Manche Schamanen arbeiten mit bestimmten Kraftpflanzen. Dazu gehört auch Peyote, der heilige Kaktus der Huichol-Indios. Ein Erlebnisbericht von Anja Gundelach aus Mexiko.

 

Die Flammen leckten am Reisig. Am Horizont warf die letzte Sonne ihren bleichrosa Schimmer. Wir hatten unsere Habseligkeiten unter einem kleinen Baum abgelegt und saßen nun ums Feuer, Leopoldina, Laura und ich. Die meilenweite Leere der Wüste, umgeben von kahlen Bergen, schüchterte mich ein. Gut, dass wir das Feuer in unserer Mitte hatten.

In der Tageshitze hatten wir unter mannshohen Feigenkakteen und Stachelbüschen nach Abuelo Híkuri gesucht, dem heiligen Kaktus der Huichol-Indios, in den USA Peyote genannt. Es ist ein winziger, unscheinbarer Kaktus, dem doch große Macht über alles Lebendige nachgesagt wird. Er erhebt sich nur wenige Zentimeter über den Boden und muss erst zehn Jahre lang wachsen, bevor er eingenommen werden kann.

„Híkuri wächst hier überall“, hatte Miguel versichert. Er hatte uns aus Real de Catorce, einer verlassenen Minenstadt, hinunter in die Wüste gefahren. Trotzdem hatte es Stunden gedauert, bis wir genügend Exemplare gefunden hatten. Vorsichtig, ohne die Wurzeln zu verletzen, hatten wir die Kaktuskörper abgetrennt und gesäubert.

„Auf keinen Fall den Flaum mitessen, davon wird man verrückt“, hatte Miguel uns gewarnt.

In der Dämmerung eröffnete Leo, meine mexikanische Schamanenkollegin, die Zeremonie mit Gebeten. Dann bat sie Laura und mich, eine persönliche Intention festzulegen. Mein Wunsch war schlicht: „Ich bitte darum, mehr wahrzunehmen, zum Wohle aller.“ Damit wähnte ich mich auf der sicheren Seite. Seit vier Jahren war ich Schamanenschülerin, zu kurz, um wirklich etwas zu können, doch lange genug, um großen Respekt vor Powerpflanzen zu haben.

Das PeyoteAbenteuer – Kojoten in Dolby-Surround

Wir zerteilten den Kaktus in kleine Stücke und verzehrten ihn im Wechsel mit frischen Orangen. „Nehmt mindestens fünf bis sieben Kakteen“, hatte Miguel geprahlt. Ich beschloss aber, nur so viel einzunehmen, wie mein Organismus vertragen konnte. Nach dem dritten Kaktus brachte ich nichts mehr hinunter. Bei Leo war es schon so weit: Sie stand auf, trat hinter die Büsche und übergab sich. Danach setzte sie sich zu uns, als sei nichts gewesen.

Dann war es stockdunkel. Über einen Drei-Meter-Radius um das Feuer hinaus war nichts mehr zu erkennen. Dafür nahmen die Geräusche zu. Zikaden zirpten, ein leichter Wind strich durch die Blätter, die Holzscheite knackten. Wir saßen still da.

Na, diese Nacht wird lang, dachte ich und fürchtete schon, zu vorsichtig gewesen zu sein. Dann ging es los. Ein paar Kojoten mussten ein Wild erlegt haben, denn sie heulten auf. Doch ihr Gejodel kam aus allen vier Himmelsrichtungen, wie bei Dolby-Surround, und steigerte sich zu einem konzertanten Wüstenklang. Ich fand es beeindruckend schön, aber auch ein wenig beängstigend. Gleichzeitig begannen sich hinter meiner Stirn geometrische Muster in grellen Farben zu bilden. Sie drehten sich wie in einem Kaleidoskop. Wenn ich mich um das Feuer kümmerte, ließ ihre Intensität nach. Sobald ich wieder ruhig dasaß, begannen sie zu wirbeln.

Na gut, wenn das alles ist, komme ich klar, dachte ich. Doch auf einmal hörte ich eine autoritäre Stimme aus dem Off. Sie sprach laut zu mir: „Du bist neu hier. Aber du willst dienen, also werde ich dir helfen.“ Hatte ich mir das wirklich gewünscht? Vor Schreck verlor ich das Gleichgewicht und fiel nach hinten in den Staub.

Die Muster schwinden. Ich kann mich nicht mehr rühren. Es ist, als hätte eine fremde Macht von meinem Körper Besitz ergriffen. In mir entsteht ein bühnenähnlicher Raum. Menschen aus meinem ganzen Leben werden mir darin vorgeführt. „Heile sie“, lautet der Befehl.

Intuitives Heilen

Ich habe keine Ahnung, wie. Doch das spielt keine Rolle. Die Menschen tauchen auf, ich weiß plötzlich, worin ihr Problem besteht, und durch mich wird in ihnen etwas verändert. Meiner Kindheitsfreundin A. wird die Schuld genommen, ihren Freund verlassen zu haben, als er nach einem Unfall querschnittsgelähmt war. Bei einer anderen Freundin wird die Energie so umgepolt, dass sie nicht weiter in den Mann verliebt bleiben kann, der ihr nicht gut tut. Eine weitere Person wird stärker mit Mutter Erde verbunden, damit sie Vertrauen ins Leben fassen kann. Mein Bruder hat eine Besetzung, ich soll ihm später helfen, wenn ich so weit bin.

Die Menschen stehen Schlange vor mir. Ich muss mich beeilen, denn nach jeder Heilung wird mir ein bisschen übel, sie zehrt an meiner Kraft. Manche muss ich abweisen, weil ihr Problem nicht dringlich genug ist. Anderen darf ich nicht helfen, weil sie sich auch selbst heilen können. Meiner chilenischen Schamanenkollegin F. soll ich ausrichten, dass sie selber in die Wüste reisen soll, um den Kaktusgott in seiner Heimat zu treffen, denn sie stammt von ihm ab.

Irgendwann bin ich erschöpft. Ich bitte Großvater Peyote inständig, mir eine Pause zu gönnen. Wider Erwarten darf ich mich setzen. Ich singe ein Kraftlied, danach geht es mir besser. Das Feuer war heruntergebrannt und glühte nur noch. Leopoldina lag auf dem Rücken, die Beine weit geöffnet. In ihren Gesichtszügen lag ein Ausdruck von Ergebenheit, den ich noch nie an ihr gesehen hatte. Sie wurde die ganze Zeit über von Mutter Erde geheilt, erzählte sie mir später. Laura saß im Schneidersitz da und nestelte an etwas herum. Ich stand auf und ging ein paar Schritte. Die Wüste kam mir auf einmal sehr vertraut vor. Ein funkelnder Sternenhimmel umgab uns. Die Sterne funkten zu uns auf die Erde, das schien mir klar. Doch ich traute meinen Augen nicht, als ich eine Sternschnuppe nach der anderen erblickte. So viele hintereinander, konnte das sein? Elf zählte ich insgesamt in dieser einen Nacht.

Ich versorgte das Feuer mit Holz und legte mich wieder hin. Diesmal bitte ich Abuelo Híkuri, mir bei meinem eigenen Leben zu helfen. Ich wünsche mir so sehr eine erfüllte Liebesbeziehung. Wer passt zu mir? Ich erhalte die Antwort: „Erst die Familie zusammenführen.“

Das verstehe ich nicht. Doch monoton höre ich nur diesen einen Satz. Schließlich gestehe ich mir ein, dass ich einen der Hunde aus meiner zerbrochenen Ehe mit in mein neues Zuhause holen muss. Dann wird mir gezeigt, welche Personen noch zu meiner Herzensfamilie gehören. Um die soll ich mich kümmern, alles Weitere ergebe sich dann.

Der Pakt mit Geist des Kaktus

Ich erfahre vieles, auch Schmerzhaftes und Unangenehmes. Mein Bruder sei in einem anderen Leben mein geliebter Mann gewesen. In diesem Leben habe er sich für mich geopfert und sei schwer krank geworden, um mir den Weg zur Heilerin zu ebnen. Eine andere Schamanenkollegin rivalisiere mit mir und schrecke auch vor schwarzer Magie nicht zurück. Sie werde aber vor mir sterben, weil ihr Körper zu schwach sei für die Power, mit der sie umgehe.

Ich setzte mich wieder auf, um meiner vielen verwirrenden Gefühle Herr zu werden. Legte Holz nach, ging pieseln. Die Nacht erschien endlos. Ich war am Rande meiner Kraft und wollte nur noch schlafen. Doch Abuelo Híkuri war noch nicht fertig mit mir.

Am Himmel erscheint ein riesiges dreidimensionales Kreuz in psychedelischen Farben. Es neigt sich langsam im Kreis und lodert feurig. Das ist Abuelo Híkuri, begreife ich. Er ist blendend schön und ungeheuer mächtig zugleich.

„Lerne von mir, arbeite mit mir“, lädt er mich mit seiner väterlichen Stimme ein. Oh je. In meinem Kopf fängt es an zu rotieren. Einem Gott sagt man nicht nein. Doch was, wenn ich dafür in die Wüste ziehen muss, um Ihm nah zu sein? Was, wenn ich Ihm dann nicht gewachsen bin? Ich fühle mich ausgeliefert. Dann fällt mir ein, dass meine Schamanin ständig mit ihren Geistern etwas aushandelt. Das ist meine Rettung. Ich nehme all mein Selbstbewusstsein zusammen und entgegne Abuelo Híkuri, dass mein Helfer schon Großvater Bär ist, dem meine Ahnen und ich verpflichtet sind. Er lässt nicht nach. Erst nach zähen Verhandlungen einigen wir uns. Er wird mir weiterhin verbunden bleiben, und ich werde mich im Gegenzug alle zehn Jahre mit ihm in der Wüste vereinigen.

Es geht immer noch weiter, obwohl ich nicht mehr will. Ich erhalte Anleitung für meine schamanischen Zeremonien. Anweisungen zum Umgang mit Pflanzen. Einblick in die Ursprünge der Menschheit.

Dann war ich definitiv am Ende. Ich zwang mich, die Augen offen zu halten, mich mit dem Feuer zu beschäftigen und meine Übelkeit unter Kontrolle zu halten, bis der Tag anbrach. Da kam Miguel auch schon mit seinem Pickup angefahren, um uns abzuholen. Wir waren alle nur noch ein Häufchen Elend, kaum fähig, unsere Sachen aufzusammeln. Er blickte uns kurz in die Augen, fragte: ‚Todo bien?’ und lachte.

Das Versprechen gegenüber dem Kaktusgott einlösen

Das alles geschah vor gut neun Jahren in der Wüste von Real de Catorce im mexikanischen Bundesstaat San Luis Potosí. Mein Hund lebt schon lange wieder bei mir. Danach ist eine Liebesbeziehung zu mir gekommen. Aus mir ist tatsächlich eine Heilerin geworden. Meinen Bruder konnte ich von der Besetzung befreien. Ich träumte einige Zeit später, dass es ihm besser ginge. Die andere Schamanenkollegin ist vor zwei Jahren verstorben. Ich bereite mich nun darauf vor, im nächsten Jahr wieder nach Mexiko zu fliegen, um mein Versprechen gegenüber dem Kaktusgott einzulösen. Das sollte ich auch, denn einen Pakt mit Geistern bricht man besser nicht.

 


 

Kaktus-HaramisKalfar-FotoliVisionssuche
Vom 18.-25. August findet im Rahmen eines Wildniscamps eine Visionssuche statt.
Infos und Kontakt unter
Tel.: 030-44045726 oder info@schamanismusberlin.org www.schamanismusberlin.org

 

 

Foto Peyote-Kaktus
Abb: © Haramis Kalfar – Fotolia.com

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