige Beispiele:

  • Steuerung und Intensivierung der Aromabildung während der Reifung von Käse
  • bei fettfreien Jogurts: Verbesserung von Textur und Wasserhaltevermögen, Vortäuschung der Empfindung von Fett
  • Produkte für laktoseempfindliche Personen
  • Verbesserung der Zartheit und des Aromas von Fleischprodukten (spart die Zeit, die das Fleisch ansonsten zum „Abhängen“ bräuchte)
  • Abtrennen von Fleischresten vom Knochen (zur Weiterverarbeitung in Wurstwaren)
  • Zusammenfügen unterschiedlicher Fleischteile, etwa beim Kochschinken (enzymatisches Kleben)
  • verringertes Kleben zu lange gekochter Nudeln
  • „enzymatisches“ Schälen von Obst (Zitrusfrüchte oder Pfirsiche); bessere maschinelle Trennung von Schale und Frucht
  • Herstellung von Konzentraten aus Obst oder Gemüse, beispielsweise bei Tomaten, Zwiebeln, Möhren, Paprika, Sellerie, aber auch bei Pflaumen, Sanddorn, Hagebutten.
  • Verbesserung der Alkoholausbeute bei Spirituosen

Die Liste ließe sich noch um ein Vielfaches ­ergänzen.

 

Gentechnik ohne ­Kennzeichnungspflicht

Eine besondere Brisanz erhält diese Thematik dadurch, dass immer mehr der in der Lebensmittelindustrie verwendeten Enzyme mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden. Und das völlig ungeachtet der Tatsache, dass zumindest hierzulande die meisten Menschen gegen die Verwendung der Gentechnologie im Nahrungsbereich sind. Fatal ist dabei, dass beim Einkaufen nicht zu erkennen ist, welche Enzyme in welchen Lebensmitteln verwendet ­werden. Denn für solche gentechnisch hergestellten Zusatzstoffe besteht keine Kennzeichnungspflicht, da sie als so genannter Verarbeitungshilfsstoff in die Lebensmittel gelangen.

Am Beispiel der Brotherstellung lässt sich dieser schleichende und vom Endverbraucher kaum registrierte Veränderungsprozess vom Naturprodukt hin zum angepassten, biochemisch vereinheitlichten Massenendprodukt besonders gut nachvollziehen:

Das herkömmliche Backhandwerk sieht sich in den letzten zehn Jahren zunehmend einem extremen Wettbewerb ausgesetzt – ausgehend von Discounterbäckern und Billigbäckereien, die die Preisschlacht unter Verwendung sogenannter „Teiglinge“ nur gewinnen können. Kaum ein Bäcker backt seine Brötchen und sein Brot heute noch selbst. Hinter dem Wort „Backen“ verbirgt sich heute das Ausbacken von industriell vorgefertigten Teigrohlingen, ohne dass ­eine Backstube oder gar gelernte Fachkräfte benötigt werden. Echtes Backhandwerk rechnet sich nicht mehr – am Ende entscheidet der primär preisorientierte Endverbraucher. Die Jagd nach dem billigsten Brötchen verdrängt nicht nur immer mehr Handwerksbetriebe vom Markt, sie geht auch zu Lasten der Qualität und des Geschmacks. Den wenigsten Konsumenten ist allerdings bewusst, was sie da ­eigentlich zu Discounterpreisen erwerben. Was steckt in einem Brötchen für zehn Cent noch drin, abgesehen von Mehl, Wasser und Salz?

 

Genormte Brötchen

Kein anderer Bereich der Lebensmittelherstellung setzt so viele Enzyme bei wie die Backindustrie. Die meisten Enzyme werden hier auf der Basis gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt. Diese Enzyme beeinflussen punktgenau die Backeigenschaften von Produkten. Ziel ist die Herstellung von Backwaren ohne Qualitätsschwankungen: Das standardisierte Brötchen ist geboren.
Ein Enzym wirkt zum Beispiel auf das Klebe-Eiweiß des Mehls, verändert seine „Form“ und schafft so eine stabilere Teigstruktur – eine Veränderung, die sich auch auf das fertige Brötchen auswirkt. Es bleibt jetzt lange knackig, wird größer beim Backen oder auch schön braun – je nachdem, welches Enzym genau ­zugesetzt wurde. Bereits zu Beginn des Produktionsprozesses werden dem Mehl Enzyme beigefügt, um gleichbleibende Verarbeitungseigenschaften des Teigs zu gewährleisten – zur Schonung von Maschinen, als Kostenersparnis. Nichts wird mehr natürlichen Prozessen überlassen. Die Lebensmittelindustrie versichert zwar, dass die Enzyme sich im Zuge des Verarbeitungs- und Backvorgangs auflösen, doch ­ihre Wirkung im Körper und vor allem die Wechselwirkung beim Einsatz verschiedener Enzyme sind wissenschaftlich überhaupt noch nicht erforscht.

Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte stehen wir als Endverbraucher vor ­einer besonderen Verantwortung. Wir haben die Macht, mit unseren Konsumentscheidungen erheblich dazu beizutragen, welche Produkte sich letztendlich auf dem Markt etablieren. Ist der Preis immer die erste Priorität? Ist nicht gerade die Herstellungsweise und Zusammensetzung eines Produktes, das wir unserem Organismus zuführen, ein entscheidender Faktor dafür, ob wir uns von der Natur immer weiter entfernen oder ihr wieder näher kommen? Ist nicht auch die Leidenschaft, mit der etwas erschaffen wird, schlussendlich mitgestaltend für Verträglichkeit, Geschmack und Genuss? Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der alles standardisiert wird – vom Brötchen bis zur Tomate? Mutter Erde zeigt sich uns durch ihre natürliche Vielfalt und ihre Einzigartigkeit, vom Kleinen bis zum Großen. Kein Blatt gleicht einem anderen. Wir haben nicht das Recht, zugunsten von Profit, Kontrollwahn und Machtgier Mutter Erde ihrer natürlichen Ausdrucksweise zu berauben. Wir können entscheiden. Wir sind der Markt. Kein Produkt wird sich etablieren, das wir nicht nachfragen. Unser bewusster Konsum ist der Beginn der Veränderung.


Abb: © lily – Fotolia.com

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