Neurodermitis ist, wie jede chronische Krankheit, mit Schmerzen und Einschränkungen verbunden. Darüber hinaus stigmatisiert sie die Betroffenen, weil die Symptome auf der Haut sichtbar und zudem unschön anzusehen sind. Doch wie bei anderen chronischen Erkrankungen gilt auch hier: Die Krankheit hat bereits begonnen, bevor sie über ihre Symptome wahrnehmbar wird. Die Frage ist daher: Was hat sie ausgelöst? Bei Neurodermitis ist dies meist ein Verlust. Konzentriert sich die Behandlung allein darauf, die Haut zu behandeln, wird sie daher scheitern. Kathrin Rick beschreibt einen anderen Weg.

Diagnose: Neurodermitis, atopische Dermatitis oder atopisches Ekzem

Sobald die Symptome auf der Haut begonnen haben, erfolgt schnell die Diagnose durch einen Hautarzt. Sie lautet in der Regel: Neurodermitis, atopische Dermatitis oder atopisches Ekzem. Damit werden Betroffene auf das Thema Hautkrankheit festgelegt: Deine Haut juckt, nässt, blutet, verschorft, pellt sich, bildet Bläschen, ist gerötet etc.? – Dann hast du Neurodermitis.

Ärzte wie Betroffene gehen also davon aus, dass eine Hautkrankheit vorliegt. Sie tun alles Mögliche, um die Haut zu heilen. Sie baden, ölen, cremen, bestrahlen (mit UV). Doch auf die Haut wirken diese Eingriffe höchstens kurzfristig unterstützend. Denn der Zustand der Neurodermitis-Haut entspringt nicht der Haut. Weil dies nicht begriffen und der Zusammenhang zwischen einem traumatischen Erleben und der Hauterkrankung übersehen wird, findet keine Heilung statt.

Irgendwann etabliert sich die Neurodermitis, indem Situationen, die der ursprünglichen Verletzung ähneln, sie erneut entfachen oder der Stresspegel der Betroffenen dauerhaft so hoch geworden ist, dass die Krankheit sich selbst erhält. Nun können vielfältige Reize wie zum Beispiel Kleidung, Nahrungsmittel und jeglicher Stress die Symptome verstärken. Ebenso vielfältig geraten die Versuche einer Linderung: Diäten, Vermeidung von Reizstoffen inner- und außerhalb des Körpers sowie Verhaltenstherapie, um mit der Krankheit umzugehen. Die Neurodermitis kann so zwar eine Zeitlang in Schach gehalten werden – zur Heilung kommt es jedoch nicht.

Die erfolgreiche Behandlung von Neurodermitis  – Der Beginn ist entscheidend

Wie kann man nun anders ansetzen? Verfolgt man im Lebenslauf zurück, wann die Neurodermitis zum ersten Mal auftrat und was davor im Leben geschah, treten Ereignisse zutage, die jeder Mensch auf die eine oder andere Weise erlebt hat. Die Betroffenen haben diese Situationen aber als bedrohlich empfunden. Typische Beispiele aus der Sicht der Betroffenen sind: Ich muss die Fruchtblase verlassen und werde in eine fremde Welt gepresst; ich werde abgestillt und meine Mutter nährt mich nicht mehr; Menschen (meine Mutter, mein Vater, mein Geschwisterkind) gehen für eine unübersehbare Zeit oder für immer fort von mir; ich muss umziehen und gegen meinen Willen mein vertrautes Umfeld verlassen.

Immer geht es um Erlebnisse, die mit Trennung zu tun haben – tatsächlich oder in der Vorstellung sieht sich der Betroffene gezwungen, etwas Liebes, Lebensnotwendiges loszulassen bzw. sich auf etwas Neues einzulassen. Wenn wir uns dem verweigern, fragen wir uns: Wie soll ich leben ohne diesen Menschen? Wie soll ich leben in einer fremden Umgebung, allein auf mich gestellt oder mit fremden Menschen, die mir näher kommen, als mir lieb ist? Vielleicht überlebe ich nicht!

Solche Gedanken führen in tiefe Angst, diese verursacht Stress, und Stress kann, wenn er im Körper fehlgeleitet wird, Entzündungen hervorrufen, unter anderem in und auf der Haut. Dies gilt insbesondere, wenn diese Gedanken nicht ausgesprochen und die unangenehmen Gefühle nicht gefühlt werden, sondern unterdrückt und stattdessen über die Haut als unverstandener Hilfeschrei oder auch als Abwehr kommuniziert werden.

Zudem verleiten jene Gedanken dazu festzuhalten an dem, was sich überlebt hat (zum Beispiel: Ich wünsche mich in die Geborgenheit meiner Mutter, meines Lebenspartners oder meiner Heimat zurück) und das Neue zu vermeiden (zum Beispiel, wenn mir die tiefe Beziehung mit einem neuen Menschen oder Schritte in unvorhersehbare Situationen hinein Angst machen) – einfach nur, weil Betroffene durch das Festhalten ein wenig Sicherheit empfinden.

Sensible Betroffene

Wie es ursprünglich zu Neurodermitis kommt, ist eine Frage, die eng damit zusammenhängt, welche Erfahrungen durch sie gemacht und welche Eigenschaften entwickelt werden, denn die Symptome hängen eng mit der psychischen Grunddisposition der Erkrankten zusammen. Alle Betroffenen sind außerordentlich sensible Menschen, die dazu neigen, sich verletzt zu fühlen und oft unfähig, den rauen Wind des Lebens zu ertragen. Andererseits sind sie einfühlsam gegenüber anderen, hilfsbereit und mit großer innerer Kraft ausgestattet. Durch Neurodermitis zu lernen, ehrlich mit sich selbst in Kontakt zu gehen, um dann die eigenen Qualitäten der Welt zu schenken, also ein Gleichgewicht zu finden zwischen sich selbst und den anderen, ist ein Entwicklungsweg.

Diese Krankheit, die Betroffene immer wieder aus dem normalen Trott herausreißt, sie gegenüber anderen Menschen sichtbar macht und auf einen Sonderweg führt, kann damit als ein Lehrmeister betrachtet werden. Solange dieser übersehen wird, verharren Betroffene im Schon- und Opfermodus, weil sie sich vom Leben ungerecht behandelt fühlen: Wieso muss gerade ich diese Krankheit ertragen? Wird die Krankheit aber angenommen, lehrt sie, die eigene Stärke zu begreifen, nachdem diese schon komplett verloren schien – und vermutlich liegt darin ein wesentlicher Sinn der Neurodermitis. Auf der geistigen oder seelischen Ebene kann dieser als selbstgewählt – vor dem Eintritt in dieses Leben – betrachtet werden.

Verletzung und Selbstverletzung

Die körperlich-seelische Verfassung verschärft die Verletzungen, die Betroffene im Verlauf der Krankheit erfahren. Neurodermitis verleitet dazu, sich selbst zu verletzen, nämlich die eigene Haut mit den Fingernägeln aufzukratzen, sie mit Gegenständen zu drücken und zu reiben oder mit heißem oder kaltem Wasser zu betäuben, um den Juckreiz zu stillen. In jeder einzelnen Situation, in der der Juckreiz als unerträglich empfunden wird, kämpfen die Betroffenen gegen die Symptome und damit gegen den eigenen Körper – sie gewöhnen sich also ein selbstverletzendes Verhalten an.

Die Hautsymptome beeinträchtigen die Lebensqualität der Kranken auf vielfältige Weise: Die offene, nässende, blutende Haut schmerzt und reagiert auf jegliche Berührung, sei es durch den Stoff der eigenen Kleidung, die Kälte des Windes oder die Hände der Mitmenschen. Nachts hält der Juckreiz wach oder weckt, so dass Betroffene übermüdet sind und sich vom Tagespensum schnell überfordert fühlen.

Die entstellte Haut führt zur Angst, sich anderen Menschen zu zeigen, insbesondere, wenn es darum geht, in der Familie, unter Schul- bzw. Arbeitskollegen, vor Fremden oder vor den Augen möglicher Beziehungspartner optisch gut dazustehen. Ebenso reizen die Neurodermitis- Symptome von Kindern Gleichaltrige zu Hänseleien. Wer sich bereits krank und damit anders und benachteiligt fühlt, wird von solchen Angriffen noch mehr verstört. Jede Ablehnung gräbt sich tief in das ohnehin verwundete Herz ein.

In und nach der Pubertät führt ein krankes Hautbild schnell zu Ausgrenzung, da Betroffene als unattraktiv gelten und für vieles nicht in Betracht kommen: die beste Freundin/der beste Freund zu sein, mit dem man durch dick und dünn geht; der oder die Mitarbeiter/in, den oder die man vorzeigen kann; die Traumfrau bzw. der Traummann, nach der oder dem man sich immer schon gesehnt hat. Gleichzeitig reagieren Mitmenschen mit übertriebener Fürsorge und Mitleid, was je nach Situation peinlich oder wohltuend sein kann, aber in beiden Fällen die Aufmerksamkeit auf die gestörte Haut richtet und die Symptomatik damit ungewollt verstärkt. Und: Das Betüddeln durch andere tut zwar oft wohl, Betroffene geben aber in diesem Moment ihre Eigenverantwortung ab.

Natürlich leiden auch die Angehörigen mit, denn sie ertragen die Hoffnungslosigkeit, die Wutausbrüche, die Abwehr und das Klammern der Kranken und erleben sich selbst zwischen Aktionismus und Hoffnungslosigkeit. Konflikte entstehen insbesondere dann, wenn das Umfeld helfen und der Betroffene in Ruhe gelassen werden will oder wenn umgekehrt sich der Betroffene nach Zuwendung sehnt und das Umfeld zu erschöpft und genervt ist, die Kraft dafür aufzubieten.

Pendeln zwischen Festhalten und Loslassen

Im Laufe einer solchen Krankheitsgeschichte verzerren sich somit die Beziehung zu sich selbst und zu anderen Menschen. Das Vertrauen ins Leben sowie die Hoffnung auf das eigene Glück gehen immer mehr verloren. Zudem wird neben der Haut oft auch der Darm in Mitleidenschaft gezogen und verursacht seinerseits Symptome wie zum Beispiel allergische Reaktionen. Anhand all dieser Beschreibungen wird überdeutlich, dass Heilungsanstrengungen nicht allein an der Haut ansetzen können.

Vielmehr muss der Leidensweg bis zu seinem Ursprung zurückverfolgt werden. Die auf diesem Weg liegenden verletzenden Situationen, also alles, was Betroffene sich selbst zugefügt und von außen erlitten haben, müssen zumindest exemplarisch angeschaut werden – bis hin zu dem auslösenden Ereignis, das in seiner Wirkung möglicherweise unbewusst im Leben wiederholt worden ist und wird und die Neurodermitis mit aufrechterhält. Beispielsweise vermeiden Betroffene, deren Verhältnis zur Mutter oder zum Vater in der Kindheit verletzt wurde, sich auf tiefe Beziehungen zu anderen Menschen einzulassen, und klammern entweder sexuelle oder emotionale Bindungen aus ihrem Leben aus. Gleichzeitig sehnen sie sich aber danach, ihren Körper, ihr Herz und ihren Geist vertrauensvoll zu öffnen und sich im nahen Zusammensein mit einem geliebten Menschen aufgehoben zu fühlen.

Geht man den Weg, alte Traumata aufzudecken und ins Bewusstsein zu integrieren, erkennt man genau – und hier gibt es individuelle Unterschiede, auch wenn die Neurodermitis ähnlich hervorgerufen und erhalten wird –, was auf der Körperebene, auf der Herzebene bzw. in der Psyche und im Geist, also in den Denkmustern, verzerrt wurde und zurechtgerückt werden möchte. Genau dazu rufen die Krankheitszeichen auf, die ja darauf hindeuten, dass etwas nicht stimmt. Wäre dies nicht so, würde ein Betroffener trotz seiner gestörten Haut friedlich in sich ruhen. Gerade diesen Zustand sucht man bei Neurodermitis-Kranken aber vergeblich. Sie sind in der Regel von Unruhe, Perfektionismus, Leistungsdruck auf unterschiedlichen Ebenen, Kontrollbedürfnis, Misstrauen, Verunsicherung, Aggression, Einsamkeit, Angst und Sehnsucht nach Geborgenheit durchdrungen – sämtlich Folgen des Erlebten, das nicht adäquat verarbeitet und in das Leben integriert werden konnte.

Nuerodermitis: Heilung ist möglich, aber nicht allein auf der Haut

Tragisch für die Betroffenen ist die Schlussfolgerung der Unheilbarkeit seitens der Schulmedizin, denn diese gräbt sich durch viele Wiederholungen schließlich so tief in sie ein, dass sie selbst es für ausgeschlossen halten, ihren Zustand jemals zu lösen. Ein Kranker, der an Heilung glaubt, kann erreicht und begleitet werden. Wer jedoch kapituliert hat, tut jede Hoffnung von außen als Quacksalberei oder Geschäftemacherei ab. Damit nehmen sich Betroffene die wichtigste und die zweitwichtigste Person in ihrem Heilungsprozess: sich selbst und den Helfer von außen. Und damit wird Heilung tatsächlich blockiert, jedoch nicht, weil die Gene sie verbieten würden, sondern weil die Beteiligten sie nicht zulassen.

Doch es gibt Menschen, die ihre Neurodermitis geheilt haben, und andere, die auf dem Weg zur Heilung weit fort – geschritten sind. Von ihnen können wir lernen. Was haben sie erfahren, was unternommen, was hat ihnen geholfen und was nicht? Ich weiß von einigen Müttern, deren Neurodermitis nach der Geburt ihres ersten Kindes spontan verschwunden ist. Ihre Erfahrung, in der Schwangerschaft eins zu sein mit dem Fötus, sich durch die Geburt voneinander zu lösen und dennoch die Verbindung und die Liebe zu behalten, scheint den typischen Nähe-Distanz-Konflikt geheilt zu haben, den nahezu alle Neurodermitis-Betroffenen in sich tragen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es für mich als Neurodermitis-Betroffene gewesen ist, meinen Stresspegel dauerhaft zu senken, ferner meine Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster zu erkennen und sie nicht mehr automatisch ablaufen zu lassen, sondern zu bestimmen, was in meinem Kopf vor sich geht und was ich daraufhin fühle und tue. Meine Ernährung an meine individuelle Konstitution anzupassen, hat mir ebenfalls gut getan.

Meine Klienten zeigen mir Ähnliches: Oft ist es der mutige Schritt in ein selbstbestimmtes, befreites Leben, der die Neurodermitis-Symptome abklingen lässt. Und ebenso oft möchten die traumatischen Erfahrungen angeschaut und geheilt werden, die noch immer im System sitzen, sich über die Haut zeigen und das Leben latent beeinflussen. Das Kind in uns, das einst tief verunsichert wurde, ist nicht der spätere Erwachsene, sondern nur ein Teil von ihm. Dieses innere Kind im Neurodermitis-Betroffenen hält seit seiner traumatischen Verletzung an Menschen und Lebensstrukturen fest und wird dabei doch nicht glücklich. Es fühlt sich vielmehr beengt und stößt die Menschen in seiner Nähe deshalb nicht selten von sich. Aber auch dieses innere Kind kann geheilt werden.

Wenn es begreift, dass sein Urvertrauen gestört wurde und dass es dieses Urvertrauen neu erlernen kann, wird es loslassen – sowohl die vermeintlichen Sicherheiten im Außen, die es mit seinen Armen umklammert, als auch das Sicherheitsgefühl, das es glaubt nur in seiner Komfortzone empfinden zu können. Gleichzeitig wird es wieder Vertrauen fassen, dass es sich einlassen und binden kann, ohne dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen – denn lebensbedrohlich kam es ihm ja einst vor, als die sichere Bindung jäh gekappt wurde und es nicht wusste, ob und wie es mit ihm im Leben weitergehen würde.

Ein Mensch, der dieses innere Kind integriert und geheilt hat, wird seine Beziehungen mit gesunder Nähe und Distanz gestalten lernen und dem lebendigen Fluss des Lebens mit all seinen Veränderungen vertrauen, die er vorher als bedrohlich empfand.

Davon bin ich überzeugt, weil ich es als Betroffene und als Therapeutin miterlebt habe: Mit dem passenden Gesamtpaket kann Neurodermitis geheilt werden.

Über den Autor

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Kathrin Rick bekam Neurodermitis in ihrem dritten Lebensjahr, in der Pubertät kam eine schwere Pollenallergie hinzu. Im Alter von 32 erfuhr sie in einem Vortrag, dass Neurodermitis und Allergien heilbar seien. Unterstützt durch einen Klinikaufenthalt, lernte sie daraufhin, sich selbst zu heilen.

 2008 hat sie das Buch „Gefangen Geheilt in Neurodermitis-Haut“ veröffentlicht. Seit 2009 widmet sie sich der therapeutischen Arbeit und arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie in Berlin und Osnabrück sowie online.

Info und Kontakt unter
Tel.: 0170-4079469 oder k.rick@neurodermitisheilen.com
www.neurodermitisheilen.com

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Eine Antwort

  1. Lia
    Danke

    Danke für diesen ehrlichen, hoffnungsmachenden und hilfreichen Artikel. Sehr gut und auf den Punkt gebracht geschrieben. Ich kann so gut wie allem zustimmen. Bin jetzt 31 und beschäftige mich seit ich 2 bin mit der neurodermitis.
    Liebe Grüße an alle Leser und Betroffenen

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