Sie sagen, wir hätten keine Botschaft. Sie erkennen nicht, dass tausende Leute bereits für sich eine Botschaft darstellen. Sie nennen uns „linke Gruppierungen“ oder „rechte Verschwörungstheoretiker“. Sie begreifen nicht, dass es kein Links-Rechts-Spektrum mehr gibt. Wir bewegen uns von unten nach oben. Sie glauben, wir sind eine verrückte Minderheit. Wir sind bloß nicht 99%, die auf der Straße sind, weil es der Großteil der uns Zugehörigen noch nicht weiß, dass sie es sind. Aber wir gehen auch für Sie auf die Straße.

Sie sagen, uns fehlt es an konkreten Forderungen. Sie sind sich gewöhnt, dass man Ihnen sagt, was Sie zu denken haben. Wir hingegen sind eine Bewegung des Gefühls – des bestimmten Gefühls, dass etwas nicht stimmt, dass es so nicht weitergehen kann. Sie sind bereit, uns zu verstehen, wenn Sie Ihr Herz öffnen. Wir sind eine Revolution des Geistes, der Kreativität.

Einige von uns zeichnen, andere tanzen, machen Musik. Sammeln den Abfall. Kochen Kaffee und Suppe. Verbreiten ihre Wut durch die Lautsprecheranlage. In all unserem Ausdruck steckt die gleiche Nachricht – und Sie sagen, wir wären unorganisiert und uneinig. Unsere Botschaft kann nicht mit den Mitteln des Systems erfasst und analysiert werden. Doch ist sie im Grunde sehr einfach zu verstehen, sie tritt deutlich zu Tage zwischen den Worten von Liebe und Empörung.

Versuchen Sie nicht länger, uns zu kategorisieren. Wir sind die Parteien, die Parteifreien, die Verschwörungstheoretiker und Knallköpfe, die Religiösen, die Anarchisten, die Anonymen, wir sind Nichts und Alle.

Viele von uns sind nicht mehr da – auf dem Paradeplatz, in der Wall Street, in der Öffentlichkeit – unsere Vertreter harren aus. Und doch sind wir viele und noch mehr. Und wir vergessen nicht. Wir werden uns wieder versammeln, um unserem bestimmten Gefühl einen Ausdruck zu verleihen.

Die Welt steht vor einem grossen Wandel. Wir bereiten uns darauf vor. Nicht Geld und Macht werden mehr im Mittelpunkt unseres Denkens stehen, sondern Liebe zur Natur und den Menschen als Teil davon. Dies ist keine Forderung an das System. Kein Aufruf zu einer Revolution. Keine Parole des Umsturzes. Dies ist ein Manifest des Gefühls.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der großartigen Zeitschrift Zeitpunkt und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 

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Über den Autor

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ist Herausgeber der Zeitschrift „Zeitpunkt“, einem Magazin „für intelligente Optimistinnen und konstruktive Skeptiker“. Er ist außerdem Kandidat für parteifrei.ch.

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6 Responses

  1. gunnar jauch

    Lieber WellenbeobachterHH (welch schöner Name…), mir scheint, positive Gefühle täuschen nicht.

    Bin vor Wochen über dieses Essay aus der parteilosen Zeitschrift „Der Zeitpunkt“ gestolpert und empfand es unter den unzähligen bisher über die Bewegung verfassten als eines der eindringlichsten und sensibelsten. Anlässlich der zweiten Zürcher Paradeplatz-Kundgebung hab ich Bekanntschaft gemacht mit dessen Autor, dem scheuen jungen swisscom-Mitarbeiter und „Freizeit-Poeten“ Martin Kuster gemacht.

    Es könnte auch mit „Manifest der Liebe“ überschrieben sein und deckt sich mit der These eines Bloggers, die Occupy-Bewegung werde nur Erfolg beschieden sein, so lange sie sich vom Prinzip der Liebe leiten liesse. Habe ihm vehement zugestimmt.

    Nein, positive Gefühle können nicht täuschen, sie sind deutlich spürbar, deren Vibrationen unterliegen dem physikalischen Gesetz von actio und reactio. Und die Liebe als die höchste derselben schon gar nicht.

    Sie findet ihren physischen Ausdruck in einer in einem Tag von vier jungen Schreinern hochgezogenen Küchengebäude in unserem Camp, ein 20 m langer, mit weissem Stoff bespannter Ständerbau mit Fracht-Paletten-Boden, das ganze von höchster gestalterischer Qualität, Materialkosten 400 Franken — der schreibende alte Architekt war entzückt!

    „In einem Augenblick gewährt die Liebe / was Mühe kaum erreicht in langer Zeit.“ (Br:. Johann Wolfgang von Goethe)

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  2. Querdenker

    Wenn sich Millionen Fische in einer Gruppe tummeln und jeder Fisch versucht sein eigenes Leben vor dem Hai zu retten und dennoch sehen ihre Ausweichbewegungen elegant, vollkommen und einheitlich aus. Die Frage ist: wo ist dieser gemeinsame Verstand, der sie alle wie einen großen Fisch aussehen lässt? Wissenschaftler sagen, er ist übergeordnet und befindet sich in der VERBINDUNG zwischen ihnen. In diesem Fall geschieht es aus dem Instinkt heraus. Was würde aber geschehen, wenn Menschen anfangen diese Eigenschaft der Natur für sich bewusst zu nutzen? 😉
    Alles was zur Einheit strebt hat die Natur auf seiner Seite und ihr Erfolg ist dann garantiert!

    die Bürgschafter

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  3. WellenbeobachterHH

    @ Tom
    Vom Zeitgeist-Movement waren junge Leute hier bei OCCUPY HAMBURG mit dabei – die hatten die besten und fortschrittlichsten Transparente von allen 5.000 Teilnehmern – mit „Geld ist kein Naturgesetz“ und „RessourcenbasierteWirstchaftt.de – echt Klasse – das ist die Zukunft – siehe Bericht:

    http://www.hh-violette.de/2011/10/occupy-hamburg-–-wir-sind-99-oder-warum-es-sich-lohnen-konnte-aufzustehen/

    Antworten
  4. Tom

    klar, dies ist eine bewegung des gefühls, dass etwas nicht stimmt, dass es so nicht weitergehen kann…

    dennoch gibt es auch viele menschen, die schon seit 3 jahren oder noch viel länger da sind, wo viele leute jetzt erst langsam hinkommen, nämlich bei dem gefühl, dass etwas nicht stimmt… und diese menschen haben sich den weg gemeinsam schon seit jahren sehr genau überlegt…

    das sind auch ganz normale menschen wie du und ich, sie sind nicht „elitär“, sie halten sich nicht für was besseres, sie sind einfach nur ein paar jahre früher auf die dinge gekommen, die heute vielen anderen menschen bewusst werden…

    vielleicht wär es jetzt angebracht, diese menschen nicht so zu betrachten, als würden sie irgendwem was „vorschreiben“ wollen, sondern einfach mal offen auf sie und ihre erfahrungen der letzten jahre zuzugehen… weil es muss ja nicht jeder das rad neu erfinden 😉

    www.zeitgeist-movement.at

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  5. Oliver Florig

    Ein beeindruckendes Manifest, das etwas zur Stärke macht, was sonst als Schwäche gilt, nämlich kein konkretes Ziel zu haben. Und natürlich bewirken die Demonstrationen etwas, indem sie eine Haltung auf die Straße bringen.

    Dennoch: Auch Empörung und Liebe müssen in Handlungen münden.
    Wie könnte das gehen?
    Entweder auf einem alten Weg, d.h. man stellt irgendwann doch konkrete Forderungen auf. Oder auf einem neuen Weg, den es allerdings in den 70ern schon einmal gab: Jeder der Demonstranten sucht für sich und in Gemeinschaft mit anderen nach Bausteinen einer neuen Lebens- und Wirtschaftsweise und experimentiert im Austausch mit anderen.

    Ich bekenne, ich bin ein alter Pragmatiker und würde beide Strategien gleichzeitig einschlagen. Eine erneuerte sozialdemokratische Eindämmung unseres Wirtschaftens z.B. wäre schon einmal nicht schlecht. Denn wer weiß, vielleicht endet der Protest sonst – wie der der Hippies – irgendwo, nur nicht in der Welt, die wir uns erträumen. Dann wären ein paar institutionelle Regelungen als Ergebnis nicht schlecht.

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  6. WellenbeobachterHH

    Natürlich verstehe ich, wie der Artikel gemeint ist – man könnte den Text aber auch als ziemlich konfus verstehen. Wer sind die 99% denn wirklich, wenn wir scheinbar nichts und alles sind? Sind wir dann etwa beliebig?

    Außerdem ist zu bedenken, dass das Gefühl auch täuschen kann.

    Man braucht sich nur mal alte „Deutsche Wochenschauen“ anzusehen. Auch ein Demagoge kann Massen „im Herzen“ ansprechen, auf der Gefühlsebene abholen und sie in die von ihm gewünschte Richtung einer bestimmten Ideologie lenken. „Spiritualität“ macht ja keinen Unterschied von „gut“ und „böse. Kriminelle ziehen ihres gleichen an, Nazis Nazis und Rassisten andere Rassisten usw. Das sollte man nie unterschätzen.

    Es gibt auch heute durchaus in den ideologischen Grundüberzeugungen des bürgerlichen Bewusstseins ein „Links- und Rechts-Spektrum“, wobei sich diese beiden sogar immer mehr annähern. Siehe als Beispiel die Argumentationsmuster einer Sahra Wagenknecht, die als „links“ innerhalb der „LINKEN“ gilt aber durchweg „rechte“ Ansichten vertritt: http://www.hh-violette.de/2011/05/die-hohe-kunst-der-selbsttauschung/

    Der Unterschied besteht immer darin, wieviel das jeweilige Bewusstsein wahrnimmt und was eben aus „ideologischen Gründen“ ignoriert wird.

    Erst wenn sich das Gefühl frei von den Rechtfertigungsideologien von Fetischkonstrukten wie „Geld“, „Ware“, „Macht“, „Markt“ und „Staat“ macht – so, wie im Artikel auch richtigerweise benannt, dann laufen wir nicht mehr in eine falsche Richtung oder Sackgasse, weil das im Einklang mit den Gesetzen des Universums steht und keine Fetischrechtfertigung mehr braucht.

    Es geht also durchaus um eine Revolution – nämlich (anstatt Reformen) um eine Revolutionierung der bestehenden Systems über „die warenproduzierende Moderne“, in der wir uns jetzt bewegen, hinaus!!!

    Dem damit verbundenen Gefühl traue ich, wohl wissend, dass die Geschichte auch ganz anders ausgehen kann…

    „Beobachte und denke nach, um die Wahrheit zu erkennen. Glaube nichts, was der Vernunft widerspricht, täusche weder dich selbst noch andere.“ (Friedrich von Schiller)

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