Rattensteak am Spieß, leckere proteinhaltige Engerlinge oder ein nahrhafter Meerschweinchenbraten? Dürfte es vielleicht auch noch etwas Eintopf aus Mensch sein? Warum, wieso und weshalb sich Nahrungstabus in unseren Gesellschaften entwickelt haben.

Nahrungstabus sind kulturelle Gesetzmäßigkeiten, die auch heutzutage noch in steter Bewegung sind. Wurde in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts noch Werbung für Zucker als Figurwunder gemacht, ist dieser heute weitgehend verteufelt. Rotes Fleisch gilt seit den 80ern als absolut gesundheitsschädlich und Butter haben viele Menschen schon lange von ihrem Frühstückstisch getilgt – in der irrigen Annahme, dass Margarine gesünder und fettärmer sei. Auch der Tierschutz kann zu Nahrungstabus führen: Schildkrötenfleisch – früher eine weit verbreitete Delikatesse – ist tabu. Ein weiterer Grund ist unsere Neigung zur Vermenschlichung. Unsere kuschligen Schoßtiere mögen wir halt eher selten als Steak oder knuspriges Schnitzel auf dem Teller sehen. Aber auch in Ländern, die traditionell zum Genuss von Hundefleisch tendieren, nimmt der Verzehr – in Korrespondenz mit dem wachsenden Trend, sich flauschige Schoßhündchen im Handtaschenformat zu halten – langsam ab.

 

Religiöse Tabus in der Speisekammer

Eines der bekanntesten Nahrungstabus ist wohl das islamische Gesetz, kein Schweinefleisch zu sich zu nehmen. Beliebt ist die Begründung, dass Schweinefleisch in warmen Ländern schnell verdirbt. Also ein religiöses Nahrungstabu – hygienisch motiviert? Geflügelfleisch ist für Salmonellenbefall und Verderblichkeit allerdings noch anfälliger, wird im Koran aber nicht mit einem Verbot belegt. Die Annahme, dass Mohammed in einer vollkommen hühnerfreien Gegend aufgewachsen ist, ist eher unwahrscheinlich und torpediert die Hygiene-Theorie. Wahrscheinlicher ist, dass er von den bestehenden jüdischen Speisetabus „inspiriert“ wurde.

Im Judentum findet man sogar noch extremere Speisegesetze als im Islam. Das sogenannte „Kaschrut“ beispielsweise bestimmt, was „koscher“ (rein) oder „trefe“ (unrein) ist. Eine große Zahl von Tieren (Schweine, Muscheln, Hasen…) sind danach unrein und werden von der Speisekarte gestrichen. Zusätzlich gibt es die Unterscheidung zwischen „Fleischigem“ und „Milchigem“. Diese Gerichte dürfen nicht miteinander vermischt werden. Es darf also kein Fleisch von Warmblütern zusammen mit Milchprodukten (Butter, Käse, Sahne) in einen Topf geworfen werden. In orthodoxen Haushalten wird streng darauf geachtet, dass es spezielle Töpfe, Geschirr und auch Kühlschränke gibt, die nur für „Milchiges“ oder „Fleischiges“ verwendet werden dürfen. Als einzige Begründung für ihre Gesetze gibt die Thora die „Heiligkeit“ des jüdischen Volkes an – es ist also gottgewollt.

Kulturmaterialismus – ökonomische Gründe

Marvin Harris, 2001 verstorbener US-amerikanischer Anthropologe, Autor des Buches „Wohlgeschmack und Widerwillen“ und Koryphäe auf dem Gebiet „Nahrungstabus“, hat eine eigene Theorie namens Kulturmaterialismus entwickelt. Sie besagt, dass hauptsächlich ökonomische Gründe unsere kulturell anerzogenen Speisegesetze beeinflusst haben.

So ist es in vielen Teilen der Erde völlig normal, Insekten, Ratten, Hunde oder Meerschweinchen zu verzehren, während Europäer allein bei der Vorstellung eine leicht grünliche Gesichtsfarbe bekommen. Allerdings treten diese für uns ungewöhnlichen Tierarten andernorts meist in großen Schwärmen oder Gruppen als Nahrungsangebot auf. Es lohnt sich also für die Menschen, diese tierische Nahrungsquelle zu nutzen. Da, wo sie (zum Beispiel in Form leckerer Heuschreckenschwärme) nur in geringem Maße vorhanden war, fand sie keine Nutzung und wurde im Laufe der Zeit als „eklig“ tabuisiert.

Kannibalismus, Kriegskannibalismus, Notkannibalismus

Ein sehr weit verbreitetes Nahrungstabu ist der Kannibalismus. Dieses Tabu gilt als Zeichen höherer Zivilisation. Marvin Harris vertritt die These, dass auch hierfür ökonomische Gründe vorliegen. Ganz simpel formuliert, lief es entwicklungsgeschichtlich auf eine Kosten/Nutzen-Rechnung hinaus: Lebende Menschen können Arbeiten verrichten und Steuern zahlen, Nutztiere sind zudem in der Haltung sehr viel pflegeleichter und als Fleischlieferanten meist in einem größeren und leichter verfügbaren Angebot vorhanden als Menschen. Also essen wir doch lieber Tier. Interessanter Aspekt: Notkannibalismus (zum Beispiel bei einem Flugzeugabsturz in einem menschenleeren Gebiet) wird von der Gesellschaft zähneknirschend sanktioniert. Und vor noch gar nicht allzu langer Zeit war Kriegskannibalismus eine durchaus übliche Handlungsweise. Warum Proviant auf den Feldzug mitnehmen, wenn es doch nachher genug frisches Fleisch gibt? Auch die Azteken betrieben – trotz ihrer hohen Zivilisation – eine Form des Kriegskannibalismus. Hier waren Menschenopfer von ausgewählten Gefangenen im Namen der Götter an der Tagesordnung. Kopf und Herz gingen an die Götter, das restliche Fleisch erhielt der „Besitzer“ zur weiteren Verwertung.

Pflanzentabus

Speisegesetze für Pflanzen findet man eher seltener. Meistens sind diese dann geschlechtsspezifisch. So dürfen bei einigen Völkerstämmen Männer zum Beispiel keine Früchte verzehren, die durch ihre Farbe an Menstruationsblut erinnern oder Ähnliches. Die Griechen tabuisierten den Genuss von Saubohnen. Die Erklärungen hierfür sind zahlreich: Die Bohne wäre angeblich direkt mit der Unterwelt verbunden, würde nach Sperma riechen, wie weibliche Genitalien oder wie ein Fötus aussehen. In Europa gab es auch einige Dämonisierungen von Pflanzen. So wurden dem Liebesapfel Tomate zeitweise satanische Kräfte nachgesagt, die Kartoffel galt als Brutstätte von Müßiggang und der Apfel sowieso als Frucht der Sünde par excellence.
Man sieht: Unser Ekel ist kulturell antrainiert, giftig sind die Speisen anderer Kulturen für uns nicht wirklich. Also doch mal über den kulinarischen Tellerrand schauen und tapfer ausgefallene Delikatessen à la frittierte Raupe und Känguruh-Hoden probieren? Es muss ja nicht gleich der Eintopf nach Azteken-Art sein.

 

Abb.: © mm – Fotolia.com

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