Die Bundesregierung muss die Sätze für Hartz IV neu berechnen – den bisherigen Beträgen lagen völlig unrealistische Berechnungen zugrunde, die gegen das Grundgesetz verstoßen. Dies entschied am Dienstag das Bundesverfassungsgericht.

Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum

Drei Familien hatten den Staat verklagt, weil sie die Hilfssätze für Kinder zu gering fanden. Ihre Klage hatte nun Erfolg, aber das Urteil der Verfassungsrichter geht noch viel weiter. Sie urteilten:

* Die Berechnung aller Hartz-IV-Regelsätze ist grundgesetzwidrig.

* Die alte Regelung bleibt bis zum Jahresende in Kraft, bis zum 1. Januar 2011 muss die Regierung eine Neuregelung schaffen.

* Bis zu dieser Neuregelung können die knapp sieben Millionen Hilfebedürftigen ergänzende Leistungen beanspruchen, sofern dies zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich ist.

Besonders der letzte Punkt hat es in sich: Erstmals äußerten sich die Verfassungsrichter zu einem „Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum“ als Grundlage für Hartz IV.

Neuberechnung, nicht Erhöhung

Die Richter stellten jedoch auch fest, dass die Regelsätze „nicht als evident unzureichend angesehen werden“ können – nicht die Höhe der Bezüge wurde also kritisiert, sondern lediglich die Art, wie sie berechnet wurden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass eine Neuberechnung zumindest für die Kinder-Hilfssätze eine deutliche Erhöhung bedeuten wird. Auch bei Erwachsenen ist eine Erhöhung anzunehmen.

In diesem Jahr bedeutet es jedoch sehr sicher, dass auf den ohnehin schwer verschuldeten Staat durch die ergänzenden Leistungen höhere Ausgaben für Hartz IV zukommen werden.

Auch für die Mindestlohn-Debatte hat das Urteil wohlmöglich Auswirkungen, denn angehobenen Hartz-IV-Sätzen müsste auch ein entsprechender Mindestlohn gegenüberstehen, so viele Kommentatoren. „Das heißt, dass es mehr Geld für Langzeitarbeitslose gibt, das heißt aber auch, Einführung eines Mindestlohns“, sagte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD- Fraktion, Thomas Oppermann. Es könne nicht sein, dass jemand ohne Arbeit mehr Geld bekommt als jemand, der den ganzen Tag einer Arbeit nachgeht.

Signal für das Grundeinkommen?

Dass die Verfassungsrichter ein „Grundrecht auf ein menschenwürdigen Existenzminimum“ feststellten, macht auch vielen Befürwortern eines Bedingungslosen Grundeinkommens oder Bürgergeldes Hoffnung. Denn ein solches Recht ist ja gerade ein zentrales Argument solcher Ideen. Vielleicht kann die Entscheidung aus Karlsruhe also auch diese Diskussion neu beleben.

 

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Bild: bundesverfassungsgericht.de

 

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