Für Anna Bahlinger war schon früh klar: Das Leben hat einen Sinn. Nur: Welchen, das war noch nicht klar. Also machte sie sich auf die Suche. Tatsächlich kam dann der Moment des Findens und damit das tiefe Wissen: Alles steht im Zusammenhang mit allem anderen, hat seinen Platz im großen Ganzen und damit auch seine Bedeutung, seinen Sinn. Sinn oder Nicht-Sinn – das ist keine Frage!

 

Mich hat schon immer beschäftigt, was eigentlich der Sinn des Lebens ist. Schon als Kind habe ich mich gefragt, wozu denn „das alles gut sein soll, diese ganze Veranstaltung hier auf der Welt. Denn dass es einen Sinn geben muss, war ja klar – sonst wäre ja alles sinnlos, und das kann ja nicht sein!

Im Lauf der Jahre habe ich dann zu meinem Erstaunen gemerkt, dass es Leute gibt, die sich diese Frage nicht stellen. Oder die zu dem Ergebnis kommen, dass das Leben keinen „Sinn“ hat.

Mich hat die Frage nach dem Sinn umgetrieben und angetrieben. In der Schule, im Beruf, in Beziehungen: Irgendetwas Wesentliches fehlte immer, ich war innerlich immer auf der Suche. Und irgendwann – mittlerweile war ich schon vierzig – gab es tatsächlich den Moment, wo die Suche zu Ende war: wo ich das Gefühl hatte, angekommen zu sein. Ein ganz überwältigendes, unglaublich strahlend schönes Gefühl! Alles fiel ins Lot. Es war wie bei einem Puzzle, dessen Teile sich endlich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Zuhause.

Das war der Moment, als ich Menschen kennen lernte, die einen für mich ungewohnt weiten Horizont hatten, die ganz selbstverständlich mit „anderen Dimensionen“ umgingen und das Leben in ­einem viel größeren Rahmen betrachteten, nämlich entsprechend der kosmischen Gesetze und der Zusammenhänge zwischen diesem und anderen Leben, zwischen Himmel und Erde. Und die dennoch völlig normale Menschen waren und weder in merkwürdigen Gewändern herumliefen noch ständig Hosianna riefen. Kurzum: Ich war auf die Spiritualität gestoßen, auf die größeren Zusammenhänge zwischen den Dimensionen … Es war, als würde ein Schleier weggezogen, der mir bisher den Blick verstellt hatte – dahinter war alles klar. Die Suche hatte ein Ende.

 

Unsichtbar verwoben

Bei diesen Menschen – genauer gesagt, bei der Frau, die dann zu meiner spirituellen Lehrerin wurde – lernte ich dann, dass wirklich alles mit allem im Zusammenhang steht und es keine „Zufälle“ gibt. Ich bekam ein Gespür dafür, dass alles, was ist, auf allen Ebenen, wie in einem unsichtbaren mehrdimensionalen Gewebe miteinander verbunden und verflochten ist. Konkret hieß das dann zum Beispiel, dass man auch ganz banale Situationen oder Ereignisse oder Wahrnehmungen als Bilder, als Hinweise verstehen kann auf die eigene aktuelle Situation. Als sie das erste Mal damit anfing, laut zu überlegen, was ihr denn die Baustelle auf dem Gehweg vor ihrem Haus zu sagen hätte, dachte ich noch, jetzt geht’s aber los! – Aber es dauerte nicht lange, bis ich auch anfing, vergleichbare Überlegungen anzustellen, und inzwischen ist es für mich auch ganz selbstverständlich – und überaus aufschlussreich! Spinnerei? Man möge es einfach mal ausprobieren. Vielleicht ist es ja nicht nur „Zufall“, wenn die Bremse am Auto kaputt ist? Vielleicht „fahre“ ich ja auch selbst ungezügelt, ohne bremsen zu können, auf meiner gegenwärtigen Bahn im Leben? Oder auch mit angezogener Handbremse? Oder, anderes Beispiel: Wieso fallen mir heute beim Einkaufen und dann in der U-Bahn lauter nervig-vorlaute Kinder auf? Könnte es vielleicht sein, dass mein inneres Kind gerade auch so richtig motzen möchte, oder dass es überhaupt gern mal wieder beachtet werden würde?

Ich erkläre mir den Zusammenhang so: Alles, was mir selbst geschieht, aber auch alles, was mir überhaupt auffällt in der Vielfältigkeit der möglichen Sinneseindrücke, fällt mir ja zwangsläufig deswegen auf, weil ich in irgendeiner Art von Resonanz damit stehe. Also kann ich ja anhand dieser Wahrnehmung, dieses Bildes auch überlegen, was es für mich zeigt, was mir dazu einfällt, wozu es gerade bei mir passt. Eine wunderbare Methode, um Antworten auf aktuelle Fragen zu finden…

Solche Erkenntnisse sind es, die für mich ganz klar zeigen: Alles steht im Zusammenhang mit etwas anderem oder eigentlich mit allem anderen, das heißt, alles hat seinen Platz im großen Ganzen und damit auch seine Bedeutung, seinen Sinn.

Was ist dann die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens? Nein, ich habe keine allgemeine Antwort, schon gar keine, die für alle Menschen gelten sollte. Meine persönliche Antwort ist: Das Leben hat seinen Sinn in sich selbst. Darin, es zu leben. Und zwar möglichst intensiv. 

 

Hunger nach Leidenschaft

Im Human Design, dem System zur Persönlichkeitserkenntnis, mit dem ich gern Menschen berate,  gibt es einen sogenannten „Schaltkreis des Sinnfindens“, auch „Schaltkreis der Abstraktion“ genannt. Das heißt, dass von den 64 Bausteinen dieses Systems – 64 möglichen Verhaltens-/Denk-/Empfindungsarten – 14 irgendwas mit Sinnfinden zu tun haben (und von diesen Sinnfindungsbausteinen wiederum kann jeder Mensch in seiner angeborenen Ausstattung zwischen 0 und 14 aktiviert haben; dementsprechend hat er mehr oder weniger Zugang zu dieser Art von „Sinnfindung“). „Sinnfinden“ ist hier der Weg der Erfahrung, interessanterweise auf Englisch „sensing“ genannt, worin „sense“ = Sinn (und Sinne) steckt, aber auch „to sense“= spüren. Betrachtet man die 14 Sinnfindungsbausteine aneinandergereiht, so zeigt sich ein vielfältiger Weg, eben ein „Schaltkreis“ des Sinnfindens oder der Erfahrung: Der Hunger nach Leidenschaft führt in die Tiefe des Erlebens respektive zu seinem Höhepunkt, zur Krise, und von da zum Fortschritt, zur Veränderung; der Drang, eine Erfahrung nach der anderen zu erleben, führt dazu, etwas zu unternehmen und damit erfolgreich zu sein oder auch nicht; der mentale Druck, den roten Faden zu erkennen in dem, was man erlebt und erfahren hat, kann in anregende Geschichten umgesetzt werden – es ist ein immerwährender Kreislauf aus dem Drang nach Leben und Leidenschaft, nach der Tiefe der Emotionen und dem Spüren, dass man lebendig ist, mit allem, was dazugehört – Herz und Sex und Schmerz natürlich ­inklusive! – und mündet schließlich idealerweise in die Reflexion darüber, was man erlebt hat und in welchem größeren Zusammenhang es einen Sinn ergibt. Die ganze Lebens- und Sinn(es)reise als Ansammlung von Erfahrungen, Erlebnissen, tiefem Spüren, mit Haut und Haaren erleben. Da-Sein. Der Sinn ist damit das Er-Leben selbst. Das Erleben, dessen Zusammenhänge sich erst in der Rückschau zeigen. Die Essenz, das Wesentliche liegt in der Intensität des Lebens und Er-lebens.

 

Völlig „da“ sein

Ich glaube, dass das der springende Punkt ist: Wenn ich völlig aufgehe in ­irgend etwas – einer Situation, einer ­Tätigkeit, einer Begegnung – völlig „da“ bin, mit allen Fasern meines Seins, gefordert bin, etwas intensiv erlebe, dann stellt sich keine Sinn-Frage mehr, dann ist der Sinn erfüllt.

Das ist das Gefühl, was ich bei dem oben beschriebenen Schlüsselerlebnis hatte. Und was mein Grundgefühl dauerhaft verändert hat.

Dass es für mich auch mit Spiritualität zu tun hatte, ist eben meine Variante des „Sinns“. Die mir zudem noch Erklärungsmuster lieferte für Dinge, die mir vorher unerklärlich waren.

Was „der Sinn“ für andere Menschen sein kann, wird jeder selbst merken. Merken an dem Gefühl, jetzt ist alles völlig richtig. Ein Gefühl von Ewigkeit im Augenblick. Innere Räume tun sich auf. (wenn ich dies schreibe, gehen automatisch meine Mundwinkel nach oben). Ein Bekannter erzählte neulich von einer Situation, in der er einen schwierigen Job im Ausland bewältigt hatte und – völlig glücklich mit sich und der Welt – auf dem Rückflug dachte: Wenn jetzt das Flugzeug abstürzen würde, wäre das völlig o.k., ich könnte glücklich sterben.

Nichts mehr wollen, nirgends mehr hin müssen. Weil alles hier und jetzt gut ist. Vielleicht muss man den Zustand der Suche, des inneren Getriebenseins kennen, um solche sinnerfüllten Momente als solche wahrzunehmen – um die ­Erlösung zu empfinden, die darin liegt.

Jemand, der gar nicht erst suchen gehen musste, der/die sich vielleicht schon immer und grundsätzlich am richtigen Platz und in der richtigen Haut fühlte – oder dessen Streben sich auf etwas anderes richtet als so etwas Abstraktes wie den Sinn – ist wohl ein glücklicher Mensch. Aber aus der Sicht einer alten Sinnsucherin meine ich: Erstens geht es, wenn man so gebaut ist, gar nicht anders, als sich auf den Weg zu begeben, und zweitens: Was kann glücklicher machen, als nach allen Irrungen und Wirrungen schließlich zu finden, schließlich ganz konkret und sicher zu wissen, dass alles für irgendetwas gut war und ist?


Abb: © Galyna Andrushko – Fotolia.com

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