70 Prozent der Deutschen haben Vertrauen in Politik und Wirtschaft verloren

Die Deutschen blicken skeptisch in das Jahr 2010 und auch in die weitere Zukunft. Eine große Mehrheit hat nach dem Krisenjahr 2008/2009 ihr Vertrauen in zahlreiche Institutionen, Entscheider und Verantwortungsträger verloren. Inzwischen müssen ungefähr 70 Prozent der Bevölkerung als weitgehend resigniert eingeschätzt werden. Beinahe jeder Zweite wünscht sich mittlerweile einen „Systemwechsel“ in Bezug auf repräsentative Demokratie und/oder Marktwirtschaft.

Dies ist das Ergebnis einer umfassend angelegten Studie der Bertelsmann Stiftung über das Vertrauen der deutschen Bevölkerung zum Ende des Jahres. Doch der breitflächige Vertrauensverlust ist dabei keineswegs allein eine Folge der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern setzte bereits vor Jahrzehnten als Folge der Globalisierung ein.

Mut machen könnte den Befragten am ehesten eine Wende zu umfassender Nachhaltigkeit, vielfältiger Beteiligung an Entscheidungsprozessen sowie konsequenter Förderung von Bildung und Familie. Unter der Oberfläche der Resignation deuten sich nach Meinung der Studienleiter neue soziale Bewegungen an, die die gesellschaftliche Einflussnahme und politisch unabhängige Mitsprache künftig neu organisieren werden.

 

Kein Vertrauen mehr

Im Fazit der Erhebung zeigten 70 Prozent der qualitativ Befragten an, dass sie kaum noch Vertrauen in die Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft oder in die sozialen Sicherungssysteme haben. Sie sind resigniert, sehen die aktuelle Situation sehr kritisch und haben nur wenig Vertrauen in die weitere Entwicklung der Lebensbedingungen in Deutschland.

Seit den 90er Jahren sehen die Befragten eine immer stärkere Förderung von Leistungseliten und eine vom Bürger entkoppelte Interessenvertretung. In dieser Zeit sei soziale Ungerechtigkeit zunehmend als eine Art „Kollateralschaden“ der gegenwärtigen Verhältnisse und der Wachstumsstrategie hingenommen worden. Die Grundursache dafür liegt in den Begleiterscheinungen und Folgen der Globalisierung und lange vor dem Platzen der Internet-Blase oder der aktuellen Wirtschaftskrise. Mit der Zeit um die Jahrtausendwende verbinden die Befragten das bewusste Abgeben falscher Versprechungen, den profitgierigen Raubbau an Mensch und Umwelt und die Förderung von ungezügeltem Egoismus.

20 Prozent der Befragten verlangt als Konsequenz einen „Systemwechsel“ in Bezug auf Marktwirtschaft und Demokratie mit mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger. Und 25 Prozent der Befragten erklären, dass sie ihr Vertrauen in „das System“ grundsätzlich verloren haben. Sie glauben nicht, dass es überhaupt eine Lösung für ihr Vertrauensproblem gibt.

Schlecht weg kommen in der Einschätzung der Deutschen vor allem die gegenwärtigen Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik. Die Verantwortlichen in der Wirtschaft werden überwiegend mit Lobbyismus, Gier und Abkoppelung von der Wirklichkeit in Verbindung gebracht.

 

Enormes Bereitschaftspotenzial

Als eine weitere Erkenntnis aus dieser Studie verweist die Bertelsmann Stiftung auf neue soziale Bewegungen, die sich möglicherweise andeuten: „Unter der Oberfläche von Resignation und Frustration entwickelt sich auf der Werteebene ein enormes Bereitschaftspotenzial für Partizipation. Unabhängig von den etablierten Parteien, den Massenmedien und professionellen Plattformen bahnt sich dieser Wille zur Beteiligung bereits machtvoll seinen Weg“, so Prof. Dr. Peter Kruse, Leiter der Studie bei Nextpractice. Er schätzt dieses Potenzial auf 20 bis 30 Prozent – und damit ähnlich groß und mächtig wie die Basis der Ökologiebewegung in ihren Anfängen.

 

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Text: Material von bertelsmann-stiftung.de

 

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