Sicher haben Sie auch schon einmal ein Räucherstäbchen angezündet – oder doch wenigstens eine Duftlampe für Aromaöle irgendwo im Regal stehen. Nein? Macht nichts, denn das sind nur die stark entfremdeten Überbleibsel einer Kultur, die ­keineswegs nur in Fernost Bedeutung hatte. Auch unsere germanischen und keltischen Vorfahren wussten um den Zauber von Räucherritualen. Der Duft, der den glühenden Pflanzen entströmte, war dabei bestenfalls angenehme Begleiterscheinung. Das Räuchern ist seit Jahrtausenden und in allen alten Kulturen eine Praxis der Reinigung und der Kontaktaufnahme mit feinstofflichen Ebenen. Pflanzen stellen hierbei eine direkte ­Verbindung zwischen der Sonne und der Erde her, spenden Energie, Duft und heilsame Dämpfe.

 

Was ist unter Räucherritualen zu verstehen? Rituale sind erst einmal geordnete Handlungen, deren Ablauf und Inhalt dazu dient, Intuition und seelische Öffnung zu fördern. Wir können uns so zeitweilig von rationalen Kontrollmechanismen befreien und zu Gefühlen, Einsichten und Erfahrungen vordringen, die uns sonst verschlossen bleiben. Das ist sehr hilfreich in Transformationsprozessen, bei denen es ja ganz wesentlich darum geht, alte Denk- und Verhaltensmuster zu durchbrechen und einen erweiterten Raum zu betreten.

Rituale sind auch eine Verbindung zwischen Mensch und geistiger Welt. Bei den Räucherritualen unserer Ahnen machten sich die Menschen besondere “Mittler” zunutze, um in Kontakt mit der geistigen Welt zu treten: Pflanzen sind als einzige körperliche Wesen in der Lage, reines Licht in Materie zu verwandeln. So sind die Bäume, Sträucher, Kräuter, Moose die Lebensgrundlage aller Wesen mit einem Stoffwechsel auf dieser Erde und vermögen eine Brücke zwischen körperlichem Leben und Licht zu bilden.

Wenn diese außerordentlichen Geschöpfe in Ritualen verräuchert werden, wird ihr Lebenszyklus umgekehrt: Feuerenergie wandelt sie in Äther (oder eben: Rauch), der von jeher als “Sprache der Götter” verstanden wurde. Zwischen Materie und Geist ist der Rauch die zweite Brücke, eine weitere Assoziation zwischen manifester und nicht manifester Welt.

Die Medizinpflanzen der traditionellen Rituale haben sehr unterschiedliche Wirkungen und müssen auf Ritualzweck und Teilnehmende abgestimmt werden. Es gibt fünf grundlegende Wirkfelder für den Einsatz von Räucherpflanzen:

  • Initiation – eine Erweiterung im Erlebensfeld oder im persönlichen Ausdruck eines Menschen soll unterstützt werden: Barrieren wie Ängste, Zweifel, Abhängigkeiten werden gelockert, so dass der beherzte Schritt ins Neuland leichter getan werden kann.
  • Reinigung – es geht um ein “Aussortieren” wesensfremder Einflüsse: Eine allzu durchlässige Persönlichkeitsstruktur wird von Belastungen oder Störungen befreit und in ihrer natürlichen Abgrenzung unterstützt.
  • Heilung – hier werden unterschiedliche Aspekte in einem Menschen ausgeglichen: Geschwächte Lebensbereiche erhalten Stärkung, überbetonte Persönlichkeitsaspekte werden auf ihre natürliche Intensität zurückgeführt. Es entsteht ein balancierter Energiefluss.
  • Sammlung – hier wird ein bestimmter Aspekt fokussiert: Je nach Lebensphase und anstehender Herausforderung wird ein bestimmter Persönlichkeitsaspekt gestärkt.
  • Öffnung – eine Isolation soll aufgehoben, Verbundenheit wiederhergestellt werden: Die Fähigkeit der Kontaktaufnahme, des Austauschs mit der Umwelt und die Verbindung mit anderen oder anderem werden gefördert, der natürliche Fluss wird in Gang gebracht.

 

 

Medizinpflanzen und Pflanzendevas

Jede Kultur kannte ganz bestimmte Pflanzen, die besonders geeignet waren für Räucherrituale: Pflanzen, die zum Räuchern verwendet werden, zeichnen sich durch besondere Inhaltsstoffe, einen charakteristischen Geruch bei der Oxidation und eine unmittelbare Wirkung auf Stimmung und Wahrnehmung der Ritualteilnehmer aus. Dabei geht es weniger um die biochemische Wirkung der Substanzen auf unseren Körper als um die subtilen Ebenen unserer geistigen und seelischen Verfassung.

Anders als Rauschpflanzen reißen Medizinpflanzen in Räucherritualen den Menschen nicht plötzlich in vollkommen veränderte Wahrnehmungswelten, sondern gehen in Resonanz mit der menschlichen Frequenz und, wie die Schamanen sagen, “bringen sie zum Klingen”. Wir sprechen hier vom “Reisen aus eigener Kraft” – das bedeutet, dass lediglich die Gedanken, Empfindungen und Zugänge angesprochen werden, die bereits vorhanden und mit der Lebenswelt des Teilnehmenden verbunden sind. Wege, die bereits erkannt und anvisiert sind, werden hierdurch leichter zugänglich, bereits vorhandene Impulse verstärkt.

Eigenartigerweise widmeten sich Ethnologen und Pharmakologen bisher nur den physischen Wirkungen dieser Pflanzen – und hier besonders bei Pflanzen, die Rauschzustände verursachen. Die viel nachhaltigere und heilvollere Wirkung der Pflanzen auf psychischer und feinstofflicher Ebene klang bei Forschern wie Vicky Wall, Samuel Hahnemann, Edward Bach, Hildegard von Bingen zwar an, doch seltsamerweise gibt es hier weder Anknüpfpunkte zu den Räucherritualen der Vorfahren, noch wurde der direkte Zusammenhang zwischen Pflanze und Menschenseele systematisch untersucht.

Bei meinen Forschungen zu beidem – den Räucherritualen in verschiedenen Kulturen und der Wechselwirkung zwischen Pflanze und Menschenseele – komme ich aber Schritt für Schritt zu spannenden Erkenntnissen, die ich in dem Projekt “Wild Natural Spirit” veröffentliche und verwerte.

 

Pflanzendevas und Menschenseele

Die fünf Ritualanlässe, die ich oben systematisiert habe, spiegeln grundlegende Übergänge in der menschlichen Entwicklung wider*. Für diese Ritualanlässe und entsprechenden Entwicklungsstufen gibt es in den Kulturen, die ich bisher untersucht habe (Kelten, Germanen, Ureinwohner in Nordamerika, Guanchen und Thai) bestimmte Pflanzen, die das “Thema” des Rituals verstärken.

So spielt beispielsweise die Pflanzenfamilie der Beifußgewächse (Artemisia) in allen Kulturen eine herausragende Rolle bei Schutz- und Initiationsritualen. Diese Korbblütler sind von den Nilniederungen bis zum Rhônedelta, von den Seen Gotlands in Norwegen bis zu den Great Plains in Amerika seit Jahrtausenden eine zentrale “Medizinpflanze” und finden sich in vielen Mythen und Bildern wieder. Die ”Alten” haben dabei die Pflanzen nicht einfach nur als ”Material” betrachtet, sondern als Wesenheiten mit Eigenschaften und spezifischen Anliegen. Dieser schamanische Blickwinkel kann uns heute dabei helfen, die Räucherrituale unserer Vorfahren zu verstehen und für unsere aktuellen ­Herausforderungen zu nutzen. Dabei brauchen wir keineswegs zurückzufallen in “naive”, animistische Betrachtungen und die Erkenntnisse der letzten 200 Jahre zu verneinen. Vielmehr gilt es, alles Wissen zusammenzuführen und auf diese Art ­Antworten und Lösungen zu finden für

 

  • ein Leben in Naturverbundenheit, das nicht auf Nutzen, sondern auf Verbundenheit ausgerichtet ist
  • geistige Ausgewogenheit und psychische Stabilität im Umgang mit einer Lebens- und Arbeitswelt, die zu schnell und komplex zum Spüren und vollwertigen Erleben ist
  • die Herausforderung, mutig aus gewohnten und geforderten Mustern herauszutreten und Eigenverantwortung für einen neuen, selbstbestimmten Weg zu übernehmen.

Ein Ritual fördert den Zugang zu entsprechenden Antworten durch eine innere Haltung von Andacht und Verbundenheit. Speziell das Räuchern der Medizinpflanzen macht erlebbar, von welcher Schönheit und Kraft die uns umgebenden Wesen sind, und kann durch die spezifische Wirkung der Pflanzen auf unsere geistige und emotionale Verfassung den eigenen Weg klarer werden lassen.

 

Wild Natural Spirit – Mission, ­Projekt und Wissen

Das Wissen um Medizinpflanzen und Rituale kam auf merkwürdigen Wegen zu mir. Im Jahr 2007 hielt ich mich in Thailand auf und wurde hinzugerufen, als Theravada-Mönche ein “Schlupfloch” aus der prekären sozialen und politischen Lage im nördlichen Hinterland suchten und fanden – mit Hilfe der “alten Medizinpflanzen”. Und zum Jahreswechsel 2009 führte mich ein Traum nach Teneriffa, weit in den Norden, wo noch heute in einsamen Tälern Curanderas, traditionelle Heiler und Schamanen, leben und alte Bräuche pflegen. Beide Kontakte ließen mich tief in das Wissen um die Medizinpflanzen und die damit zusammenhängenden Rituale eintauchen. So entstand das “Sonnenprojekt”, das der Wiederbelebung der Räucherkultur und dem Erhalt der Medizinpflanzen gewidmet ist. Wie ich mit den Einheimischen begonnen habe, Pflanzen und Rituale zu sammeln und den Jugendlichen vor Ort ­nahezubringen, ist neben vielen Informationen zu den Pflanzen auf www.wild-natural-spirit.org zu lesen. Wer erleben möchte, wie ein solches Ritual sich anfühlt, und dabei unsere wertvolle Artemisia thuscula kennenlernen will, fühle sich herzlich eingeladen zum “Räuchern im Kiez”.


* Evelin Rosenfeld: “Was Dir wirklich wichtig ist”, Einsatz der Fünf Wandlungsphasen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin in der Seelenarbeit, Junferman Verlag, 2004


Abb: © BL – Fotolia.com

“Räucher”-Termine

Zum Vollmond:
10.10., 17-19 Uhr, SEIN-Redaktion, Akazienstr. 28, 10823 B.
11.10., 20-22 Uhr, Mondlicht-Buchhandl. Oranienstr. 14, 10999
12.10., 17-19 Uhr, Zenit-Buchhandlung, Pariser Str. 7, 10719 B.
13.10., 17-19 Uhr, Wietzow, Müritz; Adresse bei Anm.

Zum Neumond: 26.10., 17-19 Uhr, Adhara Büchertempel, Pestalozzistr.35, 10627 Berlin

Zu Samhain:
31.10., 20-22 Uhr unter freiem Himmel etwa 14 km von Bln.

Einige der Pflanzen können als Räucherbündel erworben werden.

Anmeldung unter Tel.: 030-64 32 77 35 oder mail@wild-natural-spirit.org

Teilnahme auf Spendenbasis, ein fairer Energieausgleich läge bei 10 bis 21 €.

Aktualisierungen zu Terminen und Orten unter www.wild-natural-spirit.org. Dort gibt es auch mehr Infos zu Pflanzen und Projekt.

Über den Autor

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Vor vielen Jahren wagte Evelin Rosenfeld als etablierter Coach einen großen Sprung, indem sie aus einem bewegten Leben zwischen Thailand, Teneriffa und Berlin auf einen verwilderten Berg ins tiefste Bayern zog und begann, dort ohne Maschinen 33.000 Quadratmeter Land in einen blühenden Permakulturgarten zu verwandeln. Harte körperliche Arbeit, unendlich viel neues Wissen, vor allem aber die Bereitschaft, ihre Komfortzone einmal mehr zu verlassen und sich ausschließlich mit ihren eigenen Kräften ins Leben zu werfen, brachten ein kleines Unternehmen hervor, in dem Kostbarkeiten wie Reindestillate, Kräutertabak und Rohdrogen geschaffen werden. Mit ihrer Firma Wild Natural Spirit macht sie Mut, all die Hilfsmittel und Stützen der rationalisierten Welt fallen zu lassen und sich in die Obhut purer Natur zu geben.

Kontakt
Evelin Rosenfeld
Streufdorfer Strasse 5
96476 Bad Rodach OT Rossfeld

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