Die Wissenschaft der göttlichen Schwingungen

Der Anfang war das Wort, OM, der universelle Klang. Sich mit bestimmten Klängen zu verbinden ist daher ein Weg zur Selbst­erkenntnis – und zurück zu Gott. Klänge, die im Nada Yoga genutzt werden, sind dementsprechend auch Abbilder universeller = göttlicher Gesetze. Sie haben die Kraft, diese Rückverbindung – Schritt für Schritt – einzuläuten. Rama Bernhard Dökel sprach mit dem Nada Yoga-Meister Shri Yogi Hari.

 

Shri Yogi Hari, Yoga gewinnt in Deutschland immer mehr an Popularität – es gibt Yin Yoga, Hormon Yoga oder Akro Yoga. Was bedeutet Yoga für Sie?
Yoga ist das Bewusstwerden der eigenen Göttlichkeit. Man kann auch sagen: Yoga ist ein Schritt-für-Schritt-Prozess, der einen in diesen Zustand des Bewusstseins führt.

Ist dieses Ziel nicht etwas zu hoch gegriffen? Suchen die Menschen nicht nach etwas anderem?
Menschen, die zu dem Verständnis erwachen, dass das Leben mehr beinhaltet als Essen, Trinken, Schlafen und Sich-Fortpflanzen, sind bewusst in Disziplinen involviert, die ihr Bewusstsein erheben. Es gibt viele Disziplinen, die uns vom Groben zum Feinen bringen, die den Körper, die Sinne, den Verstand und den Intellekt kontinuierlich reinigen und verfeinern, um uns vom Menschen zum „Gottmenschen“ zu transformieren. All diese Disziplinen fallen unter die sechs Hauptkategorien: Hatha Yoga, Raja Yoga, Karma Yoga, Jnana Yoga, Bhakti Yoga und Nada Yoga. Jedoch nur eine intelligente Integration der sechs Yogawege beschleunigt den Prozess zu einer ausgeglichenen und harmonischen Persönlichkeit. Das wird als Sampoorna(die Fülle)-Yoga bezeichnet.

Können Sie ein Beispiel für eine intelligente Integration nennen?
Da sich jeder Mensch auf einer unterschiedlichen spirituellen Entwicklungsstufe befindet und mit verschieden Fähigkeiten und Bedürfnissen geboren wird, kann die spirituelle Praxis nicht für alle gleich sein. Sie muss für den Einzelnen angepasst werden. Ein wunderbarer Vergleich ist die Zubereitung eines wohlschmeckenden Gerichtes. Du weißt, welche Zutaten du brauchst, zum Beispiel Wasser, Erbsen, Chili-Pulver, Kurkuma und Salz. Wenn du nun alles wahllos in einen Topf gibst, bekommst du ein scheußlich schmeckendes Gericht.

Beim Kochen musst du genau wissen, wie viel du von jeder Zutat brauchst, um den gewünschten Geschmack zu erhalten. Wenn du dieses Konzept verstehst, wirst du erkennen, wie wichtig es ist, die verschiedenen Systeme auf intelligente Weise zu kombinieren, um in jeder Person das gewünschte Ziel von innerer Schönheit und Vollkommenheit hervorzubringen. Wenn jemand emotionale Probleme hat, sich nicht konzentrieren kann und nur die Asana-Praxis betreibt, dann musst du wissen, wie du dieser Person behilflich sein kannst, und die anderen Aspekte wie Karma-, Bhakti-, Raja-, Jnana- und Nada-Yoga integrieren, damit sich eine harmonische Persönlichkeit entwickelt.

Welches ist der einfachste der sechs Yogawege, um eine harmonische Persönlichkeit zu entwickeln?
Sampoorna-Nada-Yoga ist in der heutigen Zeit die einfachste Methode. Jeder Mensch wird unmittelbar durch Klänge beeinflusst, weil sich alle Zellen des Körpers in einem Schwingungszustand befinden. Die Chakren sind ein Teil des menschlichen Energiesystems und agieren als Rezeptoren für Schwingungen, besonders für Klänge. Zum Beispiel können musikalische Klänge jemanden traurig, depressiv, erregt, begeistert, wütend, freudvoll, glücklich oder zufrieden stimmen. Wenn Musik genutzt wird, um jemanden vom Zustand der Angst, Depression oder Ruhelosigkeit in den Zustand von Frieden und göttlicher Wonne zu führen, nennt man das Nada Yoga.

Welche Musik eignet sich dafür am besten – würde es auch mit deutscher Volksmusik gehen?
Nein, das Medium, um das Wissen zu übermitteln, ist die klassische indische Musik. Es ist ein komplettes System, das in einem methodischen, schrittweisen Prozess von reinen und erleuchteten Wesen, den Rishis, skizziert wurde. Diejenigen, die bereit sind, es zu unterrichten, nennt man Gurus, und diejenigen, die ihr Leben dem Empfangen des Wissens hingeben, sind ihre Schüler. Dementsprechend ist das Wissen in der heutigen Zeit durch den Prozess einer Lehrer-Schüler-Beziehung verfügbar.

Was ist besonders an der klassisch indischen Musik?
Nada Yoga gründet sich auf die Philosophie, dass sich Brahman, der Eine ohne einen Zweiten, als Schwingung in diesem Universum manifestiert. Er wird als Nada Brahman oder Gott bezeichnet. In den Veden wird es „OM“, in der Bibel als „das Wort“, und in der Astronomie als „Urknall“ benannt. Diese ursprüngliche Schwingung von OM manifestiert sich auf verschiedenen Ebenen, bis sie die physische Ebene erreicht. Die feinste Form der Schwingung nennt sich „Para“-Zustand. Wenn sich die Schwingung mehr verdichtet, bilden sich die drei Kräfte Sattva, Rajas und Tamas. Sie werden als Ursache aller Erscheinungsformen, der Grundlage aller Stoffe angesehen. Diese Form wird als „Pashyanti“-Zustand bezeichnet. Die Schwingung kann in diesen beiden Zuständen (Para und Pashyanti) nicht von den Sinnen wahrgenommen werden. Da die Schwingung nicht durch einen physischen Schlag, also Auslöser, entsteht, wird sie als Anahata oder „schlagloser“ Klang benannt.

Wie klingen Anahata Klänge?
Yogis in Meditation nehmen diese Anahata Klänge im transzendentalen Zustand, im Samadhi, wahr. Entsprechend der Stufe von Samadhi nehmen sie am Anfang den Klang des Zirpens, ähnlich dem Zirpen der Insekten, dann den Klang des Ozeans, der Muschel, Kesselpauke, Laute, Flöte, Harfe und des Donners wahr. Sobald der letzte Schleier durchdrungen ist, steht der Yogi Auge in Auge mit der Quelle oder Gott und erfährt sein Einssein mit dem Ozean des Bewusstseins.

Und wann können wir die Klänge hören?
Auf der dritten Stufe, „Madhyama“, erscheint die Ursprungsschwingung in Form von Gedanken. Schließlich manifestiert sich die Schwingung als das physische Universum (Vaikhari-Zustand), das von den Sinnen erfahren werden kann. Sobald auf dieser Ebene ein Ding durch ein anderes angeschlagen wird, erzeugt es eine molekulare Schwingung in der Luft. Diese Schwingung wirkt auf das Trommelfell und veranlasst die Knochen im inneren Ohr zu schwingen. Der nervliche Impuls, der dadurch erschaffen wird, wird vom Gehirn als Klang interpretiert. Dieser Klang wird als Ahata oder Schlagklang bezeichnet, weil er durch einen physischen Schlag ausgelöst wurde. Nicht alle Klänge sind angenehm. Einige sind einfach nur Lärm. Die Klänge, die in der Musik genutzt werden, sind Abbilder der universellen Gesetze, die durch die Anahata Klänge repräsentiert werden. Deshalb haben sie die Kraft, sowohl positive als auch negative Effekte, entsprechend der Natur der Musik, hervorzurufen.

Nochmals die Frage: „Warum ist es nicht ratsam, deutsche Schlager zu singen, um zur inneren Ruhe zu kommen?“
Die Wissenschaft von Japa oder der Mantrawiederholung wurde von großen Yogis und Rishis für diejenigen geschrieben, die sich nach Freiheit sehnen. Wenn ein Mantra mündlich oder geistig gesungen oder wiederholt wird, wird ein Kontakt zur konkreten Manifestation Gottes oder Ishta Devata (gewähltes Ideal) hergestellt. Sobald jemand Mantras hört, fokussiert und konzentriert sich der Verstand auf die göttliche Schwingung. Irgendwann singt man mit und das Mantra hinterlässt einen tiefen Eindruck im Verstand, sodass es den ganzen Tag bleibt. Dies wird glücklich machen und die Persönlichkeit auf subtile Weise verändern. Sobald man ein Mantra singt, zum Beispiel Om Shri Ram Jaya Ram, Jaya Jaya Ram Om, ruft man die Präsenz und den Segen von Lord Rama an. Der Verstand visualisiert Rama und vereinigt sich mit seinen guten Qualitäten. Sobald man sich mit der Inkarnation von Rama, seinem Leben, seiner Lehre und seiner Mission vertraut gemacht hat, wächst automatisch die Hingabe zu Gott durch diese seine göttlichen Tugenden. So können alltägliche Emotionen zur Hingabe werden und man erlebt eine höhere Wahrnehmung, in der das Herz und der Verstand gereinigt und erhoben werden. Dadurch ist der Verstand weniger erregt, das Sitzen in der Meditation wird viel leichter und irgendwann verändern sich die Begrenzungen von Körper und Verstand. Das passiert, wenn Gott unmittelbar erfahren wird. Das ist der vierte Zustand des Bewusstseins. Er liegt jenseits von Schlaf, Wachsein und Traum. Er wird als Samadhi bezeichnet. In diesem Zustand erfährst du, dass du der Geist, die Seele, der Atman und wirklich göttlich bist. Genau das ist es, was Jesus mit dem Satz meinte: „Ich und mein Vater sind eins.“ Das ist Erleuchtung und Freiheit, die Freude der Existenz.

Kabir, ein indischer Mystiker aus dem 15. Jahrhundert, fasste die spirituelle Praxis folgendermaßen zusammen: „Alles, was ich tue, ist loslassen und anhaften.“ Es ist ein unentwegtes Lösen des Verstandes von der Welt und Anhaften an Gott. Wenn man den Namen Gottes singt, tut man dies unentwegt. Das ist der zweckmäßigste Weg, um in der Gegenwart Gottes zu sein.

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