Tantra ist mehr als ein Bündel von Techniken, um ekstatische Erfahrungen zu machen. Es bedeutet, sich selbst wieder zu finden und das Leben als einen kontinuierlichen Liebesakt zu begreifen.

 

Ich werde oft als Tantra-Lehrer bezeichnet. Das bin ich auch, aber nicht in dem Sinne, wie dieser Name sonst verwendet wird. Ich lehre keine Tantra-Techniken. Nicht, dass ich etwas gegen sie hätte. Durch die Teilnahme an meinen Workshops lernen die Leute, den Liebesakt zu verlängern und orgasmische Höhen der Ekstase zu erfahren – aber nicht als erfolgreiche Leistung oder Kunstfertigkeit, die durch gezieltes Üben erworben wurde. Ich möchte eigentlich niemanden zu dem Versuch ermuntern, in seiner sexuellen Intimität irgendwohin zu gelangen, nicht einmal in den tantrischen Himmel, weil es nur unsere Sucht nach dem HABEN nährt. Es macht keinen Unterschied, ob wir Sex oder Erleuchtung haben wollen. Was uns gefangen hält und begrenzt, ist unsere Angewohnheit, haben zu wollen, und unserer Fixierung aufs Haben.

 

Habenwollen

Das ist kein Wunder. Unsere Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist wie ein Drogendealer, der uns mit Annehmlichkeiten versorgt und abhängig macht. Wenn wir aufhören zu konsumieren, wird unsere von Geld getriebene Kultur zusammenbrechen. Das urbane Leben versucht alles Mögliche, um unsere Sucht nach dem Bekommen – Dinge, Macht, Reichtum, Erfolg – und Haben zu kultivieren. Welchem Bereich der Medien man sich auch zuwendet, fast alles mahnt, überredet, verführt oder erschreckt uns, damit wir irgendetwas haben wollen. Meistens fällt uns gar nicht auf, wie sehr wir mit dem Habenwollen beschäftigt sind. Schon früh in unserem Leben wird es zu unserem „natürlichen“ Weg, mit der Existenz umzugehen. Sobald wir dann sexuell aktiv werden, passen wir genau ins Bild. Die Jungs wollen einen Orgasmus haben, die Mädels wollen die Jungs haben. Die Jungs wollen die Mädels haben, und die Mädels wollen Sex haben. Es ist ein munteres Karussell, und was zählt, ist das Habenwollen. Wer sich dem Leben auf diese Weise nähert, sieht Tantra als hilfreichen Weg, mehr zu bekommen – Sex, Intimität, Liebe, Erfüllung, Spiritualität. Das sind an sich keine schlechten Dinge. Wir verdienen all das, und wir brauchen es auch, und deswegen lehre ich Tantra.

 

Das volle Dasein erleben

Aber hier liegt das schöne Paradoxon: Die Techniken mögen uns dazu verhelfen, diese Dinge zu bekommen, aber dadurch passiert nicht wirklich etwas mit uns. Wer mit dem Habenwollen beschäftigt war, bleibt es weiterhin. Und gerade beim Tantra geht es um das Erwachen – ein Erwachen, das uns von der Gewohnheit des Habenwollens befreit, um in eine neue Art des Daseins einzutreten. Alles, was wir bekommen, ist unser wahres Selbst, und das ist nicht mehr und nicht weniger als unsere totale Präsenz im Leben, hier und jetzt. Glücklich sein, Sex genießen, tiefe Intimität erleben, in Liebe leben und das allgegenwärtige Mysterium des Geistes spüren – all das entsteht dadurch, dass wir uns für das volle Dasein öffnen. Tantra ist eine Einladung, noch weiter darüber hinauszugehen, aber nur dann, wenn du am innersten Kern deines Wesens angelangt bist. Und dorthin gelangst du nicht, ohne dich mit allem in dir angefreundet zu haben.

Aus praktischer Sicht steht Tantra für diese Reise des Anfreundens. Von daher ist jeder Workshop, den ich leite, tantrisch, selbst The Universal Experience, bei dem die Leute sich mit ihrem eigenen Tod auseinandersetzen. In sexuell orientierten Workshops wie Body, Heart & Soul ist Sexualität genau wie der Tod ein Mittel zum Lernen – nicht Techniken lernen, sondern Hingabe und Loslassen. Das ist nicht nur eine exquisitere Form des Lernens, sondern auch eine größere Herausforderung, denn sie verlangt von uns, tief sitzende Gewohnheiten, unser Know-how und unsere Vorstellung, wer wir sind, aufzugeben. Stattdessen öffnen wir uns für das Sinnliche, Erotische, Intime und vielleicht auch das Mystische – ohne Know-how und ohne irgendwohin gelangen zu wollen. Indem wir diesen Schritt wagen, sowohl im Workshop als auch im eigenen Leben, erfahren wir schließlich, was uns die Techniken zeigen wollen – nur dass jetzt niemand mit dem Habenwollen beschäftigt ist. Es ist eine freie, leichte Art zu sein, die auf natürliche Weise durch die wilde und leidenschaftliche Alchemie dieser Reise geboren wird.

 

Tantra: Weg des Wachstums

Tantra, wie ich es verstehe und als The Art of Being lehre, ist ein außergewöhnlich menschlicher Weg des persönlichen und spirituellen Wachstums. Er ruft dich hinein in die Gegenwart und lehrt dich, weiter dazubleiben, wo sonst alte Gewohnheiten deine Ganzheit und deinen nahen Kontakt zum Leben, das hier und jetzt geschieht, abschneiden oder schwächen würden. Er durchdringt die intellektuellen und verbalen Schichten des Wissens und der Informationen bis in die Tiefen der Gefühle, wo du dich mit deinem gesamten Wesen wahrhaftig anfreunden und es annehmen kannst. Dieser Weg ermöglicht es dir, die Wunden zu heilen, die dich immer noch einschränken, Zugang zu all deinen inneren Ressourcen zu finden, dein Mann- bzw. Frausein zu feiern, in deinen Freundschaften und intimen Beziehungen Erfüllung zu finden und in einer sich ständig vertiefenden Einheit mit der spirituellen Dimension der Existenz zu leben.


Abb.: © soschoenbistdu – Fotolia.com

2 Responses

  1. Stefanie Bechtold

    Guten Tag!
    Können Sie mir bitte nähere Informationen zum BHS und zum zweijährigen Tantra-Training mit Alan Lowen schicken?! Bieten Sie 2010 noch ein BHS
    Teil 1 an?
    Herzliche Grüße,
    Stefanie Bechtold

    Antworten

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