Weltweit sind konservative Populisten an die Macht gekommen. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erklärt das Phänomen in ihrem Buch Radikalisierter Konservatismus.

Von Oliver Bartsch

Die größte Gefahr für die Demokratie droht nicht von den Links- oder Rechtsextremen, sondern kommt aus der ehemaligen Mitte der Gesellschaft. Wenn es nach der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl geht, droht von konservativen Parteien, die einen Rechtsruck erfahren haben, viel mehr Gefahr. In ihrem Buch Radikalisierter Konservatismus beschreibt die Autorin ein relativ neues Phänomen:

Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien, Narendra Modi in Indien, Rodrigo Duterte in den Philippinen, Victor Orbán in Ungarn oder Sebastian Kurz in Österreich. All diese Regierungschefs von konservativen Parteien eint, dass sie, einmal gewählt, versuchen, die demokratischen Strukturen ihrer Länder auszuhebeln. Dabei setzen sie auf einen populistischen Regierungsstil, der vor allem eine eigene Parallelrealität behauptet und die Wirklichkeit als Fake abtut. Das man dabei großen Erfolg haben kann, beweist niemand lehrbuchhafter als Donald Trump, der immer noch straffrei behaupten darf, die Wahl durch Betrug verloren zu haben.

Natascha Strobl versucht in ihrem Buch mit Donald Trump und Sebastian Kurz zwei der Hauptvertreter dieses radikalisierten Konservatismus genauer zu betrachten und zu zeigen, welches politische Kalkül ihrem Handeln zugrunde liegt. Sie verletzen bewusst die etablierten Regeln des politischen Geschehens, indem sie etwa auf Gedenkveranstaltungen für Holocaust-Opfer einfach nicht erscheinen oder unliebsame Medienvertreter aus Pressekonferenzen verbannen. Die neuen Rechtspopulisten treiben eine Spaltung der Gesellschaft voran, bei der die politischen Gegner und Kritiker als Feinde aufgebaut werden, die den neuen Führer bedrohen und daher ausgeschaltet werden müssen. Der Sturm auf das Capitol war bildgewaltiger Ausdruck dieser Haltung.

Die Autorin beschreibt, wie beim Umbau der konservativen Parteien, derer sich die neuen Radikalkonservativen bedienen, Kontrollstrukturen eliminiert und ein Führerkult um eine Lichtgestalt aufbaut werden. Und sie beschreibt das Ziel der neuen Anti-Demokraten, die bewusste Delegitimierung und Beschädigung der Justiz und des Parlaments. Schließlich erläutert Natascha Strobl, wie die Medien in dieses politische Spiel der Konstruktion einer neuen Realität eingebunden sind, insbesondere die sogenannten Neuen Medien. Sie lassen sich unsinnige Themen vorgeben und bleiben an ihnen hängen, getreu der Devise des rechtsradikalen Ideologen Steve Bannon: „Flutet den öffentlichen Raum mit Scheiße.“

Diese besorgniserregende Entwicklung ist natürlich nur möglich geworden, weil es seit der Weltwährungskrise 2008 eine Reihe von existenziellen Krisen gegeben hat, die viele Menschen in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet und nach Sicherheit streben lässt. Die verschiedenen Krisen führen dazu, dass die Akzeptanz für das etablierte politische System schwindet. Das große Versprechen der Nachkriegszeit – es wird von Generation zu Generation besser, und es gibt mehr Wohlstand für alle – ist längst nicht mehr einlösbar.

Der radikalisierte Konservatismus versucht auf diese existenziellen Krisen und das große Sicherheitsbedürfnis eine radikale Antwort zu geben und hat dabei einen absoluten Machtanspruch, den er nicht mehr bereit ist, im Konsens zu teilen. Und auch auf der gesellschaftlichen Ebene gibt es eine Entwicklung, die der Soziologe Wilhelm Heitmeyer als „verrohtes Bürgertum“ bezeichnet. Durch die Agitation von Neuen Rechten, Identitären und Neo-Rechten radikalisiert sich auch das konservative Bürgertum in Richtung Rechtsextremismus. Das verrohte Bürgertum kündigt bestimmten Schichten (Alte, Kranke, Schwache, Ausländer, Lesben, Schwule etc) die gesellschaftliche Solidarität und ersetzt sie durch eine Ideologie der Härte. Besonders in der Pandemie haben sich sozialdarwinistische Ideen verbreitet, die auf eine Durchseuchung der Bevölkerung setzen (Great Barrington Declaration).

Fazit: Die reale Gefahr der Aushöhlung unserer Demokratien, die von den neuen radikal-konservativen Führern ausgeht, wird klar erkannt und analytisch beschrieben. Wenn ich mir die wenig konstruktive Frontalopposition von Friedrich März und Markus Söder so anschaue, (von der AFD ganz zu schweigen) ist Deutschland vom radikalisierten Konservatismus auch nicht mehr weit entfernt.

Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus, eine Analyse, Suhrkamp Verlag, 192 Seiten, 16 Euro, 2021

Natascha Strobl, geboren 1985 in Wien, ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie schreibt unter anderem für den Standard, Zeit online und die taz. Auf Twitter veröffentlicht sie unter #NatsAnalyse Einschätzungen zu rechter Sprache und rechten Strategien. Zuletzt erschien von ihr (mit Julian Bruns und Kathrin Glösel) Rechte Konterrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute? (2015).

 

Anmerkung: Zu den Aussagen des Buches und zu Teilen der Buch-Rezension selbst, gibt es von Seiten des gesamten SEIN-Teams eine differenziertere Meinung. Wir sind auf Ihre Meinungsbeiträge gespannt.

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