95 Prozent unserer DNA galt lange Zeit als nutzloser Müll – jetzt wurde endlich entschlüsselt, wie die sogenannte Junk-DNA funktioniert.

 

95 Prozent Müll in der DNA?

Im Laufe der Entschlüsselung des Genoms vor gut 10 Jahren erlebten die Forscher eine große Überraschung – um die Proteine zu bilden, aus denen der Körper aufgebaut ist, werden nur die Informationen von etwa zwei Prozent der menschlichen DNA gebraucht, die sogenannten Gene. Wozu der „Rest“ von über 90 Prozent? Es gelang der Wissenschaft viele Jahre nicht, eine sinnvolle Erklärung für diesen überwältigenden Großteil unseres Erbguts zu ersinnen – und so wurde es eben kurzerhand zu Müll erklärt.

Doch je mehr das deterministische Dogma der Gentechnik bröckelte, je stärker epigenetische Prozesse in den Blickpunkt gerieten und man verstand, dass auch unser Erbgut in Wechselwirkungen und kreative, spontane Prozesse eingebunden ist, desto mehr rückte auch die Junk-DNA wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Nun ist es endlich gelungen, Junk-DNA zu verstehen – damit dürfte man auch im Verständnis der Genetik überhaupt ein großes Stück weitergekommen sein.

Junk-DNA entziffert

Erstaunliche Parallelen: In der Astrophysik macht die bekannte Materie nur 3% des Universums aus, 97% bestehen aus einer unbekannten, mysteriösen Dunklen Materie und Energie. In unserem Körper schienen 5% des Erbguts für die bekannten Prozesse zuständig zu sein – 95% waren bisher eine mysteriöse, unverständliche Müll-DNA. Bis jetzt, denn nun ist dem Projekt „Encode“ ein Durchbruch in der Erforschung dieser „Dunklen Materie“ der DNA gelungen.

Junk-DNA, so die grundlegende Erkenntnis, dient der Steuerung der Gene. Es ist die Junk-DNA, die dafür sorgt, dass es im Körper so unterschiedliche Zelltypen gibt. Denn von einer Nervenzelle im Gehirn bis zu einer Zelle im Enddarm verfügen alle 150 verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper über komplett identisches Gen-Material. Die Junk-DNA steuert dieses Genmaterial so an, dass sich Zellen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften bilden. Wenn die Gene die Konstruktionspläne einzelner Komponenten wären, dann bestimmt die Junk-DNA, welche Teile wie zusammengebaut werden.

Über Gen-Schalter – spezielle Andockpunkte für Moleküle an der DNA – können Gene an- und ausgeschaltet werden. Junk-DNA bestimmt mit Hilfe der Gen-Schalter, welche Proteine gebildet werden, wann und in welcher Menge. In der DNA fanden die Forscher rund 2,9 Millionen solcher Schalter – in jedem Zelltyp war aber nur ein individuelles Muster aus maximal 200.000 von ihnen aktiv.

Rund 70 Prozent des Erbguts kann zudem in sogenannte RNA umgeschrieben werden. RNA überträgt Informationen, reguliert die Funktion von Genen, hilft bei der Konstruktion von Proteinen und erfüllt viele weitere Funktionen.

Noch immer unvollständiges Bild

Auch wenn das Bild der Junk-DNA durch Encode alles andere als vollständig ist (die Forscher vergleichen es mit den ersten pixeligen Fotos aus dem All), ist es immerhin schon mal ein Bild. Das die Junk-RNA uns ganz unmittelbar beeinflusst, konnte auch in Bezug auf Krankheiten nachgewiesen werden: Mutationen der Junk-DNA hängen offenbar direkt mit bestimmten Krankheiten zusammen.

Das dürfte in der Forschung einiges über den Haufen werfen, denn bisher hatte man die Ursache für Krankheiten fast ausschließlich in den Genen – also rund 3 Prozent des Erbguts – gesucht. Nun ist das Suchgebiet etwas größer geworden. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis der Mensch ein halbwegs realistisches Verständnis der genetischen Abläufe in seinem Körper hat. Was ihn leider nicht daran hindert, Pflanzen und Tiere schonmal umzubauen, mit einer Technik, dir er nicht mal im Ansatz versteht…

 

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