Krankenhaus, Wehenmittel, Notfallatmosphäre: Geburt wird heute kaum noch als natürlicher Vorgang angesehen, der sich zur rechten Zeit selbst entfaltet und den Bedürfnissen des neuen Erdenbürgers entspricht. Dass es auch anders geht – und dabei kreativ vom Bewusstsein des Embryos gesteuert wird – zeigen die Beispiele in diesem Artikel.

 

Die Geburt ist der Anfang und der Tod das Ende. Ungeachtet unserer kulturellen Probleme mit dem Tod verlässt das Leben den Körper im Hauch eines Augenblicks. Das Leben mit dem Körper zu verbinden und es in allen Zellen holographisch zu verankern, scheint dagegen ein langwieriger Prozess zu sein, der mit der Geburt seinen Abschluss findet.

Mit dem Einnisten in die Gebärmutter erhält der Fötus den Raum für sein physisches Wachstum. Das Wesen des Kindes ist bereits präsent. Wie sich diese Anwesenheit ausdrückt, kann unterschiedliche Formen annehmen. Allseits bekannt sind veränderte Essgewohnheiten der werdenden Mutter, auch ungewöhnliche Vorlieben oder Abneigungen in allen Lebensbereichen – ein „Niemals davor und niemals danach…“ weisen auf das Ungeborene hin, das sich auf diese Weise deutlich macht.

Das kann laut oder leise, aufdringlich oder zurückhaltend geschehen, je nach Temperament des Kindes und nach Dringlichkeit des Anliegens. Mütter berichten über unerwartet großen Bewegungsdrang im Freien, den plötzlichen Wunsch, erstmalig  Motorrad zu fahren, oder für sie untypische Wutanfälle. Die werdende Mutter und ihr Ungeborenes befinden sich neun Monate in einer fortwährenden Interaktion. Sie lernen sich kennen.

 

Babys bestimmten den Fahrplan

Vieles deutet darauf hin, dass Babys die für sie idealen Bedingungen ihrer Geburt kennen. Und sie gestalten Umstände und Ablauf ihre Geburt mit. Lange wurde angenommen, dass ein Baby einfach 40 Wochen braucht, um die Geburtsreife zu erreichen, und „dann geht es los“. Abweichungen wurden mit der fehlenden Präzision von Aussagen wegerklärt, die Frauen bezüglich des Zeugungszeitpunkts machen.

Nachgewiesen ist inzwischen, dass Babys ihre Geburt selbst einleiten. Dabei berücksichtigen sie für sie relevante Aspekte, zum Beispiel weitere Anwesende unter der Geburt. Hausgeburtshebammen berichten regelmäßig von Geburten an den (seltenen) freien Tagen oder Nächten der Väter, wenn deren Anwesenheit unter der Geburt erwünscht ist.

Wie weit Babys sich jedoch mit dem Wissen um die für sie geeigneten Geburtsumstände im Vorfeld verständlich machen können, hängt sehr von der Offenheit der werdenden Mutter ab. Mütter berichten hier von sehr unterschiedlichen Erlebnissen:

 

Simone: Obi-Regentonnen-Baby im Schwarzwald

„Rein rechnerisch sollte das Baby am Dritten kommen, doch wir erwarteten es eigentlich schon früher. Wir wollten für die Geburt die Hebamme dabei haben, die uns schon bei zwei anderen Geburten begleitet hatte, bevor wir aus dem Stuttgarter Raum weggezogen waren. Also suchten wir uns eine Ferienwohnung im Nordschwarzwald, kauften auf Empfehlung der Hebamme eine 500-Liter-Obi-Regentonne und warteten. Unser Ältester ging zu Hause weiter zur Schule. Bis zum Dritten war schon eine Woche vergangen und nichts tat sich. Wir verbrachten Familienzeit mit Ausflügen, kleinen Wanderungen ohne Steigung, Spielen – und warteten. Eine zweite und eine dritte Woche verging. Dann begannen die Ferien, unser Ältester kam, mit ihm war die Familie komplett.

Am darauf folgenden Morgen setzten die Wehen ein. Meine Familie füllte die Regentonne draußen auf der Terrasse. Die Hebamme traf ein und fand alles auf einem guten Weg. Ich veratmete die Wehen in der Tonne, indem ich auftauchte, tief Luft holte, dann untertauchte, alle Luft kräftig ausatmete und bei Bedarf nach Herzenslust stöhnte. Meine Füße standen dabei fest auf dem Boden, die Tonnenwand stützte meinen Rücken beim Auf- und Abgleiten während der Tauchbewegung. Diese Form des Atmens führte zu einer verstärkten Sauerstoffversorgung unter der Geburt für Mutter und Kind. Inzwischen kam eine weitere Geburtshelferin, die mir durch das Massieren des unteren Rückens Linderung verschaffte. Am späten Vormittag war es soweit: Die gesamte Familie stand um die Tonne herum, als der neue kleine Erdenbürger mit der letzten Presswehe geboren wurde und ich ihn an die Wasseroberfläche beförderte.

Die Hebamme stellte schnell fest, dass das Baby trotz rechnerischer 14-tägiger Verspätung von seiner Entwicklung her eine Woche zu früh war, seine Lungen waren noch nicht ausgereift. Glücklicherweise kannte sich die Geburtshelferin mit unterstützender Arbeit im Wasser aus. Sie machte Übungen mit dem Baby, das noch nicht abgenabelt war. Sie warf es  abwechselnd in die Luft und tauchte es unter Wasser. Nach einer halben Stunde waren die Lungen stabilisiert und das Entwicklungsdefizit deutlich sichtbar ausgeglichen.“

 

Carola: Meeresgeburt auf Hawaii

„Seit dem Beginn der Schwangerschaft im Frühsommer hatte ich Hawaii im Kopf. Ich wusste von Frauen, die ihre Kinder im Meer bekamen, zum Beispiel auf der Insel Krim. Schon vor Jahren hatte ich das Buch „Meergeboren“ von Chris Griscom gelesen: Die spirituelle Lehrerin hatte ihr sechstes Kind inmitten ihrer älteren Kinder in der Karibik zur Welt gebracht.

Auch hatte ich von einer Hebamme gehört, die auf Hawaii Meeresgeburten begleitete. Irgendwann im Herbst rief ich sie an, erfragte Kosten und sonstige Umstände und hoffte auf ein Wunder zur Finanzierung eines solchen Abenteuers. Die Zeit verstrich – völlig wunderfrei.
Sieben Wochen vor dem errechneten Termin fiel mir ein Buch über das Schwimmen mit Delfinen in die Hände. Plötzlich war klar, dass ich fahren musste. Zehn Tage später saß ich im Flieger.

Auf Kauai regnete es in Strömen, es war warm, Regenzeit. Morgens halfen Wollsocken und Wollpulli, nachmittags reichte ein dünnes Kleid. Ich musste eine Unterkunft finden. Das Geld reichte natürlich nicht und die Hebamme, obwohl über 40, war emotional gerade mitten in der Pubertät. Mein Freund zu Hause konnte nicht nachkommen.

Mir schwirrte der Kopf von den vielen „Wenns“ und „Abers“. Doch wenn ich abends auf der Veranda unter dem pazifischen Sternenhimmel und bei entferntem Meeresrauschen saß, kam aus meinem Bauch ein deutliches „Es ist alles gut.“ Warm und klar.

 

Verbundenheit mit allem

Vor Ort gab es eine Gruppe Frauen, die schwanger waren oder vor einiger Zeit selbst entbunden hatten und sich gegenseitig unterstützten. Hier wurden Babykleidung und Windeln weitergereicht und eine Zeremonie für eine glückliche Geburt durchgeführt. Für die drängendsten Fragen fanden sich Lösungen. Ich bezog eine kleine Ferienwohnung über der Klippe und entdeckte den bevorzugten „Hier soll es sein“-Strand. Natürlich musste das Wetter mit Wind und Strömung des Geburtstages abgewartet werden zur endgültigen Entscheidung für den Geburtsort. Derweil wurden weitere Strände besucht, im Meer gebadet, im eiskalten Fluss getaucht und unterm Wasserfall geduscht. Auch Wale beobachten, Schwimmen im Pool und Yoga standen auf dem Programm. Einige kleinere Wunder lösten die Geldprobleme. Die Hebamme beruhigte sich in letzter Minute.

Für die Geburt selbst fanden sich einige Frauen mit mir gegen drei Uhr am Strand ein. Kleine Zelte wurden aufgebaut, das Notwendige und das Notfallequipment wurden ausgeladen. Ich wanderte am Strand auf und ab und veratmete die Wehen. Ich dachte: „Was tue ich hier, bin ich total verrückt?“ und gleich darauf: „Und wenn es losgeht, gehe ich da hinein.“

Schließlich ging ich mit der Hebamme und zwei weiteren Geburtshelferinnen zu einer Felsengruppe im Wasser. Ich hockte in knietiefen Wellen, hielt mich an den Felsen fest, später gestützt von den anderen. Nach einer knappen halben Stunde war es soweit. In dem Moment, als der kleine Babykörper ganz geboren war, fühlte ich eine unvergleichbare Verbundenheit mit dem Meer, dem erdumschließenden, mit allem, was ist. Und hinter der Riffkante, wo das Wasser richtig tief wird, sprangen die Wale, wild und ausgelassen.“

 

Geburt als Initiation

Ursprünglich ist jede Geburt für Mutter und Kind eine Initiation. Für das Baby ist es die allererste und damit für sein weiteres Leben sehr prägende. Der Weg durch den Geburtskanal lässt das Baby erfahren: Ich kann Druck aushalten, ich finde meinen Weg. Störungen haben weitreichende Auswirkungen. Das Muster der Erfahrungen unter der Geburt spiegelt sehr oft das zentrale Verhaltensmuster in Krisensituationen wider. Der heute 20-jährige Max hatte einen zu großen Kopf, für den mit einem Schnitt zusätzlicher Platz geschaffen wurde. In seinem Leben machte er immer wieder die Erfahrung, im übertragenen Sinne zu sperrig zu sein, um Übergänge zu schaffen. Erst kleine „Erweiterungen“ von außen machten dies möglich. Heute lernt er, sich selbst Unterstützung zu holen. Ähnliches erleben Kaiserschnittkinder: In Krisensituationen warten sie oft auf Hilfe von außen, anstatt eigene Ressourcen zu nutzen.

Für die Mutter ist die Geburt eine weitere Initiation in ihr Frausein. Die Herausforderungen in unserer Zeit sind groß: Welche junge Frau lernt, auf ihren Körper zu hören? Welcher junge Mensch wird darin unterrichtet, auf seine Intuition zu vertrauen? Und wer lernt, in Zeiten vollständig durchgetakteter Tages-, Wochen-, Jahrespläne bei (versuchter) absoluter Kontrolle aller Abweichungen einfach nur abzuwarten, bis es „soweit“ ist? Geburtsmedizinische Eingriffe – das meint hier nicht Notfallmedizin! – bringen Mutter und Kind um die im natürlichen Verlauf vorgesehenen Erfahrungsschritte in ihrer persönlichen Entwicklung.

 

Und wie finde ich…

…die richtige Hebamme, den geeigneten Geburtsort, die passende Geburtsform, das richtige Umfeld…? Kontaktiere Hebammen und Geburtshelfer vor Ort, lies Geburtsberichte, lass dich inspirieren, horch nach innen… Entscheidend ist nur eines: die Intention der Frau, sich diesem Abenteuer zu stellen und die Geburt ihres Kindes als Initiation zu erleben, in der für Mutter und Kind angemessenen Weise. So wird eine selbstbestimmte Geburt der Anfang für ein selbstbestimmtes Leben.

Eine Antwort

  1. Dr. Johann-Georg Blomeyer

    Dieser Artikel hat mich sehr erfreut. Es ist nur zu wünschen, dass Geburten der hier geschilderten Art Allgemeingut werden. Vor 100 Jahren konnte man sich diese harmonische Art, das Licht der Welt zu erblicken, nicht vorstellen.

    Interessant wäre herauszufinden, welchen Einfluss die Art des Wassers hat, das salzige Wasser des Meeres oder Leitungswasser.

    Weiter so !

    Jörg

    Antworten

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