Schule ade: Beim Homeschooling lernen die Kinder zu Hause und werden meist von den Eltern unterrichtet. Während diese Lernform in vielen Ländern der Welt legal ist, bleibt sie in Deutschland bisher verboten. Aber: Mozart ging nicht zur Schule! Ein Plädoyer für Freiheit und Kreativität von Dagmar Neubronner.

Mozart ging nicht zur Schule

Wolfgang Amadeus Mozart verbrachte schon mit drei Jahren Stunden damit, das Cembalo in reinen Terzen zu stimmen. Mozart kam offensichtlich mit einer spezifischen Begabung und einem klaren inneren Entwicklungsplan auf die Welt und wusste genau, was er lernen wollte, um diesen Plan zu entwickeln. Welche Schule konnte ihm dabei helfen? Nun, das kleine Wolferl war ein „Homeschooler“: Er besuchte keine Schule, sondern wurde zu Hause von seinem Vater unterrichtet, der selber renommierter Musiker war und seinen Sohn mit großer Liebe und Sorgfalt begleitete. Eintrichtern musste er ihm nichts. Im Gegenteil, das Kind bat jeweils dringend um Unterricht. Wer zweifelt heute daran, dass Leopold Mozart genau der richtige Lehrer für sein Kind war? Da Wolfgang bereits mit sechs zu komponieren begann, ist es gut möglich, dass er lehrplanwidrig eher Noten schreiben lernte als Buchstaben – trotzdem schrieb er später zahlreiche wunderbare Briefe.

Was wäre aus diesem, nach Berichten von Zeitgenossen sehr zarten Kind geworden, wenn es in einer noch so guten Schule jahrelang die Schulbank hätte drücken müssen? Lesen, Schreiben, Rechnen üben, wo alles in ihm danach drängte, zu musizieren und zu komponieren? In der Pause Hänseleien als schwächlicher, komischer Sonderling, brutale Mutproben oder Schlimmeres? Stattdessen spielte Wolferl daheim mit seiner Schwester Nannerl – und wuchs „trotzdem“ zu einem überaus geselligen, beliebten, fröhlichen Menschen heran.

 

Schulpflicht contra Bildungsfreiheit

Nicht jedes Kind ist ein Mozart, aber heute wie damals gibt es Kinder (und es sind gar nicht so wenige), für die andere Formen des Lernens besser geeignet sind als der Besuch einer öffentlichen Schule. Aber heute herrscht Schulpflicht. Sie wurde eingeführt, um Kinder davor zu bewahren, ohne Bildungsmöglichkeiten im Stall, auf dem Feld oder in der Fabrik schuften zu müssen, und um ihnen das Grundrecht auf Bildung zu garantieren.
Was also wäre angesichts der Schulpflicht heute aus Mozart geworden? Erleichtert stellen wir fest: Mozart dürfte auch heute zu Hause bei seinem Vater lernen, nach Herzenslust komponieren und seine langen Konzertreisen machen, denn Mozart war Österreicher. Und in Österreich ist das eigenständige Lernen zu Hause – wie in fast allen anderen Ländern der Welt – erlaubt.

So einfach ist das in Österreich, und übrigens geht es so oder ähnlich auch in Frankreich, Belgien, Italien, Holland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Tschechien, Polen, Russland, Spanien, Irland, England, USA, Kanada, Südafrika, Australien, Neuseeland und so weiter. Richtig, das mutet beinahe wie eine Auflistung der entwickelten, reichen Länder an. Trotzdem gehen die allermeisten Kinder in all diesen Ländern zur Schule, aber die paar Familien (es sind nirgends mehr als zehn Prozent und meist weit weniger), für die Homeschooling eine gute Lösung ist, gehen ihren Weg unbehelligt, und der Erfolg gibt ihnen recht: Kinder, die frei zu Hause lernen, sind im Wissen wie im Sozialverhalten dem Durchschnitt der Schulkinder weit voraus – und dieses brillante Ergebnis ist unabhängig von „höherer Bildung“ der Eltern, unabhängig von deren pädagogischer Ausbildung, vom Familieneinkommen, vom Geldbetrag, der für das häusliche Lernen aufgewendet wird, und sogar von der Kontrolle des Staates. Das heißt, überall schneiden frei lernende Kinder weitaus besser ab als der Durchschnitt der Schulkinder, egal ob die der Staat nun ständig prüft und kontrolliert oder sich gar nicht darum kümmert.

 

Ist der Mensch „böse von Jugend auf“?

Das leuchtet eigentlich auch ein, denn das Kind selbst und als nächstes seine Eltern haben naturgemäß das allergrößte Interesse an einer guten Bildung. Denn, und jetzt verrate ich ein wohlgehütetes Geheimnis: Kinder sind gar nicht von Natur aus faul und aggressiv! Sie lernen ganz freiwillig, mit Feuereifer und ohne Unterricht Sitzen, Stehen, Laufen, Sprechen, Essen, Anziehen und tausend andere Dinge. Wenn man sie lässt, geht das ganz organisch so weiter bis hin zu Algebra, Baumfällen, Schneidern, Programmieren, Romane schreiben, Fremdsprachen, Komposition genialer Musik – was es halt so gibt auf der bunten weiten Welt. Die Erfahrung weltweit zeigt, was das Gutachten des Dortmunder Soziologen Prof. Franco Rest bestätigt: Die häufig gehörte Behauptung, Kinder brauchten ständig den Kontakt zu großen Gruppen Gleichaltriger, ist ein Mythos. Leider passiert aber meist Folgendes: „Aus schlauen Kindern werden Schüler“.

 

Lernen beruht auf Freiwilligkeit

Interessanterweise besteht die Prominenz der „Homeschool-Bewegung“ in den USA überwiegend aus ehemaligen Lehrern, die irgendwann anfingen, sich zu fragen, wie dieser geheimnisvolle Prozess des Lernens eigentlich funktioniert. Freies Lernen, auch „informelles Lernen“ genannt, läuft nach ganz anderen Regeln ab als das schulische. Es ist ein faszinierender, nichtlinearer Vorgang, dem Gehirnforscher erst ganz allmählich auf die Spur kommen. Und er hat entscheidend mit Freude, Freiwilligkeit und Interesse zu tun. In anderen Ländern werden „Homeschool-Eltern“ für ihren Einsatz vom Staat geehrt (zum Beispiel regelmäßig vom US-Kongress mit einer Homeschool Week) oder erhalten sogar finanzielle Zuwendungen, die ihnen ihre Aufgabe erleichtern sollen (wie in Kanada). Die Schulpflicht, wie sie weltweit verstanden wird, dient dazu, das Grundrecht auf Bildung zu sichern, und nicht, eine bestimmte Standardform des Lernens für alle Menschen zu erzwingen. So ist es auch in der UN-Kinderrechts-Charta und in der Verfassung und Gesetzgebung der meisten Länder verankert.

In Deutschland erwähnt die Weimarer Verfassung den bis dahin häufigen Hausunterricht nicht mehr, und 1938 wurde Hausunterricht per Reichsschulpflichtgesetz ausdrücklich verboten.

Nach dem Krieg ist es in Deutschland  bei dieser Auffassung von Schulpflicht geblieben. Unter hohem persönlichen und finanziellen Einsatz dürfen Eltern ihre Kinder allenfalls auf eine nichtstaatliche Schule schicken. Homeschooling oder „Freilernen“ jedoch, in aller Welt von Millionen Kindern mit nachweislich besten Ergebnissen praktiziert, soll in Deutschland nicht erlaubt sein.

 

Grundrecht auf Bildung

Das ist ein Missverständnis. Natürlich muss und soll der Staat dort eingreifen, wo die Eltern versagen. Aber warum dürfen der kleine Wolfgang Amadeus, der kleine Yehudi, die kleine Agatha, der kleine Thomas, Klaus und Martin mit ihren Schwestern und der kleine Konrad nicht ihren eigenen Weg gehen, wenn dieser nachweislich zu mindestens gleich guten Ergebnissen führt? (Auch Geigenvirtuose Yehudi Menuhin, Schriftstellerin Agatha Christie, die Bonhoeffer-Geschwister, der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer und viele andere Berühmtheiten wurden, zumindest zeitweise, von ihren Eltern unterrichtet.) Die österreichischen Bildungsbehörden nehmen hier ihre Aufsichtspflicht wahr: Wer bei der jährlichen Prüfung durchfällt, muss zur Schule. Auch das wäre nicht nötig, weil, wie gesagt, natürliches Lernen oft in anderer Reihenfolge funktioniert, als der Lehrplan es vorsieht, und das Endergebnis auch ohne Kontrolle superb ist. Aber ein Mindestmaß an Standardisierung kann man sich offenbar auch in Österreich nicht verkneifen.

Warum macht Deutschland es nicht einfach so wie all die anderen Länder, die bei der Pisa-Studie besser abgeschnitten haben als Deutschland? Wenn die wunderbaren Kompositionen eines der bedeutendsten Komponisten des Abendlandes erklingen, lohnt es sich, einmal darüber nachzudenken: Mozart ging nicht zur Schule.


Abb.: © Lucky Dragon – Fotolia.com
Abb.: © Monika Adamczyk – Fotolia.com

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