The Line soll eine 170 Kilometer lange und 200 Meter breite Stadt werden, die die saudi-arabische Wüste mit dem nördlichen Teil des roten Meeres verbindet.

Von Oliver Bartsch

Wenn es nach dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman geht, entsteht in der saudi-arabischen Wüste eine zivilisatorische Revolution, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ein noch nie dagewesenes urbanes Wohnerlebnis bietet, während die umliegende Natur erhalten bleibt. The Line soll dabei neue Maßstäbe in der Stadtentwicklung setzten und zeigen, wie die Städte der Zukunft aussehen sollen.

The Line glänzt mit vielen Superlativen, die für europäische Ohren unglaublich klingen: So soll The Line auf einer Fläche von nur 34 Quadratkilometern gebaut werden und 9 Millionen Menschen beherbergen. The Line soll 170 Kilometer lang, nur 200 Meter breit werden und 500 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Dies bedeute einen geringeren Platzbedarf für die Infrastruktur und eine noch nie dagewesene Effizienz der städtischen Funktionen. Das ideale Klima soll das ganze Jahr über dafür sorgen, dass die Bewohner die umliegende Natur genießen können. Die Bewohner würden außerdem Zugang zu allen Einrichtungen innerhalb von fünf Minuten zu Fuß haben, zusätzlich zum Hochgeschwindigkeitszug – mit einer direkten Verbindung innerhalb von 20 Minuten.

The Line soll 100 Prozent klimaneutral sein

Führende Architekten und Wissenschaftler haben aber noch mehr vor: So soll das fortschrittliche Design einen unmittelbaren und uneingeschränkten Zugang zur Natur innerhalb eines zweiminütigen Spaziergangs durch verschiedene Freiflächen bieten, die auf mehreren Ebenen schweben. Für alle soll es einen gleichberechtigten Zugang zu unberührten Ausblicken auf die umgebende Naturlandschaft, die Berge und den Himmel geben und dabei die Zersiedelung dank reduziertem Infrastrukturbedarf gestoppt werden.

Die Stadt solle durch die Beseitigung von CO2-intensiver Infrastruktur wie Autos und Straßen CO2-frei sein. Sie werde zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben, einschließlich des Industriebetriebs. Die Integration von Natur und Freiflächen in der gesamten Stadt werde eine wichtige Rolle bei der Reinigung der Luftqualität spielen.

Um die Gründung von mikroklimatischen Bereichen zu gewährleisten, werde die Umgebung sorgfältig entworfen, um ein optimales Gleichgewicht von Sonnenlicht, Schatten und natürlicher Belüftung zu ermöglichen. Außerdem würden die grünen Freiflächen in der ganzen Stadt den Komfort für die Menschen, die hier leben, arbeiten und zu Besuch sind, zusätzlich verbessern.

Dafür organisieren sich die wie Perlen an einer Schnur aneinandergereihten Stadtteile auf drei übereinander liegenden Ebenen. So sollen Nutzung und Fläche möglichst effizient miteinander verknüpft sein: eine oberirdische Ebene mit Wohn-, Grün- und Freizeitflächen. Darunter liegen unterirdisch Einkaufspassagen mit Läden für den alltäglichen Bedarf und ein Wegenetz für autonomen Kurzstreckenverkehr. Das Versprechen ist eine maximale Distanz von der Wohnung zur allen täglichen Zielen von maximal fünf Gehminuten. Denn The Line soll auto- und sogar straßenfrei sein, zumindest oberirdisch. In der dritten, untersten Ebene werden in mehreren Röhren autonome Fahrzeuge Menschen und Fracht auf der Mittelstrecke transportieren. Ein Hyperloop überwindet den Planungen nach die gesamte Länge von 170 Kilometer in maximal 20 Minuten, das verlangt eine Geschwindigkeit von mehr als 500 km/h. Als Smart City sollen Daten über sämtliche Abläufe erfasst werden und die Effizienz der Infrastruktur mittels künstlicher Intelligenz erhöhen.

Trotzdem fällt es schwer zu glauben, was der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman seit Februar 2021 als die Stadt der Zukunft mitten in der Wüste plant und Neom nennt. Für den Münchener Landschafts- und Stadtplaner Prof. Rainer Schmidt, der an den Universitäten von Peking und Berkeley lehrt und zahlreiche große Stadt- und Landschaftsprojekte plante, ist das Vorhaben durchaus realistisch: „Neom und die Bandstadt The Line sind mehr als nur PR. Sie sind realistisch, weil der Kronprinz den Umbau des Staates vorantreibt. Die Mobilitätsstruktur mit dem Hyperloop zum Beispiel entwickelt sich und ist durchaus möglich.“

Kritik an The Line

Es gibt aber auch Kritik. Der spanische Architekt Vicente Guallart, Planer mehrerer verkehrsarmer und „CO2-absorbierender“ Städte, übte in einem Beitrag des TV-Magazins „aspekte“ Kritik: „The Line wird niemals gebaut werden, weil es einfach unmöglich ist, eine Stadt mit einer so riesigen unterirdischen Infrastruktur zu bauen.“

 

The Line – NEOM in Progress – Januar 2023

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The Line im Bau

Foto: Screenshot aus – Neom in Progress

 

Ein weiterer Punkt der Kritiker ist die ökologische Dimension: 170 Kilometer grün bepflanzte Fläche mitten in der Wüste, das erscheint angesichts ex­trem knapper Wasserressourcen verschwenderisch und ineffizient. Kritiker befürchten, dass The Line das wertvolle Grundwasservorkommen anzapfen könnte, dass sich vor rund 25.000 Jahren gebildet hat, als die arabische Halbinsel noch grüne Savanne war, und das zu den größten der Erde zählt. Von dem sich nicht erneuernden Reservoir profitiert die gesamte Region, vor allem Jordanien.

Unabhängig von ökologischen Betrachtungen stellt sich die Frage, ob The Line überhaupt genug Menschen und Investoren aus aller Welt anziehen kann. Immerhin unterscheidet sich die saudische Rechtslage und der Freiheitsgrad für Kritik übende, ethnische oder andere Minderheiten sowie Frauen deutlich von den demokratisch regierten Ländern, aus denen viele der Investoren, Gäste und zukünftigen Bewohnenden stammen könnten.

Sollte das Projekt technisch, ökologisch und sozial gelingen, könnte es auch die Entwicklung in anderen Wüstenregionen, vor allen in Afrika, hinsichtlich Wassermanagement, Landwirtschaft und Urbanisierung mit übertragbaren Lösungen vorantreiben. Neben dem Hype steckt also viel Zukunftshoffnung in The Line.

Infos unter www.neom.com/de-de/regions/theline

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