Birgit WaßmannPsychotisches Erleben – wirklich nur Einbildung? 13. Juni 2024 Spiritualität Psychiater und Ärzte bringen in der Regel wenig Verständnis auf für das, was Menschen erleben, die unter einer Psychose leiden. Symptome wie ‚Stimmenhören’ oder Beeinflussungserlebnisse werden gewöhnlich als ‚wahnhaft’ abgetan, ohne dass die Therapeuten verstehen, was dabei eigentlich vor sich geht. Die Tiefendimension des Erlebens entgeht ihnen – und es scheint sie auch nicht sonderlich zu interessieren. Die offensichtliche Unkenntnis auf Seiten der Behandler führt dazu, dass Patienten sich oftmals unverstanden und allein gelassen fühlen. von Birgit Waßmann Defizite im Verständnis der menschlichen Psyche Die ausufernde Beschreibung schizophrener Symptome in der psychiatrischen Fachliteratur täuscht nicht darüber hinweg, dass die Fachwelt offenbar an ihre Grenzen stößt, wenn es darum geht, psychotisches Erleben zu verstehen. Eine Sichtweise, die an der Peripherie bleibt und nicht versucht, den inneren Kern der Problematik zu verstehen, wird dem Geschehen in keiner Weise gerecht. Die Ratlosigkeit, wenn es darum geht, zu einem tieferen Verständnis der psychotischen Symptomatik zu gelangen, ist augenfällig. Jeder Mensch trägt grundsätzlich die Anlagen in sich, paranormale Fähigkeiten zu entwickeln. Die Entwicklung des Hellsehens und Hellhörens bei medialen Personen zeigt, dass bildhafte und auditive Wahrnehmungen im nicht-physikalischen Bereich durchaus keine ‚Hirngespinste’ sind, sondern dass ihnen eine erweiterte Wahrnehmung zugrunde liegt. Rufen diese Wahrnehmungen Ängste hervor, kommt es leicht zu paranoiden Verfolgungsideen, wie sie bei schizophrenen Patienten häufig anzutreffen sind. Die so genannten ‚Wahnvorstellungen’ psychotischer Patienten beruhen zumeist auf einer erweiterten Wahrnehmung, mit der die Betroffenen nicht umgehen können. Häufig geben die Eindrücke Anlass zu fantasievollen Fehlinterpretationen, die mit der tatsächlichen Wahrnehmung nur noch wenig gemein haben. Bei Psychiatern stoßen diese Interpretationen in der Regel auf völliges Unverständnis, da ihnen die dahinter stehende Wahrnehmung, die den Schlüssel für die ‚wahnhaften’ Behauptungen liefern könnte, entgeht. Dies hat zur Folge, dass Patienten und Therapeuten aneinander vorbeireden. Vielen Betroffenen wäre damit geholfen, wenn sie von fachkundiger Seite auf ihre fehlerhaften Interpretationen aufmerksam gemacht würden und begreifen könnten, wo ihr Denkfehler liegt. Da die Behandler sich aber in der Regel nicht in die Patienten hineinversetzen und außerstande sind, die außergewöhnlichen Wahrnehmungen, die diesen zufließen, zu verstehen, ist hier wenig Verständnis noch Hilfe möglich. Die Versäumnisse auf therapeutischer Seite sollen vor allem durch medikamentöse Behandlung aufgefangen werden, was allerdings niemals erreicht werden kann. Die psychiatrische Wissenschaft weiß erstaunlich wenig über die menschliche Psyche, denn sie berücksichtigt bei ihren Forschungen lediglich einen Teil des Bewusstseins. Die Untersuchungen berühren in der Regel lediglich die Oberfläche der Psyche; die Frage nach den metaphysischen Hintergründen liegt außerhalb ihres Rahmens. Diese Beschränkung führt dazu, dass ein großer Teil des Bewusstseins – besonders da, wo es um außergewöhnliche Zustände geht – sich dem Verständnis entzieht. Doch das müsste nicht so sein, denn im Grunde existiert nichts, was vom menschlichen Geist nicht erkannt werden könnte. Vernunft allein reicht dazu allerdings nicht aus, sondern es ist notwendig, metaphysische Betrachtungen, die außerhalb des Gebietes der begrenzten Ratio angesiedelt sind, hinzuzuziehen. Zeichen und ihre Bedeutung Die traditionelle Psychiatrie beharrt streng auf kausalen Erklärungsmustern und hat das Phänomen der Synchronizität, das sich auf ein sinnvolles Zusammentreffen zeitlich oder räumlich getrennter Ereignisse bezieht, noch nicht akzeptiert, kritisiert der amerikanische Psychiater Stan Grof. Psychiater verwerfen alle Anspielungen auf bedeutungsvolle Übereinstimmungen und gehen grundsätzlich bei Patienten von einer verzerrten Wahrnehmung aus, der ein pathologischer Prozess zugrunde liegt. „Die transpersonale Forschung hat gezeigt, dass Menschen bei dem Prozess der spirituellen Öffnung oft echte Synchronizitäten im Sinne von Jung erleben“, betont der Autor (S.135f.). Die Menschheit hat es weitgehend verlernt, auf die leise Stimme in ihrem Innern zu hören. Jedes Seelenbewusstsein erhält fortwährend Hinweise und Zeichen, die es unter gegebenen Umständen auf günstige Gelegenheiten oder Gefahrensituationen hinweisen. Wer die Zeichen nicht erkennt oder für Aberglauben hält, wird leicht Opfer widriger Situationen, denen er andernfalls mit der nötigen Voraussicht begegnet könnte. Magier und Mystiker sind darin geschult, auf versteckte Zeichen zu achten. Sie lernen es, wachsam zu sein gegenüber den Ereignissen, die um sie herum geschehen und widmen den Dingen, die sie umgeben, besondere Aufmerksamkeit. Okkultisten wissen oft mehr über das menschliche Unterbewusstsein als Psychiater und Psychologen. Eine okkulte Schulung verschafft den Adepten Zugang zu ihrem Innenleben. Dank ihrer höheren Erkenntnisgabe sind sie offen für Situationen, die ihnen begegnen, denn diese enthalten nicht selten eine versteckte Mitteilung. Auffällige Zeichen und Botschaften regen sie zum Nachdenken an. Das Unterbewusstsein bzw. das innere Selbst lässt ihnen Antworten auf die für sie relevanten Fragen zukommen und sie sind darin geübt, die in ihnen enthaltene Wahrheit zu erkennen. Gewisse Erfahrungen können lediglich über den intuitiven Zugang in ihrer Aussage und Botschaft entschlüsselt werden. Das ‚innere Selbst’ Zwischen dem Erleben religiöser Mystiker und den pathologischen Äußerungen psychotischer Patienten klafft ein Abgrund, und dennoch verbreiten sich geistige Einflüsse über dieselbe feinstoffliche Leitungsbahn. Das innere Selbst des Menschen, das unter den Schichten des Verstandes verborgen ist und in der meditativen Versenkung erreicht werden kann, fungiert als eine Art Brücke zwischen dem individuellen Selbstbewusstsein und dem transpersonalen Einheitsbewusstsein. Über das innere Selbst findet eine überpersönliche Quelle Zugang zur Psyche des Individuums, d.h. Beeinflussungserlebnisse kommen nicht ausschließlich aus dem persönlichen Unterbewusstsein, wie vielfach fälschlich angenommen wird. Rational gesehen ist das innere Selbst nichts als ein psychologischer Begriff, ein Konstrukt. Doch es steckt weit mehr dahinter. Das innere Selbst bezeichnet eine unbekannte Wesenheit, die das Ich als solche im Normalfall nicht wahrnimmt. Es könnte auch höheres Selbst genannt werden, welches gewöhnlich das menschliche Fassungsvermögen übersteigt. Mit zunehmender geistiger Entwicklung werden der Einfluss und die Kontrolle des höheren Selbst über die Persönlichkeit immer stärker. Instabile Persönlichkeiten, die den spirituellen Weg zur Abwehr persönlicher Schwierigkeiten oder als Flucht aus dem grauen Alltag benutzen, laufen Gefahr, sich selbst zu verlieren. Wo die Ich-Grenze mangelhaft oder zu schwach ist, droht dem Bewusstsein eine Invasion mit den Inhalten des Unbewussten, die sich den Gesetzen des Verstandes widersetzen und das Ich überwältigen. Die Durchlässigkeit des Ich kann dazu führen, das sich der Mensch als Einfallstor für göttliche und dämonische Mächte empfindet. Der Körper wird zum Angriffspunkt fremder, in den Organismus hineinwirkender Wesen. Eine Tür in andere Erfahrungswelten wurde zu einem unpassenden Zeitpunkt aufgestoßen und es ist nur schwer möglich, sie wieder zu schließen. Für manch einen wird daher die transformative Reise zu einer Krise, einem ‚spirituellen Notfall’. Die Einseitigkeit medikamentöser Behandlung Viele psychiatrische Anstalten beherbergen Menschen, die einem Transformationsprozess ausgesetzt sind und diesen Vorgang weder begreifen noch damit umgehen können. Mittlerweile ist bekannt, dass der spirituelle Pfad voller Fallgruben steckt und die entsprechende Praxis zu immensen Problemen führen kann. Selbst viele geistige Lehrer und Mystiker sehen sich an wichtigen Stationen ihrer Entwicklung dramatischen Erfahrungen ausgesetzt, die man aus medizinischer Sicht als psychotisch einstufen würde. Psychiater betrachten derartige Ausnahmezustände einseitig unter dem Blickwinkel der Krankheit, ohne wirklich zu verstehen, was vor sich geht. Auch sehen sie die potentiellen Vorteile nicht, die solche Erfahrungen mit sich bringen. Ein metaphysischer Rahmen könnte z.B. einer Persönlichkeit mit suizidalen Neigungen Struktur und Halt vermitteln und das Leben mit neuem Sinn erfüllen. Die Ratlosigkeit der Ärzte zeigt sich darin, dass sie sich vorzugsweise auf medikamentöse Behandlung verlassen, die aber genau so defizitär ist wie die dahinter stehende Theorie. Es ist ein bequemer Weg, alle anderen Sichtweisen in den Hintergrund zu drängen. Viele der Patienten, die auf die medikamentöse Behandlung nicht ansprechen, bleiben weitgehend sich selbst überlassen. Auch die vielen Klagen über die massiven Nebenwirkungen werden in den seltensten Fällen berücksichtigt. In der psychiatrischen Behandlung spielt das Interesse an Inhalten (auch nicht-religiösen) lediglich eine untergeordnete Rolle. Die Kommunikation wird auf alltägliche Dinge beschränkt. Der therapeutische Ansatz ist primär an den Symptomen, nicht aber am eigentlichen Kern des Geschehens orientiert. Dabei werden Zustände von Verzweiflung und Einsamkeit verharmlost und versucht, sie mit medikamentösen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Anstelle einer individuellen konstruktiven Durcharbeitung der persönlichen Lebensgeschichte werden regressiv-symbiotische Tendenzen gefördert. Etwa 10 % der an Schizophrenie Erkrankten bringen sich aus Verzweiflung um, da sie sich allein gelassen fühlen. Viele Leben könnten gerettet werden, wenn die Fachwelt endlich aufhören würde, ihre eingleisigen Erklärungsansätze für ausreichend zu halten. Mittels Psychopharmaka wird das psychotische Geschehen lediglich peripher beeinflusst, kritisiert R. Mundhenk: „Die Substanz, der ‚Kern’ des schizophrenen Erlebens und Denkens ist dem pharmakologischen Zugriff kaum zugänglich“ (S.91). Die Hilfesuchenden werden vorwiegend nach eingleisigen Schemata behandelt, die echtes Verständnis für die jeweilige Situation vermissen lassen. Die existentielle Bedeutung der schizophrenen Erschütterung und deren Folgen werden nur oberflächlich verschleiert. Geschulte Therapeuten, die mit veränderten Bewusstseinszuständen umgehen können, um das in der Psychose Erlebte einordnen und erklären zu können, sind kaum anzutreffen. Die Verwirrung über das Erlebte wird durch die medikamentöse Behandlung nicht aufgearbeitet, sondern lediglich ins Unterbewusstsein abgedrängt, wo sie weiterhin ihr Unwesen treibt und die psychische Verfassung beeinträchtigt. Kritik der traditionellen Psychiatrie Die psychiatrischen Wissenschaften leiden unter einem Gegensatz zwischen immer genauerer Detailkenntnis und einem unzulässig schlichten Menschenbild, heißt es bei T. Bock. Der Hang zu vereinfachenden Erklärungen übersieht die komplexen Zusammenhänge von somatischen, seelischen und sozialen Prozessen. Es ist dringend notwendig, die Psychiatrie von einengenden Konzepten zu befreien, denn die Ursachen psychischer Erkrankungen sind weitaus vielschichtiger als angenommen. Psychosen sind häufig nachvollziehbare Reaktionen auf traumatische Erfahrungen der Vergangenheit. Die Aufdeckung der Verbindung zwischen Psychose und persönlicher Lebensgeschichte kann ausgesprochen hilfreich sein und Selbstzweifel beseitigen. Diese Zusammenhänge werden in der psychiatrischen Behandlung kaum thematisiert. Viele Hilfesuchende vermissen daher eine angemessene Unterstützung während ihrer Erkrankung. Erst wenn Patienten lernen, die symbolhafte Sprache ihrer Psychoseerlebnisse zu entziffern, kann es zu einer echten Besserung kommen. Sobald sie in der Lage sind, ihre Erfahrungen zu beschreiben, nehmen sie ihnen dadurch viel von ihrer Bedrohlichkeit. Der ‚Wahnsinn der Normalität’ Der psychotische Mensch bringt auf seine Weise kollektive Ängste, Aggressionen und Fragen nach dem Sinn des Daseins zum Ausdruck. Kritisch eingestellte Autoren sprechen vom ‚Wahnsinn der Normalität’. Damit stehen sie einer Psychiatrie gegenüber, die viel zu häufig auf dem Boden eng gefasster Normen reagiert und sich vor allem auf die Vergabe von Medikamenten verlässt. Die Symptomatik wird auf diese Weise pharmazeutisch ausgebremst und mündet in einen möglichst lautlosen Chronifizierungsprozess, kritisiert der Psychiater V. Aderhold. Psychotischen Symptomen liegt zweifellos oftmals geistige Verwirrtheit zugrunde. Häufig handelt es sich aber um eine vorübergehende Krise auf dem Weg der geistigen Erneuerung. Die Erklärungen sind in vielen Fällen im magisch-mystischen Bereich zu finden. Wohin die Reise führt, hängt von der psychischen Stabilität der Betroffenen, ihren Ängsten und vorgefassten Meinungen ab, wobei intuitive Einsichten bei der Einordnung des Geschehens eine ausschlaggebende Rolle spielen. Der bekannte Psychiater C.G. Jung sah in Geisteskranken Patienten, die an menschlichen Problemen litten, welche der psychologischen Analyse durchaus zugänglich waren. Die scheinbar sinnlosen Wahnideen ‚verrückter’ Patienten bekämen dann einen Sinn, wenn Psychiater akribisch danach suchten, denn Kranke wären keineswegs eine „in Unordnung geratene Gehirnmaschine“ (S.10). Die Gelehrtenweisheit, die in den Symptomen nichts weiter als die unsinnigen Phantasien eines kranken Gehirns erblickte, wäre unfähig, sich in die Geheimnisse von Patienten einzufühlen, schrieb Jung. Im ‚Wahnsinn’ wäre ein System verborgen, das entdeckt und entschlüsselt werden könnte. Ein „materialistisches Vorurteil“ bestimme vielfach die wissenschaftliche Theorienbildung, betonte Jung. Sie stelle das Organ, das Werkzeug, über die Funktion; die Seele wurde sozusagen zum Anhängsel des Gehirns. Die orthodoxe Psychiatrie stehe „draußen vor den Tore“, denn erst jenseits anatomischer Strukturen, jenseits des Gehirns, finden Therapeuten Zugang zu den geheimen Kammern der Seele. Auch den Psychiater V. Aderhold befielen im Laufe der Jahre zunehmend Zweifel gegenüber dem tradierten Handeln in der Psychiatrie. Die übliche medizinische Sichtweise in Bezug auf akute Psychosen trifft nach Auffassung Aderholds auf ca. 30-40 % der Patienten nicht zu. Durch die einseitige und übertriebene Verordnung von Neuroleptika werde ein konstruktives therapeutisches Potential verspielt. Aufgrund der teilweise erheblichen Nebenwirkungen stellt Aderhold die Frage, ob bei einigen Patientengruppen die Neuroleptika nicht mehr Schaden anrichten als nutzen. Nicht allein der psychotische Prozess sei pathologisch, auch ein fehlendes therapeutisch wirksames Konzept sei ein Mangel, der die Krise noch vertieft. Viele Aspekte der psychotischen Erkrankung würden ausgegrenzt, da ihre Beschreibung häufig zu mühevoll erscheint. Doch selbst im Wahnsinn sei eine Sinnsuche möglich. Eine Krise könne als Prozess der Selbstfindung, als ein Übergangsritual verstanden werden. Nicht die „Kategorisierung von Lebensprozessen“, die sich „dem herrschenden wissenschaftlichen und sozialen Ordnungsbegriff unterwirft“, sondern ein Verständnis für die innere Ordnung der Prozesse könne zu einer vertieften Einsicht in das Krankheitsgeschehen führen, betont der Autor (S.4f.). Menschen in transformativen Prozessen Im Verlauf einer spirituellen Entwicklung treten psychische Probleme in stärkerem Maße zutage und werden intensiver erlebt. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Zusammenhänge deutlicher zu erkennen und an ihrer Überwindung zu arbeiten. Zwischen psychischen Erkrankungen und spirituellen Krisen existieren erkennbare Unterschiede. Psychotische Patienten leiden häufig unter einer ausgesprochenen Ich-Schwäche. Sie neigen dazu, in sich gekehrt zu sein und sind häufig von abstrusen Realitätsverkennungen in Bezug auf ihre Umgebung in Anspruch genommen. Individuen in einer spirituellen Krise, die von Kräften aus dem Unbewussten überschwemmt werden, sind hingegen sich selbst gegenüber objektiv eingestellt und daran interessiert, ihre Befindlichkeit anderen mitzuteilen. Für Menschen in transformativen Prozessen stellt die Gesellschaft generell wenig Raum zur Verfügung. Jede Form von Desintegration erscheint ihr negativ und bedrohlich. Sie stigmatisiert ‚Ich-schwache’ Menschen und grenzt sie aus, da sie dem Anschein nach mit den Anforderungen der Realität nicht zurechtkommen. Nur gering ist die Bereitschaft, die Herausforderung, die von nicht integrierten Gruppen ausgeht, anzunehmen. V. Aderhold nennt diese Haltung eine „gesamtgesellschaftliche Immunisierungsstrategie“. Die transformativen Prozesse treten häufig ungebeten in ein Leben und entfalten eine dramatische und herausfordernde Wirkung. Häufig werden Menschen in einer Krise von inneren Erfahrungen überflutet, die sehr gefühlsintensiv und voll energetischer Kraft sind. Manchmal wird es schwierig, die lebhaft in den Vordergrund drängenden inneren Erlebnisse von Vorfällen in der Außenwelt zu trennen. So erging es Christina Grof, die sich eine zeitlang davon völlig überwältigt fühlte und schwierige Stationen überwinden musste, ehe sie die Erfahrungen integrieren konnte. Sie schreibt: „Es war, als ob man den Strom stärker gestellt hätte: Energiestöße überrollten meinen Körper und eine Vielzahl von unkontrollierbaren Bildern und Abfolgen kamen an die Oberfläche. Ich wurde von grässlichen Dämonen angegriffen, und gefräßige, zerstörerische Ungeheuer rissen mich in Stücke. Ich hatte Visionen von losgelösten, suchenden Augen, die wie böswillige Planeten in einem schwarzen Himmel schwebten, und ich durchlebte Sequenzen von Wahnsinn und Hexerei, die wie Erinnerungen aus anderen Zeiten schienen. Zu meinem Entsetzen identifizierte ich mich mit dem gequälten gekreuzigten Christus ebenso wie mit seinen Mördern. Ich starb viele Tode. Manchmal meinte ich, es sei mein eigener, und bei anderer Gelegenheit wurde ich zu den Leuten, die im Krieg, durch Verfolgung oder Folter, gestorben waren. Ich schrie vor Angst und Schmerz und rollte voller Pein auf dem Boden herum. Und das war noch längst nicht alles“ (S.29f.). Diese dramatische Zeit dauerte unvermindert mehrere Tage an in gleich bleibender Intensität. Doch damit war diese Episode keineswegs abgeschlossen: „Noch Monate danach begleiteten ein energetisches Schütteln, extreme körperliche Verspannungen, intensive emotionale Aufs und Abs und visionäre Sequenzen mein Leben. Es war schwierig, ein ‚normales’ Alltagsleben zu führen, da ich oft das Gefühl hatte, in zwei Welten zu stehen: der Welt der Alltagsrealität und der komplexen, vielschichtigen und herausfordernden Welt meines Unbewussten.“ Die Tore zum Unbewussten waren geöffnet und eine große Bandbreite von unterdrückten Erinnerungen und den damit einhergehenden Emotionen drang ungefiltert ins bewusste Gewahrsein vor. Der Arzt und Psychiater Stanislav Grof weist darauf hin, dass selbst dramatische und schwierige Episoden in spirituellen Krisen „natürliche Stadien in dem Prozess des spirituellen Öffnens darstellen und unter günstigen Umständen zuträglich sein können“ (S.58). In den Äußerungen psychotischer Menschen steckt oftmals ein wahrer Kern, den es in der Therapie zu entdecken gilt. Ein grundsätzliches Unverständnis den absurd scheinenden Behauptungen gegenüber verhindert, zum Kern der Probleme vorzudringen. Nur wenn ein Hilfesuchender den Eindruck gewinnt, dass der Therapeut zumindest teilweise seine verzerrten Gedankengänge nachvollziehen kann, wird er offen für Hinweise, die auf fehlerhafte und überzogene Annahmen hindeuten. Psychiater und Ärzte sollten mehr Bereitschaft zeigen, die außerhalb der für Normalität stattfindenden Prozesse unterstützend zu begleiten. Eine Integration wird nur dann möglich, wenn ein sinnvoller Entfaltungsprozess stattfinden kann. Solange Therapeuten sich weigern, dieses Gebiet in ihre Betrachtungen mit einzubeziehen, werden sie weiterhin den Patienten irgendwelche unzureichenden Erklärungsmuster aufoktroyieren und sie mit ihren Problemen allein lassen. Wenn die Psychiatrie den Menschen in klassifizierender Weise zum Objekt macht, ist sie letztlich unfähig, die Tiefendimension menschlicher Erfahrungen in angemessener Weise zu verstehen. Psychose als Erneuerungsprozess Einige moderne Therapeuten entwickeln die Idee, schizophrene Psychosen als einen Erneuerungsprozess im Bemühen um Selbstheilung zu verstehen und eine entsprechende Begleitung anzubieten. Die durch derartige Erfahrungen bewirkten Veränderungen werden von ihnen als außerordentlich bedeutsam eingestuft für die kulturelle Evolution des menschlichen Bewusstseins. Tatsächlich weiß bis heute niemand, wie Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis entstehen. Trotz der großen Anzahl an Berichten über Krankheitsverläufe wurde in der Vergangenheit kaum Ursachenforschung betrieben bzw. nach Gesetzmäßigkeiten gesucht, die der Krankheit zugrunde liegen. Das Unverständnis, das Ärzte und Therapeuten den teils phantastischen Wahrnehmungen der Patienten entgegenbringen, treibt viele noch tiefer in den Irrgarten hinein, aus dem sie zu entkommen hoffen. Eine große Anzahl der Patienten fühlt sich zu Recht missverstanden. Wenn sie ihre als überaus real empfundenen Erfahrungen, die ihnen zu schaffen machen, schildern, wird ihnen lapidar mitgeteilt, dass es sich um krankhafte Wahrnehmungen handelt und sie sich diese Erlebnisse lediglich ‚einbilden’. Diese Sichtweise ist an Oberflächlichkeit kaum zu überbieten. Patienten müssen erleben, dass Ärzte und Psychiater sich nicht einmal die Mühe machen, hinter die Fassade zu blicken, um dem Kern ihrer Probleme auf den Grund zu gehen. Immerhin werden mittlerweile in etlichen psychologischen Praxen spirituelle Krisen, wenigstens zum Teil, als solche erkannt und in das Therapiekonzept einbezogen. Es gibt vielversprechende Pilot-Projekte, bei denen auch psychotische Patienten in das Behandlungskonzept mit eingebunden werden. Die Therapeuten gehen dazu über, mit den Patienten zu reden, anstatt lediglich über sie. Tatsächlich ist es an der Zeit, dass Psychiater und behandelnde Ärzte damit beginnen, zu einem tieferen Verständnis der psychotischen Problematik zu gelangen. Eine ‚anthropologische Psychiatrie’, für die manche Autoren plädieren, wäre der Versuch, die entstandenen Gräben der Spezialisierung zu überwinden auf dem Weg in eine umfassendere und differenziertere Auffassung von Psychopathologie. Lit.: Aderhold, V.: Die akute Schizophrenie als Prozess der Selbst-Gestaltung; (Med. Diss.) Köln 1994 Bock, T.: Eigensinn und Psychose: ‚Noncompliance’ als Chance; 3. Aufl., Neumünster 2010 Grof, St. und Chr.: Die stürmische Suche nach dem Selbst; München 1991 Mundhenk, R.: Sein wie Gott. Aspekte des Religiösen im schizophrenen Erleben und Denken; 3.Aufl., Neumünster 2007 Waßmann, B.: Aufbruch in die andere Realität. Metaphysik, Psychologie und spirituelle Krisen; Hamburg 2023 Waßmann, B.: Spirituelle Krise oder Psychose? Dunkle Pfade zur Erleuchtung; Norderstedt 2020 Waßmann, B.: Psychotische Grenzerfahrungen in Zusammenhang mit dem Übersinnlichen; Norderstedt 2019 Birgit Waßmann war in mehreren Berufen unterwegs: Sie war Bibliothekarin, Bankkauffrau, studierte Pädagogik und arbeitete einige Jahre in einer psychiatrischen Klinik, bis sie die Welt der Spiritualität und Parapsychologie für sich entdeckte. Sie arbeitete eine Zeit lang auch als mediale Beraterin. Bereits in mehreren Büchern hat sie sich mit den Themenbereichen spirituelle Krisen und Psychiatrie kritisch auseinandergesetzt. Kontakt über b.wassmann@posteo.de Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. 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