2006 erhielt Luc Jacquet mit „Die Reise der Pinguine“ einen Oskar für den besten Dokumentarfilm. Für seinen neuen Naturfilm hat der französische Filmemacher die  Antarktis verlassen. In „Das Geheimnis der Bäume“ begleitet er den Botaniker Francis Hallé durch die Ur- und Regenwälder von Peru und Gabun und führt uns in poetischen, ruhigen Bildern in die komplexen Lebensräume des tropischen Waldes.

Es war einmal ein Wald…

Ich erinnere mich an nicht sehr viel aus dem Erdkundeunterricht, aber ein Klassenausflug in den Pfälzer Wald blieb doch haften. Die Lehrerin bemühte sich, uns die Entstehung des Waldes hautnah zu vermitteln. Was mich als Stadtkind während dieser Exkursion neben Kälte und Dreck am meisten beeindruckte, war die Erkenntnis, dass es in der Natur offenbar eine grundsätzliche Tendenz zu Wachstum, Größe und Vielfalt gibt. Und dass dies ganz unabhängig vom Menschen geschieht.

Wälder sind sind komplexe Ökosysteme und unsere wichtigsten Sauerstoffproduzenten. Der tropische Regenwald gilt als grüne Lunge unseres Planeten. Bekanntermaßen wissen wir das nicht so recht zu schätzen: Im Jahr 2013 vernichtete der Mensch im Amazonasgebiet 2.338 Quadratkilometer dieser Lunge – eine Fläche dreimal so groß wie New York. Die Gründe für die Abholzung sind vielfältig: Landnot, Holzgewinnung, Umwandlung in Plantagen und Weideland, Ausbeutung der Bodenschätze.

Auch in Luc Jacquets Film begegnen wir den Folgen menschlichen Eingreifens: Riesige Stämme liegen abgeholzt im Schlamm, Fällwerkzeuge und Traktoren haben ihre Arbeit verrichtet. Nach den schönen, atmosphärischen Eingangsbildern und Kamerafahrten vom Wurzelwerk bis zur Krone eines Urwaldriesen wirken diese Bilder eines Kahlschlaggebietes umso stärker.

Vom Samen zum Primärwald – neues Leben in 700 Jahren

Aber „das Geheimnis der Bäume“ ist kein Film, der aufrütteln möchte. Schnell löst sich der Film von den bedrückenden Aufnahmen und zeigt, mit welcher Intelligenz der Wald sich selbst aus dem Schlamm heraus neu erschafft. Das komplexe Leben und Zusammenspiel von Flora und Fauna in den Ur- und Regenwäldern von Peru und Gabun erklärt uns der renommierte Botaniker Francis Hallé, der seine Arbeit seit Jahrzehnten dem tropischen Regenwald widmet. Mit seiner Hilfe verfolgen und verstehen wir die Zyklen der Regeneration.

Wir sehen, wie im Schlamm unzählige Samen der schnell wachsenden Pionierbäume aufgehen, die später das Fundament des so genannten Sekundärwaldes bilden werden. Wir begreifen, wie nach mindestens 700 Jahren daraus ein neuer Primärwald mit den typischen, hohen Baumriesen entstehen kann – wenn in diesen natürlichen Werdegang nicht eingegriffen wird.

Während dieses Prozesses entwickeln sich innerhalb des Waldes Öko-Nischen für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Wir beobachten Insekten, Affen, Vögel, Elefanten und unzählige Pflanzenarten. Aus dem Zusammenleben der vielen Lebensformen entstehen die unterschiedlichsten Beziehungen und evolutionäre Prozesse. Zwischen den Bäumen wimmelt es von Lebewesen, die mit Allianzen und Wettkämpfen, mit Verteidigungs- und Tarnmechanismen ihre Existenz sichern. Sicher nicht Neues für den Naturdoku gewohnten „Galileo“ Zuschauer, aber hier angenehm unaufgeregt in Szene gesetzt.

Eine Reise in den Regenwald

In „die Reise der Pinguine“ gab Luc Jacquet den Tieren menschliche Stimmen und polarisierte damit die Zuschauerschaft. Nicht wenige bedauerten die Verniedlichung bzw. Dramatisierung und Vermenschlichung der aufwändig gefilmten Szenen. In „Das Geheimnis der Bäume“ bleiben wir davon verschont, es gibt weder sprechende Bäume noch sprechende Tiere. Allerdings werden Prozesse wie das Wachstum der Pflanzen über Jahrzehnte und Jahrhunderte mithilfe von teilweise naiv anmutende Animationen verdeutlicht.

Auch die Szenen mit gemalten Schmetterlinge, die den real gefilmten Francis Hallé umflattern, sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Aber es sind auch genau diese Elemente, die Luc Jacquets filmische Erzählung über den tropischen Wald wie ein Märchen erscheinen lassen. Der französische Originaltitel des Films „Il était une forêt“ (Es war einmal ein Wald) unterstreicht diesen Eindruck.

In der deutschen Fassung leiht der Schauspieler und bekennende Naturfreund Bruno Ganz dem Botaniker Francis Hallé seine Stimme. Sie führt uns ruhig und konstant durch einen Film, der mit vielen schönen Aufnahmen von Pflanzen und Tieren aufwartet, dabei aber auf aufwändige Zeitraffereffekte und ungewöhnliche Kamerafahrten verzichtet.

„Das Geheimnis der Bäume“ ist keine spektakuläre Naturdoku, sondern eine poetische Reise um den Entstehungsprozess des Urwalds, der uns mit einer optimistischen Erkenntnis zurücklässt: Unter einer bestimmten Voraussetzung erschafft sich der Wald immer wieder neu: Der Mensch muss ihn in Ruhe lassen und das für mindestens 700 Jahre. In diesem Sinne unterstützt der neue Film von Luc Jacquet die Aussage meiner Erdkundelehrerin, die am Ende unseres Klassenausflugs feststellte: „Lässt man der Natur ihren Lauf, entsteht am Ende immer Wald.“

 


Offizielle Website zum Film

dasgeheimnisderbaeume.de

Alle Fotos: Weltkino

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