Abb: © Elnur - Fotolia.comNegative Gefühle … gibt es nicht – wir selbst machen sie dazu! 26. Oktober 2015 Persönliches Wachstum Wir sind ein unmittelbares, wildes, freies und energetisches Ereignis, das gelebt werden möchte. Doch die Realität der meisten Menschen heißt: Ich muss das Leben kontrollieren – vor allem meine Gefühle, denn viele davon sind nicht okay. Timo Schmölling bietet eine besondere Art der Prozessarbeit an, die über den Kontakt mit unseren negativen Gefühlen pures Dasein, Verbundenheit und Intimität wieder ans Tageslicht holt. Der Vorhang geht auf. Das Leben geht los – und wir suchen mit großen Augen nach Orientierung. Sind wir willkommen? So, wie wir sind? Ist es gut, was wir tun? Und wenn nicht …? Dann versuchen wir alles, um geliebt zu werden. Wir sollen anders handeln, anders sein? Gut, wir spielen mit. Auch um den Preis unseres wahren Lebens. So wie die kleine Veronika, Einserschülerin und Tochter zweier beruflich sehr erfolgreicher Eltern. Vom privaten Geigenunterricht bis hin zur zweisprachigen Erziehung durch ein spanisches Kindermädchen wird Veronika unterstützt und gefördert. Heute steht sie als eine starke Frau in der Welt. Doch sie raucht viel vor unseren gemeinsamen Sessions. Ihr Thema ist die innere Einsamkeit. Sie kann nicht verstehen, warum ihre Angestellten und Vorgesetzten ständig in Dispute und Auseinandersetzungen mit ihr geraten. Auch ihr Freund macht sie wütend. Sie meint, er sei wie ihre Kollegen und könne ihr nicht auf Augenhöhe begegnen. Er sei schwach. Ist das wirklich so? Die starke Verurteilung dieser angeblichen Schwäche ist dabei interessant. Kann es sein, dass Veronikas starke Ablehnung bestimmter Verhaltensweisen, die sie bei anderen sieht, daher kommt, dass sie gelernt hat, die entsprechenden Bedürfnisse und Gefühle bei sich selbst zu verstecken? Verschobene Wahrnehmung Wie kommt es zu dieser verschobenen Wahrnehmung? In der Kindheit waren wir existenziell abhängig von unseren Eltern. Doch immer wieder waren diese mit unseren Wünschen und Lebensäußerungen überfordert. Wie oft hörten wir: „Lass das, sonst bekommst du kein Eis. Sei jetzt leise, oder du gehst ins Bett. Wenn du dich nicht benehmen kannst, bleibst du zu Hause.“ Wir hatten – theoretisch – die Wahl zwischen dem Ausleben der eigenen Impulse oder Liebesentzug und Kontaktabbruch. Doch nur theoretisch, denn wir waren vollkommen abhängig. Wir haben dann zwar mit verschiedensten Anpassungsstrategien überlebt, aber um den Preis, nicht mehr wir selbst zu sein. Wir haben uns für jeweils passende Muster entschieden, wie aufgesetzte Fröhlichkeit, Unterwürfigkeit oder Hilflosigkeit. Um unseren Eltern ein gutes Kind zu sein, haben wir unter großer Anstrengung und durch strikte Kontrolle den Ausdruck aller unliebsamen Gefühle blockiert. Sogar noch heute ist da dieses Lächeln, das von innerer Unsicherheit ablenken soll. Genauso wie der von uns entfachte Beziehungsstreit, der verhindert, dass uns unsere Angst vor Intimität bewusst wird. Oder die gespielte Begeisterung, die uns irgendeinen Vorteil oder einfach nur Aufmerksamkeit bringen soll. Je ehrlicher wir als Erwachsene mit uns werden, desto mehr zeigt sich, wie wir uns hinter aufgesetzten Masken und entsprechendem Verhalten verstecken. Leben in den Augen der anderen Nicht nur der Ausdruck, auch die Wahrnehmung unserer Gefühle wird beeinflusst. Wir haben in unserer Kindheit ein Bild von uns entwickelt, das durch die Forderungen, Wünsche und Vorstellungen unserer Bezugspersonen und Mitmenschen bezüglich unserer Person geprägt wurde. Stück für Stück haben wir uns durch ihre Augen gesehen und begannen, uns mit diesem Bild zu identifizieren – einfach, weil es Realität war, dass wir ohne unsere Bezugspersonen nicht existieren konnten. Aus tiefer, existenziell bedrohlicher Angst wählten wir darum einst die Rolle, die am meisten Zuwendung seitens unserer Eltern versprach. Es war dabei für uns unmöglich, die Eltern zu hinterfragen – zu viel stand auf dem Spiel. So musste sich unser wahres Ich verbiegen. Das war nur durch Gewalt gegen uns selbst möglich, dadurch, dass wir unsere wahren Gefühle und Bedürfnisse brutal verdrängten, sie als falsch und böse bewerteten und in die tiefste Unterwelt unseres Bewusstseins verbannten. So entstand ein innerer Konflikt. Zwei Seelen kämpfen seither in unserer Brust. Die eine ist das künstlich erschaffene Selbstbild, unsere gut gelernte Rolle und der einst überlebenswichtige Zwang, daran zu glauben, dass dies die einzige Realität ist. Die andere ist unsere wahre Seele, verbunden mit dem tiefen Wunsch nach Selbstausdruck, der unterdrückt wurde durch die nicht gelebten und erlebten Bedürfnisse. Künstliches Selbstbild Das künstliche Selbstbild erzeugt einen Zustand von angespannter (Schein)Stabilität und einer zwanghaften Selbstverständlichkeit („Ich bin eben so, wie ich bin!“) oder von völliger Verlorenheit und endlosen Selbstzweifeln („Ich kann nicht, ich weiß nicht…“). Eine derartige menschliche „Kulisse“ muss sich krampfhaft an den Stützpfeilern ihres Lebens festhalten, weil der echte innere Halt fehlt. Das führt beispielsweise zu Menschen, die ständig behaupten, Recht zu haben, oder Behauptungen aufstellen, die sie für generell gültig erklären. Dabei wird sichtbar, wie stark das Gefühl von Identität mit dem zusammenhängt, was Menschen glauben und denken und wie wenig sie dabei bemerken, dass dies lediglich ihr momentaner subjektiver Standpunkt ist. Körperlich fühlen wir uns in solchen Momenten eng und sind im Kopf. Uns umgibt eine Aura zwanghafter Vehemenz und es fehlen Verbundenheit und Körperbewusstsein. Ähnlich geht es auch der heute 44-jährigen Veronika. Im Beruf ist sie kompetent und macht alles richtig. Unterläuft ihr trotzdem einmal ein Fehler, geht sie professionell damit um. Ich erlebe sie als eine kluge, disziplinierte Person, die anderen hilft. Sie wirkt aber auf mich auch unbewusst, größenwahnsinnig, rechthaberisch und wertet jene ab, denen sie hilft. Ich kann sehen, dass Veronika enttäuscht ist vom Leben und ihren Mitmenschen, ich spüre ihre Verbitterung und Wut. Als intelligente Frau konnte sie reflektieren, dass dieser Zustand auch etwas mit ihr zu tun haben musste. Das Erste, was mir bei ihr auffiel, als sie zu einer Einzelsession kam, war ihre starke Körperspannung und eine gewisse Härte, die sie ausstrahlte. Ich fühlte bei ihr sehr viel aufgestaute Wut und den Wunsch zu kontrollieren – doch genau das war es, was sie an anderen so stark verurteilte. Mein Anliegen in meinen Sessions ist es, die Gefühle, die wir in der Kindheit abgespalten haben, wieder in Kontakt mit unserem Bewusstsein zu bringen. Um das zu erreichen, ließ ich Veronika die Muster, die ihr Leben unbewusst sowieso schon bestimmten, übertreiben. Ich lud sie ein, mich zu kontrollieren und herumzukommandieren. Sie sagte mir, wie ich sitzen, was ich machen sollte etc. Das war für Veronika erstmal ungewohnt, aber es löste bei ihr eine gewisse Befriedigung aus und machte Spaß. Sie zelebrierte sich und verurteilte sich immer weniger dafür. Dabei entspannte sie und ihr wurde bewusst, wie stark sie in ihrem Leben bei sich und anderen alles kontrollieren musste, um sich sicher zu fühlen. Das Böse hat auch sein Gutes Unsere angelernte Rolle dient uns dazu, ursprüngliche Impulse zu vertuschen. Was als böse und unerwünscht verurteilt wurde, überschminken wir gekonnt. Daher geht es in einer therapeutischen Session auch darum, den Zugang zur Intuition wieder herzustellen und intuitiv zu reagieren. Denn aus einem unzensierten und nicht kontrollierten Raum heraus erleben wir uns selbst ganz anders. Charakteristisch dafür sind die klaren Körpergefühle. Wir erlauben uns, unseren ganzen Körper bewusst zu fühlen. In uns beginnt ein Fließen, es fühlt sich aufregend an und leicht, wir spüren uns wieder. Nachdem Veronika ihr Muster der Kontrolle entlarvt hatte und sich damit entspannen konnte, fühlte sie sich Schritt für Schritt damit vertrauter, so dass sie diesen Zustand schließlich sogar zum Krafttanken – ohne Abwehr kann wieder Energie fließen – nutzen konnte. Als Nächstes wandten wir uns ihrer Wut zu. Ich provozierte sie so lange, bis sie auf mich losgehen wollte. Ich erlaubte ihr, mich kräftig in den Arm zu kneifen und mich zu beschimpfen. Das löste große Unsicherheit bei ihr aus, denn sie spürte das Verbot, so etwas zu tun. Wichtig in solchen Momenten sind Körperbewusstsein und Präsenz auf beiden Seiten. Ich schaute ihr in die Augen, als sie das nächste Mal zukniff, und lud sie ein, sich selbst dabei tief zu fühlen. Das war alles ungewohnt und neu für sie. Als sie es noch mal versuchte, entstand ein liebevoller Kontakt zu mir, sie fühlte sich mir nah, obwohl sie mir gerade Schmerzen zugefügt hatte. Sie merkte, dass ich da blieb und sie nicht verurteilte. Sie versuchte es noch einmal, und langsam änderte sich ihr Gefühl, eine große Sehnsucht nach Kontakt und Angenommensein wurde spürbar. Sie fühlte sich sehr klein, und den Rest der Session hielt ich sie einfach im Arm. In den kommenden Sessions pendelte sie zwischen intensiver Wut und Sehnsucht hin und her. Meiner Erfahrung nach ist der Gefühlsraum der Intuition, der unkonditionierten Wahrnehmung und des freien Ausdrucks von Gefühlen, nicht begrenzt auf Harmonie, Liebe oder Schönheit. Ganz im Gegenteil zeigt sich in meiner Praxis, dass innere Weite dann entsteht, wenn ein echter „Bösewicht“ ans Licht kommt. Einem verbotenem Gefühl zu erlauben, wirklich da zu sein, erlöst uns von dem Widerstand und der höllischen Enge, in die wir das Gefühl verbannt hatten. Hass, rasende Wut, Verzweiflung, gewalttätige Lust, Dominanz, Rache, Vernichtenwollen – das sind die Dämonen, die uns aus der Dunkelheit in das lichte, leichte Lebensgefühl von Freiheit bringen. Auf das Unbekannte zugehen Was für Veronika schnell spürbar wurde, war, dass es eine andere, konkrete Möglichkeit gibt, mit ihren Gefühlen umzugehen. Sie kann sich bewusst entscheiden: Möchte sie das Rollenbild leben, das sie von sich hatte? Oder die sein, die sie wirklich ist? Aber wie sollte sie wissen, wer sie wirklich ist? Sie kannte nur ihren Jahrzehnte alten Film, der sich immer ähnlich abspulte. Wo soll sie anfangen, was kann sie tun? Sie kann weiter auf das Unbekannte zugehen. Sie kann in Richtung Kontrollverlust gehen. Das heißt, sich selbst auch in unangenehmen Situationen total aushalten. Sich erlauben, die eigene Rolle in der Welt auch mal schlecht zu spielen oder aus der Rolle zu fallen. Damit gibt sie sich selbst die Chance, alle Gefühle, auch negative Gefühle, in sich kennen zu lernen, sich deren bewusst zu werden, ohne etwas damit tun zu müssen. Dadurch erlangt sie Schritt für Schritt mehr Freiheit. Muss sich nicht länger in andere Filme mit anderen Schauspielern hinein wünschen und braucht nicht die nächste Methode oder Technik, um sich zu verbessern. Sie kann jeden Moment nehmen, wie er ist, als Einladung, bewusst damit zu spielen und sich selbst zu erleben. So kann sie ihre alte Rolle der starken Frau friedlich annehmen und als Teil ihres Selbstausdrucks empfinden – jenseits von Ausschließlichkeit, da sie erkannt hat, dass weit mehr in ihr steckt. Sie kann neue Wege geht, die ihr vorher nicht zugänglich waren. Das Schöne: Wenn wir ehrlich und präsent sein können mit unseren Gefühlen, entsteht echter Kontakt. Es ergeben sich viele intime Momente mit anderen Menschen. Denn die Fähigkeit, tief zu fühlen, beschränkt sich nicht nur auf uns selbst. Je mehr wir lernen, da zu bleiben, können wir auch andere tief fühlen – und das ist eine wunderschöne Erfahrung. Sie bereichert das Leben mehr als alles andere. Hier findet Erfüllung statt. Das nährt und gibt Kraft. Mit dieser inneren Sicherheit können wir nun auf noch intensivere, festgehaltene, negative Gefühle in uns zugehen. Einsamkeit und Depression haben ein Ende! Wohin führt das alles? Dieser Prozess führt uns nirgendwo hin. Er ist eine praktische Herangehensweise, die es erlaubt, das sogenannte Ego, den Schmerzkörper, unsere Identität, das projizierte Selbst – wie immer man es nennen möchte – zu entlarven, indem wir dessen Funktionsweise und Beschaffenheit erkennen. Eine Perspektive, die es uns erlaubt, uns aus Angst und Leid zu befreien. Dieser Umgang mit unseren Gefühlen ist eine Einladung, immer wieder ins Unbekannte zu springen, um sich an den freien Fall zu gewöhnen. Wir sind nicht nur Statisten und unbewusste Schauspieler in individuellen und kollektiven Filmen. Wir sind ein unmittelbares, wildes, freies und energetisches Ereignis, das gelebt werden möchte. Wir sind die Möglichkeit, verbunden zu sein, mit allem, was uns umgibt. Dafür brauchen wir immer aufs Neue den Mut und die Kraft, verletzlich und offen zu sein. Es gibt so viele gute Gründe, sich zurückzuhalten. Aber nur einen guten Grund, es nicht zu tun: Pures Dasein, Verbundenheit und Intimität sind lebenswert. Sie reichen aus, um ein wirklich erfülltes Leben zu leben. Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.