Wie Gemeinschaft uns in die Stille begleiten kann

 

Retreat bedeutet Rückzug.

In vielen Kulturen gibt es die Idee des Retreats als Rückzug vom Getriebe der Welt, als Rückzug von äußeren Reizen. Oft ist diese Idee mit der Vorstellung des Alleinseins verknüpft. Alleinsein, sich auf sich selbst oder auf etwas Bestimmtes besinnen und zur Ruhe kommen. Kraft aus der Stille schöpfen.

Einkehr – leichter gesagt als getan

In unserem Kulturkreis sind der Winter und das Jahresende die Zeit für Rückzug und innere Einkehr. Für viele von uns ist es jedoch gar nicht so einfach bis hin zu unmöglich, unvermittelt aus dem betriebsamen Alltag auszusteigen und still zu werden. Gelegentliche Oasen der Stille – mit Tee, einer Kerze und ruhiger Musik – oder auch zehn Minuten Meditation können hilfreich sein, um den Herausforderungen unseres täglichen Lebens mit mehr Ruhe zu begegnen oder Augenmaß im Weihnachtstrubel zu behalten. Wir schaffen es so, unseren Alltag besser zu bewältigen – aber oft eher im Sinne einer Schadensbegrenzung. Gefühle von Unzulänglichkeit und Unzufriedenheit, problematische Beziehungen und immer wiederkehrende Schwierigkeiten werden so nicht aufgelöst. Unsere gängigen Strategien (Ablenkung durch Arbeit, Essen, Trinken, Sex etc.) führen uns nicht aus diesem Kreislauf heraus, sondern weiter hinein. Im Grunde sehnen wir uns nach einem anderen Lebensgefühl, nach Verbundenheit mit uns selbst und mit anderen – nach Aufhebung der Isolation. Und im Grunde wissen wir, dass es hilfreich ist, still zu werden, um diesem Lebensgefühl näher zu kommen.

Äußere und innere Stille

Äußere Stille, also die Abwesenheit von Lärm und starken Ablenkungen, kann eine günstige Voraussetzung für innere Stille sein – muss es aber nicht. Denn wenn der äußere Lärm verstummt, wird der innere Lärm umso lauter:
Das zwanghafte, automatische Denken ist der Gegenspieler der Stille. Das Pendant zur äußeren Stille ist die innere Stille jenseits der Gedanken. Mit innerer Stille ist also die Stille oder zumindest die Beruhigung der Gedanken gemeint.

Die Dämonen der Stille

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Wir sehnen uns nach der Stille, und gleichzeitig tun wir alles, um sie zu vermeiden. Warum? Wir haben Angst vor den Dämonen der Stille, etwa vor unseren Schatten oder vor der Erfahrung der Leere. Das unwillkürliche Geplapper der Gedanken ist ein hervorragender Schutz vor diesem Unbekannten.

Stille ist jedoch unser natürlicher Zustand, unser natürliches Erbe. Das müssen wir nicht lernen. Stille stellt sich ein, wenn das Denken aufhört. Oder anders gesagt: Das zwanghafte Denken steht der inneren Stille im Wege.

Wie können wir diese Gier der Gedanken beruhigen? Bei allem, was uns im Weg zu sein scheint, geht es letztlich darum, diesen Hindernissen zu begegnen, sie anzuerkennen, ohne ihnen jedoch Energie zu geben und darin hängen zu bleiben.

Helfer auf dem Weg in die Stille

Ich bin persönlich immer interessiert am Einfachen und, wenn man so will, am Weg des geringsten Widerstands. In diesem Sinne gibt es auf dem Weg in die Stille vielfältige Techniken und Helfer: vor allem gleichförmige oder ritualisierte Beschäftigung, etwa mit Singen oder mit Bewegungsabläufen, erlaubt es uns, dem Gedankenkarussell unsere Aufmerksamkeit zu entziehen. Nicht umsonst sind Gesang und Tanz zentrale Bestandteile in den Ritualen vieler religiöser Kulturen. Dabei geht es nicht um den individuellen künstlerischen Ausdruck – also nicht darum, etwas besonders gut oder originell zu machen. Vielmehr geht es um die Erfahrung, dass sich in der Gleichförmigkeit etwa eines Mantras oder eines schlichten Kreistanzes die Grenzen meines Ichs, wie ich sie im Alltagsbewusstsein wahrnehme, auflösen und „ich“ mich als Teil eines Größeren fühle. Jeder kennt solche mystischen Erlebnisse und Einheitserfahrungen – sei es in einem klassischen Konzert, in der körperlichen Vereinigung oder im Orgasmus, sei es in einem inbrünstigen Gebet.

Zwei Aspekte von Gemeinschaft

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Einheitserfahrungen sind Geschenke – wir können sie nicht erzwingen oder erkaufen. Wir können aber günstige Bedingungen schaffen. Für viele Menschen ist eine wichtige Voraussetzung ganz einfach Entspannung. Entspannung stellt sich leichter ein, wenn die Angst vor dem Alleinsein besänftigt ist. Eine vertrauensvolle und unterstützende Umgebung, die Aufmerksamkeit von anderen und für andere schafft Entspannung. So entsteht der Raum für das Erleben von etwas, das größer ist als wir – und das wiederum nimmt uns die Angst vor dem Unbekannten, das in der Stille eintritt.

Das Zusammensein mit anderen kann also beides sein: es kann uns ablenken von uns selbst und dadurch das Gefühl von Trennung vertiefen – oder es kann uns den Weg zur Abwesenheit von Isolation und somit zur Verbundenheit ebnen. Der Duft der Stille ist nicht reserviert für einsam Suchende – er kann auch gemeinsam genossen werden.

„Das Lied der Seele kann auf viele Weisen gesungen werden. Der süße Klang der Stille kann oft und vielfältig vernommen werden. Manche hören die Stille im Gebet. Manche singen das Lied in ihrer Arbeit. Manche suchen die Geheimnisse in stiller Kontemplation, andere in einer weniger kontemplativen Umgebung. Wenn die Meisterschaft erlangt ist – oder auch nur eine periodische Erfahrung ist –, kann der Lärm der Welt selbst inmitten all des Getöses verstummen, können die Ablenkungen zum Schweigen gebracht werden. Alles Leben wird dann zur Meditation. Alles Leben ist Meditation, in der du das Göttliche betrachtest. Das wird echte Wachheit oder Achtsamkeit genannt.“ (Neale D. Walsch, Gespräche mit Gott)

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