Fünf Schritte zur inneren Heilung

Journalistin Doris Iding führte mit Colin Tipping ein Interview

 Colin Tipping will Menschen von  ihrer „spirituellen Amnesie“ befreien. Mit seiner Methode der „Radikalen Vergebung“ traut er sich auch brisante Themen wie die Aufarbeitung von Todes- und Missbrauchsfällen zu. Die Münchner Journalistin Doris Iding führte mit ihm für SEIN ein Interview über sein positiv ausgerichtetes Heilungskonzept.

Normalerweise sind wir gefangen in einer dualen Sichtweise auf die Welt: Hier bin ich und dort ist die Welt. In dieser Welt erleben wir uns getrennt, einsam und oftmals auch als hilfloses Opfer äußerer Umstände. Öffnen wir uns hingegen für eine andere Sichtweise, der eines einheitlichen Bewusstseins, bei dem alles einem göttlichen Plan unterliegt, können wir eine tiefe Transformation erfahren. Mit seiner „Radikalen Vergebung“ bietet Colin Tipping eine hilfreiche Methode an, um diese Transformation in relativ kurzer Zeit zu erfahren.

Doris Iding: Könnten Sie die Radikale Vergebung bitte in einigen Sätzen beschreiben?

Colin Tipping: Die Radikale Vergebung unterscheidet sich grundlegend von der herkömmlichen Vergebung. Die Radikale Vergebung geht schnell, ist sehr leicht und man muss nicht extra eine Therapie machen, um sie durchzuführen. Vorausgesetzt, man ist psychisch stabil. Während die herkömmliche Vergebung immer davon ausgeht, dass etwas Schlechtes passiert ist, sieht die Radikale Vergebung in allem etwas Gutes. Alles hat sozusagen einen Grund. Betrachten wir die Dinge, die in unserem Leben passieren, aus dieser Sicht heraus, erkennen wir, dass alles, was passiert, sich nicht gegen uns richtet, sondern für uns arbeitet.

Wie funktioniert die Radikale Vergebung genau?

Colin Tipping: Egal in welcher Form wir die Radikale Vergebung anwenden – ob als Workshop, als 13 Schritte, als Arbeitsblatt zur Radikalen Vergebung oder im Rahmen einer Zeremonie –, alle Methoden verfolgen das Ziel, Sie durch die fünf Stadien der Radikalen Vergebung zu führen. Diese Schritte lauten:

Tipping_Paar.jpgDie Geschichte muss erzählt werden. Bei diesem ersten Schritt hört sich jemand die Geschichte freiwillig und mit Mitgefühl an und würdigt sie als unsere gegenwärtige Wahrheit. Die Geschichte anzuhören und zu bezeugen, ist ein erster unerlässlicher Schritt, um sie dann später loszulassen. Während wir die Geschichte erzählen, müssen wir auch die Gefühle, die mit der Geschichte zu tun haben, fühlen. Natürlich kann es manchmal eine ganze Weile dauern, bis eine Person bereit ist, die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen und alle Gefühle, die damit in Zusammenhang stehen, noch einmal zu fühlen.

Der zweite Schritt ist der entscheidende Schritt, bei dem es darum geht, sich auf die Gefühle einzulassen. Dieser Schritt wird übrigens gerne von vielen „spirituellen“ Menschen ausgelassen, weil sie glauben, sie dürften keine „negativen“ Gefühle haben.

Beim dritten Schritt nimmt man die Geschichte auseinander und löst die Gefühle von der Geschichte. Wir nehmen sozusagen die Energie aus der Geschichte heraus. An diesem Punkt bringen wir zum einen ein hohes Maß an Mitgefühl für die Person auf, der wir vergeben, und betrachten die Geschichte an diesem Punkt zum ersten Mal mit einer gewissen Distanz. Wir trennen Fakten von Fiktion. Viele Ereignisse haben sich in der Kindheit zugetragen. Damals haben wir eine Geschichte oftmals ganz anders interpretiert und erlebt als das, was wirklich geschehen ist.

Beim vierten Schritt geben wir der Geschichte einen neuen Rahmen und betrachten sie aus einer vollkommen anderen Sichtweise – nämlich als Teil des göttlichen Plans: Wir haben diesen Plan mitkreiert und haben mit den Seelen, die an dieser Geschichte mitbeteiligt sind, einen Vertrag geschlossen, der unserem persönlichen Wachstum dient. Er dient unserer weiteren Entwicklung. Hier sind wir in der Lage, zu sehen, dass es keinen Täter gab und kein Opfer, sondern dass was passiert ist, lediglich passiert ist, weil es passieren musste. Aus diesem Verständnis heraus gibt es dann auch überhaupt nichts mehr, was man zu vergeben hätte.

Der letzte Schritt besteht darin, diese Erkenntnis in den physischen Körper zu integrieren. Dies kann zum Beispiel schon dadurch passieren, indem wir ein Arbeitsplatt für die Radikale Vergebung ausfüllen. In unseren Workshops machen wir dazu dann noch entsprechende Zeremonien, die diesen Aspekt ebenfalls noch einmal unterstützen.

Muss man die Radikale Vergebung immer Schritt für Schritt durchführen?

Colin Tipping: Die Werkzeuge, die ich den Leuten an die Hand gebe, helfen ihnen immer sehr, den Prozess der Radikalen Vergebung auf einer tiefen Ebene zu vollziehen. Es ist nicht möglich, diesen Prozess nur auszugsweise oder auf einer intellektuellen Ebene zu vollziehen.

Was ist für den Prozess noch vonnöten?

Colin Tipping: Ein ganz wichtiger Aspekt ist die Bereitschaft, sich für die Möglichkeit zu öffnen, dass die Dinge, die passieren, Teil eines göttlichen Plans sind. Nur wenn der Wille da ist, kann wirklich etwas passieren. Auch wenn man nicht wirklich an den Prozess glaubt, so ist aber der Wille eine wichtige Voraussetzung. Die Erfahrung, die wir in den letzten Jahren mit der Radikalen Vergebung gemacht haben, zeigt, dass alleine durch die innere Bereitschaft und durch den Willen schon sehr viel passiert.

Es kommen viele Menschen zu Ihnen, die sich aus ihrer Opferrolle befreien möchten. Warum leiden so viele Menschen?

Colin Tipping: Unser Ursprung ist die Nondualität. Um wieder zu erfahren, was die Einheit bedeutet, machen wir hier als Menschen die Erfahrung der Trennung. Und die kann sich natürlich sehr vielschichtig ausdrücken. Wir machen diese Erfahrung allerdings sehr unbewusst, weil wir vergessen haben, warum wir hier auf Erden sind. Dies ist offenbar notwendig, denn sonst würden wir nicht durch diese Erfahrung gehen. Wir erleben – so nenne ich es immer – die spirituelle Amnesie.
Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen in letzter Zeit anfangen, das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sie fragen sich immer häufiger: Warum muss ich überhaupt so leiden? Und indem sie beginnen zu realisieren, worum es im Leben wirklich geht, erkennen sie, warum sie wirklich hier sind. Wenn sie die Radikalen Vergebung anwenden, gehen sie meistens sehr schnell durch dieses Prozess. Das ist auch das Schöne daran. Es dauert wirklich nicht sehr lange. Im Vergleich dazu dauert die Traditionelle Vergebung viele Jahre, weil der Prozess nicht wirklich in der Tiefe etwas verändert. Leid stellt eine sehr gute Möglichkeit da, sich für den Prozess selbst zu öffnen. Aber ich glaube, dass wir in Zukunft immer schneller erwachen werden und in Folge dessen immer weniger Leid brauchen. Wir haben die Wahl.

Was ist mit den Dingen wie Kindesmissbrauch, die so schrecklich sind, dass wir den Menschen, die sie begehen, nicht wirklich vergeben können?

Colin Tipping: Ich sage immer, dass diese Methode für alles funktioniert, auch wenn es noch so schwierig erscheint. Beziehungsweise, wenn etwas überhaupt in solchen Fällen Anwendung findet, dann nur die Radikale Vergebung. Denn nur auf der bereits erwähnten Ebene der Non-Dualität verstehen wir die Komplexität aller Handlungen. Auf der Ebene des Alltagsbewusstseins agieren wir über den Verstand und der ist nicht in der Lage, eine solche Dimension zu erfahren und eine solch schwerwiegende Tat als etwas Göttliches einzuordnen.

Wenn alles perfekt ist, heißt dies, dass ich nichts tun muss?

Colin Tipping: Das ist natürlich nicht gemeint. Wir müssen das tun, was zu tun ist, und zwar mit möglichst großer Integrität. Und gleichzeitig im Hinterkopf haben, dass alles perfekt ist, so wie es ist.

Wenn mein Kind durch einem Autounfall von einem unachtsamen Menschen getötet worden ist und ich dem Täter durch die Radikale Vergebung verzeihen konnte, sollte ich ihm anschließend davon erzählen?

Colin Tipping: Auf keinen Fall. Wir machen den Prozess nur für uns alleine. Der Prozess bringt aber eine Veränderung in der Energie mit sich. Oft kommen die Betroffenen dann danach auf dich zu. Durchlaufe den Prozess und schaue, was passiert.

Gibt es noch etwas, was Sie dem Leser abschließend mitteilen möchten?

Colin Tipping: Wann immer jemand für sich die Radikale Vergebung entdeckt hat: Bleiben Sie dran und füllen Sie die Worksheets so häufig wie möglich aus. Denn wenn es nur in Ihrem Kopf stattfindet, dann manifestiert es sich nicht wirklich physisch.


Abb. 2:© Adrian_Costea-fotolia.com 

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Buchtipp

Colin C. Tipping
„Ich vergebe. Der radikale Abschied vom Opferdasein“

Verlag Kamphausen, 20 €
ISBN: 978-3933496805

 

 

 

 

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