Was wäre, wenn Arbeit das Köstlichste wäre, was wir uns vorstellen können? Der Philosoph Frithjof Bergmann ist sich sicher: das ist nicht nur möglich, sondern der nächste notwendige Schritt für den Menschen – der Schritt von der alten zur Neuen Arbeit, wie er sie nennt. Nebenbei analysiert er in diesem Interview mit dem Magazin agora42 auch noch die Wirtschaftkrise und räumt mit ein paar hartnäckigen Legenden auf. Neue Arbeit: So gut wie Sex?

 

Herr Bergmann, Sie haben vor über 25 Jahren den Begriff „Neue Arbeit“ geprägt. Wodurch unterscheidet sich die Neue Arbeit von der alten Arbeit?

Alte Arbeit ist Jobarbeit oder Arbeitsplatzarbeit. Alte Arbeit funktioniert nach dem System, dass man für jemand anderen arbeitet, dass ein anderer einem sagt, was man zu tun hat, und dass man von jemand anderem bezahlt wird. Historisch gesehen, gibt es das Jobsystem beziehungsweise das Arbeitsplatzsystem, das wir jetzt haben, noch gar nicht so lange – rund 200 Jahre. Heutzutage könnte man ja fast den Eindruck gewinnen, man hätte schon in der Steinzeit eine Stechuhr gehabt, die einem vorgab, dass man um 9 Uhr mit der Arbeit anfing und um 17 Uhr aufhörte. Alte Arbeit ist Arbeit, die man tun muss. Das ist auch der verbreitete Begriff der Arbeit hier in Deutschland: Arbeit muss hart sein, Arbeit muss schwer sein – ansonsten ist es keine wirkliche Arbeit.
Am Anfang der Neuen Arbeit stand der Gegensatz zwischen „Arbeit tun müssen“ und „Arbeit tun, die man wirklich will“. Neue Arbeit ist der Versuch, schrittweise dahin zu kommen, dass man in einem immer größeren Maß das tut, was einem entspricht, das tut, für das man eine Begabung hat, das tut, was einem nicht nur persönlich entspricht, sondern auch der Weltanschauung, die man hat. Auf den Punkt gebracht: Sex muss schon sehr gut sein, um den Vergleich mit Neuer Arbeit auszuhalten.

 

Sicherlich würden die meisten Menschen eine solche Arbeit begrüßen; und dann argumentieren, dass leider das Leben so nicht sei, dass man eben zumeist nicht die Arbeit tun kann, die man wirklich will; der Mensch sei im Naturzustand brutal und eher auf Konfrontation als auf Kooperation ausgelegt, er sei nicht in der Lage, frei über sein Leben zu bestimmen. Müsste der Neuen Arbeit also nicht ein gewaltiger Bewusstseinswandel vorausgehen?

Da sage ich ganz klar: Nein! Es dreht sich nicht darum, dass wir unser Denken über die menschliche Natur vollkommen auf den Kopf stellen sollen. Im Gegenteil: Die Welt, in der wir leben, passt nicht mehr zu unserem Denken. Mit anderen Worten: Es dreht sich nicht darum, die Menschen davon zu überzeugen, ganz andere Werte zu adoptieren, sondern darum, dass eine riesige Distanz besteht zwischen den Werten beziehungsweise Begriffen, die wir jetzt schon haben, und der Art und Weise, wie unsere Welt strukturiert ist. Es geht darum zu begreifen, dass die Veränderung im Denken schon passiert ist. Wir denken längst nicht mehr in den Kategorien überlieferter Theorien wie zum Beispiel jener von Thomas Hobbes, der einen „Naturzustand“ ausmalte, in dem sich die Menschen gegenseitig bekämpfen. Eine Unmenge Studien belegt, dass Kooperation eine große Rolle in der Evolution gespielt hat – und in der Entwicklung unserer Psyche gespielt hat; dass Kooperation zur menschlichen Entwicklung mehr beigetragen hat als das Sich-gegenseitig-Bekämpfen. Es geht mir also überhaupt nicht darum, prophetisch zu sein, sondern darum aufzuzeigen, dass wir nur annehmen und umsetzen müssen, was wir bereits wissen. Ich versuche die Welt dahingehend zu verändern, dass sie zu uns passt und den Wertvorstellungen, die wir haben, entspricht.

Was dabei eine große Rolle spielt, ist der Begriff der Lebensqualität – welche Entwicklungsmöglichkeiten man also hat und welche Möglichkeiten, sich selbst im eigenen Leben zu finden. Auch hier gilt wieder: Die Veränderung ist bereits eingetreten. Der Begriff „der Autor des eigenen Lebens werden“ ist gang und gäbe geworden. Das ist bereits die Art und Weise, wie wir denken. Die Neue Arbeit ist der Versuch, dieses Denken auf die Arbeit zu übertragen – die Arbeit dahingehend zu strukturieren, dass sie diese neuen Werte im Sozialen widerspiegelt. Aber das Denken ist zum Großteil schon da. Insofern besteht meine Aufgabe nicht darin, das Denken zu revolutionieren, sondern „nur“, die Welt von Grund auf zu verändern.

 

Arbeit 1Die Sehnsucht nach einem erfüllten und selbstbestimmten Leben gab es im Prinzip ja auch schon, als Sie die Theorie der Neuen Arbeit entwickelt haben. Warum findet Ihre Theorie gerade jetzt immer mehr Anklang?

Am Anfang meiner Gedanken stand nichts Weltbewegendes – vielmehr stand ich unter dem Einfluss des Schriftstellers und Philosophen Albert Camus, der gesagt hat, dass die Welt keinen Sinn hat. Ich habe damals in Stanford unterrichtet und bin oft am Strand auf und ab gegangen. Dabei habe ich aus einer Art Zorn auf die Welt oder Entrüstung über die Welt den Gedanken gehabt: Wenn sowieso alles sinnlos ist, dann werde ich etwas wirklich Sinnloses machen.

Mir ist schon in den Jahren 1978-81 – also nicht erst 1989 – klar geworden, dass das, was man Kommunismus nannte, sterben würde. Es war mir allerdings damals auch schon klar, dass auch das kapitalistische System sich auf einen fürchterlichen Zustand hin entwickeln würde – auf einen Zustand hin, den ich „Schlachtspaltung“ nenne. Damit meine ich die blutige, tiefe Wunde, die sich öffnet zwischen den 20 Prozent, die ich die Oasenmenschen nenne, und den 80 Prozent, die ich als Wüstenmenschen bezeichne, weil ich den Ausdruck „sozial Schwache“ hasse. So kam in mir der Gedanke auf: Im Grunde genommen müssen wir ganz von vorne anfangen. Wir müssen wirklich neu denken. Worauf könnte eine Alternative zu diesen beiden Systemen beruhen?

Warum die Theorie der Neuen Arbeit gerade jetzt einen Aufschwung erlebt? Weil die Probleme in der Welt – und ich komme gerade aus Afrika zurück – Ausmaße angenommen haben, die unvorstellbar sind. All das, was anfangs eher als Provokation gemeint war, als „Stell dir das alles mal ganz anders vor“, das ist jetzt wirklichkeitsnah geworden. Aus vielen verschiedenen Gründen: wegen der „Schlachtspaltung“, die ich eben erwähnt habe, wegen des Ressourcenproblems, wegen des Klimaproblems et cetera. Und auch, weil wir jetzt über Technologien verfügen, die ein anderes Arbeiten und Wirtschaften möglich machen.

Ich finde im Zusammenhang mit den heutigen Problemen den Vergleich mit den ägyptischen Plagen sehr passend. Die sind in der Bibel toll beschrieben: Die blutgefüllten Flüsse, das Belagertwerden von den Fröschen … Ich denke, dass wir in eine Situation kommen, in der uns sechs Plagen – nicht zehn, wie in der Bibel – heimsuchen werden.

 

Die Heuschrecken haben wir schon gesehen, kommen demnächst die Frösche?

Zunächst kommt noch eine Finanzkrise. Und diese wird viel durchschlagender und zerstörerischer sein als die, die man angeblich hinter sich hat. Die zweite Plage wird eine gewaltige Wirtschaftskrise sein. Drittens die erwähnte „Schlachtspaltung“. Viertens das Problem der Ressourcen – das ist nicht ganz dasselbe wie das Problem der Verhunzung der Natur. Das Sinnbild der Verhunzung der Natur ist im Augenblick der Golf von Mexiko. Aber mein Sinnbild für Ressourcen ist nicht Öl, sondern Wasser. In der nächsten Periode wird uns das Wasser ausgehen und ein Riesenproblem werden. Also das Ausgehen von Ressourcen ist die vierte Plage. Die Verhunzung der Natur ist die fünfte. Aber jetzt kommt noch eine Plage dazu: nämlich dass die Qualität des Lebens systematisch verschlechtert wird. Dass der Druck auf das alltägliche Leben größer und größer wird. Damit meine ich auch all das, was sich mit den Begriffen Stress und Burn-out verbindet; ich meine die Tatsache, dass man kaum mehr Zeit hat für die Kinder und, was ich immer gerne betone, ist, dass man sozusagen im kleinen schwarzen Buch blättern muss, um herauszubekommen, wann man unter Umständen Sex haben kann, weil kaum noch Zeit und Energie dafür vorhanden sind.

Ich nenne dies „das Verbrennen der Geigen“. Was ich damit meine, ist, dass wir, metaphorisch ausgedrückt, im Grunde genommen alles, was den Wert und die Qualität des Lebens ausmacht, ins Feuer werfen – in das Feuer, das den Kessel der Wirtschaft unter Hochdruckdampf hält. Wir reduzieren das Geld für Bildung, Oper, Theater, Kindergärten und, und, und … Irgendwann reißen wir auch noch die Bilder von der Wand, um sie zu verfeuern, und als Nächstes werfen wir die Musikinstrumente hinterher. All dies, um – hässlich ausgedrückt – ein attraktives Bordell für die Wirtschaft zu bleiben.

 

Arbeit 2Unsere Gesellschaft wird maßgeblich durch die Ökonomie bestimmt. Wie würde sich die Neue Arbeit wirtschaftlich auswirken – wenn also jeder nur noch das tut, worin er Erfüllung findet?

Das Wort „nur“ möchte ich herausgreifen, denn darin kommt ein fast unausrottbares Missverständnis gegenüber der Neuen Arbeit zum Ausdruck. Es geht bei der Neuen Arbeit nicht darum, nur das zu tun, zu dem man gerade Lust hat. Es gab von Anfang an die Einsicht, dass man selbstverständlich täglich Dinge tun muss, die man nicht unbedingt tun will. Angefangen beim Waschen von Unterhosen …

Es verhält sich genau umgekehrt. Es gibt sehr viele Menschen, die sich in ihrem ganzen Leben nicht ein einziges Mal die Frage gestellt haben, welche Arbeit sie wirklich, wirklich tun wollen. Man sollte es dazu bringen, dass diese Frage wenigstens einmal gestellt wird; dass diese Frage überhaupt eine Rolle im Leben spielt. Und dass man die Arbeit, die man verrichtet, danach beurteilt.
Zur Frage, wie die Wirtschaft aussehen würde: Die Menschen in frühen Kulturen haben größtenteils nur zwei Stunden am Tag gearbeitet. Die ganze restliche Zeit wurde mit allen möglichen anderen Dingen verbracht. Zwei Stunden am Tag! Was für ein Unterschied zu der Art und Weise, wie heute gearbeitet wird. Ein Sündenfall ist die protestantische Ethik und der sich daraus entwickelnde Geist des Kapitalismus – wie Max Weber das in seinem berühmten Buch beschrieben hat. Die Rückkehr zu der Zeit vor dem Sündenfall ist ein ganz zentraler Teil des Zukunftsbilds, an dem wir arbeiten. Die Ökonomie soll untergeordnet werden, sie soll uns dienen und nebensächlich sein. Bildhaft gesprochen: eine Situation, in der die Fabriken klein werden, in der die Banken und Bürotürme klein werden – auch im Stadtbild. Eine Situation, in der sie eine beinahe schon schamhafte Rolle spielt.
Das verbinde ich mit folgender Überlegung: Wir haben die Technologie, die es uns ermöglichen könnte, mit sehr wenig Anstrengung, sehr wenigen Ressourcen und sehr geringem Zeitaufwand einen sehr großen Wohlstand zu erzeugen.

 

Ist es aber nicht genau das, was unter dem Stichwort „Uns geht die Arbeit aus“ diskutiert wird – dass nämlich durch die Automatisierung und Flexibilisierung von Arbeitsabläufen immer mehr Arbeitsplätze wegfallen?

Nein. Die Arbeit ist unendlich. Die Idee, dass uns die Arbeit ausgeht, ist eine Professorenblödheit. Das ist undenkbar, einfach weil alles, was um uns herum existiert, eine Einladung zur Arbeit ist. Ob das ein kleines Kind ist oder was auch immer. Die ganze Literatur zum Thema „Uns geht die Arbeit aus“ ist überflüssig. Was uns ausgeht, ist die alte Arbeit, organisiert in Arbeitsplätzen. Was uns ausgeht, ist Arbeit, die uns jemand anderes sozusagen in die Hände legt. So müssen wir in Zukunft die Arbeit selbst in die Hand nehmen, selbst bestimmen, was wir als Arbeit definieren. Was zum Teil den Hype erklärt, der um Entrepreneurship gemacht wird.

Ich meine natürlich nicht, dass die Menschen hauptsächlich oder nur noch arbeiten müssen. Aber wir können eine Kultur entwickeln – das ist ein Teil des Versuchs der Neuen Arbeit -, in der Menschen weniger arbeiten und mehr freie Zeit haben.

 

Wenn Sie sagen, Arbeit sei unendlich, was ist dann keine Arbeit?

Ihre Frage ist natürlich ganz berechtigt. Wenn man Arbeit tut, die man wirklich, wirklich will, worin besteht dann der Unterschied zwischen Spiel und Arbeit? Es ist ein Teil meiner Absicht, dass für viele Menschen der begriffliche Unterschied wegfällt: Arbeite ich, oder ist das, was ich da tue, für mich das Köstlichste im Leben? Mathematiker oder Musiker beispielsweise erleben ihre Arbeit als die schönste Art zu spielen, die für sie denkbar ist. Es gibt überhaupt keine Arbeit, die nicht irgendjemand wirklich, wirklich tun will. Merkwürdig, aber es ist so.

Wir befinden uns heute in einer paradoxen Situation: Einerseits wird Arbeit ganz hoch bewertet und alle Werte werden mit ihr verknüpft – ohne zu arbeiten, verdient man es eigentlich nicht zu essen; ohne zu arbeiten, hat man kein Recht auf Stolz; ohne zu arbeiten, ist man eigentlich nur ein geduldeter Wurm, auf den alle Menschen treten dürfen. Andererseits schafft man die Arbeit, die man mit diesen hohen Werten verknüpft, mehr und mehr ab. Dieser Widerspruch ist fatal. Mir begegnen andauernd Leute, die von sich behaupten: „Ich habe keine Arbeit“, und dann stellt sich heraus, dass die betreffende Person dieses oder jenes verkauft, aus ihrer Wohnung heraus alle möglichen kleinen Unternehmen führt oder fünf Kinder allein aufzieht, oder … Aber man sagt: „Ich habe keine Arbeit.“

 

Würde Neue Arbeit auch bedeuten, dass der Lohn von der Arbeit entkoppelt wird – im Sinne eines bedingungslosen Grundeinkommens, wie es in Deutschland intensiv diskutiert wird?

Nein. Wenn man den Menschen 1000 Euro im Monat gibt, führt das dazu, dass man sie infantilisiert und in eine große Abhängigkeit bringt; es führt dazu, dass sie immer ganz brav „Bitte, bitte“ sagen, und wenn das Geld dann nicht da ist, hat das Ganze ganz scheußliche Konsequenzen. Ich habe mich des Öfteren öffentlich mit dem „Papst des Grundeinkommens“, Götz Werner, unterhalten und dabei betont, dass es heute schon viele Bevölkerungen gibt, die ein Grundeinkommen beziehen. Zum Beispiel die amerikanischen und kanadischen Indianerstämmen, mit denen ich jahrelang zusammengearbeitet habe. Diese Indianerstämme beziehen ein Grundeinkommen – zur Kompensation der sehr verdienten Schuldgefühle ihnen gegenüber. Das hat absolut verheerende Konsequenzen: Der Alkoholismus und die Drogenabhängigkeit unter den Indianern ist kaum zu glauben. Die Gewalt in den Familien ist fürchterlich – die Männer verprügeln die Frauen in regelmäßigen Abständen. Und all das hat damit zu tun, dass die Indianer nichts zu tun haben. Sie bekommen das Geld, sie müssen sich nicht für Geld anstrengen, und was sie mit dem Geld tun, ist – entgegen der idyllischen Vorstellung von Götz Werner – alles andere als etwas Kreatives. Sie benutzen das Geld, um in die nächste Taverne zu gehen und sich irrsinnig zu besaufen.

Ich habe zu Herrn Werner gesagt: Lieber Herr Professor, der Unterschied zwischen uns beiden besteht darin, dass ich ein ganz anderes Leben lebe als Sie. Sie sind Drogist, ich hingegen arbeite viel mit Drogenabhängigen. Und wenn man – bildlich ausgedrückt – einem Drogenabhängigen vom Balkon aus Geld zuwirft, dann weiß ich genau, was er damit macht.

Ich habe prinzipiell gar nichts gegen ein Grundeinkommen, aber es müsste einhergehen mit Bildung, Unterstützung, Begleitung. Es gibt in unserer Kultur Menschen, bei denen Arbeitslosigkeit zwei, drei Generationen alt ist; bei denen schon die Großeltern keinen richtigen Arbeitsplatz mehr hatten. Es reicht nicht aus, diesen Menschen ein Grundeinkommen zukommen zu lassen. Es ist unbedingt nötig, es dazu zu bringen, dass ein Wiedereinstieg in die Arbeit, eine Wiedergewöhnung an Arbeit passiert.
Das Erlebnis von Arbeit, bei der man einen großen Teil der Dinge, die man zum Leben braucht, gemeinschaftlich selber herstellt, stellt eine Art „Gewöhnungskur“ dar; sie führt Menschen, die schon seit Generationen „arbeitslos“ waren, schrittweise hin zum Sich-wieder-an-Arbeiten-Gewöhnen.

 

Verfolgen Sie einen aufklärerischen Ansatz – den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit des Menschen durch Neue Arbeit?

Ich würde in diesem Zusammenhang nicht den Ausdruck „selbstverschuldete Unmündigkeit“ gebrauchen. Es ist viel grundsätzlicher. Ich mache das einmal an einem Beispiel deutlich: Wenn ein Pferd geboren wird, dann läuft das bereits am ersten Abend auf der Wiese herum; wenn dagegen ein menschliches Baby in den ersten Monaten nicht betreut wird, stirbt es. Aus einem Schleimball, der wir ursprünglich sind, muss irgendwie ein menschliches Wesen werden. Und zum Großteil ist das unsere eigene Aufgabe. Das hat aber nicht nur mit geistiger Erkenntnis zu tun, sondern ist immer auch mit dem Erlebnis praktischen Tuns verbunden. Wenn wir nicht daran mitarbeiten, uns zu einem Menschen zu machen, dann werden wir auch nicht zum Menschen werden und werden nicht wirklich leben. Die Vorstellung von einer anderen Lebensqualität hat in der letzten Zeit sehr an Bedeutung gewonnen: Das ist ein Grund für die Tatsache, dass der Ausdruck „im Leben das tun, was man wirklich will“ zu einem geflügelten Wort geworden ist.

 

Könnte man sagen, die Menschen müssen egoistischer werden? Richten wir uns zu sehr nach den „göttlichen“ Regeln der „Marktgesetze“ und lassen uns bestimmen von „Sachzwängen“?

Absolut richtig. Egoismus im ernsten Sinne des Wortes würde bedeuten, etwas zu tun, das man wirklich tun will. Und das, was man tun will, ist sehr oft etwas, das mit anderen Menschen zu tun hat. Deshalb sollte das auf keinen Fall einen schlechten Ruf haben – vielmehr ist das der Anfang des eigentlichen Lebens!

 

Auch wenn sich die Ideen der Neuen Arbeit umsetzen lassen – was nützt das, wenn das „große Ganze“ der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse diesen Ideen entgegensteht, wenn durch die Macht der internationalen Großkonzerne solche Entwicklungen gleich wieder eingeebnet werden?

Ich verstehe Ihre Befürchtung. Doch auch wenn man es aufgrund meines Aussehens und meiner fantastischen Äußerungen vielleicht nicht vermuten würde, bin ich in vielerlei Hinsicht ein sehr kalt, pragmatisch und realistisch denkender Mensch.
Es geht beim Neue-Arbeit-Ansatz eben nicht nur um Arbeit, sondern auch um eine neue Kultur und eine neue Wirtschaft. Die Eckpunkte eines neuen Wirtschaftssystems auf Basis der Neuen Arbeit sind folgende:

Erstens würden wir durch neue Arbeitsformen viel mehr Energie zur wirklichen Innovation zur Verfügung haben als jetzt.
Zweitens ist ein großes Rahmenkonzept sehr hilfreich, wenn es um Innovationen geht. Dieser Rahmen beinhaltet, eine vollkommen neue Generation von Produkten zu entwickeln – Produkte, die man in kleinen Räumen gemeinschaftlich selber herstellen kann. Drittens: „Kleine Räume“ bedeutet nicht, dass darin etwas Steinzeitmäßiges hergestellt wird, sondern hochintelligente, digitale Maschinen.
Viertens: Wir brauchen Produkte, die den Markt der Menschen bedienen, die wenig verdienen; Produkte, die von diesen Menschen selbst hergestellt werden können.  Wie Günter Faltin es ausgedrückt hat: Massenproduktion ist nicht die effizienteste Form des Wirtschaftens. Sie ist zwar billig in der Herstellung, aber diese macht nur 20 Prozent des Preises des Produkts aus. Der Transport, die Reklame etc. schlägt mit 80 Prozent zu Buche. Aus meiner Sicht wird sich die Herstellung am Ort, ohne Transport, ohne Reklame, ohne Verkaufssituation als ökonomisch besseres, billigeres Modell durchsetzen.

Man wird vielleicht in der Zukunft eine Menge von Afrika lernen müssen. Die Ideen von einer technologisch raffinierten Grundwirtschaft sind in Mosambik, Sansibar oder Südafrika unvergleichlich leichter umzusetzen als beispielsweise in Stuttgart. Sich Dinge selbst zu machen ist für die Menschen dort etwas absolut Notwendiges und Unumgängliches geworden: Man hat sie immer hingehalten und gesagt: „Es wird besser werden“, „Wir schaffen Jobs“, „Das Wirtschaftswachstum in Südafrika wird alle Probleme lösen“. Das alles ist zu so einem grotesken Hohn geworden, sodass das Verlangen nach einem grundsätzlich neuen Ansatz brennend heiß geworden ist. Deutschland und Österreich sind Ausnahmen; übriggebliebene Oasen.

Die Mehrheit der Menschen ist zwar auch hier zu einem ähnlichen Schluss gekommen: Das alte System bricht an allen Ecken und Enden zusammen. Bisher wird diese Einsicht aber noch meist sehr gesittet mit einem Glas Wein in der Hand diskutiert. Fakt ist aber, dass sich diese Ruhe auch in diesen letzten Oasen überraschend schnell ändern könnte.

Das Interview führten Frank Augustin, Wolfram Bernhardt und Nazim Cetin für das Magazin agora42


 

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Bilder: Working hard: Bestimmte Rechte vorbehalten von Jenny Kristina Nilsson; Clock Work Man: Bestimmte Rechte vorbehalten von Sean MacEntee, Dishes: Bestimmte Rechte vorbehalten von miss pupik, Autorenfoto: Richard Hebstreit

 

Aus dem Magazin agora42

 

„Wenn ‚Philosophie‘ den Versuch bezeichnet, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten, das ‚große Ganze‘ zu fassen, dann muss sie sich heute ökonomischen Fragestellungen widmen.“

 

Website: http://www.agora42.de

 

 

 

 

 

 

6 Responses

  1. Leo

    Stimme den Kommentaren vollkommen zu.
    Hier ergänzend noch ein sehr interessanter Vortrag von Lothar Galow-Bergemann
    (Audioübertragung)
    „Warum kann die Politik die Misere der Wirtschaft nicht stoppen?
    Obwohl wir mit so wenig Arbeit wie noch nie soviel Reichtum wie noch nie produzieren können, sollen wir immer länger arbeiten. Der alte Menschheitstraum vom guten Leben für alle ohne Mühe und Plackerei könnte in Zeiten der Mikroelektronik Wirklichkeit sein. Doch die einen sollen arbeiten bis zum Umfallen, die anderen werden für überflüssig erklärt, sprich arbeitslos. Was ist es, das da so grundsätzlich schiefläuft? ….“
    http://www.krisis.org/2012/warum-kann-die-politik-die-misere-der-wirtschaft-nicht-stoppen-audio#more-4866

    Antworten
  2. WellenbeobachterHH

    Ich freu mich über die kritischen Anmerkungen, weil sie dem undifferenzierten Arbeitsbegriff und damit entstehenden Wirrwarr eines Frithjof Bergmann nicht einfach auf den Leim gehen…!!!!!
    —————————————————————————
    Alle Erkenntnis stammt aus Erfahrung und Vergleich.

    Frithjof Bergmann hätte vielleicht mal des Vergleiches wegen bei seinem amerikanischen Autoren-Kollegen Moishe Postone nachlesen sollen. Dann hätte er lernen können, was das Wesen von Arbeit ist. Er vermag nicht begrifflich zu unterscheiden zwischen „konkreter Arbeit“ (also Tätigkeiten) und „abstrakter Arbeit“ (das gesellschaftliche Formprinzip dieser Tätigkeiten im Kapitalismus).

    Nicht diejenigen, die richtigerweise erkennen, dass uns Arbeit mit zunehmender Technisierung ausgeht, unterliegen einer „Professorenblödheit“, wie er meint, sondern er selbst ist es, der völlig auf dem Holzweg bezüglich seines falschen Verständnisses von Tätigkeiten ist. Diese sind vielmehr der gesellschaftlich notwendige Aufwand, den wir betreiben müssen, um die Dinge herzustellen, die unser Leben verbessern sollen – im Kapitalismus jedoch ein völlig anderes Zielkriterium haben: Gewinn zu erzielen (also etwas völlig abstraktes anstreben). Das bleibt bei ihm ausgeblendet, ist im Hintergrund aber stets da – wie ein Naturzustand. Auf dieser Lebenslüge baut Bergmann alles auf.
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    Das spezifische im Kapitalismus besteht u.a. darin, dass allen Waren eine „Kostenstruktur“ anlastet, in welcher „Arbeit“ als „Arbeitskräfte“ bzw. geleistete „Arbeitsstunden“ als Kostenfaktor in Erscheinung treten.
    Jeder Manager im Kapitalismus lernt, dass Aufwand und Kosten zu reduzieren sind. Sie sind keine Zielgrößen, die angestrebt werden, sondern sie sind (selbstverständlich) zu minimieren. Was auch sonst?

    Nicht so bei Bergmann. Seine Gedankengänge positivieren die „Arbeit“ irrationalerweise, so dass er zu dem irrigen Schluss kommt, Arbeit würde nie ausgehen, sondern müsse vielmehr eingefordert werden. Das wundert insofern nicht, als dass seine typisch kleinbürgerlich-ideologischen Grundüberzeugungen (ähnlich denen von Silvio Gesell u.v.a.) fest auf den kapitalistischen Basiskategorien (Arbeit, Ware, Geld) aufbauen. Marktwirtschaft sei ja das Gute… So bräuchte man Geld für „den Wiedereinstieg in die Arbeit“. Warum Menschen, egal wer, Tätigkeiten denn überhaupt verlernen, dem geht er nicht nach. Er meint lediglich, das sei ein Motivationsmangel. Dabei ignoriert er, dass Menschen schon lange vor der Erfindung von „Geld“ tätig waren.

    Diese Vorstellungen teilt er übrigens mit den Nazis. Bereits 1920 argumentierte Hitler in bayrischen Kneipen bei seinen berüchtigten Reden, indem er das „gute deutsche Industriekapital“ als Inbegriff der „Arbeit“ für die „Volksgemeinschaft“ lobte, während er die Tätigkeiten – in diesem Fall die der Juden – als „raffgierig“ und „arbeitsscheu“ und „nicht dem Gemeinwesen dienend“ darstellte. (So wanderte übrigens auch die Zinskritik ins Parteiprogramm der NSDAP und es entstanden der „Reichsarbeitsdienst“ und „Arbeitslager“ bis hin zum Spruch „Arbeit macht frei“ an den KZ).

    Dieses Denk- und Argumentationsmuster bezeichnet man deshalb auch als „strukturellen Antisemitismus“. Findet man in Europa überall in der Fachliteratur und es gibt tausende Internetseiten dazu. Die scheint Herr Bergmann jedoch alle ebenso zu ignorieren. Warum wohl?
    ————————-
    So kann er jedenfalls auch den Widerspruch innerhalb der „doppelten Reichtumsform im Kapitalismus“ nicht dechiffrieren – ja nicht mal erkennen. Er spürt zwar, dass da etwas nicht stimmt – deshalb sein Unbehagen mit der „alten Arbeit“ und sein Bemühen um eine „neue Arbeit“. Doch weder sein Verständnis von den kausalen oder geschichtlichen Zusammenhängen, noch sein Lösungsansatz sind dem Kapitalismus und der Problemlage adäquat.

    Das sieht man auch an seinen Ausführungen bezüglich der Indianer, mit völlig die geschichtliche Reihenfolge verdrehenden Zusammenhängen.

    Was er dem „Grundeinkommen“ mancher Stämme anlastet, liegt in Wirklichkeit an der überflüssig gemachten Arbeit, die er als Erkenntnis ja selbst ablehnt.
    ———–
    Die Ureinwohner Amerikas hatten einst ein sehr reichhaltiges gesellschaftliches und spirituelles Leben, welches der Holocaust an den über 500 Völkern des amerikanischen Kontinentes, der Raub ihrer Ländereien und Ressourcen und damit der Raub ihrer natürlichen, wirtschaftlichen Grundlagen, sie erst in die heutige Situation gebracht hat. Das „Grundeinkommen“ ist ein Fliegenschiss im Vergleich zu dem stofflichen Reichtum, den die Vereinigten Staaten zuvor diesen Völkern gestohlen haben. Wenn man schon einen „Motivationsmangel“ mit heranzieht, dann doch bitte genau anders herum…

    Abgesehen davon sind die Indianer nur selten in die kapitalistischen Wertschöpfungsketten so eingebunden, dass sie halbwegs anständiges Geld verdienen können und dürfen. Sie werden oft behandelt wie Bürger dritter Klasse und müssen in speziellen Reservaten leben. Das sagt schon alles. Dort, wo es anders ist, wo sie noch über Ressourcen verfügen und sich selbst organisieren können, glänzen die Stämme übrigens durch ihre weitsichtige und soziale Handlungsweisen, allen nutzende Gemeingüter (commons) und trotzten damit sogar mehrfach der Krise in den USA und Kanada, was auch bei uns durch die Medien ging.
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    …das ließe sich argumentativ noch ellenlang weiterführen.
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    Um es kurz zu machen: Arbeit ist konsequent abzuschaffen!!! In jeder Hinsicht. Es ist sinnvoll weiter moderne Maschinen zu bauen, die uns Arbeit abnimmt, um Lebenszeit zu gewinnen, die Gesamtarbeitszeit zu senken, das Rentenentrittsalter zu senken usw. Mit kapitalistischer Lohnarbeit, die stets „Gewinn“ und „Einkommen“ als Ziel hat, also Kapital bilden und deshalb wachsen muss, lässt sich das nicht in Einklang bringen.

    Mehr dazu auch hier: www.exit-online.org

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  3. Volker Jansen

    Vielen Gedanken kann ich aus vollem Herzen zustimmen. Hilfreich fände ich es, wenn in den Diskussionen konsequent zwischen Arbeit als Oberbegriff und Erwerbsarbeit als einer Form, in der Arbeit geleistet werden kann, unterschieden würde.
    Kann man dann aber wirklich behaupten, dass die NEUE ARBEIT etwas wirklich Neues ist? Gab es nicht schon vor Jahrtausenden Menschen, die taten, was sie wirklich wollten – sei es, weil andere für sie arbeiten mussten oder weil Mäzene (auf Kosten Dritter) ihre künstlerische oder wissenschaftliche Arbeit ermöglichten und sie vom „Arbeit tun müssen“ befreiten?
    Meinen Beruf habe ich gewählt, weil ich mich dazu berufen fühlte. Ob ich ihn entsprechend ausgeübt habe, müssen andere beurteilen. Aber damit hatte ich auch eine Erwerbstätigkeit gewählt, in der ich Aufgaben termingerecht erledigen musste, weil Schule ohne Verlässlichkeit bei Lernenden und Lehrenden nicht funktioniert. Das Unterrichten war immer wieder mal vergnügunssteuerpflichtig, das Gehalt habe ich als Schmerzengsgeld für das Korrigieren-Müssen betrachtet. Jetzt beziehe ich als Pensionär ein (fast) bedingungsloses Grundeinkommen.

    Der junge Marx schreibt (in der Kritik zur Hegelschen Rechtsphilosophie?), dass Arbeit das erste Bedürfnis des Menschen sei – Arbeit im Sinne von tätig sein – und dass es der menschlichen Natur widerspreche, sich auf einen Beruf, eine Spezialisierung festzulegen. Das beweisen ja auch die vielen Millionen, die neben ihrer mehr oder weniger fremdbestimmten Erwerbstätigkeit ehrenamtlich, in der Familie, in der Kommune, der Freizeit andere Aufgabe übernehmen, also arbeiten.

    Völlig einverstanden bin ich mit These „Die Arbeit ist unendlich.“ Aber viele für das Überleben der Menschen auf der Erde wichtige Aufgaben können nicht erledigt werden, weil den Menschen, die dazu bereit wären, das Einkommen fehlt. Angefangen bei den Familien über Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Krankenhäusern bis zu den Altenheimen, im Umweltschutz, in NGOs … herrscht eine katastrophale Unterfinanzierung. Geld – richtiger: Güter und Dienstleistungen – mit denen diese Arbeit bezahlt werden könnte, sind im Überfluss vorhanden. Aber die Menschen werden überlastet, sie werden unzufrieden und krank, die Qualität ihrer Arbeit sinkt zwangsläufig… Welche Altenpflegerin möchte sich nicht in Ruhe den Menschen zuwenden? Das kann sie aber nur, wenn sie keine Angst um ihr Einkommen haben muss.

    Deshalb erstaunt mich Ihre entschiedene Ablehnung der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, Herr Bergmann. Und Sie argumentieren unter Ihrem Niveau: Wird ein Student „infantilisiert“, der von seinen Eltern ein Stipendium erhält und nicht jeden Monat Rechenschaft über seine Studien-Arbeit ableisten muss? Weshalb müssen Menschen „bitte, bitte“ sagen, wenn es einen Rechtsanspruch auf ein BGE gäbe? Ist das nicht vielmehr im heutigen Hartz-System der Fall, in dem viele auf Leistungen verzichten, weil sie sich nicht auf Ämtern demütigen lassen wollen? Wieso unterstellen Sie, dass „das Geld dann nicht da ist“? Sie haben doch zuvor festgestellt: „Wir haben die Technologie, die es uns ermöglichen könnte, mit sehr wenig Anstrengung, sehr wenigen Ressourcen und sehr geringem Zeitaufwand einen sehr hohen Wohlstand zu erzeugen.“ Und genau das wird doch von den Gegnern eines BGE immer ignoriert. Die behaupten, dass unser Wohlstand verschwinde, wenn man die Menschen nicht mehr and die Erwerbs- Arbeitsplätze oder, wie Götz Werner sagt, an die Einkomms-Plätze zwinge.

    Es ist richtig, dass ein Grundeinkommen es Süchtigen erlauben würde, in ihrer Sucht zu verharren. Und was tun die, wenn sie kein Geld haben? Ein BGE ersetzt keine Erziehung, keine Sozialhilfe, keine Jugendarbeit, keine Hilfen für Menschen mit Handicaps … Wir werden weiterhin Gesetze, Polizei und Justiz benötigen, weil nicht alle freiwillig die Regeln einhalten. Aber lehne ich das Auto ab, weil Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt und getötet werden, Operationen, weil Ärzte Fehler machen können, Medikamente, weil die missbraucht werden können …?

    Warum, Herr Begmann, sprechen Sie vom „Papst des Grundeinkommens“ und des „idyllischen Vorstellung(en)“? Ihre Abwertung unter Verzicht auf Argumenten gipfelt in der Aussage: „Sie sind Drogist, ich hingegen arbeite viel mit Drogenabhängigen.“ Haben Sie das sozialwissenschaftlich begleitete und ausführlich dokumentierte Experiment mit einem BGE in Omitara-Otjivera, Namibia, nicht zur Kenntnis genommen? Oder erwähnen Sie es nicht, weil es Ihren Vorurteilen wiederspricht? Mir scheint, Sie haben mehr Vorbehalte gegen einen prominenten Verfechter des BGE als gegen die Idee. Schließlich schreiben Sie ja auch: „Ich habe prinzipiell gar nichts gegen ein Grundeinkommen“, fordern aber dann: „Es ist unbedingt nötig …, dass ein Wiedereinstieg in die Arbeit, eine Wiedergewöhnung an Arbeit passiert.“ Aus dem Kontext schließe ich, dass Sie die Erwerbs-Arbeit meinen. Wer prüft dann, ob und wann jemand reif für die Gewährung des BGE ist, ob die „infantilen“ Arbeitsscheuen genügend resozialisiert sind?

    Sie fordern „Bildung, Unterstützung, Begleitung“ – nicht nur – derer, die seit Generationen nichts als die Erwerbslosigkeit kennen. Ja, unbedingt und endlich früh einsetzend, langfristig und mit genügend Personal! Aber dazu brauchen Menschen, die das tun wollen und die heute oft in prekären Verhältnissen, mit der Jobsuche, nur in befristeten Projekten beschäftig sind, die finanzielle Basis. Viele Initiativen und Organisationen, die auf diesem Feld arbeiten, könnten zusätzliche MitarbeiterInnen einstellen, wenn diese ein Grundeinkommen mitbrächten. Ich bin überzeugt, dass sich Jugendliche aus Hartz-Familien aktivieren und begeistern lassen, wenn sie die Erfahrung machen, dass sie gebraucht werden und willkommen sind. Die Erwerbs-Arbeitswelt vermittelt heute vielen eher das Gegenteil.

    Ganz außer Acht lassen Sie, Herr Bergmann, den kulturellen Impuls eines BGE, obwohl sie doch genau dafür werben: Jeder Mensch kann sich nun entscheiden, „etwas zu tun, das man wirklich tun will“. Ich kann den Verzicht auf ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr damit entschuldigen, dass ich ja einen Einkommensplatz annehmen musste. Und die Unternehmen werden anders mit den Menschen umgehen müssen, damit die zur Erwerbsarbeit bei ihnen bereit sind.

    Bei der Vorstellung des BGE an einer FHS meinte ein Student, er würde sich damit selbstständig machen und etwas Eigenes entwickeln, statt einen sicheren Einkommensplatz anzunehmen. Das stützt die Eckpunkte 1 und 2. Und allein durch die Senkung der Lohnkosten als Folge eines BGE würde auch in Deutschland die Produktion für den lokalen Markt wieder wachsen.
    Die Geld und Geist fressende Macht der Werbung auf die Gehirne zu brechen ist ein anspruchsvolles, schwer zu erreichendes, aber lohnendes Ziel.

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  4. Loja Nada

    Nein, es wird niemandem gelingen Arbeit ohne gute Bezahlung schmackhaft zu machen… und schon gar nicht mit den Aufhängern „Neu“, „Sex“ oder „Freiheit“.

    Alle die Arbeit verherrlichen und immer wieder für Arbeit werben (z.B. „Arbeit macht frei“) müßen wie schon damals kläglich scheitern.

    Daß auch die „Neue Arbeit“ keine guten Absichten hat und menschenverachtende Züge annimmt, zeigt die zynische propagandistische Argumentation von Frithjof Bergmann. Er hat pauschal üble Nachrede über Indianer als faul und dauerbesoffen gemacht, weil sie offenbar in seinem Arbeitsprogramm nicht mitspielen wollten.

    Es ist auch entsetzlich wie Bergmann mit seiner üblen Nachrede das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zu dämonisieren und zu verhindern versucht. Er diffamiert die Idee des BGE und Prof. Götz Werner und unterstellt allen Menschen infantil und bettelnd zu werden.
    Als ob alle Geldinhaber automatisch kindisch und faul wären und kein Spaß mehr an der Arbeit hätten.
    Es gibt so viele Sendungen mit Prof. Götz Werner, daß jeder seine eigene Meinung direkt gewinnen kann:
    Götz Werner im Interview / alpha-Forum – ganze Sendung
    http://www.youtube.com/watch?v=O3LNMSom-dc

    Wenn Bergmanns extrem menschenverachtende Lügen weiterhin auf Sein.de gewünscht sind, dann mit einer fachlichen Gegendarstellung von Michaela Mayer:
    „Über keine anderen ethischen Gruppen in den USA gibt es so viele Klischeevorstellungen, die in Comicheften, Filmen, aber leider auch in Lehrbüchern weiterverbreitet werden wie über Indianer. Diese verzerrten Bilder indigener Kulturen und deren Träger variieren im Laufe der Zeit: von unzivilisierten Männern und Frauen, wie sie von frühen EinwanderInnen zum Teil gesehen wurden, bis zu mystischen „Umweltheiligen“, wie sie heute manchen Indianerfreak ins Konzept passen. Andere sehen sie als hoffnungslose AlkoholikerInnen, wie eine oberflächige Betrachtungsweise vielleicht nahe liegt. Im Folgenden sollen einige der hartnäckigsten Stereotypen der entsprechenden Realität gegenüber gestellt werden…“
    http://www.arbeitskreis-indianer.at/Deutsch/projekte/stereotypen.html

    Selbst Kinder kennen die wahre Geschichte über Indianer (siehe Kindernetz), nur nicht der große Arbeitsprophet Bergmann:
    „Kurz nach der Ankunft der Weißen auf dem Kontinent begann auch die Vertreibung der indianischen Ureinwohner. Um 1850 waren sie schon fast ganz aus dem östlichen Teil Nordamerikas verschwunden.
    Zwanzig Jahre zuvor wurde ein Gesetz erlassen, dass die Indianer zwang, in Reservaten zu leben. Mit dem Umsiedelungsgesetz wurden die Weißen darin bestärkt, die Indianer aus ihrer Heimat zu vertreiben. Sie boten ihnen einen „Tausch“ an: ihr Stammesgebiet gegen neues Land (Reservate). Das neue Land war meist unfruchtbar, das Klima schlecht. Als die Indianer gegen diese Umsiedelung Widerstand leisteten, wurden viele getötet und manche Stämme ganz ausgerottet…“
    http://www.kindernetz.de/infonetz/thema/indianer/reservate/-/id=57474/nid=57474/did=57606/td8szp/index.html

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  5. Vigor Calma

    Völlig richtig was mein Vor-Kommentator geschrieben hat.
    Das gesamte System – oder die meisten menschengeschaffenen Systeme – gehen von Kontrollgedanken aus. Darin beinhaltet ist die Angst vor dem Unbekannten bzw. die Unfähigkeit des Loslassens.
    (Siehe die Copyright-Diskussionen im Internet. Noch ein System, das im Sterben liegt).

    Entsprechen solche Sichtweisen noch dem Jetzt?

    Sofern es mich betrifft, erinnere ich mich an Parolen meiner Schullehrer, die „Fortschritt“ damit rechtfertigten, dass „wir“ ja wohl nicht „zurück in die Steinzeit“ wollen. Da liegt ein wichtiger Punkt:
    Menschen und ihre Egos haben sich so sehr an die Bequemlichkeiten des Gesellschaftssystems gewöhnt, dass sie sich „gegen“ alles stellen müssen, was ihre Bequemlichkeiten beschneiden könnte. Dabei übersehen sie
    A)
    Dass sie für ihre Bequemlichkeiten enorm unbequeme Opfer auf sich nehmen.
    B)
    Dass das kollektive Bewußtsein einen Wissensschatz angehäuft hat, der selbst dann nicht verloren ginge, wenn morgen eine Sintflut alle Bequemlichkeiten wegspülte.

    Zurück zur Natur und in die harmonie mit der Natur bedeutet eben nicht mehr, Unwissenheit und der natur ausgeliefert zu sein. Viel ist passiert, die letzten paar tausend Jahre. Das lässt sich kaum weg-kriegen. Auch wenn das System weg wäre, blieben die gesammelten Erfahrugnen bestehen.

    Ach ja…
    Und dann ist da noch der wenig populäre Gedanke, dass viele Menschen Bewußtsein fürchten, und sich daher lieber führen und belügen lassen.
    Lieber ein S/M-Verhältnis mit Chef und Vorgesetzten, als eigene Entscheidungen treffen und eigene Antworten leben. Da müsst einfach mal ein Jeder und eine Jede in den Spiegel schauen, und sich fragen, ob das wirklich in seinem/ihren Sinne ist…
    Niemand kann das dem Individuum abnehmen

    Kurz gesagt:
    Arbeit ist ein durch und durch veraltetes Konzept. Es am Leben erhalten mit neuen Konstrukten ist fragwürdig.

    „Kreatives, freies Schaffen“ ist das Zauberwort der Stunde. Und „gegenseitige Wertschätzung“ ist darin beinhaltet. Wer sich dafür öffnen kann, gehört bereits der neuen Generation an.

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  6. Andrea C. Feist-Nerowski

    Am Anfang supergut! Leider baut der Artikel aber noch auf der Überzeugung der Unabdingbarkeit der Bedingung Geld, Wirtschaft & Co. auf. Aber solange Profit mit Lebendigem oder mit den Gaben der Natur zu machen ist, wird unser ökonomischer Fußabdruck weiter anwachsen und genau das können wir uns garnicht mehr leisten.
    Wir müssen zum evolutionären Lebenssystem wechseln und das beinhaltet das, was hier Neue Arbeit genannt wird, sowieso. Mensch tut, was ihm entspricht und erhält, was er braucht. Und so kann er überleben. Das zwischengeschaltete Kontrollsystem ist so mörderisch wie überflüssig. Eine Religion um eine Macht, an die Mensch halt glaubt. Aber er irrt 🙂

    mfg A.C.Feist-Nerowski

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