Natürlicher Selbstwert von Anfang an durch eine sanfte Geburt voller Respekt vor dem Leben…

von Josy Peukert

Die bedeutendste Verbindung, die unser aller Leben jemals bestimmt, ist die Nabelschnur zu unserer Mutter. Unvergessen krönt ihre Narbe ein Leben lang die Mitte unseres Körpers. Für viele ist der Umgang mit der Nabelschnur das größte Hindernis für eine natürliche Geburt und ein möglicher Faktor für Komplikationen. Doch ist sie das wirklich? Welche Angst steckt dahinter, wie realistisch ist diese und warum überhaupt wird diese magische Verbindung, die so lange existenziell gewesen ist, üblicherweise sofort durchtrennt?

In den Köpfen derer, die sich mit dem Thema Geburt auseinandersetzen, herrscht noch immer das Bild von einem Baby vor, dessen Nabelschnur sofort durchtrennt wird, nachdem der Kopf aus dem Mutterschoß hervorgetreten ist. Nur manchmal bleibt diese Verbindung noch intakt, bis auch der Körper geboren worden ist. Mit der Ent-Bindung, einer ge-trennten Ver-Bindung, wie sie das Wort ja beschreibt, ist der neue kleine Mensch dann auf dieser Welt angekommen. Doch was ist das für ein Ankommen? Durch das sofortige Abnabeln wird das Baby enormem Stress ausgesetzt. Über die Nabelschnur wurde es ja bisher mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Wird diese Verbindung nun frühzeitig durchtrennt, bekommt es nicht genug Sauerstoff, es erleidet ein Atemnotsyndrom, da es nun zwanghaft schnell auf die Lungenatmung umstellen muss. Das tut vor allem weh. Und es ist der Start ins Leben für die meisten Neugeborenen. Sie erblicken das Licht der Welt in Todesangst.

Keine Zeit fürs Umschalten auf Selbstatmung

Es gibt bis heute keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür, dass die sofortige Nabelschnur- Durchtrennung einen Vorteil hat oder ein „Muss“ ist. Im Gegenteil. Das Baby besitzt zum Zeitpunkt seiner Geburt eine komplette Sauerstoffversorgung durch die intakte Nabelschnur zur Mutter. Solange die Verbindung zwischen Baby und Plazenta besteht (sofern die Plazenta noch nicht geboren und somit gelöst ist), pulsiert diese und versorgt das Baby weiter unaufhörlich mit sauerstoffreichem Blut. Das Baby hat also ein Back-up, um in aller Ruhe von der sogenannten Plazenta- Atmung auf die Lungenatmung umzustellen. Doch kaum ein Geburtshelfer gibt unseren Babys diese Zeit. Alles unterliegt vorgegebenen Leitlinien, die aber nicht im Sinne von Mutter und Kind aufgestellt worden sind, sondern um das medizinische System aufrechtzuerhalten und die entstehenden Kosten zu begrenzen.

Denn: Geburtshilfe rechnet sich nicht, Geburtsmedizin aber schon. Das Blut der Nabelschnur und der Plazenta beträgt 30 Prozent des gesamten Blutvolumens des Babys. Im Vergleich dazu wären das 1,8 Liter Blut bei einem Erwachsenem. Diese 30 Prozent werden dem Baby also vorenthalten. Es ist nachgewiesen, dass Kinder ohne ihr Plazentablut im ersten Jahr eine deutlich schlechtere gesundheitliche Verfassung haben und und somit beim Start ins Lebens geschwächt sind gegenüber den Babys, die von dem Mehr an Lebenssaft profitieren durften. Somit ist gleichzeitig auch der Mythos, dass das „Nabelschnur“-Blut nicht zum Neugeborenen gehört, widerlegt – das Blut in der Nabelschnur ist nicht getrennt vom Baby zu betrachten, sondern es gehört ebenso zu ihm wie das Blut aus der Plazenta. Das Blut in der Nabelschnur ist Babyblut.

Gesundheitsprobleme durch Abnabeln

Das heißt: Erst durch das beim Abnabeln verbleibende Blut (des Babys) in der Plazenta treten gesundheitliche Probleme des Babys auf. Zudem gibt es die bekannten Komplikationen während und nach der Geburt: Die handgemachten Interventionen in der Nachgeburtsphase, also das Zerren an der Nabelschnur und damit das Herausreißen der Plazenta, führen oft zu unkontrollierbaren Blutungen, nicht selten mit weitreichenden Folgen. Schwere arterielle Blutungen können auftreten – Verletzungen der Gebärmutter inklusive –, die im OP enden. Das Reißen und Ziehen an der Nabelschnur sowie das äußerliche Manipulieren an der Gebärmutter durch manuelles Zusammendrücken durch die Bauchdecke bis hin zur manuellen Lösung intrauterin (bei der der Arzt vaginal in die Gebärmutter greift und die Plazenta dort mit der Hand ablöst), verursacht große Schmerzen und traumatisiert viele Mütter bis heute. Dabei löst sich eine blutleere Plazenta viel einfacher von der Gebärmutterwand als eine volle. Die Plazenta-Geburt („Nachgeburt“) bedarf der gleichen Aufmerksamkeit und Geduld wie die Geburt des Babys. Die Nabelschnur sollte mindestens so lange intakt bleiben, bis sie nicht mehr pulsiert, damit das Baby all sein Blut erhalten hat – mit allen Vorteilen, die damit zusammenhängen. Mit den 30 % mehr Blut und Sauerstoff hat es einen viel besseren Start ins Leben. Das Ablösen der Plazenta kann zwischen drei bis zwanzig Minuten dauern und ist genauso individuell wie die Geburt selbst. Es gibt Berichte, in denen Frauen bis zu vier Tage auf die Geburt der Plazenta warteten. Komplikationslos! Auch die Länge der Nabelschnur ist sehr verschieden. Sie kann ganz natürlich zwischen 30 und 100 Zentimeter betragen.

Lotusgeburt als Basis für gesunden Selbstwert

Lässt man die magische Verbindung von Plazenta und Baby bestehen, handelt es sich um eine sogenannte Lotusgeburt. Diesen Begriff prägte Claire Lotus Bay, eine amerikanische Seherin, in den 80er-Jahren. Sie hinterfragte das Abnabeln nach der Geburt und ließ als erste Frau in der westlichen Welt diese Verbindung intakt, durchtrennte die Nabelschnur also nicht, sondern ließ das Baby mit der Plazenta in Verbindung. Bei einer Lotusgeburt gibt man dem Baby in aller Ruhe die Zeit, die es braucht, um sich selbst von diesem einzigartigen Organ, das es die letzten neun Monate genährt und geschützt hat, zu lösen, ohne Manipulation von außen. Das ist genau die Zeit, die wir der Natur an Respekt zollen sollten, um unseren Babys diesen selbstbestimmten sanften Start ins Leben zu ermöglichen, der ihnen zusteht – mit allen damit verbundenen Vorteilen. Durch die bestehen bleibende Verbindung bauen Lotusgeburtsbabys ein tiefes Urvertrauen (und somit die Basis für einen gesunden Selbstwert) auf.

Sie entwickeln kaum die oft befürchtete Neugeborenen-Gelbsucht, und aus einem Lotusgeburtsbaby wird auch kein Schreikind. Wir dürfen wieder das Vertrauen in die Plazenta lernen, denn ohne sie gibt es kein Baby. Die Aufgabe der Plazenta liegt darin, die Schwangerschaft zu erhalten. Sie ist eine einzigartige Schöpfung des weiblichen Körpers, fungiert sie doch als Transporteur für Nährstoffe und Gase, setzt Hormone frei und bietet Schutz, Atmung und Ernährung.

Plazenta: Volle Speisekammer fürs werdende Leben

Noch immer besteht der Mythos darüber, dass die Plazenta nur als Filter fungieren würde, doch um die komplette Funktion der Plazenta zu verstehen, muss man ihren Mechanismus näher beleuchten. So gibt sie natürlich – unter anderem – die Stoffwechselprodukte des Fötus in den Blutkreislauf der Mama ab. Das Blut des Babys sammelt also die Abfallprodukte und transportiert sie durch die Plazenta ab. Der mütterliche Kreislauf überträgt die Entsorgung an deren Nieren und Leber. Gleichzeitig behält die Plazenta nichts davon in sich, sie speichert also keine Rückstände. Die Plazenta spaltet sie auf und gibt sie weiter. Ebenso erkennt sie Bakterien & Co. und verhindert, dass diese zum Baby gelangen. Darüber hinaus hemmt sie Stresshormone. Und fehlt dem Baby etwas zu seiner Entwicklung im Mutterleib, holt die Plazenta das aus dem Körper der Mutter, selbst wenn diese hungert. Das Baby ist also immer voll versorgt. Die Plazentaschranke (die natürliche Barriere zwischen mütterlichem und kindlichen Blut in der Plazenta) hilft, alles aus dem Blut der Mutter zu bekommen, und verhindert gleichzeitig, dass das Baby schädigenden Substanzen ausgesetzt ist. Nicht nur, dass die Plazenta aus kindlichen und mütterlichen Zellen besteht, sie trägt auch aktiv dazu bei, beide auf die Geburt vorzubereiten, indem sie die entsprechenden Hormone produziert. Auch nach der Geburt ist ihre Aufgabe noch nicht vorbei: Die sogenannte Plazentophagie (der Verzehr der Nachgeburt durch die Mutter – ein evolutionärer Mechanismus) gewährt über die mütterliche Aufnahme von verschiedenen Stoffen und deren Abgabe über die Muttermilch den optimalen Start des Kindes ins Leben und fördert das Wachstum und die Entwicklung des nun neugeborenen Lebens. Viele empfinden Ekel bei der Vorstellung, die Plazenta zu essen. Sind also alle anderen Säugetiere (für die das ganz natürlich ist) schlauer als wir in Bezug auf diese Plazentaverwendung? Es scheint so.

Plazenta essen: Mehr Mama- Power und gesündere Kinder

Denn nachweislich trägt eine derartige Plazentaverwendung, ob im Smoothie oder als Kapseln, zu einer schnelleren Rückbildung bei. Sie optimiert durch die in ihr enthaltenen Hormone den Wochenfluss ebenso wie die Laktation (Milchbildung). Vor allem der Milcheinschuss (welcher ein paar Tage nach der Geburt nach dem Kolostrum, der Vormilch, dann die richtige Milch „einschießen“ lässt und wundervolle pralle Brüste beschert) ist so viel sanfter und geschieht auch früher. Der Hormonhaushalt der Mutter – und das Abfallen des Hormonspiegels durch das Fehlen der Plazenta und deren Hormonproduktion – wird durch den Konsum der Plazenta ausgeglichen, so dass sich die Mutter nach der Geburt schneller erholt. Das ist extrem wichtig, denn Stillen bringt einen erheblichen Energiebedarf mit sich, was vielen nicht bekannt ist. Auch die von vielen Müttern gefürchteten Nachwehen, die mit jedem Kind stärker werden, bleiben beim Verzehr der Plazenta durch die Mutter ganz aus. Es ist keine schräge Modeerscheinung, all das Wissen zu nutzen, das seit Jahrtausenden Heilmethode im Wochenbett und zur Geburt ist. Ein haselnussgroßes Stück, das direkt in den Mundwinkel der Mutter gelegt wird, kann starke Nachblutungen stoppen.

Denn die Plazenta enthält natürliches Oxytocin, ein (Glücks)-Hormon, das vielen Frauen sonst in künstlicher Form verabreicht wird und die Fähigkeit hat, Blutungen zu stoppen. Der hohe Hormongehalt des Plazentastücks wirkt sich zudem enorm positiv auf das Gemüt aus. Unsere Gesellschaft leugnet leider die Wirkung der Plazenta in der postnatalen Genesung aufgrund der technologischen Ansätze während der Geburt und unserer sozialen Vorurteile. Doch der Blutverlust nach der Geburt (400-450 ml), der einen Rückgang von Hämoglobin und Eisen nach sich zieht, erhöht postpartale (= nach der Geburt eines Kindes) Depressionen deutlich. Viele Mütter erleben oft am zweiten bis dritten Tag ein starkes Entzugssyndrom durch das Oxytocintief. Sie fühlen sich schwach, weinerlich und ärgern sich eigentlich über alles. Ein Smoothie, der jeweils ein haselnussgroßes Stück Plazenta enthält, kann den Blickwinkel verändern. Befürchteten Wochenbettdepressionen kann man damit gut entgegenwirken. Die oberste Priorität dabei ist die richtige Dosierung und der entsprechende Zeitpunkt der Gabe. Im Grunde sind der Nutzen und die Nutzung der Plazenta nach der Geburt als „Tankstelle“ (der Eisengehalt der Plazenta verdoppelt sich sogar bei deren Trocknung) aufgrund des hohen physiologischen Blutverlustes unverzichtbar. Der Eisenwert im Körper erhöht sich, dadurch wird einer Anämie vorgebeugt und/ oder eine schon bestehende Anämie durch die stimulierende Blutbildung gelindert.

Sanfte Geburt

Die Anpassung der Mutter nach der Geburt an das Leben nach der Schwangerschaft verläuft durch die Plazenta-Einnahme zudem viel sanfter und angenehmer. Und je entspannter die Mama, desto entspannter das Baby. Der Ekel, den viele Frauen haben, ist zwar verständlich, aber unnatürlich. Wir Menschen haben uns leider durch unseren Fortschritt von der Natur wegentwickelt. Wir sind von uns fort geschritten und haben somit unsere eigene Natur verlassen. Fortschritt ist also nicht immer etwas Positives. Ebenso haben viele Menschen verlernt, ihren Körper zu lieben, sogar sich selbst. Wir haben leider durch zusätzliche Stressfaktoren (psychische, soziale, kulturelle) den Kontakt zu unserem eigenen Körper verloren. Die Folgen dieses Fortschritts können wir unseren Kindern ersparen, indem wir ihnen einen selbstbestimmten Start ins Leben mit all dem enormen Mehrwert – bis hin zu einem natürlich-gesunden Selbstwert – wieder zurückgeben. In der Klinik wird die Frau mit entsprechenden Maßnahmen oft „passend gemacht“. Doch es ist unmöglich, dass eine außenstehende Person besser Bescheid über sie und das Baby weiß als die Mutter selbst. Die Mutter ist ständig in Verbindung mit ihrem Baby und weiß intuitiv immer, was zu tun ist, wenn man sie denn lässt. Darum: Um die Welt zu verändern, brauchen wir Menschen, die sich selbst mögen und das Leben lieben und das in ihrem Denken, Fühlen und Handeln auch ausdrücken. Dazu müssen wir erst einmal die Art und Weise ändern, wie Babys geboren werden.

Über den Autor

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ist Doula und Geburtshelferin. Sie arbeitet in der Schwangerschaftsbegleitung & Geburtsvorbereitung außerklinischer Geburten, auch im Ausland. Sie selbst ist nach Nicaragua ausgewandert und aktuell werdende fünffache Mutter. Sie hat vier Kinder durch Lotus- & Wassergeburt auf die Welt gebracht sowie durch eine Alleinund Ozeangeburt. Schon lange vor der Geburt ihres ersten Kindes hat sie Geburten begleitet. Seit über zehn Jahren hat sie zu dem Thema Geburt recherchiert und sich mit vollem Herzblut weitergebildet, um mit dieser Leidenschaft Frauen und Familien zu unterstützen und zu begleiten. Neben Einzelsessions sind auch ein Rundum-sorglos-Paket zur Lotusgeburt oder Wassergeburt möglich, ebenso wie eine komplette Schwangerschafts- & Geburtsbegleitung (hauptsächlich online, aber sie unterstützt auch die Suche nach dem passenden Geburtsteam vor Ort, da sie gut vernetzt ist.) Zusätzlich begleitet sie auch Familien bei ihrer Auswanderung aus Deutschland.

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