Welchen Einfluss haben die uns umgebenden Räume auf uns? Wie kann Architektur in ganzheitlicher und heilender Weise eingesetzt werden, um Gesundheit, Wohlbefinden und spirituelles Wachstum zu fördern? Räume heilen: Der Architekt Gustav Rennertz über lebendige Räume und heilende Architektur.

 

Der Raum als lebendiger Organismus

Unser gesamtes Denken, Wirken und Handeln findet im Raum statt. Da gibt es den mentalen Raum, der uns hilfreich Grenzen setzt um uns nicht in geistige Haltlosigkeit fallen zu lassen Es gibt den kulturellen Raum, indem wir uns identifizieren und unsere Persona entwickeln können. Aus diesem eigenen Kulturraum heraus betreten wir dann fremde Kulturen und es entsteht ein größerer, ein multikultureller Raum. Wir stellen also fest, dass wir uns immer in einer Art Raum befinden – materiell sowie geistig.

Momente der Raumlosigkeit hingegen, geistig oder materiell, stellen Momente größter Inspiration und Eingebung dar. Sie geben uns Hinweis auf unsere seelische Formlosigkeit, lassen uns eine Ahnung unserer Herkunft bekommen, sind jedoch nicht als Dauerzustand, als Alltagszustand aushaltbar. So sind wir also im Kern, nichtstoffliche, formlose Wesen, die eine Erfahrung in einem verdichteten, begrenzten Körper, also in einem Raum machen.

Was hat das mit Architektur und Innenarchitektur zu tun?

Betrachten wir uns das Thema Körper und Raum etwas eingehender. Der Körper ist der Raum, in welchem unsere Persona und unsere Seele leben. Unser Ausdruck erfolgt durch den Körper. Gleichwohl gibt es auch eine umgekehrte Richtung. Beschaffenheit und Zustand des Körpers wirken ein auf Persona und Seele. Wir alle kennen die alte Volksweisheit : „Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper“. Der erste materialisierte Raum der uns umgibt unser Körper wirkt also auf unser gesamtes Sein.

Nehmen wir das Bild der russischen Puppe, die ineinander verschachtelt ist, folgt nun auf die Seele, die im Körper wohnt der Körper der im Raum wohnt, der sich im Haus befindet, das im Garten steht, der sich im Ort befindet, der zum Land gehört und so weiter und so fort. All die Räume werden von uns geprägt und prägen uns.

Aus dieser Betrachtung heraus resultiert, dass der den Menschen umgebende Raum als etwas Lebendiges zu betrachten ist, und Lebendiges besteht aus Geist,Materie und Energie.

 

Geist – Architektur aus der Inspiration

Ganz zu Beginn gibt es die Intention, eine ganz vage, oft noch unbestimmte Idee, etwas entstehen zu lassen. Die Intention verdichtet sich und Funktion, Absicht und Aufgabe werden klar. Ein Raum entsteht, weil eine Funktion zu erfüllen ist, eine Anforderung entstanden ist. Dies kann das Wohnen und der Schutz vor den Unbilden der Aussenwelt sein bis hin zur hochkomplexen Funktion eines Raumes für Operationen an Menschen.

Aus dieser Absicht entsteht der Entwurf, der schon in Grundzügen alle Bestandteile in eine noch unfertige, unvollständige Komposition bringt. Aus meiner eigenen Entwurfsarbeit weiß ich, dass dieser erste Entwurf, je inspirierter und intuitiver er entsteht , meist eine Art in die Zukunft schauen ist.

Ich hatte vor vielen Jahren einmal eine Anfrage für ein kleines Gebäude zu einem Wohnhaus, in welchem Atem- und Tanztherapie stattfinden sollte. Die Bauherrin erklärte ihren Wunsch nach einem eigenen Gebäude . Sie hatte eine Vorstellung, wo an ihrem Hause eine Erweiterung, ein Anbau möglich wäre. Wir gingen gemeinsam in den Garten und ich fühlte mich an einen ganz anderen Punkt gezogen, als der von der Bauherrin Vorgeschlagene. Während ich stehenblieb, sah ich vor meinem inneren Auge recht klar ein rundes Gebäude, umgeben von den alten Bäumen mit einem Gang zum Wohnhaus. Später skizzierte ich dieses Bild und es folgte ein eineinhalb jähriger Planungsprozess an dessen Schluss genau das Gebäude aus meiner ersten Inspiration stand.

Materie – Baumaterialien für den Lebensraum

Die Baumaterialien. Das ist die Raumumfassung, welche wie die Haut unseren Körper, den Raum umschließt. Das Material muss natürlich den Anforderungen der Konstruktion entsprechen. Es hat bauphysikalischen Anforderungen wie z.b. Nachhallreduktion und Lichtreflexion zu genügen. Entstehen hier Fehlinformationen an unsere Sinne, so kann das weitreichende Folgen auf Wahrnehmung und Gesundheit mit sich bringen. Insbesondere wenn Räume Heilung und Therapie unterstützen sollen, muss den Materialien eine hohe Aufmerksamkeit zugewiesen werden.

Das Thema der Baumaterialien wird heute vorrangig unter dem Aspekt von Konstruktion, Wirtschaftlichkeit und Energie betrachtet. Die umfassende semantische Wirkung wird dabei häufig hinten an gestellt. Die explosionsartige Zunahme nahezu vollständig gläserner Bauten sehe ich als bedenkenswert an, da diese Bauweise in Bezug auf Wohlbefinden und Geborgenheit erhebliche Schwächen aufweisen, welchen meist mit hohem technischem Aufwand entgegengewirkt werden muss.

Ökologie – ein Aspekt, der nicht mehr nur allein mit dem Raum und seiner Nutzung verbunden ist. Das Baumaterial soll einen möglichst schonenden Weg vom Abbau in der Natur hin zur Verarbeitung gehen. Dazu gehört die Vermeidung langer Transportwege ebenso wie die Vermeidung aufwändiger, industrieller Produktionsprozesse. Wiederverwertbarkeit und Recycling bekommen hier eine zunehmende Bedeutung. In den vergangenen Jahren wurden zu Recycling und Verwertbarkeit wegweisende Erkenntnisse und Konzepte des deutschen Chemikers Dr. Michael Braungart entwickelt, die unter dem Oberbegriff „form cradle to cradle“, (zu deutsch von der wiege zur wiege) zusammengefasst sind.

Die ökologische Betrachtung zielt also neben der sinnvollen Verwendbarkeit vor allem darauf ab, dass unser größerer Lebensraum, sprich unsere Erde und ihre Ressourcen überlebensfähig bleiben und geachtet werden.

 

Energie und Kraft

Neben konstruktiver und ökologischer Betrachtung der Materialien wird ihrer Ausstrahlung eine hohe Bedeutung zugeteilt.
Da ist einmal die Zeichenwirkung des Materials. Damit ist die Assoziation gemeint. Was löst das Material in seiner Farbe, Beschaffenheit und Art beim Menschen aus, bewusst sowie unbewusst. Die Zeichenwirkung von Materialität ist individuell und wird geprägt von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Darüber hinaus ist die Zeichenwirkung kulturell und regional geprägt. So hat ein rot-tonig gehaltener Innenraum in Tibet eine vollständig andere Zeichenwirkung als in ein rot-tonig gehaltener Raum in Hamburg, Reeperbahn. Die Zeichenwirkung der Materialität löst immer etwa aus, unser Wahrnehmungssystem reagiert hierauf in Echtzeitgeschwindigkeit ohne dass wir uns dessen bewusst werden. Dies kann spontan zu starken Stimmungsumschwüngen führen, die wir selbst schwer herleiten können.

Für den Raum der Heilung bedeutet dies eine kompetente und verantwortungsvolle Komposition zu erarbeiten. Den zweite Aspekt stellt die Ausstrahlung dar. Materialien haben eine eigene Kraft, die Sie umgibt, die Sie ausstrahlen. Die Atome der Materialien speichern Informationen, so wie es von Wasser ja seit einigen Jahren durch die wissenschaftlichen Arbeiten des Japaners Dr.Emoto hinreichend bekannt ist.

Diese Betrachtung von Materialien steht noch sehr am Anfang und ist wissenschaftlich wenig verifiziert. Ich gehe soweit, dass ich behaupte, dass die Materialien auch die Energie des Bauens und Werkens aufnehmen und ausstrahlen. Bildhaft dargelegt gehe ich davon aus, dass der Umgang der Handwerker beim Erstellen von Räumen, sowie deren Stimmung sich auf das Energieniveau des Raumes auswirken. Ich habe dies in den vielen Jahren in unserer eigenen Projektarbeit beobachtet.

 

Geomantie – die Ausstrahlung des Ortes

Geomantie läßt sich übersetzen mit „Weisheit des Ortes“ . Das umfasst alle Einflüsse und Qualitäten des Ortes an dem ein Raum, ein Gebäude entstehen soll. Hier zu zählen neben den unterschiedlichen Kräften wie Wasseradern, Verwerfungen und Leylinien ebenso die Geschichte des Ortes. Es ist oftmals die Geschichte eines Ortes, welche die Qualität stark prägt und ihren unsichtbaren Abdruck hinterläßt. Dies geht soweit, dass es sinnvoll sein kann, eine Heilung des Ortes vorzunehmen.

 

Räume heilen: Licht und Farbe

Neben der Qualität der Materialität und der Form stellen Licht und Farbe den größten, kreativen Einflussfaktor für die Qualität des Raumes zur Heilung dar.

Farbe ist ein Sinneseindruck , der durch die spektrale Zusammensetzung des auf die Netzhaut unserer Augen eintreffenden Lichtes entsteht. Ein rot erscheinendes Bauteil erzeugt diesen Eindruck durch die Absorption des Lichtes, welches auf das Bauteil eintritt mit Ausnahme des Teils des Lichtes der reflektiert und von uns Menschen als rot wahrgenommen wird. Das heißt die elektromagnetischen Wellen um 650 Nanometer herum werden reflektiert und erzeugen bei uns den Sinneseindruck rot. Das Licht ist von allen gestalterischen Bestandteilen des Raumes der einzige Bestandteil, der dynamisch ist.

Das Licht, als Teilbereich der elektromagnetischen Wellen von 380 bis 750 Nanometern, ist in gewissem Sinne lebendig, da es solange es vorhanden ist einen Fluß von Energie darstellt. Das Wissen, dass unser Tageslicht , von der Sonne kommend Lebensspender ist, gilt wohl als unumstritten. Wir alle kennen die wohltuende Kraft der Sonne. Alles Leben, ausnahmslos, auf unserem Planeten lässt sich auf eine Interaktion mit dem Sonnenlicht zurückführen. Am einfachsten ist dieser Rückschluss bei dem Verbrennen von Holz zu verstehen. Ein Baum wächst durch das Licht der Sonne, läßt bei der Photosynthese Sauerstoff entstehen. Beim Anzünden entsteht wieder Licht und Wärme und Sauerstoff wird dabei verbrannt. Einfachst gedacht sind fossile Energieträger gespeichertes Sonnenlicht. Das gilt ebenso für die Kohle, die im Kohlekraftwerk Strom produziert, mit welchem wir zu frei gewählter Zeit auf Licht zugreifen können.

Solange Licht lediglich als Mittel zum Sehen erachtet war, konnten wir damit zufrieden sein, zu jederzeit Licht zu erzeugen um uns vom Joch des Tag-Nacht-Rhytmus zu befreien. Während gültige Verordnungen sich hauptsächlich mit Lichtstärke und maximal noch mit Lichtfarbe beschäftigen, hat sich in der ganzheitlichen Lichtgestaltung ein breites Spektrum von zu planenden Parametern durchgesetzt, welches über die Sehaufgabe weit hinaus geht.

Ich möchte hier ein wenig eingehender auf Licht und Gesundheit eingehen. Neben der optischen Sehbahn, bei denen wir Licht mittels Stäbchen und Zäpfchen bildgebend nutzen, besitzen wir Menschen eine energetische Sehbahn. Die energetische Sehbahn leitet Licht- und Farbimpulse direkt ins Zwischenhirn, welches aus Thalamus, Hypophyse und Zirbeldrüse besteht. Vom Zwischenhirn aus werden Stoffwechsel und Organfunktion gesteuert. Ferner reagiert unsere Haut auf Licht, leitet es an die Organe des Körpers weiter. Um die Jahrhundertwende des vorletzten Jahrhunderts gab es eine erfolgreiche Bewegung innerhalb der Medizin, ausgelöst durch den indischen Arzt und Ingenieur Dinshah Ghadiali. Dinshah Ghadiali beschäftigte sich intensivst mit elektrischem Strom und Licht. Er siedelte 1911 in die USA um und begründete dort die heute weit ausgereifte Spektrochrome-Methode, die eine detaillierte katalogisierte Zuordnung von Farben und Krankheitsbildern, ähnlich dem Repertorisieren in der Homöopathie, ermöglicht.

Wissenschaftliche Reputation erhielt das Wissen um die Heilwirkung der Farben in der Medizin im Jahre 1903 durch die Verleihung des Medizinnobelpreises an den norwegischen Arzt Niels Ryberg Finsen, der mit Licht erfolgreich Lupus Vulgaris (Hauttuberkulose) heilte. Leider trat dies Wissen mit der zunehmenden Blüte der pharmazeutischen Industrie in Vergessenheit.

Dieser kurze Ausflug in die Medizin verdeutlicht die Wichtigkeit von Licht und Farbe. Gerade bei Räumen, die mit Heilung in Verbindung stehen, gilt es mit Licht und Farbe ein Klima zu erzeugen, welches ganzheitlich und heilsam ist. Hierzu sind die obigen Aspekte, Lichtstärke, Lichtrichtung und Lichtfarbe auszuschöpfen. Als Vorlage dient immer das Licht der Sonne und der natürliche Verlauf des Tageslichtes. Die Sonne als Lichtgeber kommt des morgens von der Seite, steht am Mittagspunkt direkt über uns und steht vor ihrem Verschwinden noch einmal an der Seite. Bei diesem Tagesverlauf verändert das Licht seine spektrale Zusammensetzung von weichem blau-rötlichen Sonnenaufgangslicht, hin zu weißem Mittagslicht, zu goldenem Nachmittagslicht und wieder zu gelb-rötlichem Sonnenuntergangslicht. Neben Farbe und Richtung verändert das Licht dabei seine Stärke. Dies sind die Grundlagen, auf denen eine qualifizierte Lichtgestaltung aufbaut, da dieser Rhythmus in uns Menschen seit Jahrtausenden eingeprägt ist. Im Fachjargon hat sich für diese Form der Lichtgestaltung in Räumen der Begriff des circadianen,dem Tagesverlauf folgenden Lichtkonzeptes gebildet.

 

Ganzheitliche Architektur – ein Beispiel aus der Praxis

Um das ganze jetzt ins Praktische zu übersetzen, möchte ich einen solchen Prozess an einem Beispiel darstellen. Im Jahre 2008 erhielten wir den Auftrag, ein ehemaliges Klinikgebäude in ein Wohnprojekt für Demenzkranke mitumzubauen. Als erstes beschäftigten wir uns mit der Krankheit als solche, studierten Fachliteratur und suchten bestehende Einrichtungen auf. Wir interviewten Personal und fühlten uns tief in diese Menschen hinein. Wir studierten den Ort, das Gebäude und seine Historie sorgfältigst. Es entstand ein Gefühl, ein Bild dessen, was unser Entwurf leisten muss. Die Demenzkranken sollen sich, geborgen fühlen, sich orientieren können, und ihre Zimmer auch im fortgeschrittenem Stadium der Krankheit ohne Hilfe finden können. Sie sollen Freude in dieser Phase ihres Lebens haben.

Es entstand ein Konzept mit einem organisch geformten Foyerbereich in warmen Farben, der den Menschen empfängt, sanft umschließt. In den Wohngeschossen entstand eine Flurform mit herausgedrehten Zugängen zu den Bewohnerzimmern, die einem intuitiv erlebbaren Konzept folgen.Wir wählten drei Grundfarbtöne, die in einem bestimmten Rhythmus in variierender Intensität angelegt sind.

Das Beleuchtungskonzept lässt variierende Lichtsituation zu um dem Lauf des Tages zu folgen und auf die Bedürfnisse älterer Menschen einzugehen. Es gibt die Möglichkeit in der Mittagszeit große Flächenleuchten mit neutralem Licht stufenlos hochzufahren, was zu Aktivität und Lebendigkeit führt. Für die Abendzeit und Ruhephasen kann auf warmes Halogenlicht mit geringer Intensität zugegriffen werden. Die Beleuchtung der Flure kann aus einer frei dimmbaren Mischung direkten Lichtes und sanft, die Wände herunterfließenden Lichtes zusammengesetzt werden, die nächtens Umherlaufenden Orientierung gibt ohne zu aktivieren.

Ein Wort zum Schluss…..

Alle Faktoren, die oben beschrieben wurden, basieren auf Wissen und Untersuchen, auf Recherche und Konstruktion. Dennoch ist der Raum der Heilung und die Heilung des Raumes mit Wissen und Intellekt nicht reproduzierbar. Wir haben das oben beschriebene Projekt im Team bearbeitet. Jeder hat Wissen und Information zusammengetragen und wir saßen an einem Montag im Januar 2008 in unserem großen Besprechungsraum. Der Tisch war übersät mit Unterlagen, der Beamer surrte an der Decke, es liefen Diashows über wissenschaftliche Themen zur Demenz.

In einem Moment der Stille spürte ich den Drang, mit meinen Händen einen lauten Rhythmus anzuschlagen. Aus dem Rhythmus wurde ein Dreier-Schlag. Dieses Trommeln aktivierte etwas, aus welchem sich das gesamte Konzept, so wie es später auch gebaut wurde, entwickelte. Es war war ein rein intuitiver, inspirierter Moment, der den gesamten vorhergehenden Prozess der Wissensansammlung in sich trug und verwertete, entstanden durch ein inneres Einlassen auf die Menschen, für welche der Raum gedacht ist. Die intellektuelle Auseinandersetzung im Vorfeld mit allen Parametern des Raumes, wie ich es oben beschrieben habe, ist bei all dem wie ein Öffnen für den Zugang zur Lösung, die ja im Grunde immer schon existiert.

 

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