Warum wir unsere Lebensqualität nicht Spekulanten und Bauinvestoren opfern dürfen 

Die Frage, wie viel Verdichtung die Berliner Innenstadtbezirke noch vertragen, gerät in der aktuellen Neubaukampagne des Senats zunehmend unter die Räder. Mehr Menschen auf gleichem Raum bedeutet mehr Bedarf an Grünflächen, Kita- und Schulplätzen… Bislang war es im verschuldeten Berlin meist schwierig, das zu finanzieren. Nun wird es zusätzlich räumlich eng: Vielerorts könnten, auch wenn ausreichend Geld vorhanden wäre, keine neuen Grünflächen, Grundschulen und Kitas mehr entstehen. Es gibt keine Grundstücke mehr – so wie in Friedrichshain rund um den Boxhagener Platz. 

Dort soll nun auch das letzte große Grundstück bebaut werden: das Freudenberg-Areal. Auf den Plänen drängen sich rund 700 Wohnungen auf einer Industriebrache, die knapp vier Fußballfelder groß ist. Dazu kommen noch einmal 100 neue Wohnungen nebenan. Bei 800 Wohnungen kann man mit rund 2000 Neubewohnern rechnen – in einem der am dichtest besiedelten Bezirksteile Berlins mit einer 90%igen Grünflächenunterversorgung, derzeit 1400 fehlenden Kitaplätzen und einem Mangel an Grundschulplätzen, der den Bau von zwei Grundschulen notwendig machen wird. Nur für eine davon wäre Platz im Nachbarstadtteil.

Dass für die notwendige Grundversorgung so vieler Menschen die Flächen fehlen und dem Investor neben seinen Höchstpreisen und Profiten der Bezirk ziemlich egal ist, davor warnt seit einigen Jahren eine Anwohnerinitiative „Ideenwerkstatt Freudenberg-Areal“. Sie hat es verstanden, der Bezirkspolitik einiges mehr an Diskussionen über die Entwicklung abzuverlangen, als gedacht war, denn die hiesigen Mehrheitsparteien Grüne und SPD befürworten das Projekt, das in der Nachbarschaft den Namen „Blockmonster“ erhielt. Der Investor, die Bauwert Investment Group, agierte geschickt mit wohlklingenden Zahlenspielen und Plänen, die wenig zeigten – und vor allem mit Versprechungen, denen sich die Bezirkspolitik anscheinend unreflektiert anschloss. 

 

Die Initiative monierte, dass der Preis für die Versprechungen, ein derart üppiges und lukratives Baurecht, zu hoch sei. Denn 40 verbilligte Wohnungen, ein winziger Bürgertreff sowie eine Kita und eine kleine Grünfläche – Bedingungen, die ohnehin erbracht werden müssen – seien fast nichts gegenüber der Gewinnerwartung des Investors im mittleren achtstelligen Bereich!

Der Bezirk soll sich auf seinen Beschluss aus dem Jahr 2010 beziehen und das Bauvolumen fast halbieren, so die Forderung der Initiative. In Alternativplanungen zeigte sie ein Wohngebiet mit 300 Wohnungen, mehr Gewerbe, einem Stadtteilzentrum – und vor allem einer großen Grünfläche. Dafür wurden bereits 3000 Unterschriften gesammelt und zahlreiche große Versammlungen durchgeführt. An drei „Runden Tischen“ wurden die Bedenken der Initiative von den bezirklichen Fachverwaltungen bestätigt. Die Bezirkspolitiker konnte all dies jedoch nicht zu einer härteren Gangart gegenüber dem Investor bewegen. Alle Anträge zu Planungsänderungen wurden abgelehnt.

Um mit all den Diskussionen Schluss zu machen, holte sich die Bauwert Investment Group im Sommer 2014 mit einem juristischen Schachzug ein Baurecht bei der Senatsverwaltung. Ein Bauvorbescheid macht nun einen Bebauungsplan überflüssig. Für ein Grundstück mit einer Größe von 2,6 Hektar ist dies ein ungewöhnlicher Vorgang. Deshalb bereitet die Initiative eine Verbandsklage gegen dieses Baurecht vor. 

Das Bürgerbegehren „Das Freudenberg-Areal retten!“ startete zeitgleich mit der Erteilung des Baurechts. Es wurde zur Unmutsbekundung über Behörderwillkür und Verbauung der Kieze. Und es entfaltet seine rechtliche Wirkung als Bezirksbeschluss, wenn die Verbandsklage erfolgreich ist. Trotz allem hoffen wir immer noch auf ein Umlenken der Verantwortlichen, denn die Zeit bringt stets neue Erkenntnisse und Einsichten.

 

Seit 33 Jahren lebe ich (Klaus A.) in Berlin und ich beobachte, dass es immer weniger Grün, immer weniger Freiflächen bei gleichzeitiger  Zunahme des Autoverkehrs und des Pendler- und Berufsverkehrs gibt. Schaut auf andere Großstädte! Wollen wir, dass es in Berlin so wird wie in Peking oder London? Um die Verödung, die Gentrifizierung und die Verpestung der Luft in der Innenstadt zu stoppen, braucht es neues Denken!

Das ökologische und soziale Gleichgewicht kippt zunehmend. Die Stadt der Zukunft benötigt neue Kiezstrukturen – leben, arbeiten und Erholung vor Ort gehören zusammen, anstatt rund eine Stunde fahren zu müssen, um mal baden zu können. Milieuschutz und Verkehrsberuhigung für Wohngebiete anstatt Parkraumbewirtschaftung bis 24 Uhr. Ein positives Beispiel für soziale Stadtentwicklung ist in Kreuzberg 36 das Projekt Markthalle 9  (Handwerksförderung, Kleinbetriebe) und der Danckelmannkiez in Charlottenburg.

Es ist noch nicht zu spät. Berlin kann richtungsweisend sein für eine neues ökologisches und soziales Miteinander, für ein Gleichgewicht der verschiedenen Interessen, und die Investoren und Politiker können dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Sehr verehrte Entscheidungs­träger, werden Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst! Sie gestalten Ihren eigenen – unseren – Lebensraum, die Stadt der Zukunft!

Über den Autor

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verteilt seit 13 Jahren das Sein-Magazin, arbeitet gelegentlich als Konflikt­löser, Rebalancer und im Garten. Er hat erkannt, dass es wertvoll ist, anderen, sich selbst und allem, was ist, be­wusst und liebevoll zu begegnen, und möchte dies auch vermitteln.

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