Realsatire in einer der größten Zeitungen Englands. Der Guardian berichtet von einer neuen Krankheit namens „Orthorexia Nervosa“, einer „ernsthaften psychischen Erkrankung, charakterisiert von der Besessenheit mit gesunder Ernährung.“ War da wieder ein paar Psychologen langweilig? Oder läuft die Kundschaft weg und man braucht eine neue Krankheit, an der per Definition möglichst viele Menschen leiden? Aber halt: Sehen wir uns den gruseligen Wahn doch erstmal an!

Die Symptome lesen sich, wie aus einem Horrorfilm entnommen. Menschen, die an „Orthorexia Nervosa“ leiden, scheinen tatsächlich völlig abgedreht zu sein. Sie meiden nahrhafte und essenzielle Lebensmittel wie „Zucker, Salz, Koffein, Alkohol, Weizenmehl, Gluten, Hefe, Soja, Mais und Milchprodukte„. Alle Lebensmittel, die mit „Pestiziden oder Herbiziden in Berührung gekommen sind oder künstliche Zusatzstoffe enthalten“, werden ebenfalls gemieden. Das ist ja mal völlig verrückt! Am Ende essen diese kaputten Typen noch Obst und Gemüse!

Aber es ist ja auch eine höchst dubiose Zielgruppe, die dieser Krankheit zumeist erliegt:

„Besonders anfällig sind gut gebildete Menschen aus der Mittelschicht, die über Lebensmittelskandale in den Zeitungen lesen und eigene Recherchen über das Internet betreiben Und die die Zeit und das Geld haben, nach etwas zu suchen, was sie für gesündere Alternativen halten“, warnt Ursula Philpot, Vorsitzende der British Dietetic Association’s Mental Health Group. Noch schlimmer. Sie warnt zudem: Die Besessenen können trotzdem „normal aussehen“. Sogar völlig gesund!

Auch Deanne Jade, Gründerin des National Centre for Eating Disorders findet die Situation schaurig: „Ich sehe Menschen um mich, die keine Ahnung haben, dass sie an dieser Krankheit leiden.“ Die Linie zwischen gesunder Ernährung und Orthorexia Nervosa sei äußerst „fein“. Besser gar nicht erst anfangen und einen großen Bogen um alle Bioläden machen!

Geht’s noch?

Nun denn, wohl jeder kennt jemanden, der Ernährung vielleicht etwas zu ernst nimmt und damit sein gesamtes Umfeld nervt und in einigen Fällen mag die Starrheit, mit der eine Diät verfolgt wird tatsächlich an Fanatismus grenzen. Aber man muss sich doch fragen, was die beteiligten Forscher eigentlich für eine normale Ernährung halten und wer sie für solche schon fast komischen Aussagen bezahlt.

Es gibt nämlich tatsächlich auch Forscher, die eine gesunde Ernährung als unerlässlich für körperliche, geistige, emotionale und spirituelle Gesundheit erachten. Und die meisten der genannten Lebensmittel stehen zumindest im Verdacht, Köper, Geist und Emotionen in negativer Weise zu beeinflussen. Vielleicht ist es deshalb nicht ganz so verrückt, sich von ihnen so gut als möglich fernzuhalten.

 

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7 Responses

  1. Dirk

    Gibt es schon Medikamente gegen diese Schreckliche Krankheit? Ich musste mit erschrecken feststellen das ich Wahrscheinlich schon sehr lange an dieser Leide. Mein Arzt hat das wo die ganzen Jahre übersehen, da meine Werte regelmäßig wie er sagt Traumhaft sind. Bin schon am überlegen ob ich mir jetzt Schnell eine Pizza oder so bestelle, da Fleisch habe ich leider nicht im Haus. Ich habe jetzt richtig Angst, Wie geht es euch damit hat jemand schon Erfahrungen wie man einen Ausstieg schaffen kann?

    PS.Liebe grüße auch an meinen guten Freund Kai

    Dirk

    Antworten
  2. R4mbo

    Auch ich werde im nächsten Jahr meine Ernährung umstellen. Ich werde jedes Gramm wiegen, jede Kalorie und jedes Vitamin zählen und weniger Kalorien am Tag einnehmen als empfohlen. Außerdem auf Obst und Gemüse umsteigen, nur noch ganz selten Fleisch. Bis es Routine wird werde ich mir am Anfang sicherlich schwer tun. ABER: Es ist ziemlich primitiv ein Verhalten als Krankheit zu bezeichnen nur weil man es nicht versteht oder die Gründe nachvollziehen kann. Das ist keine Krankheit! Man nennt diese Ernährung Calorie Restriction, oder besser CRON (Calorie Restriction with optimal nutrition). Menschen die sich so ernähren hoffen auf einen Anstieg der eigenen Gesundheit und der Lebenserwartung. Dafür nehmen sie auch die Zeitinvestition und den Hunger in Kauf. Anlass dazu gaben mehrere Tier-Studien. Es wurde auch noch nachgewiesen dass Prozesse die in den Tieren durch CR stattfinden, auch beim Menschen stattfinden. Anlaufstellen für Informationen bietet die amerikanische CR Society oder das deutsche Forum „zeitgunst.com“.

    MfG
    R4mbo

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  3. Bernd

    Was bringt den Doktor um sein Brot?
    a) die Gesundheit, b) der Tod.
    Drum hält er uns, auf das er lebe,
    zwischen beiden in der Schwebe!

    von Dr. med. Eugen Roth

    Drum soll uns, wenn wir nun so gar nicht diesen industriellen, krankmachenden Mist essen wollen, wenigstens der Versuch uns gesund zu ernähren, durch gezielt gesetzte „Forschungsergebnisse“, was alles „gesund“ sei, krank machen. Denn dabei kann man schonmal den Überblick verlieren und in Zwänge geraten oder noch schlimmer.
    Ich kann da nur raten: Weniger mit dem Verstand entscheiden, was gut für mich ist, dafür mehr auf die Intuition oder das Bauchgefühl hören.
    Und wenn ich mich gut dabei fühle, werde ich das auch nach außen zeigen können und niemand wird meine besondere Ernährungsweise als Zwang betrachten.
    Übrigens: Ich bin Rohköstler!

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  4. Vanessa

    Entschuldigt bitte, aber da liegt mir eine Kritik auf der Tastatur.

    Es gibt nunmal verschiedene Formen von Esstörungen und dies ist eine davon. Jene Menschen, die sich einfach nur gesund ernähren und dabei keinen Leidensdruck empfinden – sich nicht gezwungen sehen, so zu essen, nicht permanent Pläne schreiben, was sie wann gegessen haben etc. – die fallen nicht darunter. Das ist im Artikel auch durchaus nicht unterschlagen, aber es wird nur sehr kurz und undifferenziert angesprochen und durch Ironie, vllt. fast schon Sarkasmus m. E. verdeckt.
    Sich damit auseinander zu setzen, welche Schwierigkeiten daraus entstehen können, daß gesund essen auch als Störung definiert werden kann, wäre an sich ein interessantes Thema, deswegen habe ich den Artikel angeklickt.
    Aber als Fazit zu lesen, daß die Frage entsteht
    „…was die beteiligten Forscher eigentlich für eine normale Ernährung halten und ob viele Ernährungsformen, die gesellschaftlich anerkannt sind, nicht ebenfalls eigentlich als fortgeschrittener Wahnsinn anzusehen sind.“ finde ich unbefriedigend. Alle Ernährungsformen, die gesellschaftlich anerkannt sind können unter bestimmten Umständen als – ich bevorzuge den Ausdruck „psychische Störung“ – definiert werden. Jemand, der sich ausschließlich von Fleisch ernährt, dadurch eventuell körperlich erkrankt oder anderweitig darunter leidet, wird von einem Psychologen vermutlich auch die Diagnose „“schwere Esstörung“ erhalten. In diesem Sinne ist, meines Wissens „Orthorexia Nervosa“ auch nur ein Befund, der unter dieser Störung eingeordnet wird.

    Beste Grüße! V.

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  5. Sandra

    Vorsicht! Unter Orthorexie ist auch in Deutschland schon länger eine (eigentliche) Zwangsstörung bekannt. Das große Merkmal einer psychischen Störung wird hier im Artikel vollkommen übersehen: Es muss ein Leidensdruck einhergehen. „Orthorexie“ (der Begriff ist umstritten) geht soweit, dass Mahlzeiten wochenlang vorher genau berechnet und geplant werden – nicht nur dem Kalorienanteil nach, wie bei Anorexia nervosa der Fall, aber nach ausgeglichenem Nährstoff-, Vitamin- und Mineralstoffbedarf. Dass daraus bei der vielen widersprüchlichen Literatur ein Zwang entstehen kann, ist einleuchtend. Zudem führt es zu Angstverhalten bestimmten „ungesunden“ Nahrungsmitteln gegenüber und durch das für Außenstehende anstrengende Miteinander zu sozialer Isolation. Dies beschreibt in allen Details eine psychische Störung. Solche satirischen Bemerkungen wie im Artikel geschehen, tragen nicht gerade zur Aufklärung bei.

    Nichts desto trotz wird das Thema gern gehyped und Menschen, die sich einfach ernsthaft mit gesunder Ernährung beschäftigen, werden per Skandal über einen großen Kamm mit Störungen geschert – die passen halt nicht zum gewünschten Konsum-Und-Spaß-Dabei-Wunschbürger. Die Abwehrhaltung, die dann von den „Gesundköstlern“ eingenommen wird, führt zu immer extremeren, absoluten Haltungen und Kommunikationsschwierigkeiten. Das alte Dilemma.

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