Die „Reise zu sich selbst“ bezeichnet oft eine innere Reise zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Doch gerade das äußere, reale Reisen ist ein kraftvoller Katalysator, um sich selbst besser kennenzulernen, tiefe Erfahrungen zu machen und an den Herausforderungen zu wachsen.

Von Katharina Haupt

Es ist früh am Morgen, draußen ist alles noch ganz still. Am Horizont ist das erste Dämmerlicht erkennbar. Schnell schlüpfe ich in meine warmen Sachen und gehe nach draußen. Oben bei dem kleinen Stupa mit den bunten Gebetsfahnen möchte ich den neuen Tag begrüßen. Es ist ein wunderbar klarer Morgen und die Berge tauchen langsam aus der Dunkelheit auf. Ich bin in Nagarkot, auf einem Bergrücken zirka eineinhalb Stunden östlich von Nepals Hauptstadt Kathmandu. Vor mir, fast zum Greifen nah, liegt die Bergkette des Himalayas. Mit ihren schneebedeckten Gipfeln scheinen die Berge am Horizont zu schweben. Wir waren dort, mitten in den Bergen. Erinnerungen der letzten Tage ziehen durch meine Gedanken … das Auf und Ab der Wanderwege, die kleinen Bergdörfer, unsere fröhlichen nepalesischen Begleiter …

Jetzt bin ich hier, spüre meinen Atem und lausche den Vögeln. Die Gebetsfahnen flattern im Wind. Langsam erscheint ein rötlicher Schimmer am Horizont und taucht die Berggipfel in ein rotgoldenes Licht. Fasziniert beobachte ich dieses Naturschauspiel. Als die ersten Sonnenstrahlen hervorkommen, genieße ich die Wärme und fühle mich verbunden mit den Bergen, den Menschen und dem Universum. Ich bin zufrieden und ganz bei mir – wieder einer dieser magischen Momente, für die ich es liebe unterwegs zu sein.

Reisen auf der Suche nach sich selbst

Schon seit Jahrhunderten begeben sich Menschen auf eine Reise, um den Einklang mit sich selbst zu finden. Das Pilgern und Wallfahren übt in allen Kulturen eine große Faszination aus. Der Begriff „Pilger“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Fremder“ – Pilgern heißt daher ursprünglich Fremder sein, eine Reise ins Fremde und Ungewisse antreten. In allen religiösen Traditionen gibt es Wallfahrtsstätten und „heilige“ Orte, an denen die Reisenden sich mit der göttlichen Kraft verbinden wollen und dafür weite und herausfordernde Wege auf sich nehmen. Bei früheren Pilgerreisen war meist nicht klar, wie lange die Reise dauert und ob der Reisende überhaupt ankommt. Es gab nur die starke Sehnsucht nach diesem Ort in der Ferne, der die Menschen anzog.

Auch Kraftplätze an besonderen Orten in der Natur faszinieren die Menschen immer wieder. Sie machen sich auf den Weg dorthin, um innere Ruhe und spirituelle Kraft zu finden. So haben buddhistische Mönche schon seit „Urzeiten“ in der Stille und Einsamkeit von natürlichen Kraftorten meditiert und Zugang zum Göttlichen gesucht.

Reisen: Raus aus der Komfortzone

Eine Reise in die Fremde verändert. Nicht über theoretisches Wissen, sondern über reale Erfahrungen: Wir „dürfen“ uns mit neuen und manchmal herausfordernden Situationen auseinandersetzen und wachsen dabei über uns selbst hinaus. Es geht also nicht um den Urlaub in der Ferne, wo dann doch wieder alles genau wie zu Hause ist. Vielmehr gilt es, sich auf Unbekanntes einzulassen, andere Facetten der Welt zu entdecken und hautnah Erfahrungen zu machen. Ein Beduinencamp in der Wüste, Wandern durch einsame Berge oder Einkaufen auf einem quirligen asiatischen Markt: Die Erlebnisse in der Fremde erweitern den eigenen Horizont und den Blick auf sich selbst. Wir bekommen Abstand zu unserem Alltag und frischen Wind in unser Denken und Handeln. Manchmal kann das ganz schön aufregend sein! Wenn wir die vertrauten Alltagsstrukturen verlassen, kommen wir oft an unsere Grenzen und müssen uns unseren Ängsten stellen.

Wir finden uns in Situationen wieder, in denen wir mit uns selbst und unseren eingefahrenen Mustern konfrontiert werden. Dann heißt es bewusst innehalten und hinschauen, über seinen eigenen Schatten springen und kreative Lösungen finden. So erhöht das Reisen die Flexibilität und wir lernen uns selbst besser kennen.

Reiselust und Freiheitsdrang

Meine erste große Reise ging nach Südamerika – ich wollte „ganz weit weg“. Ein zweimonatiges Praktikum in Argentinien sollte es sein, mit einem Sprachkurs in Ecuador und vier Wochen Rucksackreise durch Bolivien und Chile. Den Kommentar meines Vaters habe ich bis heute im Ohr: „Und willst du nicht gleich noch in Kolumbien vorbeifahren?“ – meine Eltern waren alles andere als begeistert von meinen Reiseplänen. Daher war diese Reise für mich gleichzeitig ein Loslösen aus dem Schutz, aber auch den Begrenzungen meines Elternhauses. Ein wichtiger Schritt in mein eigenes selbstbestimmtes Leben. Zum ersten Mal habe ich „mein Ding“ gemacht und mich getraut, meine Wünsche auch gegen Einwände von außen zu verwirklichen. Erst als ich im Flieger saß und merkte, jetzt wird es ernst, musste ich kurz schlucken. Etwas mulmig war mir schon – ich wusste ja nicht genau, was mich erwartet – aber ich war neugierig, eine fremde Welt zu entdecken.

Die Zeit in Südamerika war dann wirklich eine „Reise zu mir selbst“ – es gab Höhen und Tiefen, Momente der Begeisterung und auch stille und einsame Augenblicke. Ich musste mich im neuen Alltag zurechtfinden und einige „Prüfungen“ bestehen. Ich habe wunderbare Freundschaften geknüpft und ergreifend schöne Landschaften gesehen. Durch all die Erlebnisse habe ich mehr Sicherheit und Freude in mir selbst gefunden. Das Beeindruckende war, dass ich mich nach zwei Wochen in der Fremde auf einmal ganz zu Hause gefühlt habe – mein Leben war „hier“ und alles andere war weit weg. Irgendwie war ich „angekommen“ in dieser einst fremden Welt. Genauso eindrucksvoll war es dann, wieder nach Deutschland zurückzukommen: Durch das Weggehen bekam ich einen anderen Blick auf Zuhause und habe meine „Heimat“ wirklich schätzen gelernt.

Reise nach Nepal: „Auf dem Weg zur eigenen Kraft“

Die erste Reise war für mich wie ein Türöffner in eine bunte, faszinierende Welt. Danach habe ich Reisen in viele Länder unternommen – oft als Reit – touren oder Wüstensafaris, da ich das Unterwegssein in der Natur liebe. 2010 kam ich zum ersten Mal zum Wandern nach Nepal und war fasziniert von der majestätischen Bergkulisse, der buddhistischen Kultur und den freundlichen Menschen. Seitdem organisiere ich jedes Jahr eine Wanderreise für Frauen nach Nepal. Das „Ziel“ dieser Reise ist es, bewusst unterwegs zu sein, sich auf das Fremde einzulassen und die Herausforderungen zu meistern. Auch für mich selbst ist das jedes Mal wieder ein Abenteuer.

Einen meiner eindrücklichsten Momente erlebte ich auf einer Trekkingtour, bei der ich einen Tag vor der Passüberquerung eine fiebrige Erkältung bekam. Ich hatte mir etwas übermütig auf 3.500 Metern mit eiskaltem Wasser die Haare gewaschen … Am Abend vor unserem Pass-Tag saß ich wie ein Häufchen Elend am Tisch und zwang mich zu einem bisschen Suppe. Den Tag über hatte ich mich schrittchenweise vorwärts geschleppt, von der Landschaft nichts mitbekommen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die morgige Tour überstehen würde. Aber es gab kein Zurück. Um vier Uhr morgens klingelte der Wecker – und nach einem kurzen Spüren in meinen Körper wusste ich plötzlich: Ich schaffe das. Noch immer war ich wackelig auf den Beinen, aber nach ein paar hundert Metern fing mein Körper an zu arbeiten. Es fühlte sich an wie eine Maschine im Bauch, die langsam, aber stetig vorwärts lief. Mein Körper zeigte mir genau, was mein Tempo ist. Ich lauschte nur in mich hinein und lief ganz in meinem eigenen Rhythmus. Der Aufstieg zog sich hin – doch ich war verbunden mit mir und aufgehoben in der Weite der Berge um mich herum. Oben, auf 5.200 Meter, war ich überglücklich und unendlich dankbar für das, was mein Körper für mich geleistet hat. Ich war sogar eine der ersten am Pass – nie hätte ich gedacht, dass ich derartige Kräfte in mir mobilisieren kann!

Der Weg ist das Ziel

Beim Reisen geht es weniger um das Ankommen an einem bestimmten Ort als vielmehr um das bewusste Ankommen im Moment – in schönen wie in schwierigen Situationen. Gerade die überraschenden, ungeplanten Erlebnisse sind dabei wertvoll für die persönliche Entwicklung. Herausforderungen „lauern“ überall: andere Sitten und fremdes Essen, der Verzicht auf die gewohnten Annehmlichkeiten, die Verständigung in einer fremden Sprache (manchmal mit Hand und Fuß!) oder die körperliche Anstrengung. Auch zwischenmenschliche Themen können auftauchen – ein nervender Reisegefährte oder die Einsamkeit in der Fremde. Und manchmal gibt es einfach eine Schlechtwetterphase, die man mit guter Laune überbrücken muss. Hier heißt es flexibel zu sein und sich auf das, was gerade ist, einzulassen. Dann können wir über unsere eigenen Grenzen hinausgehen und dabei eine innere Kraft und Sicherheit entwickeln. Und nicht selten werden wir beim Überwinden der unvorhergesehenen Reiseabenteuer mit den schönsten Erfahrungen und tiefen Erkenntnissen belohnt!

Natürlich geht es auch um die Schönheit des Reisens. Es gibt so viel Wunderbares zu entdecken! Beeindruckende Naturlandschaften, bewegende Kontakte mit Menschen, die Ruhe an einem schönen Platz oder die Gipfelfreude nach dem anstrengenden Anstieg … mit intensiven Reiseeindrücken fällt es leicht, sich selbst zu spüren und sich mit der Natur und einer größeren Kraft verbunden zu fühlen!

Finde dein Abenteuer

Es existieren unzählige Möglichkeiten, Reiseerfahrungen zu machen. Ob Yogaurlaub, Städtetour, geführte Wanderung oder spirituelle Pilgerreise, spontane Rucksackreise oder Mitarbeit in einem Projekt im Ausland: Überall gibt es spannende Dinge über die Welt und sich selbst zu entdecken. Es muss ja nicht gleich die vierwöchige Dschungelexpedition auf eigene Faust sein… In der Vielzahl der Aktivitäten und Länder gibt es für jedes Gemüt und jeden Geldbeutel ein passendes Reiseerlebnis. Schon die Planung der Reise ist der erste Schritt ins Abenteuer! Reisen ist Veränderung – so wie das Leben. Und von jeder Reise kommen wir gestärkt und mit neuen Einsichten zurück. Auf geht’s zu einer „Reise zu dir selbst“ – im wahrsten Sinne des Wortes!

2 Responses

  1. Luisa
    Angst vor Heimweh

    Hallo Katharina,
    Ich habe gerade auch meine ersten Trip nach Bali für 8 Wochen gebucht. Ich leide seit ich 10 Jahre alt bin unter einer Essstörung und wollte einfach mal raus und mal das tun was ich eigentlich will. Auf niemanden Rücksicht nehmen und nur für mich etwas tun. Jetzt ist alles gebucht und ich habe Panik. Ich liebe meine Freund hier und ich habe solche Verlustängste. Ich habe Angst, dass ich ihn zu sehr vermisse oder er danach nicht mehr da ist, obwohl er in über 2 Jahren Beziehung noch kein einziges Mal irgendwelche Anstalten gemacht hat fremdzugehen. Er ist überhaupt nicht der Typ dafür und sehr verständnisvoll und liebvoll. Trotzdem habe ich Angst austauschbar oder unnötig zu sein und Angst dass ihm das bewusst wird wenn ich gehe und so auch bei meinen Freunden hier. Ich habe Angst dass ich dort unten bin und alle vermisse und dass es furchbar wird und ich weine und trauere und nachher alles anders ist als zuvor. Hast du einen Tipp?

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  2. Karin
    Reisen: Raus aus der Komfortzone

    Alles ist in uns, wir sind Schöpfer !
    Liebe Grüsse
    Ruperta

    Antworten

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