Verstößt Hartz IV gegen das Grundgesetz?

Gestern begann vor dem Bundesverfassungsgericht der Prozess um die Bemessung der Hartz-IV-Regelsätze – und der Prozess scheint eine Sprengkraft zu entwickeln, die das ganze System in Frage stellt.

Ursprünglich ging es um die Hartz-IV-Sätze für Kinder unter 14 Jahren, die von der Regierung völlig willkürlich festgelegt worden waren.

„Säuglingen standen statistisch betrachtet nun 11,90 Euro für Tabakwaren und alkoholische Getränke zur Verfügung, aber kein einziger Euro für Windeln; 15jährigen Jungen wurde ein deutlich kleinerer Hunger unterstellt als ihren Müttern; Schulkindern wurden keine eigens ermittelten Beträge für Hefte, Stifte oder Turnbeutel bewilligt, wohl aber Gelder für Kneipenbesuche. Vierjährige bekamen weniger Geld für Schuhe als Erwachsene, obwohl sie alle paar Monate aus ihren Schuhen herauswachsen,“ beschreibt der Spiegel den Irrsinn.

 

Neues Grundrecht

Das Bundessozialgericht hatte die Sätze für Kinder bereits als verfassungswidrig eingestuft, da sie durch pauschale Abschläge von den Erwachsenen-Sätzen festgelegt werden – jetzt entscheidet das Bundesverfassungsgericht endgültig darüber. Offenbar mit weitreichenden Konsequenzen.

Denn die Richter scheinen weit mehr Ungereimtheiten in Zusammenhang mit den Hartz-IV-Sätzen zu beanstanden, als nur die Sätze für Kinder. In der Verhandlung gestern in Karlsruhe brachten sie die Vertreterin der Bundesregierung ziemlich ins Schwitzen und stellten klar: Es geht in diesem Verfahren um „grundlegende Fragen“ auch zu den Hartz-IV-Sätzen von Erwachsenen und um ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“, welches das Gericht nun definieren wird – und an dem sich zukünftig alle Sozialleistungen werden messen müssen.

Der Hartz-IV-Streit vor dem Verfassungsgericht hat damit eine viel größere Bedeutung als zunächst erwartet. Es geht um das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das könnte den Sozialstaat grundlegend verändern.

 

Links

Der Hintergrund: Armut – Abrechnung in Karlsruhe
Die Verhandlungen: Verfassungsrichter bringen Regierung in Erklärungsnot

 

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Bild: bundesverfassungsgericht.de

 

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2 Responses

  1. Schäfer Helga

    Hierzu mein Komentar:

    Mein Bekannter wo bei mir Wohnt erhält seit Dezember keinen Cent vom Jobcenter, nicht mal Krankenversichert, da das Jobcenter uns als Bedarfsgemeinschaft ansieht. und den Antrag schon 2 Mal Abgelehnt hat weil ich die Papiere angeblich nicht vorgelegt habe, wo nicht stimmt habe alles abgegeben, und jetzt verlagen die noch mehr wie bei Sozialhilfe.Widerspruch wurde 2 Mal eingelegt. Die Existenz ist bei meinem Bekannten Gefährdet da er als Saisonarbeiter Arbeitet. Er hat einen vertrag ab April als Kellner im Bierzelt wo er Geld mitbringen muss zum Arbeiten, ( Wechselgeld) Da er immoment keinen Cent besitzt weis er nicht wie er Arbeiten soll.

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  2. Steffen Mohr

    Na wunderbar, wieder so eine Anbahnung von richterlichen Beschlüssen zu einer sehr wichtigen Frage! Warum entscheiden in den letzten Jahren zunehmend unsere Richter über Themen, die eigentlich die Politik behandeln und klären sollte? Es gibt eine Tendenz dazu und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder eher besorgt bin.
    Die HArtz IV Sätze sind wichtig, weil sie ein anständiges Überleben sichern sollen und vielleicht bringt die Diskussion darüber endlich auch die Diskussion über ein Grundeinkommen voran. Aber warum entscheiden Richter darüber, sind Sie durch Kenntnis der gesetzte die besseren Menschen? Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, das es ein Armutszeugnis unserer Demokratie ist, auch wenn dabei Gutes entsteht…

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