Eine Studie für Fridays for Future zeigt: Die Klimaziele der Bundesregierung reichen nicht, um die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen.

Nach einer für Fridays for Future in Auftrag gegebenen Studie muss Deutschland deutlich schneller handeln, um die von der Bundesregierung vorgesehenen Klimaziele zu erreichen und die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen. Der Plan der Bundesregierung sieht vor, dass bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gesunken sein sollen und bis spätestens im Jahr 2050 Treibhausgasneutralität herrschen soll.

Die Klimaschützer von Fridays for Future haben, finanziell unterstützt von der GLS Bank, beim Wuppertal Institut eine Klimastudie in Auftrag gegeben, die einen ersten halbwegs realistischen Eindruck davon vermittelt, wie groß die Aufgabe ist, vor der die Gesellschaft steht und wie schnell die Wirtschaft umgebaut werden muss. Wichtigstes Ergebnis: Nicht erst 2050, sondern schon 2035, also in 15 Jahren, darf Deutschland netto kein CO₂ mehr ausstoßen – und zwar nicht linear immer weniger, sondern zwischendurch noch schneller. Würde Deutschland Jahr für Jahr gleichermaßen mindern, müsste schon 2032 Schluss sein mit CO₂-Emissionen.

Damit der Umbau der Wirtschaft gelingen kann, müssen vor allem die erneuerbaren Energien extrem schnell ausgebaut werden – der Studie zufolge mindestens doppelt so schnell wie bisher, eher vier- bis sechsmal so schnell. Denn der Strombedarf wird steigen, weil am grünen Strom fast alles hängt. Im Schnitt der letzten beiden Jahre kamen bisher aber jedes Jahr nur etwa 6 Gigawatt Leistung an Sonnen- und Windenergie neu dazu. Künftig müssten der Studie zufolge 25 bis 30 Gigawatt pro Jahr neu entstehen. Möglicherweise sogar bis zu 40 Gigawatt.

Das Potenzial für einen Ausbau der erneuerbaren Energien sei da, schreiben die Betreiber der Studie. Um den Ausbau zu schaffen, sei allerdings etwa die Beteiligung der Kommunen an den Gewinnen aus Windrädern ebenso nötig wie eine Vorschrift, auf neuen oder umgebauten Dächern Solarzellen anzubringen. Die Kosten lägen bei rund 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr, in den ersten Jahren wären sie höher als in späteren Jahren, weil die Technik absehbar günstiger wird. Dazu käme der notwendige Umbau der Stromnetze und der Aufbau von Stromspeichern.

Deutschland muss außerdem sehr viel mehr Wasserstoff produzieren als derzeit, um etwa Flugzeuge oder Lkw zu betreiben. Nötig wären demnach bis 2035 Anlagen mit Kapazitäten von mindestens 40 bis 90 Gigawatt – die Regierung plant der Studie zufolge maximal 10 Gigawatt. Noch gibt es allerdings zu wenig Hersteller für die notwendigen Elektrolyse-Anlagen, das Hochfahren bis zur Massenherstellung werde sicherlich einige Jahre in Anspruch nehmen. Zusätzlich wären Importe nötig und Wasserstoffpipelines im Land.

In der energieintensiven Industrie (Stahl, Chemie) müssen bestehende Anlagen bis 2035 auf nicht-fossile Technologien umgestellt werden, sofern sie weiter in Betrieb bleiben sollen. Auch im Verkehr muss sich mehr tun. Zuletzt sank der Treibhausgasausstoß im deutschen Verkehr gar nicht. Damit sich das ändert, ist es der Studie zufolge nötig, zunächst Verkehr zu reduzieren. Durch weniger Zersiedelung, Homeoffice, teurere Flüge und weniger Straßenbau könne der Personenverkehr um etwa ein Fünftel reduziert werden, der Güterverkehr um ein Zehntel. Das Auto solle weniger wichtig und unattraktiver werden: Durch Tempolimits, autofreie Zonen, andere Verkehrsführung und teureres Parken. Ziel: Autoverkehr um die Hälfte senken, Laufen, Radfahren und Fahrten im ÖPNV verdoppeln. Güter sollten seltener auf Lkw, häufiger auf Zügen transportiert werden.

In den vergangenen Jahren wurden der Studie zufolge jährlich rund ein Prozent aller Gebäude energetisch saniert. Künftig müssten es viermal so viele sein – also vier Prozent jedes Jahr. Dazu zählen Dämmung und neue Heizungen. In fünfzehn Jahren sollten 60 bis 80 Prozent der Heizungen Wärmepumpen sein, die mit Strom laufen (aktuell sind es weniger als 3 Prozent). Nötig wäre aber auch, dass Menschen in kleineren Wohnungen leben, nicht in immer größeren.

Die Studie maht immer wieder klar, dass es nicht damit getan ist, nur Energieträger auszutauschen. Wir müssen insgesamt weniger Strom und Ressourcen verbrauchen. Der Stromverbrauch muss sinken, die Zahl der Autos und Lkw-Fahrten auch. Dazu muss eine Kreislaufwirtschaft etabliert werden, die Stoffe weiterverarbeitet, mehr recycelt und weniger Material verbraucht, statt Müll zu produzieren.

Infos zur Studie unter https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/5169/

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