Viele Menschen sorgen gut für das Wohlergehen anderer, doch sie selbst bleiben dabei auf der Strecke. Wenn man merkt, dass man ausbrennt – spätestens dann ist es Zeit, sich um sich selbst zu sorgen. Aber kann man Selbstfürsorge – Self Care – erlernen? Ja. In sieben Lebensbereichen kann frau und man lernen, liebevoll mit sich umzugehen, sich selbst zu nähren und sich Auszeiten für Körper, Geist und Seele zu nehmen.

von Ulrike Scheuermann

Self Care mag trendy klingen, ist jedoch keine Mode, die in zwei Jahren vorbei sein wird, denn es ist vielmehr eine Lebenshaltung und der Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Und das wünschen sich ja letztlich alle. Trotzdem arbeiten die meisten viel zu viel, kümmern sich um alles und jeden, verausgaben sich. Der Kalender ist voller Termine, es ist ein Leben im Hamsterrad. Funktionieren eben. Und das ist auch irgendwie okay, so ist das Leben nun mal. Es steckt voller Herausforderungen und ist nicht immer leicht. Doch dabei vergessen viele Menschen dann sich selbst, und das ist nicht okay. Denn nach längerer Zeit – nach einer Woche, nach einem oder nach zehn Jahren – kommt irgendwann die Erschöpfung, die nicht mit einer Nacht Ausschlafen ausgebügelt ist.

Die eigenen Bedürfnisse geraten aus dem Blick, oft schleichend und kaum bewusst. Plötzlich ist keine Zeit mehr fürs Mittagessen, nur noch für zwei schnelle Stück Kuchen unterwegs. Keine Zeit mehr für Freunde. Der Blick auf sich selbst wird mäkelig. Wer lange Zeit nicht auf sich selbst achtet und sich keine Zeit und Aufmerksamkeit mehr schenkt, kann irgendwann nicht mehr. Oder es tauchen körperliche Symptome auf, als einzige Möglichkeit, sich selbst zu signalisieren, dass man nicht mehr kann. Es geht bei einer guten Selbstfürsorge darum, sich so anzunehmen wie man ist, mit allen Stärken und Schwächen. Und das betrifft sieben Lebensbereiche: Den eigenen Körper lieben, Gefühle hegen, erholsam und viel schlafen, seinen Raum gestalten, Verbundenheit stärken, Gedanken befreien und die Seele entfalten.

Self Care Check

Es ist nicht so aufwändig, gut für sich selbst zu sorgen, wie viele denken. Ich höre von meinen Seminarteilnehmenden oder Coachingklienten häufig die Idee, für Self Care müsse man mindestens eine Woche Wellness-Urlaub planen. Doch es geht weniger um die großen Veränderungen. Es sind vielmehr Haltungsänderungen und daraus folgend kleine Dinge im Alltag, die helfen, wieder einen guten Kontakt zu sich selbst herzustellen und dadurch besser für sich zu sorgen. Bewusstmachen ist der erste Schritt. Hierzu kann man sich einige Fragen stellen, einen Self-Care-Check machen: Wie viel Lebensfreude empfinde ich? Schlafe ich ausreichend, so dass ich mich wirklich ausgeschlafen fühle? – Das sind übrigens ungefähr acht Stunden täglich. Nehme ich mir die Freiheit, auch mal „Nein“ zu sagen – und dann die gewonnene Zeit auch wirklich für mich zu nutzen? Bestimme ich in meinem Leben, was zu tun ist, oder regiert das „Muss“ in meinen Gedanken? Fühle ich mich wichtig? Habe ich einen freundlichen Kontakt zu meinem Körper, indem ich ihn zum Beispiel liebevoll betrachte und auf seine Signale höre? Pflege ich einen guten Umgang mit meinen Gefühlen, oder werde ich von ihnen überrannt und fühle mich ihnen ausgeliefert? Fühle ich mich verbunden mit anderen Menschen? Bin ich mir meiner Lebensaufgabe oder meines Lebenssinns bewusst?

Bei vielen Neins auf diese Fragen ist es Zeit, mehr Self Care ins Leben zu holen, um die psychischen und physischen Grenzen wieder zu stärken. Spätestens jetzt gilt es, ein- und innezuhalten und eben nicht schnell-schnell weiter zu machen.

Ich bin wertvoll

„Ich bin wertvoll“ ist das Selbstgefühl, das den besten Weg zu guter Selbstfürsorge eröffnet. Damit kann man im Kleinen beginnen, und wie sich dieses Selbstgefühl des eigenen Wertes ausdrückt, ist sehr individuell: Wer ein wenig früher aufsteht, statt noch drei Mal auf „Schlummern“ zu drücken, kann sich mehr Zeit für das morgendliche Sich-fertig-machen- Ritual oder ein Frühstück in friedlicher Stimmung nehmen. Sich wertvoll zu fühlen kann auch heißen, ohne Multitasking zu arbeiten und zu leben. Dann bist du es dir wert, erst das Handy wegzulegen und dann das Müsli zu essen oder in der Arbeitspause einmal um den Häuserblock zu laufen anstatt WhatsApp- Nachrichten zu beantworten. Es kann auch bedeuten, es sich wert zu sein, am Nachmittag in den Wald oder durch ruhige Nebenstraßen zu spazieren. Oder man gönnt sich eine etwas größere Auszeit im Alltag, wie zum Beispiel bei einer Massage, dem Besuch in einer Sauna, einem Hamam oder einem anderen Wellnesstempel.

Es muss auch nicht gleich so etwas Großes sein, wenn das letztendlich auch nur wieder Terminstress bedeuten würde: Bewusstes Eincremen und Sich-selbst-Pflegen kostet nur Minuten und kann ruhiger, entspannender und friedlicher sein. Auf den eigenen Atem zu achten, dauert nur Sekunden und als mehrmals tägliches Ritual ist es definitiv wichtiger als der Jahresurlaub.

Im Kontakt mit dem eigenen Körper

So gut eine To-Do-Liste auch sein mag, um nicht planlos durchs Leben zu gehen, sind die Pläne allzu oft übermächtig und das Gegengewicht fehlt. Das Gegengewicht könnte der Körper sein. Der Körper ist weise: In einem langweiligen Meeting werden die Beine irgendwann unruhig. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es jetzt Zeit ist, das Treffen zu beenden. Wenn die Lider vor dem Computer schwer werden oder die Kopfschmerzen beginnen, ist das ein klares Signal, eine Pause einzulegen oder ganz aufzuhören. Der Körper sagt, wann es Zeit ist, loszulassen und vom Plan abzuweichen. Denn der Körper braucht immer noch acht Stunden Schlaf, braucht Essen und Trinken, wie vor 1000 Jahren, als es noch keine ellenlangen To-Do-Listen gab. Dieses Gegengewicht benötigen wir dringend. Die Übung „Pulsatmen“  hilft, gut und schnell in Kontakt mit dem eigenen Körper zu kommen.

Ist Self Care Egoismus?

Gerade Frauen spüren den Druck des „Ich-muss-perfekt-Sein“, in allen Lebensbereichen: Arbeit, Familie, Kinder, Aussehen. Die so genannte Care-Arbeit oder Pflegearbeit, also unbezahlte Hausarbeit, Kinderbetreuung oder Pflege von Familienangehörigen bleibt oft an den Frauen hängen. Auch hier kann es helfen, sich bewusst zu machen, wie viel Arbeit im Organisieren des Alltags und in der Zuwendung zu anderen eigentlich stattfindet.

Und es gibt Menschen – oft gerade Frauen, die sich familiär und beruflich verausgaben –, die Self Care mit Egoismus gleichsetzen und sich deshalb verbieten, gut für sich zu sorgen. Doch Self Care ist das Gegenteil von Egoismus. Wer sich gut um sich selbst kümmert, kann sich auch gut um andere kümmern. Das ist die gleiche Logik wie im Flugzeug: Vor jedem Abflug betonen die Flugbegleiter, im Notfall die Atemmaske als Erstes selbst aufzusetzen, um dann anderen helfen zu können. Im Grunde geht es also darum, dass wir uns selbst so behandeln, wie wir es mit anderen tun. Dann können wir auch entspannt mit anderen das Zusammensein genießen.

Das Zusammensein mit anderen Menschen genießen

Das Ideal des entspannten Zusammenseins mit anderen Menschen leben die Dänen vor, die im internationalen Vergleich wiederholt das glücklichste Land der Erde wurden. Das Schlüsselwort lautet „Hygge“. Es steht für ein entspanntes, heimeliges Zusammensein mit anderen Menschen, bei dem kein Leistungsdruck herrscht. Jeder trägt etwas zum Ganzen bei und es geht nicht darum, sich herauszustellen oder sich zu vergleichen. Es geht „nur“ um die Freude am Zusammensein. Wenn wir das kultivieren, spüren wir die Zuneigung und Liebe untereinander. Wir erleben Sinn. Aufgehoben in erfüllten, tiefen, vertrauensvollen Beziehungen, sind wir die glücklichsten Menschen der Welt.

Doch allzu leicht schleicht sich auch im entspannten Zusammensein mit anderen Menschen eine Form von Leistungsstress ein: Alles soll fertig und besonders schön sein. Oder man fühlt sich verantwortlich für den harmonischen Verlauf des Treffens. Diese Hinweise können helfen:

• Heimelige Stimmung schaffen, beispielsweise mit Kerzen oder Musik.
• Jeder trägt etwas bei zum Wohlergehen aller: Gespräch, Essen, Stimmung.
• Miteinander im gegenwärtigen Moment sein und ihn genießen.
• Sich gegenseitig wirklich zuhören anstatt zu diskutieren. Unterschiedliche Sichtweisen dürfen nebeneinander stehen bleiben.
• Alle betonen das Gefühl von Verbundenheit. Trennendes wie Konkurrenz und Perfektion fallen weg. • Mit offenem Herzen zeigen alle, wie sie wirklich sind: Akzeptieren, Verstehen und Liebe stehen im Vordergrund.
• Sich gegenseitig danken – für alles mögliche, es gibt unzählige Dinge.

Self Care bedeutet, ein Leben zu leben, von dem man sich nicht erholen muss, sondern in dem Auftanken und Im-Kontakt-mit-sich-Sein Teil des Lebens ist – sorge für dich und lebe

Übung „Pulsatmen“

• Den Pulsschlag im Körper finden: In den Lippen, im Bauchraum, in den Finger- oder Zehenspitzen. Oder direkt an der Hals- oder Pulsschlagader oder im Brustbereich ertasten.
• Den Atem wahrnehmen, wie er ein- und ausströmt.
• Nun Puls und Atem in einem Rhythmus zusammenbringen: Den Pulsschlag in den Atemrhythmus einzählen, zum Beispiel: 3 Pulsschläge einatmen – 1 Pulsschlag Einatempause – 4 Pulsschläge ausatmen – 1 Pulsschlag Ausatempause. Und so weiter.
• Einen Rhythmus finden, der angenehm und beruhigend wirkt. In der Regel dauert dabei das Ausatmen etwas länger als das Einatmen.
• Zum Abschluss den Körper als Ganzes spüren und auf Körperimpulse achten, wie zum Beispiel auf Bewegungs- oder Ausruhimpulse.

Weiterbildung zum „Practitioner in Logosynthese®“: Ulrike Scheuermann ist u.a. Ausbilderin für „Logosynthese ®“, eine hochwirksame energiepsychologische Methode für persönliche und spirituelle Entwicklung. Das nächste Einführungsseminar findet am 14.-16. Februar 2020 in ihren Akademieräumen in Berlin-Wilmersdorf statt.

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*